Catharina van Delden im CW-Gespräch

Wie Crowdsourcing sich lohnen kann

10.11.2014 von Jan-Bernd Meyer
Sich bei der Ideenfindung und Produktentwicklung von anderen helfen zu lassen, ist eine gute Idee. Damit lässt sich Geld sparen - wenn man die Partner ernst nimmt.

Ganz so einfach ist es aber nicht: Beim Crowdsourcing gilt es ein paar Dinge zu berücksichtigen, damit der Schuss nicht nach hinten losgeht. Catharina van Delden ist CEO von Innosabi, einem auf kollaboratives Innovations-Management und Crowdsourcing spezialisierten Unternehmen. Sie erklärt, welches Potenzial die Methode hat - wenn man es richtig macht.

Wie Crowdsourcing sich lohnen kann
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CW: Häufig wird beklagt, Deutschland sei in Sachen Innovations-Management und Kundenbeteiligung rückständig und unbeweglich. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Van Delden: Viele Unternehmen empfinden Innovation als ein Kernthema, das innerhalb ihrer Wände bearbeitet werden muss. Andererseits ändert sich hier auch etwas: Firmen haben die Abgeschlossenheit als Problem erkannt und fangen an, ihre Innovationsprozesse für externes Wissen und Collaboration zu öffnen. Dabei dürfen natürlich keien übervorsichtigen IT-Richtlinien im Wege stehen.

"Je länger Unternehmen Ideen mitschleppen, desto teurer wird es." Catharina van Delden
Foto: innosabi

CW: CIOs sagen uns immer wieder, dass sie mindestens 80 Prozent ihrer Budgets und ihrer Zeit in den Betrieb der laufenden Systeme investieren müssen. Lediglich 20 Prozent des Budgets - wenn überhaupt - stehen ihnen für neue Themen zur Verfügung. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Van Delden: Unsere Gesprächspartner sind eher Chief Marketing Officers und Innovations-Manager. Das Budget für unsere Crowdsourcing-Software kommt häufig aus dem Marketing- oder Entwicklungs- und Innovationsbudget. Daran zeigt sich auch der Wandel, der in Unternehmen stattfindet. Digitale Themen sind nicht mehr ausschließlich Themen des CIO oder CTO. Sie sind eingebettet in die Gesamtstrategie, und dabei geht es meistens um eine kundenzentriertere Ausrichtung.

Fünf Tipps für Crowdsourcing
Crowdsourcing - gewusst wie
Wahid Rahim, Chef der Crowdsourcing-Plattform Ranksider.de, sagt, was man beachten muss, damit die Auslagerung von einzelnen Aufgaben an eine Masse von Nutzern funktioniert.
Klare Zieldefinition
Was soll mit dem Projekt erreicht werden? Welches Problem soll gelöst werden? Jeder muss sein Ziel für sich selbst und für die Community klar definieren.
Die richtige Crowd-Community auswählen
Abhängig von seinen eigenen Zielen, sollte man die richtige Community bzw. die richtige Plattform für sein Projekt auswählen. Nur so lässt sich das bestmögliche Ergebnis erzielen.
Respekt vor der Community
Damit ein Projekt erfolgreich wird, sollte man die Community als Partner betrachten und auch so behandeln. Machen Sie der Community klar, dass deren Input für Sie und für Ihr Unternehmen enorm wichtig ist. Definieren Sie faire Rahmenbedingungen und motivieren Sie die Community.
Verbreiten Sie Ihre Kampagnen
Nutzen Sie Ihre sozialen Kontakte, um Ihre Kampagne zu verbreiten. Dadurch gewinnen Sie mehr Teilnehmer und zeigen auch, dass Sie voll und ganz hinter Ihrer Crowdsourcing-Kampagne stehen.
Klären Sie die Rechtslage
Klären Sie im Voraus, dass bei einer Kampagne die Rechte Dritter nicht verletzt werden und dass Sie eventuell erforderliche Rechte am geistigen Eigentum übertragen bekommen

CW: Von der IHK stammen Aussagen, wonach Open Innovation und Crowdsourcing die Entwicklungszeiten um 42 Prozent und die Entwicklungskosten um bis zu 20 Prozent senken können. Ist solchen Angaben zu trauen?

Van Delden: Bei solchen Zahlen halte ich mich gerne etwas zurück. Ich kann allerdings zu den Erfolgen unserer Kunden, die Crowdsourcing betreiben, schon etwas sagen. Das Unternehmen Manhattan zum Beispiel hält die über unsere Crowdsourcing-Plattform entwickelte neue Nagellack-Palette für eine der erfolgreichsten Kollektionen, die es jemals auf den Markt gebracht hat. Man sollte das aber nicht verallgemeinern.

Es gibt Forscher wie Professor Frank Thomas Piller von der RWTH Aachen oder die Analysten von Gartner, die sich deutlich zu den Potenzialen von Crowdsourcing äußern. Wie erfolgreich ein Vorhaben ist, hängt auch von der Marke ab. Vor allem ist von Bedeutung, wie ernst solch ein Projekt in einem Unternehmen genommen wird. Unter ferner liefen wird es keinen Erfolg haben.

Der Betriebswirtschaftsprofessor Frank Thomas Piller leitet den Lehrstuhl für Technologieund Innovationsmanagement an der RWTH Aachen. Piller beschäftigt sich mit Themen wie Open Innovation, Co-Creation und Crowdsourcing, dem Management diskontinuierlicher Innovationen sowie kundenzentrierten Wertschöpfungsstrategien, insbesondere Mass Customization.
Foto: RWTH Aachen

CW: Sind Sie sicher, dass Manhattans Nagellack-Coup auf das Crowdsourcing-Projekt zurückzuführen ist? Vielleicht haben ja auch Modetrends oder schlicht das Wetter den Erfolg begünstigt?

Van Delden: Manhattan hat das natürlich geprüft und festgestellt, dass über dieses Produkt in den sozialen Medien im Vorfeld der Markteinführung besonders oft gesprochen wurde. Im Vergleich zur Häufigkeit, in der normalerweise über derlei Kollektionen debattiert wird, war die Zahl der Blogeinträge auffällig hoch. Auch die Fanpage-Zahlen von Manhattan sind hochgeschnellt. Und das, obwohl das Unternehmen keine Werbung für das Projekt machte.

Ich würde niemals behaupten, dass Crowdsourcing das beste Werkzeug ist, um Fanzahlen in sozialen Medien zu pushen. Nachweisen lässt sich aber, dass solch ein Prozess Kommunikationen im Netz und eine Identifikation mit einem Produkt auslöst. Und darum ging es Manhattan in diesem Fall vorrangig.

CW: Welchen Einfluss auf die Vermarktung hat Crowdsourcing?

Van Delden: Geht es um die Vermarktung von Produkten, weiß der Kunde, er bekommt das, was er haben will. Er hat dem Unternehmen seinen Wunsch ja mitgeteilt. Gleichzeitig hat die Firma durch diesen offenen Prozess eine Beziehung zu ihrem Kunden aufgebaut. Das hat einen Buzz erzeugt, bevor das Produkt überhaupt auf dem Markt ist. Viele Blog-Einträge sind ja Tage, Wochen oder Monate vor der Produkteinführung online gegangen.

Lässt sich mit Crowdsourcing sparen?

CW: Lässt sich mit Crowdsourcing sparen? Immerhin können Konzerne auf dem Weg von der Idee bis zum fertigen Produkt einige Fehlversuche vermeiden.

Van Delden: So ist es. Wenn Unternehmen schon früh wissen, welche Ideen sie priorisieren müssen, können sie viel Geld sparen. Jedes Unternehmen kennt ja die Erfahrung, dass Ideen für viel Geld weitergetrieben wurden, dann aber nie zur Marktreife gelangt sind. Je länger Unternehmen und ihre Entwicklungsabteilungen Ideen mitschleppen, desto teurer wird es. Das heißt natürlich auch: Je früher man Ideen sterben lässt, die doch kein Erfolg geworden wären, desto mehr spart sich ein Unternehmen.

Ganz wesentlich ist aber beim Crowdsourcing auch Folgendes: Durch den Dialog mit den Kunden kommen Unternehmen auf Ideen, an die sie im eigenen Haus gar nicht gedacht hätten. Man kann ja schließlich nicht all die schlauen Menschen bei sich anstellen, die da draußen arbeiten.

CW: Crowdsourcing bedeutet auch, dass öffentlich über neue Produkte diskutiert wird. Die Konkurrenz kann das beobachten und sich die Hände reiben, wenn sich der Wettbewerber blamiert, oder aufspringen, wenn sich eine Idee als gut erweist. Kennen Sie diese Sorge?

Van Delden: Das hören wir ganz häufig in den ersten Gesprächen. Doch nehmen wir wieder das Beispiel Manhattan: Hier zeigt sich, dass im Zuge der Diskussion über ein Produkt eine intensive Beziehung zu den Kunden entstanden ist. Diese Kundennähe wiegt viel mehr als die Gefahr der Spionage. Hinzu kommt, dass die Kunden das, was sie sich von Manhattan wünschen, nicht unbedingt auch von anderen Herstellern erwarten. Das ist auch ein markenspezifischer Dialog.

Allerdings gibt es in diesem Prozess auch Phasen, die sehr vertraulich sind, etwa der Zeitpunkt der Herstellung von Laborprototypen. Wenn es also um die konkrete Umsetzung der Idee geht, hält auch Manhattan die Öffentlichkeit raus. In dieser geschlossenen Phase wurden nur die aktivsten Teilnehmer der Community zu Manhattan eingeladen. Sie durften dann im Eins-zu-eins-Gespräch mit der Produkt-Managerin diskutieren, wie das Produkt beschaffen sein sollte.

CW: In Communities gibt es Menschen, die Ahnung haben, aber auch viele Schwätzer. Will man im Crowdsourcing-Prozess nicht vor allem die Meinungsträger, die Influencer, ansprechen?

Van Delden: Einerseits ja, andererseits möchte man aber auch die Stimmen derer hören, die quasi eine Massenmeinung vertreten. Deshalb werden Unternehmen immer versuchen, die breite Masse zu erreichen. Man zielt gerade auch auf diejenigen ab, die das Produkt später kaufen sollen. Es geht ja nicht ausschließlich um Ideenfindung, sondern auch schlicht um die Bewertung eines Produkts.

Worauf sollte man beim Crowdsourcing achten?

CW: Worauf muss man beim Crowdsourcing achten?

Van Delden: Vor allem konzentriert man sich auf zwei Fragen: Wie kommt ein Unternehmen zu einem Ergebnis, das zu seiner Firmenstrategie, zu seiner Marke passt? Und wie erreicht ein Konzern das mit einer Community, die sich in diesen Produkten wiederfinden soll? Die sagt: "Genau daran habe ich mitentwickelt. Das ist mein Produkt."

CW: Gibt es schon Firmen, die über den einmaligen Versuch hinaus sind und Crowdsourcing als permanenten Prozess einsetzen?

Van Delden: Es war lange so, dass die Unternehmen sich des Themas im Zuge eines Pilotprojekts angenommen haben. Sie stammten meist aus dem Konsumgüterbereich. Seit ungefähr einem Dreivierteljahr ändert sich aber etwas, diese Art der Produktentwicklung wird zunehmend als ganzheitlicher Ansatz verstanden. Viele Firmen, die Crowdsourcing betreiben, kommen heute nicht mehr aus dem Konsumgüterbereich. Sie haben oft ganz grundsätzliche Geschäftsmodellfragen, etwa Versicherungen, Banken oder Energieversorger.

Wir stellen also einen Wechsel hin zu Langfristmodellen fest. Die Postbank etwa unterhält mit unserer Software ein Ideenlabor online. Das sind Plattformen, die dauerhaft in Betrieb sind mit einer permanenten Community, die man zu verschiedenen Themen immer wieder einbeziehen kann.

Die Plattform "Ispo Open Innovation" ist ein weiteres Beispiel: Sie versteht Crowdsourcing als Geschäftsmodell. Ispo will die Beziehungen, die sie als Messe zu Ausstellern und Besuchern besitzt, in einen digitalen Wert umwandeln. Der Gedanke ist: Wenn eine Messe via Crowdsourcing-Plattform Aussteller mit Besuchern zu Innovationsfragen zusammenbringt, dann ergibt sich ein neues Geschäftsmodell.

CW: Grundsätzlich: Wie läuft ein Crowdsourcing-Projekt ab? Man kippt ja nicht einfach eine Frage in Facebook und wartet auf Antworten.

Van Delden: Lange Zeit war es so, dass unsere Kunden Facebook als Earned-Media-Kanal verstanden: Hier sind sie aktiv, hier haben sie Beziehungen zu ihren Kunden aufgebaut mit ihren guten Inhalten. Aber: Unternehmen merken in letzter Zeit immer häufiger, dass Facebook zum Paid-Media-Kanal wird. Soll etwas wirklich gelesen werden, muss es doch wieder in Form eines Sponsored Post publiziert werden. Deshalb überlegen viele Firmen, die Vernetzung mit den Kunden auf der eigenen Plattform vorzunehmen, also ohne Intermediär oder Vermittler. Hier bietet Crowdsourcing die Möglichkeit, die etwa auf Facebook schon versammelte Community relativ einfach mit einer intelligenten App auch auf eine andere Plattform einzuladen. Aus diesem Grund ist Facebook eine beliebte Plattform zur Rekrutierung für die eigene Plattform.

Was sind eigentlich Earned, Paid und Owned Media?

Nokia verwendete 2008 erstmals die Begriffe Paid, Owned und Earned Media. Ein Jahr später machte Forrester Research sie in einer Marktforschungsstudie einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Earned, Paid und Owned Media

Bezahlte Werbemaßnahmen, bei denen sich Unternehmen die Nutzung von Medien für Werbezwecke erkaufen. Beispiele sind Fernseh-,Print-, Internet- und Radiowerbung.
Medien aus dem Bereich Corporate Publishing, die vom Unternehmen selbst kontrolliert werden. Dazu gehören Kundenzeitschriften, Business-TV, Unternehmens-Blogs, aber auch Profile auf Facebook, Twitter und Youtube.
Inhalte, die ohne direkten Auftrag eines Unternehmens etwa durch unabhängige Medienkanäle oder Konsumenten verbreitet werden. Besonders handelt es sich um Themen, die sich im Social Web "organisch" oder "viral" verbreiten. "Verdienen" müssen sich Unternehmen diese Art der kostenlosen PR durch langfristige Kundenbindung, gute PR-Arbeit sowie darauf aufbauendes Empfehlungs-Marketing. Crowdsourcing kann helfen, Earned Media zu "verdienen".

CW: Was gilt es bei der Kundenansprache zu beachten?

Van Delden: Unternehmen möchten zum einen Interessenten ansprechen, die Produkte und Marke schon kennen, zum anderen solche, die mit einem neuen Blick und einer neuen Perspektive an ihre Produkte herangehen. Erstere sind leicht zu erreichen: mit Facebook-Seiten, Blogs, Point-of-Sale-Kooperationen. Görtz etwa hat auf seine Kassenbons gedruckt, wo man Hinweise auf die Entwicklung neuer Produkte einbringen kann. Nehmen Sie das Beispiel "Marriott Travel Brilliantly": Die Plattform ist nicht von uns, sie ist aber sehr gut gemacht. Es geht um Innovationen rund ums Reisen, um Interaktion und Kundenideen. Die Macher unterhalten Medienkooperationen zum Thema Reisen der Zukunft. Da schreiben unter anderem Gast-Blogger eben über das Reisen der Zukunft.

Oder die Betreiber der Plattform "Patient Innovation": Sie suchen im Netz nach Menschen, die etwas für den medizinischen Bereich erfunden haben. Diese kreativen Tüftler werden eingeladen, ihre Erfindungen auf Patient Innovation zu zeigen. Damit wird diesen Menschen ein Kanal geboten, sich weiter zu vernetzen. Auch so kann man auf Leute im Sinne des Crowdsourcing-Gedankens zugehen und sie zusammenbringen.

Manchmal will man übrigens auch nur schnell einmal eine Frage beantwortet wissen und keine große Kampagne inszenieren. Wir bieten solch eine Funktion auf unserer Plattform mit der Funktion "Crowd Supercharger" an. Da haben wir Schnittstellen zu Crowdworking-Marktplätzen wie "Mechanical Turk" von Amazon oder "Clickworker". Wir nutzen das hin und wieder auch, um rasch eine Umfrage zu einem speziellen Thema zu starten wie beispielsweise: "Wann hältst Du es für sinnvoll, wenn Deine Daten am Arbeitsplatz verfolgt werden?" Das ist zwar ein brisantes Thema, für das wir aber kein großes Projekt betreiben wollen.

CW: Werden nicht durch Crowdsourcing-Modelle die Kreativen in den Unternehmen unter Druck gesetzt, vielleicht sogar entmachtet? Immerhin lässt sich die geballte Intelligenz und der Einfallsreichtum von Tausenden Menschen "da draußen" nutzen.

Van Delden: Eigentlich ist es umgekehrt: Crowdsourcing-Prozesse werden erst durch das Wissen der Kreativen und Entwickler angestoßen. Es wird meiner Meinung nach niemals einen Crowdsourcing-Prozess geben, bei dem ein Unternehmen komplett alle Inhouse-Tätigkeiten auslagert und am Ende ein fertiges Produkt bekommt. Viele Fragen können nur die Spezialisten im Unternehmen beantworten: Wie kann man etwas umsetzen? Was für Techniken haben wir? Wie passt etwas zu uns?

Übrigens sind die Entwickler in Unternehmen dank Crowdsourcing in einer angenehmen Situation: Sie können ihren Job besser machen, weil sie genau das entwickeln, was Kunden wollen. Wir hatten Fälle etwa aus der Lebensmittelbranche, da haben Entwickler an Ideen aus der Community ganze Wochenenden herumgetüftelt, um her-auszufinden, ob sie realisierbar sind. Sie glauben gar nicht, wie frustrierend für Entwickler die Erkenntnis ist, dass ein Großteil ihrer Entwicklungen niemals das Licht der Welt sehen wird. Durch Crowdsourcing wird diese Frustration erheblich verringert.

CW: Gibt es einen bestimmten Typ von Unternehmen, für den Crowdsourcing besonders geeignet ist?

Van Delden: Ich hatte mal ein interessantes Gespräch mit einem Firmenchef aus der Lebensmittelbranche. Der sagte: "Die Kunden wollen doch, dass wir sie überraschen. Die wollen, dass wir für sie nachdenken und auf den Markt bringen, was gefragt ist." So ein Geschäftsführer prägt natürlich die Produktstrategie seines Unternehmens, und wenn er ein kreatives Genie ist, mag die Rechnung auch aufgehen. Jedenfalls wird es solchen Unternehmen schwerfallen, ihre Firmenkultur an ein Crowdsourcing-Modell anzupassen. Am Ende ist es eine Frage der Firmenkultur, ob Crowdsourcing ein gangbarer Weg ist.

Wir hatten mal den Fall, da stellten wir uns in zwei konkurrierenden Unternehmen aus derselben Branche vor. In dem einen wollte man genau wissen: Wo sind die Potenziale von Crowdsourcing für uns? Was können wir damit anfangen? Wie können wir uns weiterentwickeln? In dem anderen Unternehmen ging es nur darum, uns zu beweisen, warum unser Modell nicht funktionieren kann. Das ist uns schon in vielen Branchen passiert. Wir sind der Sache dann in einem Fall nachgegangen und wollten herausfinden, ob die ablehnende Haltung an einzelnen Gesprächspartnern liegt. Dort haben wir dann mit ganz unterschiedlichen Leuten gesprochen, und es hat sich bestätigt. Die Firmenkultur ist entscheidend dafür, ob Crowdsourcing eine Option ist.

Todsünden beim Crowdsourcing

CW: Gibt es Todsünden, die man nicht begehen sollte, wenn man von Crowdsourcing profitieren will?

Van Delden: Oh ja. Wenn ein Unternehmen Crowdsourcing nicht als echten Dialog versteht, sondern nur als Marketing-Gag oder als Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu erregen, geht es schief. Es gibt eine Menge Beispiele, wie so etwas in die Hose gehen kann. Immer wieder wird dazu das Beispiel von Henkel mit seinem Pril-Projekt zitiert. Es ist absolut wichtig, dass Unternehmen wirklich hinter dem Konzept stehen. Wenn einer von beiden, das Unternehmen oder die Community, nicht mitzieht, funktioniert das Modell nicht.

Ein Problem entsteht auch, wenn die gewählte Crowdsourcing-Plattform nicht sicher ist. Es gab den Fall des Limonadenherstellers Mountain Dew. Der wollte für eine Apfellimonade einen neuen Namen kreieren lassen. Doch die Software wurde gehackt, und das Abstimmungsergebnis lautete: "Hitler did nothing wrong". Sie mussten die Aktion vom Netz nehmen. Man sollte also auf Software setzen, die sicher ist und die Abstimmungsbetrug verhindert.

Übrigens muss man auch auf die Rechteverwertung und -übertragung genau achten. Community-Mitglieder müssen klar wissen, dass das Unternehmen die Ideen später kommerziell nutzen will.

Henkels PR-Desaster

Der Konsumgüterkonzern Henkel suchte via Facebook für sein Premium-Spülmittel Pril einen neuen Slogan und ein neues Design. Der Erfolg war zunächst groß: Mehr als 30.000 Vorschläge wurden von den Nutzern eingereicht. Dumm nur, dass der meistfavorisierte Vorschlag nicht so recht ins bisherige Pril-Image passte. Das Etikett war nämlich nicht blumig und frisch. Vielmehr zierte ein hingekrakeltes Hähnchen das Cover samt Aufschrift „Schmeckt lecker nach Hähnchen!“

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Der Vorschlag gewann mit weitem Abstand vor dem zweitplatzierten. Daraufhin setzte Henkel eine Jury ein, die zunächst eine Vorauswahl aus den Vorschlägen treffen sollte, ehe dann eine öffentliche Abstimmung folgen durfte. Diese Zensur führte in der Community zu heftigem Unmut. Henkel leistete sich dann noch einen Fauxpas: Bei einem weiteren Vorschlag für die Pril-Edition („Mit leckerem Brezelduft“) stimmte auf einmal die Zahl der abgegebenen Zustimmungen nicht mehr. Spätestens damit war das PR-Desaster für Henkels Crowdsourcing-Projekt perfekt.

CW: Kommt es vor, dass jemand aus der Community am kommerziellen Erfolg einer Crowdsourcing-Aktion beteiligt werden will?

Van Delden: Es gibt ja Plattformen wie in den USA "Quirky", die Teilnehmer an den Verkaufserlösen beteiligen. Die vertreiben allerdings die Produkte auch selbst. Quirky entwickelt Produkte für den Hausgebrauch und vertreibt sie über den eigenen OnlineShop.

Vorrangig ist aber, dass die Community ernst genommen werden will. Als wir uns Anfang 2010 gründeten, haben wir uns gefragt, was wohl die Community motivieren wird, an einer Crowdsourcing-Aktion teilzunehmen. Wir hatten zunächst selbst zugekaufte Produkte via Crowdsourcing weiterentwickelt: Senf, die "Badebombe" und Salatdressing. Vertrieben wurden sie über unseren eigenen Online-Shop. Wir dachten, es sei fair, die Community finanziell an den Erlösen zu beteiligen. Die Badebombe hatten wir für ungefähr sechs Euro eingekauft und für zehn Euro verkauft. Ein Euro je Produkt sollte an die Community ausgezahlt werden, der Rest war für die Deckung unserer Kosten gedacht.

Und was passierte? Die Leute hat die Bezahlung überhaupt nicht interessiert. Wir hatten sie angeschrieben und nach ihren Paypal-Daten gefragt, damit wir ihnen einen Beitrag überweisen konnten. Die haben nicht einmal reagiert. Aber sie haben sich bitter beschwert, dass sie die Produkte nicht bekommen, an denen sie mitentwickelt hatten. Wir haben ihnen geantwortet: "Mit dem Geld, das wir Dir überweisen wollen, kannst Du Dir zehn von den Produkten kaufen." Ergebnis? An einer Bezahlung war niemand interessiert, sondern an dem Produkt selbst.

Diese Erkenntnis deckt sich mit vielen Studien aus der Psychologie. Mitarbeiter lassen sich viel mehr motivieren, wenn Unternehmen die Voraussetzungen schaffen, dass sie ihren Job besser machen können. Das motiviert sie mehr als ein höheres Gehalt.

Gartners Crowdsourcing- Vorhersage

Gartner lehnte sich 2013 bezüglich der Potenziale von Crowdsourcing weit aus dem Fenster: Bis 2017 werden demnach mehr als die Hälfte aller Konsumgüterhersteller 75 Prozent ihrer Produktinnovationen und Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aus Crowdsourcing-Projekten beziehen.