Digitalisierung

Wie Insurtech-Firmen die Versicherungen herausfordern

13.07.2017 von Heinrich Vaske
Große Versicherungskonzerne sehen Insurtechs heute meist nicht mehr als unmittelbare Bedrohung. Die Traditionsunternehmen suchen vielmehr den Kontakt zu den Startups, um von ihnen zu lernen und Anregungen für das eigene Geschäft zu bekommen.

PricewaterhouseCoopers (PwC) hat in seinem aktuellen "Global FinTech Survey 2017" auch die Insurtech-Szene untersucht. Demnach standen den Berater 189 Versicherungsmanager aus 40 Ländern Rede und Antwort. Die meisten von ihnen sehen ihre Geschäftsmodelle durch die Startups unter Druck. Die Mehrheit (56 Prozent) hält die eigenen Umsätze in einer Größenordnung von 1 bis 20 Prozent durch Insurtechs gefährdet, jedes fünfte Unternehmen fürchtet sogar, dass 20 bis 40 Prozent der Einnahmen wegbrechen könnten. Tatsächlich behaupten 52 Prozent der Befragten, nur wegen des Drucks der Newcomer die Beschäftigung mit Disruption in den Mittelpunkt der eigenen Strategie gestellt zu haben.

Versicherungskonzerne suchen Partnerschaften mit Insurtechs

Die pfiffigen Geschäftsideen der Insurtechs
Element Insurance
Als rein digitale Versicherungsplattform - inzwischen mit BaFin-Lizenz ausgestattet - ist Element im März 2017 angetreten, um sich im Segment der Sach-, Unfall- und Haftpflichversicherungen auszubreiten. Das Unternehmen, das vom Berliner Fintech-Company-Builder Fin Leap gegründet wurde, will Unternehmen verschiedener Branchen - vom E-Commerce bis zur klassischen Versicherung - unterstützen, individuelle und passgenaue Versicherungsprodukte für ihre Kunden zu schaffen.
Optisure
Eine Haftpflichtversicherung ausschließlich für IT-Freelancer bietet der Versicherungsmakler Optisure ab 29 Euro monatlich an. Das Unternehmen argumentiert damit, dass Freiberufler ihre hohen Risiken im Zusammenhang mit Rahmen- und Projektverträgen gesondert absichern sollten.
SmartInsurtech
SmartInsurtech schiebt sich als Plattform zwischen Versicherungskonzerne und deren Vertriebsorganisationen. Letzteren will die Hypoport-Tochter mit Web-basierten zentralen Standardlösungen helfen, ihre Hardware- und Lizenzkosten zu senken. Auch Provisionsabrechnungen und die Geschäftspost übernimmt SmartInsurtech.
Ottonova
Als erste vollständig digitale private Krankenversicherung ist Ottonova im Juli 2017 angetreten, Marktanteile zu erwerben. Das Unternehmen, das sich an dem US-Startup Oscar Health orientiert, hat eine Zulassung bei der Bafin bekommen und kann damit Verträge mit Kunden abschließen. Ins Beuteschema passen jüngere Akademiker, die keine Berührungsängste mit digitalen Technologien haben und gut verdienen.
PicSure
PicSure offeriert Versicherungskonzernen KI-Lösungen, mit denen diese einfach Sachverhalte verifizieren können. Mit einem Smartphone-Photo können beispielsweise Gegenstände wie ein Fahrrad aufgenommen und binnen Sekunden bewertet werden. Ebenso werden Bilder von Schadensfällen automatisiert beurteilt.
Wefox
Wefox bezeichnet sich als unabhängige Serviceplattform, auf der Versicherte ihre Verträge verwalten, Tarife vergleichen und sich beraten lassen können. Das Startup agiert anbieterneutral und bietet kostenfreie Services an, darunter Vertragsimport und Serviceleistungen. Es finanziert sich, indem es den Versicherungsgesellschaften Teile der Services abnimmt und dafür von ihnen kassiert. Auch hier geben Kunden eine Vertretungsvollmacht, die Wefox ermöglicht, die Vertragsdaten bei den Versicherungen abzufragen und in der App anzuzeigen.
ControlExpert
Das Unternehmen überprüft mithilfe intelligenter Algorithmen Schadensgutachten und Werkstattrechnungen auf Fehler. Damit hilft es Versicherern, Kosten zu senken. ControlExpert greift dabei auf eine Datenbank zurück, die jeden Tag um Tausende von Aufträgen aufgefüllt wird. Mit EasyClaim hat ControlExpert eine App herausgebracht, mit der Autofahrer einen Schaden direkt am Unfallort melden können.Anhand hochgeladener Fotos bekommen die Fahrer nach rund zwei Stunden eine Info, wie teuer die Reparatur wird und wo sich die nächste Werkstatt befindet
Kasko
Als digitale Versicherungsplattform für On-demand-Versicherungsprodukte bezeichnet sich Kasko. Das Unternehmen wendet sich als Vermittler mit den Angeboten großer Versicherer an digitale Marktplätze oder Reiseportale, wo entsprechende Angebote via Plugin oder API eingebunden werden können. Die Kunden haben den Vorteil kurzer Wege, außerdem müssen sie sich nicht um regulatorische Details oder technische Integration kümmern.
AppSichern
Kurzzeit-Versicherungen für besondere Situationen bietet AppSichern. Der Reiz liegt im schnellen und unkomplizierten Abschluss, der auf der Website oder über eine App getätigt werden kann. Das Startup bietet beispielsweise einen „24-Stunden-Drittfahrschutz“ für den Fall, dass ein Kunde sein Auto an einen Freund verleihen möchte. Kündigung ist nicht nötig, soll sie verlängert werden, wird der Vertrag nochmal unterzeichnet. Einen ähnlichen Dienst bietet Cuvva an.
Virado
Auf kleinteilige Produktversicherungen etwa für Smartphones, Tablets, Brillen, Gadgets, Fahrräder oder Haushaltswaren hat sich Virado spezialisiert. Das Startup richtet sich an Versicherungsmakler, die solche Produkte an Betreiber entsprechender E-Commerce-Seiten verkaufen. Virado bindet diese Angebote in die Homepages, Apps und Facebook-Seiten der B2B-Kunden aus dem Handel ein.
Wert14
Wert14 von der Rostocker SkenData GmbH ist eine Plattform für die Immobilienbewertung, die sich neuester Big-Data- und Machine-Learning-Technologien bedient, um zu einem schnellen und genauen Urteil zu kommen. Das Unternehmen erhielt 2017 den Insurance IT-Innovation Award der Uni St. Gallen.
Feelix
Ein breites Angebot rund um die digitale Finanzplanung bietet Feelix. Das Unternehmen will das Papierchaos in den Finanz- und Versicherungsordnern der Kunden beseitigen und bietet dafür eine App an. Verbraucher können damit ihre bestehenden Versicherungs-, Geldanlage-, Kredit- und Altersvorsorgeverträge managen. Hinzu kommen Vertrags- und Kreditcheck, mit denen Anwender herausfinden können, ob ihre Verträge noch aktuell und kostengerecht sind.
Fairr
Auf die Nische der Altersvorsorge-Lösungen rund um Riester- und Rürup-Rente hat sich fairr.de spezialisiert. Das Startup hilft Kunden, Zulagen und Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Das Unternehmen verzichtet auf Anschlussprovisionen und hält die Gebühren niedrig. Mit (Fonds-)Sparplänen für Riester- und Rürup-Rente verdient fairr.de Geld.
Friendsurance
Friendsurance ist zum einen ein klassischer Versicherungsmakler, der von den zirka 70 vertretenen Versicherungen bei Erfolg einen marktüblichen Bonus erhält. Zum anderen betreibt das Unternehmen ein Peer-to-Peer-Versicherungsmodell, in dem sich Versicherte zu kleinen Gruppen bis zu zehn Personen zusammenschließen und gegenseitig finanziell unterstützen. Kleinere Schäden werden aus diesem Topf bezahlt, bei größeren springt das Versicherungsunternehmen ein. Tritt bei den Versicherten kein Schaden ein, sinken die Versicherungskosten.
Haftpflicht Helden
Wer in wenigen Minuten online eine private Haftpflichtversicherung für 72 Euro jährlich abschließen will, ist bei den Haftpflicht Helden richtig. Als BaFin-zugelassener Partner im Hintergrund agiert die NV-Versicherungen VVaG. Haftpflicht Helden beschreibt transparent, was mit den Gebühren der Versicherten passiert. Wer Freunde überzeugt, sich ebenfalls dort zu versichern, senkt je nach Anzahl der Mitversicherten seine Kosten und die der Freunde.
Community Life
Als Community rund um Versicherungen präsentiert sich Community Life. Das Unternehmen bietet eine Berufsunfähigkeits- und eine Lebensversicherung und stützt sich dabei auf Angebote der internationalen Versicherungsgruppe iptiQ. Größter Vorteil ist die Anbindung an eine Community, in der über Versicherungen diskutiert wird, die neue Produkte mitentwickelt und die durch den Zusammenschluss Versicherter Lobby-Vorteile schafft.

Die Traditionsunternehmen haben inzwischen allerdings ihre Schockstarre überwunden und sind aktiv geworden. Immerhin 45 Prozent partnern mit den innovativen Startups, vor einem Jahr waren es nur 28 Prozent. Zwei Aspekte gelten dabei als besonders spannend: Versicherungsgesellschaften möchten näher an ihre Kunden heran - nur 16 Prozent kommunzieren derzeit mit ihrer Klientel mobil und nur 25 Prozent über die Website. Und sie wollen Risiken mithilfe ausgefeilter Datenmodelle und fortgeschrittener Analytics besser identifizieren und quantifizieren können. Verhaltensabhängige Versicherungsverträge, wie sie etwa bei Kranken- oder KfZ-Versicherungen aufkommen, sind ein weiteres Thema, ebenso das Automatisieren von Verwaltungsprozessen mit Robotics Process Automation (RPA).

Daten-Analytics (84 Prozent) und mobile Technologien (58 Prozent) sind der Untersuchung zufolge die IT-Investitionsschwerpunkte für die nächsten zwölf Monaten. RPA liegt bereits auf dem dritten Rang: Im Back-Office-Betrieb werden damit heterogene Systeme intelligent verknüpft und Prozesse automatisiert - ein Trend, der mittelfristig massive Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben dürfte. Artificial Intelligence (AI) und IT-Sicherheit sind für jeweils ein Drittel der Befragten (33 Prozent) ebenfalls zentrale Investitionsfelder.

Blockchain gewinnt an Bedeutung

Während die FinTechs im Bankenumfeld zu 22 Prozent IoT-Ausgaben priorisieren wollen und zu acht Prozent "Distributed-Ledger-Technologien (Blockchain), ist es bei den Versicherungen umgekehrt: 22 Prozent setzen auf IoT und acht Prozent auf die Blockchain. PWC erklärt das damit, dass Versicherungen mehr und mehr präventive statt reaktive Risiko-Management-Modelle verfolgen. Die Versicherher senken in diesen Szenarien die Risiken für ihre Kunden, indem sie permanent in Echtzeit Daten erheben und analysieren.

Auch wenn die Blockchain für die meisten Versicherungsfirmen noch keinen Investitionsschwerpunkt darstellt, ist das Interesse groß. "Die Unternehmen verstehen den Wettbewerbsvorteil, den diese Technologie für das Design neuer Produkte und Services bringen kann", heißt es im PwC-Report. Die Hälfte der befragten Unternehmen untersuchen demnach die Technologie derzeit im eigenen Haus oder schließen sich entsprechenden Blockchain-Initiativen an. Zwei Drittel glauben, schon 2018 ein erstes Blockchain-basierendes Produktivsystem im Einsatz zu haben.

Viele Versicherungsgesellschaften, so zeigt die Untersuchung weiter, erhoffen sich von der Zusammenarbeit mit Insurtechs einen Innovationsschub. Den Unternehmen fehlen Mitarbeiter mit der richtigen Qualifikation, um innovativer sein zu können. Deshalb glauben 84 Prozent der Befragten, dass in den kommenden drei bis fünf Jahren durch Partnerschaften mit Insurtechs sowie durch deutlich steigende interne Anstrengungen (82 Prozent) Innovationsfortschritte erzielt werden können. Die eigen Fähigkeit, mit Innovatoren außerhalb des Unternehmens gut zusammenarbeiten zu kölnnen (Co-Creation) wird aber nur von 17 Prozent der Versicherungsmanager als gut bezeichnet. Bei Finanzdienstleistern und Banken ist diese Zahl mit 30 Prozent deutlich höher.

Gartner: Versicherungen kaufen zu

Wie die Analysten von Gartner bereits im vergangenen Jahr ermittelten, sind die meisten der großen Versicherungsgesellschaften längst direkt oder indirekt über ihre Venture-Capital-Arms in Insurtechs investiert. Die großen Anbieter von Lebens-, Sach- und Unfallversicherungen sollen demnach bis Ende 2018 zu 80 Prozent Startups gekauft oder eine Kooperation mit ihnen gestartet haben.

Das Spektrum der Insurtechs ist breit gefächert. Mikroversicherungen zur Abdeckung kleinerer Risiken - etwa im Online-Handel - sind häufig zu finden, ebenso Vergleichsportale, die Preise und Versicherungswerte analysieren. Ein Unternehmen wie Check 24 lässt sich kaum noch als Startup bezeichnen, das Unternehmen besetzt die Kundenschnittstelle und hat mit diesem Ansatz die Kräfteverhältnisse im Markt massiv verschoben.

Teilweise decken die Newcomer auch Risiken ab, die zuvor nicht versicherbar waren - zum Beispiel die Online-Reputation, das Ausleihen von Fahrzeugen oder das Nutzen von Gegenständen oder Wohnungen in Sharing-Modellen. Hinzu kommen Anbieter auf der betrieblichen Seite, die beispielsweise Versicherungsrisiken berechnen, Schäden ermitteln oder andere Teile der Prozessketten von Versicherungen übernehmen (Siehe auch die kostenlose Oliver-Wyman-Studie zum Thema "Zukunft von Insurtech in Deutschland" (PDF)).

Zwei Drittel der Insurtechs haben ihre Zentralen derzeit in den USA. In Asien arbeiten Länder wir Singapur und China (hauptsächlich Hongkong und Shanghai) daran, die Entstehung eines lokalen Insurtech-Ökosystems voranzutreiben. Gartner nennt sechs Optionen für Versicherungen, um sich die Entwicklungen der Insurtechs zu sichern: