IT-Modernisierung

Wie die VW-Bank Altsysteme auf Trab bringt

25.07.2008 von Wolfgang Herrmann
Mit Hilfe von Analyse-Tools modernisiert die VW-Tochter Volkswagen Financial Services ihre in die Jahre gekommenen Kernanwendungen.

Sechs Millionen Code-Zeilen, rund 1600 Cobol- und 1900-Assembler-Programme: Aus diesen Komponenten besteht Bessy, eine über Jahrzehnte gewachsene Anwendung, mit der Volkswagen Financial Services (FSAG) fachliche Prozesse im Retail-Versicherungsbereich abdeckt. Andere Kernprozesse für das Banking steuert das Unternehmen mit den ebenfalls eigenentwickelten Großrechner-Applikationen Kredis und Leasis. Das Problem: Neue Produkte, Tarifmodelle und gesetzliche Änderungen erfordern laufend Anpassungen an den komplexen Systemen (siehe auch: Wie Sparkassen ihre IT modernisieren).

Mit einer Bilanzsumme von 43,9 Milliarden Euro und einem Bestand von rund 4,6 Millionen Verträgen ist die FSAG der größte Finanzdienstleister aus dem Automobilsektor in Europa. Von den weltweit rund 5.022 Beschäftigten arbeiten 3.602 in Deutschland. Das in Braunschweig ansässige Unternehmen offeriert ein breites Spektrum an Produkten, zu denen neben der Fahrzeugfinanzierung und dem Leasing auch das Direktbankgeschäft, das Fuhrpark-Management und Versicherungen gehören. Neu- und Gebrauchtwagenkäufer erhalten auf Wunsch zu ihrem Fahrzeug ein "All-inclusive"-Paket, das eine Reihe abgestimmter Finanzdienstleistungen umfasst. Sie reichen von der Kaufpreisfinanzierung über Versicherungen bis hin zu erweiterten Garantie- und Wartungsleistungen.

Eine Ablösung von Bessy kommt für die VW-Bank trotzdem nicht in Frage. "Es gibt keine Standardlösung, die die Anforderungen im Bereich Versicherung komplett abdeckt", erläutert Peter Just, Leiter des Technik-Teams Versicherungssysteme. Die Anforderungen an ein solches System seien zu komplex. "Insbesondere die Abbildung der aus Bank- und Versicherungsleistungen bestehenden neuen Kombi-Produkte ist sehr aufwändig. Hier können wir uns mit einer individuell entwickelten Applikation wie Bessy zurzeit besser gegenüber dem Wettbewerb positionieren."

Dennoch stellen die notwendigen Änderungen die IT-Organisation immer wieder vor Probleme. "Die Herausforderung besteht darin, den großen Umfang und die komplexen Strukturen der Lösung mit dem Bedarf an aktuellen Änderungen in Einklang zu bringen", erklärt Marko Genzel vom Technik-Team I-SEQ bei der FSAG. Derzeit gibt die IT jedes Jahr zirka zwölf neue Releases frei. Die Anwendungsentwicklung muss dabei insbesondere sicherstellen, dass die notwendigen Änderungen am Code nicht Störungen oder Fehler in anderen Bereichen der Software auslösen. Genzel: "Ein Programmierer kennt zwar den Bereich, den er bearbeitet sehr gut, er kann aber bei einer derart umfangreichen Anwendung oft nicht überschauen, dass diese Module unter Umständen von weit entfernten Programmteilen aufgerufen werden." Hinzu kommt, dass die erste Generation der an der Systementwicklung beteiligten Programmierer das Unternehmen bereits verlassen hat (siehe auch: Von Legacy zu SOA).

Vor diesem Hintergrund behilft sich die VW-Bank mit mehreren Software-Tools, die es erlauben, den komplexen Programmcode zu analysieren und verständlich aufzubereiten. Für die Cobol- und Assembler-Teile greifen die Verantwortlichen dafür unter anderem auf das Analysewerkzeug Revolve von Microfocus zurück. Damit lassen sich etwa Interdependenzen zwischen einzelnen Programmteilen identifizieren. Laut Anbieter deckt die Software zudem Strukturen auf, die sich einem Entwickler beim Analysieren des Codes nicht unmittelbar erschließen. Unterm Strich könnten Programmierer eine Anwendung damit besser verstehen und Änderungen schneller erledigen.

"Das Analyse-Tool sagt uns auch, welche Module von geplanten Änderungen überhaupt betroffen sind", so Genzel. "Erst auf Basis dieser Informationen können wir den erforderlichen Aufwand richtig ermitteln." Aufgrund der höheren Transparenz hätten sich Fehler durch Querauswirkungen von Code-Änderungen deutlich reduziert. Einen weiteren Vorteil sieht er in einer Art Schwachstellenanalyse, die die Software ermögliche. So ließen sich Codestellen identifizieren, die im produktiven Betrieb zu Performance-Problemen führen können, beispielsweise durch langsame Zugriffe auf die Datenbank. Die FSAG habe auf diese Weise die nächtlichen Batch-Läufe von Bessy optimiert und ihre Laufzeit verkürzt. Last, but not least könnten sich damit im Mainframe-Betrieb Kosteneinsparungen ergeben.