Information Architecture

Wie Daten wirklich wertvoll werden

17.03.2014 von Christoph Witte
Der Anwenderverband SOA Innovation Lab hat ein Information Architecture Modell entwickelt, das Unternehmen dabei unterstützt, Datenqualität zu erhöhen, Daten zu schützen, zu strukturieren, zu integrieren und last but not least konsistent und verfügbar zu halten. Die Ziele der Information Architecture sind groß, aber erreichbar – strukturiertes Vorgehen vorausgesetzt.

Der Weg zu einer Information Architecture beginnt mit vergleichsweise banalen Fragen: Über welche Art von Daten verfügt das Unternehmen? Wo sind sie gespeichert und wozu werden sie vorgehalten?

Die Ziele der Information Architecture sind groß, aber erreichbar – strukturiertes Vorgehen vorausgesetzt.
Foto: Sergey Nivens, Fotolia.com

Auch der wichtigste Zweck einer IA klingt zunächst nicht nach einem hochgesteckten Ziel, sondern eher nach einer Selbstverständlichkeit. "Die wesentliche Aufgabe einer Information Architecture ist es", heißt es im Grundsatzpapier des SOA Innovation Lab, "die benötigte Information zu jederzeit an jedem geforderten Ort in adäquater Qualität dem autorisierten Nutzer zur Verfügung zu stellen." Bei genauerer Betrachtung, ist das aber gar nicht so einfach zu erreichen. Ist dieses Ziel schon in einem 1-Mann-Unternehmen nicht immer ohne eine intensive Suche nach der richtigen Datei zu erreichen, gerät es in mittleren und großen Unternehmen zu einer Aufgabe, die nur dann in akzeptabler Zeit erledigt werden kann, wenn zumindest auf die eingangs gestellten Fragen aktuelle Antworten gegeben werden können.

Selbst dann, bleibt es ohne eine Information Architecture (IA) schwierig, die nicht nur diese Fragen beantwortet, sondern auch die richtigen Vorgehensweisen und Steuerungsmechanismen bereitstellt. Das gilt vor allem dann, wenn zahlreiche verschiedene Informationstöpfe an diversen Orten von unterschiedlichen Applikationen in vielen Abteilungen und Bereichen mit Daten gefüllt werden. Wenn dann noch unstrukturierte Daten aus sozialen Netzen zu Analysezwecken in die Unternehmensapplikationen eingespeist werden, ist die Forderung nach einer ortsunabhängigen, zügigen Bereitstellung einer Information ohne IA nicht erfüllbar.

Allerdings geht es nicht nur um das Auffinden von Informationen, sondern auch um die Qualität der gespeicherten Daten und um ihre Sicherheit. Diese beiden Attribute sind angesichts der enorm wachsenden Datenmengen, die in Unternehmen gespeichert werden, ebenfalls nicht herstellbar, wenn die Daten nicht im Sinne einer IA klassifiziert, strukturiert und definiert werden. Thomas Brunk,Mitglied des SOA Innovation Lab und Enterprise Architect bei der Telekom geht noch weiter. Seiner Auffassung zufolge ist die digitale Transformation, der sich zurzeit immer mehr Unternehmen unterziehen ohne eine Information Architecture nicht möglich: "Daten und Ihr Gebrauch bilden eine wichtige Grundlage aller digitalen Geschäftsmodelle und damit ist ihre Beherrschung die Voraussetzung der Digitalisierung."

Virulentes Problem

Um die Virulenz dieses Problems zu untermauern, führt Brunk eine Zahl ins Feld: "Umfragen haben ergeben, dass nur rund 19 Prozent der Unternehmen von sich behaupten, ihre Daten in guter Qualität und Konsistenz vorzuhalten." Durch einen kleinen Test lässt sich leicht feststellen, dass dieser Wert nicht nur statistische Relevanz hat. "Rufen Sie ein beliebiges Unternehmen an und lassen sie ihre Kundendaten ändern. Dann warten Sie 14 Tage und bitten um eine weitere Änderung. Wenn die Mitarbeiter im Call Center von den letzten Änderungen nichts wissen, dann können Sie davon ausgehen, dass die Daten dieses Unternehmens nicht konsistent sind, beziehungsweise eindeutige Regeln für die Datenverteilung fehlen. Sie wären überrascht, wie viele Unternehmen sich mit diesen Themen herumschlagen."

Da die 14 Mitgliedsunternehmen des SOA Innovation Labs, zu denen zum Beispiel Daimler, Telekom, Post, Wacker Chemie gehören, den Herausforderungen begegnen wollen, die die enormen Datenzuwächse bereithalten, kümmert sich seit Mitte 2012 eine eigene Arbeitsgruppe (Workstream) um das Thema IA. Mit den Ergebnissen, die der Workstream im Dezember letzten Jahres vorgelegt hat, will das SOA Lab seinen Mitgliedern beim Aufbau einer IA helfen.

Folgende Fragen, wollen die Teilnehmer des Workstream beantworten:

Thomas Brunk, Leiter dieses Workstreams, erklärt: "Es geht neben der Klassifizierung von Daten natürlich auch um die semantische Definition." Während mit einer Klassifizierung Datenarten identifiziert werden zum Beispiel nach Sensibilität, Zugehörigkeit oder Standardisierungsgrad, zielt die semantische Definition auf den Inhalt der Daten. "Die Frage, was ist ein Kunde? klingt zunächst einmal trivial. Doch wenn fünf Leute aus einer Firma fünf verschiedene Definitionen liefern, wird man schon stutzig und fragt sich als Datenverantwortlicher, ob es nicht besser wäre, wenn alle Beteiligten den Begriff Kunde gleich verstehen, beziehungsweise wüssten, was der jeweils andere meint, wenn er von Kunden spricht. Das heißt, man einigt sich besser auf einheitliche Syntax und Semantik", fordert Brunk die Anwender auf.

Ohne IA keine Entscheidung für oder gegen die Cloud

Ohne Klassifizierung kann die Frage nach der Speicherung in der Cloud genauso wenig beanwortet werden, wie Services in einer Service Orientierten Architektur wiederverwendet werden können, ohne die verwendeten Daten semantisch zu definieren.

Eine IA sorgt zum Beispiel auch dafür, dass Daten eines Systems von einem anderen weiterverarbeitet werden können. "Wenn ein Unternehmen nicht weiß, welche Daten von welcher Applikation verarbeitet werden und an welches Programm in welcher Form weiter gegeben werden, lässt sich zum Beispiel die Komplexität einer Landschaft nicht reduzieren", erklärt Brunk. Ein weiteres Problem ist die redundante Vorhaltung von Daten. Heute sei das in der Regel kein Kostenproblem, sondern ein Verteilungs- und Konsistenzproblem. "Wenn nicht klar ist, in welcher Applikation Daten geändert werden dürfen und von welchem Mastersystem kopiert werden darf, haben Sie in ganz kurzer Zeit ein wildes Durcheinander."

Grundvoraussetzung für Standardisierung

Darüber hinaus ist IA Grundvoraussetzung für Standardisierung, gleichgültig, auf welcher Ebene diese stattfinden soll - ob Prozess - Daten oder Softwarestandardisierung. Jede Software hat ihr eigenes Datenmodell - die sie auch behalten soll. Aber damit Applikationen sinnvoll Daten austauschen können, ist in der Mitte eine Übersetzungsschicht nötig, die das Mapping zwischen den Porgrammen übernimmt. "Wenn ein Berliner, ein Bayer und ein Hesse sich miteinander übers Frühstücken unterhalten, gehören Brötchen unbedingt dazu. Nur heißen diese hochdeutschen Brötchen in Bayern Semmel, in Hessen Weck und in Berlin Schrippe. Im übertragenen Sinn sorgt die Transformationsschicht IA dafür, dass alle drei wissen, dass Brötchen gemeint ist, wenn von Semmel, Weck und Schrippe geredet wird. Dabei muss der Bayer nur wissen, welche Definition die Transformationsschicht nutzt. Er muss nicht wissen, was der Berliner benutzt, weil der Berliner auch den Begriff der Transformationsschicht kennt", versucht Brunk sich an einem Bild für Völkerverständigung. Dabei stellt er gleichzeitig den wichtigsten Unterschied zwischen einer Information Architecture und einem unternehmensweiten Datenmodell heraus. Letzteres verlange Unmögliches, in dem sie jeder Applikation und jedem Service das gleiche Datenmodell verordne. "Das ist nicht durchzuhalten," erklärt Brunk. Ein IA beschränkt sich dagegen auf das bilaterale Mappen.

Tipps für Entwicklung und Einführung einer IA

IA geht jeden an: Eine der wichtigsten Botschaften für die Datenverantwortlichen in einem Unternehmen wiederholt Enterprise Architect Brunk gleich mehrmals: "Eine IA ist kein IT-Projekt. Sie kann nur funktionieren, wenn Management, Fachabteilungen und IT gemeinsam daran arbeiten." Das Management muss das Ziel ausgeben und gegebenenfalls moderieren, die Fachabteilungen arbeiten mit an den inhaltlichen Definitionen und Klassifizierungen, während die IT für die entsprechenden technischen Voraussetzungen sorgen muss. Außerdem ist es laut Brunk unerläßlich, einen "Daten Owner" zu installieren und für ein kontinuierliches Data Stewardship zu sorgen. Die Owner legen die Regeln fest. Ihre Überwachung und die Stewards kümmern sich um das Doing.

Nicht ohne Mehrwert: Zwingende Voraussetzung für den erfolgreichen Aufbau einer IA ist der Mehrwert, den sie schaffen muss. "Wenn eine Informationskonzeption keine direkten Vorteile erzeugt, scheitert sie." warnt Brunk. Wenn der Fachseite nicht erklärt würde, warum Daten klassifiziert und die Hierarchie der Speicherorte festgelegt werden muss, dann suche sie Workarounds, die zwar einer bestimmten Abteilung die Arbeit erleichtere, aber der Informationsverarbeitung im gesamten Unternehmen schade. "Wenn ich dem Marketing aber verspreche, dass es Dank einer funktionierenden IA für seine Big Data Analysen die richtigen Daten mit den richtigen Bezügen bekommt, dann unsterstützt sie eine IA von ganzem Herzen."

Nach vorherrschender Meinung stellen Daten das wertvollste Betriebsmittel der Unternehmen dar. Brunk unterstützt das mit einem Beispiel: "Der Aufbau eines zusätzlichen Netzes kostet die Telekom zwar sehr viel Geld, aber mit dem schnellen Zugriff auf saubere Kundendaten kann sie sehr viel Geld verdienen. Wenn das alles Beteiligten verinnerlichen, funktioniert eine IA praktisch automatisch."

In kleinen Schritten zum großen Ziel:Am Anfang eines IA-Projektes ist darauf zu achten, dass nicht zu viel auf einmal angestrebt wird. Anstelle der kompletten Transparenz aller Daten könnte sich die Projektgruppe darauf einigen, dieses große Ziel zu formulieren, aber zunächst bei einem Prozess oder Teilprozess mit seiner Ralisierung zu beginnen: Brunk erläutert: Ein Teilziel könnte sein, die 360-Grad-Sicht auf einen Kunden zu ermöglichen, gleichgültig, aus welchem Eingangskanal er betrachtet wird.

Schmerzpunkte zuerst: Wenn das Fehlen einer IA einem Prozess oder einem Bereich keine Probleme bereitet, ergibt es wenig Sinn, in diesem Bereich mit Datenklassifizierung oder -definition zu beginnen. IA-Prozesse sind dort am schnellsten aufzusetzen, wo fehlende Informationen oder schlechte Daten Porbleme erzeugen. Im CRM zum Beispiel, in Marketing oder im Vertrieb machen sich fehlende Datenqualität und Konsistenz in der Regel sehr schnell negativ bemerkbar.

Die wichtigsten Elemente zusammenfügen: Zu einem IA-Framework gehören ein Information Model, eine Information Dictionary and Syntax, die Information Classification sowie das IA-Meta-Model.

Neben diesen Elementen ist außerdem ein Governance-Modell aufzubauen, mit dem die Information Architecture gesteuert und überwacht werden kann. Dazu gehören Strategie- und Visions-Entwicklung, Definition und Einrichtung der entsprechenden Prozesse, der Organisation sowie last, but not least die Entwicklung geeigneter Metriken.

Das SOA Innovation Lab hat dazu ein eigenes Maturity Modell entwickelt, das sich an den fünf Stufen des CMMI orientiert und von den Reifegraden chaotisch, über reactive, defined, proactive bis hin zu optimized reicht. Auf der niedrigsten Stufe zum Beispiel existieren keine gemeinsamen Regeln zum Teilen von und Zugriff auf Daten. Hat eine Organisation dagegen den höchsten Reifegrad erreicht, dann verfügt es über eine unternehmensweite Integrationsplattform und hat volle Transparenz über die gesharten Informationen. "Jede Reifegradstufe ist in bis zu sieben verschiedene Ebenen unterteilt und wir haben sehr exakt beschrieben, welche Capabilities eine Organisation beherrschen muss, um zum Beispiel ihren Reifegrad von reactive zu defined zu steigern", erläutert Brunk. Das SOA Innovation Lab sieht folgende Einführungsschritte für eine IA vor:

Voraussetzung für digitale Transformation

Alle reden über Daten, aber viel zu wenige kümmern sich wirklich darum. So weit, so bekannt. Ebenso öffentlich ist, dass Daten gemeinhin als eine wichtige Grundlage aller digitalen Geschäftsmodelle betrachtet werden. Nicht umsonst ist heißt es schließlich immer wieder: Data is the new oil. Der Vergleich mit dem Rohstoff Öl ist deshalb so einprägsam, weil das schwarze Gold auch erst veredelt werden muss, um die globale Wirtschaft antreiben zu können. Damit Daten tatsächlich die Grundlage des Wirtschaftens bilden können, müssen sie strukturiert, klassifiziert und definiert werden.

Kommentar von Christoph Witte, freier IT-Publizist und Kommunikationsberater in München.

Sonst ist jedes Unternehmen – angesichts der stark anwachsenden Datenflut – mit ihrer Verarbeitung und Analyse überfordert. Das SOA Innovation Lab hat das Modell einer Information Architecture vorgelegt, das Unternehmen bei der Bewältigung dieser Mammutaufgabe unterstützt. Damit steht nicht nur eine praktische Handreichung zur Verfügung, sondern es wird gleichzeitig eine wichtige Diskussionsgrundlage für unseren Umgang mit Daten geschaffen. Noch gehen viele Unternehmen zu unsystematisch mit ihren Daten um. Sie achten weder ausreichend auf Qualität noch auf Verfügbarkeit oder Sicherheit. Was bisher fehlte, war ein ingenieursmäßiger Umgang mit dem neuen Rohstoff.

Ein Umgang, wie er zu einer industrialisierten Informationsverarbeitung passt, die noch mehr Bereiche unserer Unternehmen durchdringen wird, als das heute schon der Fall ist. Die Mitglieder des SOA Innovation Lab, zu denen vor allem Großunternehmen und Behörden im deutschsprachigen Raum gehören, haben dieses Defizit offenbar erkannt und gehen es systematisch an. Es ist an der Zeit, dass sich noch mehr Unternehmen mit dem Thema auseinandersetzen. Denn wenn sie das nicht tun, dürften sich ihre Träume von der digitalen Transformation schnell in Luft auflösen.