Cloud-Computing

Wie der Mittelstand davon profitieren kann

04.03.2009 von Diego Wyllie
Flexible Kosten, leichterer Zugang zu High-End-Systemen und die Möglichkeit, sich verstärkt auf das Kerngeschäft zu fokussieren: Die Vorteile von Cloud Computing scheinen klarer zu sein, als die oft nebulösen Definitionen des Konzepts, das die IT revolutionieren soll.

Bei der strategischen Gestaltung von betriebswirtschaftlichen Unternehmensprozessen spielt das Paradigma der Konzentration auf Kernkompetenzen schon seit etlichen Jahren eine entscheidende Rolle. Durch die Fokussierung auf das Kerngeschäft, so die Theorie, sollen Betriebe in die Lage versetzt werden, Wettbewerbsvorteile erlangen und sich von den Mitbewerbern differenzieren zu können. Der Grund: Wenn unkritische Aufgaben ausgelagert werden, werden interne Ressourcen entlastet, die sich dann um strategisch relevante Aufgaben kümmern und Innovationen vorantreiben können.

In der IT haben sich im Laufe der Jahre zahlreiche Konzepte und Technologien mehr oder weniger etabliert, die dem gleichen Paradigma folgen: Vom klassischen Entwicklungs-Outsourcing der 80er Jahren und dem moderneren so genannten "Next Generation Outsourcing" über SOA (Service Orientierte Architekturen), Virtualisierung und Hosting-Services bis hin zum Trendwort SaaS (Software as a Service), um nur einige Beispiele zu nennen. Die IT scheint somit auf einem logischen Weg Richtung Industrialisierung zu sein, bei dem IT-Services immer mehr standardisiert zu Commodities werden sollen. Das neueste Konzept in dieser Entwicklung heißt nun Cloud Computing.

Nebulöse Definitionen

Aber was genau ist das eigentlich? Cloud Computing ist zunächst mal für sich genommen kein scharfer Begriff. Laut dem Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Gartner, das das Potenzial von Cloud Computing genau so groß einschätzt wie das der industriellen Revolution, stellt Cloud Computing "einen neuen Ansatz dar, bei dem ein Anbieter seinem Kunden in hohem Maße skalierbare Kapazitäten an Rechenleistung oder zur Informationsverarbeitung über das Internet bereitstellt". Die Unternehmensberatung Forrester zieht eine klare Trennlinie zwischen Cloud Computing und SaaS und definiert den Begriff als "ein Pool aus abstrahierter, hochskalierbarer und verwalteter IT-Infrastruktur, die Kundenanwendungen vorhält und nach Verbrauch abgerechnet wird".Die Marketing-Abteilungen von großen Cloud-Anbieter wie IBM, Google oder Salesforce.com kochen gleichzeitig ihre eigenen Cloud-Süppchen - je nach dem was sie vermarkten wollen - und machen damit die Suche nach einer einheitlichen Definition des Buzzword noch schwerer. Eins ist jedoch klar: Durch das Wirrwar an Definitionen werden die Anwender nur noch mehr verunsichert.

Was zeichnet eine Cloud-Plattform aus?

Ein Blick auf die Unterschiede zwischen den neuen Cloud-Plattformen und den Rechenzentren der IT-Service-Provider, wie sie in der Vergangenheit üblich waren, kann dabei helfen, das Phänomen Cloud Computing zu verstehen. Dazu Rüdiger Speis, Vice President Enterprise Applications beim Marktforschungsunternehmen IDC: "Traditionelle Rechenzentrumsbetreiber haben seltenst virtualisiert, reine Internet-Delivery war auch nicht an der Tagesordnung und dynamische Skalierung war nur je nach Vertragstyp vom Outsourcer verfügbar". Cloud Computing verspreche indes eine theoretisch unbegrenzte Skalierbarkeit und durch Virtualisierung können Provider ihre Hardware mit großer Flexibilität als Service anbieten. Insofern entstünde nun mit Cloud Computing eine andere Service-Qualität als in der Vergangenheit, so der Experte.

"In einem traditionellen Rechenzentrum wird hauptsächlich die Infrastruktur bereitgestellt; sprich: der Raum, Strom, Klima und die IP-Anbindung für die Kunden" ergänzt Ernesto Fries Urioste, Vorstandsmitglied beim Hosting-Anbieter Mesh Solutions GmbH. Cloud Computing gehe einen Schritt weiter: "Dabei wird die angebotene Hard- und Software wie etwa Server, Storage-Lösungen und reine Business-Applikationen zur Infrastruktur. Und diese wird von mehreren Kunden gleichzeitig benutzt".

Für Rafael Laguna, CEO von Open-Xchange, ist "das Neue im Vergleich zum Outsourcing die Standardisierung der Angebote mit Hilfe der Internet-Technologien und Anwendungen, die alle eine gleiche oder ähnliche Infrastruktur voraussetzen". Anwendungen, die für Cloud Computing gebaut sind, skalierten besser als Client-Server-Anwendungen, erklärt der Experte. "Am Ende bedeutet dies geringere Betriebskosten für den Provider und damit deutlich geringere Kosten für den Anwender dieser Services".

Flexible Kosten sprechen für Cloud Computing

Durch Skalierungseffekte seien also Service-Provider in der Lage, leistungsstarke und hochverfügbare IT-Kapazitäten zu geringeren Kosten anbieten zu können, als dies der Fall bei einer In-house betriebenen Lösung wäre, davon ist Jack Zubarev, President of Service Provider Division beim Virtualisierungs-Spezialisten Parallels überzeugt. "Der große Vorteil der Cloud ist die schnelle mögliche Skalierung und die niedrigen Investitionen" resümiert Ernesto Fries.

Im Bereich Messaging und Collaboration zum Beispiel könnten Firmen bis zu 90 Prozent der Kosten im Vergleich zum eigenen Betrieb sparen und gleichzeitig eine leistungsfähigere Umgebung bekommen, behauptet Open-Xchange-CEO Laguna. Insgesamt sollen im Allgemeinen die Gemeinkosten von Unternehmen sinken, wenn IT-Leistungen nur nach dem tatsächlichen Verbrauch abgerechnet werden, so die Experten.

Leichterer Zugang zu High-End-Systemen

Ein weiterer wesentlicher Vorteil von Cloud Computing, so Martin Eldracher, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter IT-Beratung bei Capgemini sd&m, bestünde darin, dass Mittelständler nun Services - Anwendungen, CPU-Leistung, Sicherheit / Verfügbarkeit - in Anspruch nehmen können, die sonst außerhalb ihrer Möglichkeiten lägen. "Cloud-Services bieten Mittelständlern Zugang zu High-End-Technologien, die sie sich sonst aufgrund fehlender Geldmittel beziehungsweise fehlendem internen Know-How nicht leisten könnten" präzisiert Zubarev von Parallels. Etwa im Bereich CRM seien KMU dank Cloud Computing in der Lage, bei vergleichbaren Kosten pro User eine vergleichbare Betreuung anbieten zu können wie ein Großunternehmen, so Eldracher weiter.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist zudem die Tatsache, dass KMU komplexe Anwendungen sofort testen beziehungsweise nutzen können: "Bei Cloud Computing kann der Test eines neuen Systems schnell und effektiv durchgeführt werden" erklärt Analyst Spies. Die Implementierungszeit einer On-Demand-Lösung gilt in der Regel auch als wesentlich kürzer als bei einer On-Premise-Variante, denn IT-Verantwortliche müssen sich lediglich um die Beschaffung, Konfiguration und Zugriffsmodalitäten kümmern, während die zeitraubende Installation der Lösung vor Ort entfällt.

Fokussierung aufs Kerngeschäft

Darüber hinaus ermöglicht Cloud Computing nach Einschätzung von Jack Zubarev den Mittelständlern, sich verstärkt auf ihr Kerngeschäft fokussieren zu können. Etwa E-Mail-Management, Web- oder Server-Hosting gehörten beispielsweise nicht zu den Kernkompetenzen der großen Mehrheit von KMU. Durch die Auslagerung solcher Aufgaben ohne klar erkennbaren Mehrwert könnten die Betriebe Zeit und Ressourcen zurückgewinnen, um sich um strategischere Belange zu kümmern. Umgekehrt, so IDC-Analyst Spies, reduziert Cloud Computing die Notwendigkeit, eigene Spezialisten im Haus zu beschäftigen, die eventuell nur teilweise ausgelastet werden - eine Tatsache, die besonders im Mittelstand, wo personelle Ressourcen oft knapp und teuer sind, eine entscheidende Rolle spielt.

Stolpersteine auf dem Weg zur Cloud

Gegenüber den aufgeführten Vorteilen sowie weiteren technisch-bedingten Vorzügen wie etwa Ortsunabhängigkeit und erweiterte Mobilität oder Plattformunabhängigkeit, stehen eine Reihe von Nachteilen, die gegen Cloud Computing sprechen. Von den Experten werden hierzu häufig die Abhängigkeit vom Anbieter und nicht ausreichende SLAs (Service Level Agreements) gezählt. Open-Xchange-CEO Laguna warnt: "Scheinbar attraktive Angebote, wie zum Beispiel Google Apps, müssen kritisch hinterfragt werden, da es dort keine Alternativanbieter und keine ausreichenden SLAs gibt".

Ferner drehen sich die Bedenken der Anwender zunehmend um Fragen des Datenschutzes. So ist nach Aussagen der Experten bei Cloud-Diensten in der Regel unklar, wo die Daten eigentlich lagern. Firmen tragen jedoch weiterhin die Verantwortung für den Datenschutz ihrer Daten, obwohl diese gegebenenfalls in einem Land liegen, dessen Datenschutzgesetze viel weniger streng sind als in Deutschland, erklärt Analyst Eldracher. Ebenfalls unklar seien oft die Regelungen für eine Ende der Vertragslaufzeit und die Rückführung der Daten in die eigene Hoheit, betont Spies. Diese Risiken werden allerdings minimiert, je näher man sich an die Infrastruktur bewegt: "Bei reinen Speicherdiensten zum Beispiel kann man viel einfacher wechseln, da keine Logik wie die einer Business-Anwendung mit übertragen werden muss" erklärt Eldracher.

"Während bei selbst installierter Hardware nur ausgewählte Mitarbeiter Zugriff auf die Systeme haben, ist in der Cloud nicht wirklich transparent, wer auf die Daten zugreifen kann" ergänzt Ernesto Fries vom Hosting-Anbieter Mesh. Mittelständler sollten sich daher zunächst darüber im Klaren sein, welche Daten sie weitergeben wollen und auch weitergeben dürfen.

Geschäftskritische Anwendungen gehören ins Unternehmen

Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile des vielversprechenden Konzepts des Cloud Computing sollten Mittelständler einen Punkt beachten, auf dem sich all die Experten, die in diesem Beitrag zu Wort gekommen sind, einig sind: Geschäftskritische, wettbewerbsdifferenzierende Anwendungen gehören ins eigene Unternehmen.

In die Cloud verlagert werden können demnach horizontale Anwendungen wie etwa aus den Bereichen E-Mail, Office, Messaging und Collaboration, mobile Kommunikation, Content-Management oder CRM. Personalabrechnungen, Spesenabrechnungen oder Rechnungschreibung wären laut Speis weitere Kandidaten für eine potentielle Verlagerung in die Cloud. Standard-Dienste wie Speicher oder CPU-Leistung könnten über das Internet On-Demand bedenkenlos bezogen werden. "Alles was Firmengeheimnisse umfasst, das was sehr individuell ist und das, was das Unternehmen differenziert, muss genauer angesehen werden" empfiehlt Capgemini-Analyst Eldracher abschließend.