Web-Services öffnen Cobol-Anwendungen

05.11.2007
Von Uwe Tönsing
Wie der Elektronikhersteller Wago Kontakttechnik sein 17 Jahre altes Warenwirtschaftssystem modernisierte.

Schon seit Anfang der 90er Jahre nutzt die Mindener Wago Kontakttechnik GmbH & Co. KG ein in Cobol entwickeltes Warenwirtschaftssystem. Die Lösung läuft auf einer Unix-Plattform und deckt vom Auftragseingang über die Produktionssteuerung bis hin zur Auslieferung alle Phasen des zentralen Geschäftsprozesses ab. Wago, mit mehr als 3900 Mitarbeitern einer der führenden Hersteller von Federklemmen und Verbindungstechnik weltweit, hatte die Applikation einst komplett selbst entwickelt. Seinerzeit konnte keine der verfügbaren fertigen Lösungen die Anforderungen abdecken; zudem wollte das Management in diesem unternehmenskritischen Bereich keine Kompromisse eingehen.

Hier lesen Sie …

  • warum Wago seine Altanwendung behalten wollte;

  • wie das Warenwirtschaftssystem schrittweise modernisiert wurde;

  • welche Vorteile Web-Services dabei boten.

Graphical User Interface ersetzt Cobol-Maske

Über Web-Services macht Wago sein Warenwirtschaftssystem Kunden zugänglich.
Über Web-Services macht Wago sein Warenwirtschaftssystem Kunden zugänglich.
Foto: Wago

Das Cobol-Programm entspricht in seinem funktionellen Kern noch immer den Anforderungen. Deshalb gab es für Wago auf absehbare Zeit keinen Anlass, das Altsystem abzulösen, zumal intern umfangreiches Cobol-Know-how aufgebaut wurde. Dennoch sind in den Randzonen der Applikation neue Aufgaben entstanden, die sich nicht unmittelbar in Cobol realisieren ließen. "Hier erwies sich Cobol als überaus flexibel, weil es Anpassungen und Erweiterungen auf einfache Weise ermöglichte", erklärt Jürgen Meier, Leiter IT/Organisation bei Wago. So wurde vor einigen Jahren die traditionelle zeichenorientierte Oberfläche des Warenwirtschaftssystems um eine grafische Variante mit Mausbedienung und eine Einbindung von Office-Programmen erweitert. Dafür ersetzte das IT-Team alle Cobol-Masken durch grafische Dialogfenster, wobei die Business-Logik der Applikation vollständig erhalten blieb.

Neue Kundenanforderungen erzwingen Änderungen

Betraf die Einführung eines Graphical User Interface (GUI) im Wesentlichen das Look-and-Feel des Warenwirtschaftssystems, so geht eine weitere Änderung darüber weit hinaus. Angestoßen wurde sie durch neue Geschäftsprozesse: Mussten nämlich Kunden früher zum Telefonhörer greifen, wenn sie Informationen über aktuelle Aufträge, Lieferstatus, Preise oder die Verfügbarkeit von Produkten benötigten, so bietet sich im Zeitalter des Web die direkte Abfrage per Browser als Alternative an. Dafür hatte Wago schon Ende der 90er-Jahre eine Speziallösung implementiert, die inzwischen jedoch nicht mehr den veränderten Geschäftsanforderungen entsprach. So bot das System beispielsweise nicht alle von den Kunden gewünschten Informationen, es war nicht mehrsprachig und schwer zu konfigurieren. Vor allem aber arbeitete das Altsystem mit einer separaten Datenbasis, die manuell synchronisiert werden musste. "Die Kunden konnten nicht auf aktuelle Daten zugreifen", erinnert sich Meier. "Eine solche Lösung war einfach nicht mehr zeitgemäß."

Gemeinsam mit dem Softwarehersteller Micro Focus entwickelte Meiers Team daraufhin das "Wago Online Info System", das Kunden einen direkten Web-Zugriff auf das Warenwirtschaftssystem ermöglicht. Intern wie extern wird dabei die gleiche Datenbasis verwendet, so dass den Kunden immer die aktuellen Daten zur Verfügung stehen. Die aufwändige Abstimmung entfällt. Durch den Zugriff per Browser entsteht für die Kunden kein Installationsaufwand; wer freigeschaltet ist, kann die Daten sofort nutzen. Über einen Link zum Paketversender UPS lässt sich zudem der Versandstatus von Lieferungen verfolgen.

Die Implementierung der Lösung sollte möglichst wenig Aufwand verursachen, vorhandene Funktionen wollte Wago weiter nutzen. Deshalb setzten die IT-Verantwortlichen auf einen Service-orientierten Ansatz mit Web-Services. "Da wir lediglich ein weiteres Benutzer-Interface benötigten, wollten wir weder in die Applikation eingreifen noch die für den Online-Zugriff benötigten Funktionen doppelt abbilden", erläutert Meier. "Daher musste ein Weg gefunden werden, die betreffenden Cobol-Programme via Web zur Verfügung zu stellen." Die Vorteile dieses Ansatzes: Funktionen liegen fertig und getestet vor, sie lassen sich ohne Entwicklungsaufwand weiter verwenden. Zudem kann Wago die Software im eigenen Haus pflegen.

Web-Services auf Cobol-Basis erstellen

Arbeitsintensiv dabei war lediglich der Entwurf von HTML-Seiten für das Online-Interface, bei dem auch die Vorgaben der Corporate Identity des Unternehmens eingehalten werden mussten. Die technische Verbindung zwischen HTML-Oberfläche und den unter Unix laufenden Cobol-Anwendungen sieht dabei folgendermaßen aus: Ein neu erstellter Cobol-Web-Service fungiert auf der Unix-Seite als Service-Provider. Dieses Modul bildet die zentrale Schnittstelle für den Aufruf der verschiedensten Funktionen innerhalb des Warenwirtschaftssystems. Die Daten der HTML-Seite werden über das Cobol-CGI (Common Gateway Interface) entgegengenommen. Mit Hilfe eines generierten Cobol-Stub ruft das System den entsprechenden Web-Service auf. Dieser nimmt die Daten entgegen und ruft seinerseits das passende Modul des Warenwirtschaftssystems auf.

Die Programmierarbeit beschränkte sich auf die Erstellung der zentralen Schnittstelle. Das Cobol-CGI, die Stub-Komponente und die Transformation des Schnittstellenprogramms in eine Servicekomponente übernimmt dabei die Entwicklungsumgebung "Net Express" von Micro Focus. Auf diese Weise ließ sich der Arbeitsaufwand beschränken; das Online-Interface war nach vier Wochen betriebsbereit. "Für uns war wichtig, dass wir alle Programmierarbeiten in Cobol ausführen konnten, weil wir dafür umfassendes Know-how aufgebaut haben", berichtet Angela Schubert, Projektleiterin bei Wago.

Business-Logik blieb erhalten

Eine wichtige Voraussetzung für die Möglichkeit, vorhandene Business-Logik ohne Anpassung per Web-Services weiterverwenden zu können, ist die Struktur der Anwendung. Diese besteht aus mehr als 200 Unterprogrammen. "Wir haben unser Warenwirtschaftssystem von Anfang an konsequent modular aufgebaut", erläutert IT-Chef Meier. "Ändert sich beispielsweise die Logik der Preisfindung, so muss auch nur das betreffende Modul geändert werden, da alle programminternen Zugriffe auf diese Logik ausschließlich über definierte Schnittstellen erfolgen." Auch die Trennung von Business-Logik und Technik wurde durch die gesamte Applikation eingehalten, so dass sich die Software flexibel einsetzen lässt. Meier: "Wir können innerhalb von zwei Wochen von einem Unix-Derivat auf ein anderes wechseln." So migrierte Wago vor einigen Jahren von Sinix, der Unix-Variante von Siemens, zum IBM-eigenen AIX. Sollte Linux ein Thema werden, wird sich die Anwendung auch mit dieser Plattform vertragen.

Die Legacy-Anwendung, die Wago seit mittlerweile 17 Jahren betreibt, erweist sich vor diesem Hintergrund als durchaus anpassungsfähig. "Wir haben eine sehr gute Verbindung von Investitionsschutz und Zukunftsfähigkeit erreicht", resümiert Meier. (wh)