Gartner Symposium in Barcelona

Wie CIOs die dritte Ära der IT meistern

09.11.2018 von Wolfgang Herrmann
Unternehmen bauen ihre Digital-Business-Initiativen in großem Stil aus und stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära der IT, sagen Gartner-Analysten. Nachhaltigen Erfolg aber bringe nur eine Strategie, die dem ständigen Wandel Rechnung trage und Innovationen fördere.

"Wir sehen einen Meilenstein im Übergang zur dritten Ära der IT, der digitalen Ära", erklärt Andy Rowsell-Jones, Vice President und Distinguished Analyst bei Gartner. "Zu Anfang vollzogen CIOs den Sprung von der IT als Handwerk hin zur IT als industrielles Thema." Heute stünden digitale Initiativen und Wachstum auf der CIO-Agenda ganz oben: "Digital ist zum Mainstream geworden."

Ein neues Buzzword ist geboren: Gartners Forschungschef Mike Harris propagiert „ContinuousNEXT“ als Strategie für einen kontinuierlichen Innovationsprozess.
Foto: Gartner

Rowsell-Jones stützt sich auf eine Umfrage unter mehr als 3000 CIOs weltweit. Die Ergebnisse der "CIO-Agenda 2019" zeigten, dass das digitale Business einen Wendepunkt erreicht habe. So berichteten 49 Prozent der befragten CIOs, dass ihr Unternehmen sein Geschäftsmodell bereits verändert habe oder dabei sei, dies zu tun.

CIOs aus der Region Emea (Europa, Naher Osten, Afrika) schneiden im internationalen Vergleich besonders gut ab - vor allem wenn es darum geht, digitale Initiativen auszuweiten und in größerem Maßstab in ihren Unternehmen umzusetzen. Beim Entwickeln neuer Geschäftsmodelle spielten mittlerweile 58 Prozent der befragten Emea-CIOs eine führende Rolle oder seien tief in solche Vorhaben eingebunden, so der Analyst auf dem Gartner-Symposium in Barcelona.

Doch auch wenn die Zwischenbilanz in Sachen Digitalisierung positiv ausfällt, können sich CIOs nicht zurücklehnen, geben die Auguren zu bedenken. Um im Wettbewerb vorn zu bleiben, benötigten sie eine Strategie, die dem ständigen Wandel Rechnung trägt. Gartner nennt sie "ContinuousNEXT" und meint damit einen kontinuierlichen Innovationsprozess, den Unternehmen einleiten müssten.

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Auf dem Symposium erläuterte Forschungschef Mike Harris, was darunter zu verstehen ist. Erfolgsentscheidend sei vor allem, wie dynamisch Organisationen mit Veränderungen umgingen und auf welche Weise sie neue Technologien einsetzten. Bei der Entwicklung einer ContinuousNEXT-Strategie sollten sich CIOs dementsprechend an fünf Imperativen orientieren: Datenschutz, Augmented Intelligence, Kultur, digitales Produktmanagement und Digital Twins.

Culture Hacking als Erfolgsrezept

Auffällig ist der hohe Stellenwert, den Gartner kulturellen Aspekten im digitalen Wandel einräumt. "46 Prozent der CIOs sehen in der Kultur das größte Hindernis für Veränderungen", berichtete Gartner-Analystin Jenny Sussin. Unternehmen sollten deshalb zuerst an diesem Punkt ansetzen. Ihre Empfehlung lautet "Culture Hacking", anders ausgedrückt: "Hack deine Kultur, um sie zu verändern."

Gartner-Analystin Jenny Sussin: „46 Prozent der CIOs sehen in der Kultur das größte Hindernis für Veränderungen.“
Foto: Gartner

Dafür reichten schon kleinere Aktionen aus. Beispielsweise könnten Unternehmen komplett auf zeitraubende Status-Meetings verzichten und stattessen nur noch kurze Berichte verschicken. Führungskräfte sollten sich überlegen, auf welche Weise sie ihre Wertschätzung gegenüber Mitarbeiter ausdrücken. Der CEO eines schwedischen Unternehmens etwa besuchte Angestellte persönlich und überbrachte kleine Präsente.

Diese und größere "Hacks" lösten emotionale Reaktionen aus, lieferten sofort Ergebnisse und seien für viele Menschen sichtbar, so Sussin. Natürlich hat Gartner auch dazu die passende Prognose parat: Bis 2021 sollen CIOs in gleichem Maße für den kulturellen Wandel in ihrem Unternehmen verantwortlich sein wie die Personalchefs.

Datenschutz gehört zu den größten Hürden

Weniger überraschend ist Gartners Einschätzung, dass der Datenschutz in der Strategieentwicklung eine zentrale Rolle spielen muss. Wenn CIOs dieses Thema nicht erfolgreich managen würden, sei ihre gesamte digitale Transformation gefährdet, warnte Harris. "Als CIO haben Sie das Mandat, den Datenschutz für sensible Daten von Verbrauchern, Bürgern und Mitarbeitern zu sichern." Das bedeute in der Praxis, dass jemand für ein Datenschutzmanagement-Programm verantwortlich sein, Verstöße erkennen und diese unverzüglich melden müsse. Datenschutz ist für den Marktforscher ein Thema, das auf Vorstandsebene verankert sein muss. Bislang aber habe nicht einmal die Hälfte der Unternehmen angemessene Kontrollmechanismen eingeführt.

Augmented Intelligence - die nächste Stufe der KI?

Mit Augmented Intelligence stellt Gartner ein weiteres neues Schlagwort in den Raum. Die Auguren wollen darunter eine Neudefinition von künstlicher Intelligenz als Hilfsmittel des Menschen verstanden wissen. So ersetze KI nicht den Arzt, sondern erweitere seine Möglichkeiten und Fähigkeiten. Augmented Analytics könne darüber hinaus auch IT-Systeme erweitern, beispielsweise klassische Analytics- und Daten-Management-Programme, die durch Machine Learning aufgewertet werden.

Unterm Strich müssten damit nicht viele Arbeitsplätze verloren gehen, argumentierte Harris. Vielmehr würden an vielen Stellen in den Unternehmen neue Jobs entstehen. Laut einer aktuellen Gartner-Erhebung berichteten nur 16 Prozent der Befragten, dass die Einführung von KI in ihren Unternehmen zu Jobverlusten geführt habe.

Digitales Produktmanagement statt Projektmanagement

Zu den "strategischen Imperativen" gehört auch ein konsequentes digitales Produktmanagement. "CIOs müssen weg vom klassischen Projektmanagement und sich auf eine produktorientierte Arbeitsweise konzentrieren", empfahl Gartner-Analyst Andy Kyte. "Digitales Produktmanagement ist nicht nur eine andere Art, IT zu betreiben. Es ist eine andere Art, Geschäfte zu machen."

Die mächtigsten Unternehmen hätten längst digitale Technologien in ihre Produkte integriert, um eine neue Managementpraxis zu schaffen. Produktmanager würden künftig verstärkt auf Design Thinking und agile Methoden zurückgreifen, um die User Experience zu verbessern.

Digital Twin - ein digitales Abbild des Unternehmens

Das schon länger in der Industrie etablierte Konzept des Digital Twin will Gartner künftig auf ganze Unternehmen angewandt wissen. Daryl Plummer, Research Vice President und Distinguished Analyst, spricht vom "Digital Twin of the Organisation" (DTO). Mit dem digitalen Abbild ließen sich ganze Organisationen simulieren, Arbeitsabläufe analysieren und optimieren. Der DTO eröffne eine Art Vogelperspektive auf das Unternehmen. So könnten Prozessverantwortliche beispielsweise Engpässe oder ineffiziente Abläufe einfacher identifizieren.

Der Unterschied zum klassischen Business Process Management (BPM) liege vor allem in den Realtime-Monitoring-Möglichkeiten, erklärte Plummer auf Nachfrage: "Der DTO zeigt die realen Abläufe in Echtzeit, sodass Unternehmen sofort auf Probleme und Schwachpunkte reagieren können." So habe beispielsweise der Siemens-Konzern einen Order-to-Cash-Prozess als Digital Twin aufgesetzt und damit erhebliche Verbesserungen in den Abläufen erreicht.

Prioritäten der CEOs verändern sich - was CIOs wissen müssen

Der Wandel in den Köpfen wird auch an den Prioritäten der CEOs deutlich. Einer aktuellen Gartner-Befragung zufolge steht Wachstum für die meisten Vorstände nach wie vor an erster Stelle. Doch das Thema "strukturelle Weiterentwicklung" des Unternehmens habe im Vergleich zum Vorjahr erheblich zugelegt, wie Gartner-Analyst Mark Raskino erläuterte. Dahinter stecke nicht weniger als der Wunsch, Geschäftsmodelle grundlegend zu verändern und das Unternehmen insgesamt neu auszurichten und zu strukturieren.

CEOs beschäftigen sich viel stärker mit digitalen Themen als noch vor wenigen Jahren, sagt Gartner-Analyst Mark Raskino. Der CIO sollte sich als „Digital Business Strategist“ verstehen.
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62 Prozent der befragten CEOs haben eigenen Angaben zufolge bereits eine Management-Initiative oder ein Transformationsprogramm angestoßen, um ihr Geschäft auf Digitalisierung zu trimmen. Generell beschäftigten sich die Topmanager viel stärker mit digitalen Themen als noch vor wenigen Jahren, so Raskino. Der CIO sollte sich dabei als "Digital Business Strategist" verstehen, der den CEO und andere C-Level-Manager dabei unterstützt, mit digitalen Technologien einen strukturellen Wandel herbeizuführen.

IT-Ausgaben 2019 - Services weiter auf dem Vormarsch

Auch die Entwicklung der weltweiten IT-Ausgaben zeigt, wohin die Reise geht. Für 2019 prognostiziert Gartner ein Wachstum von 3,2 Prozent im Vergleich zum laufenden Jahr. Schwankende Wechselkurse und die Gefahr von Handelskriegen spielten zwar immer noch eine Rolle, wenn es um künftige IT-Ausgaben gehe, erläuterte John-David Lovelock, Research Vice President bei Gartner. Die größten Auswirkungen habe jedoch die Verschiebung vom Besitzen hin zum Mieten, die in allen Segmenten zu beobachten sei.

Sichtbar werde die Entwicklung beispielsweise in einem verstärkten Einsatz von Cloud-Services. Statt neue Server anzuschaffen, setzten die IT-Chefs immer häufiger auf Cloud-Ressourcen. Mit den vielfältigen Initiativen für eine digitale Transformation werde sich die Verschiebung hin zu einem "Pay-for-Use"-Modell weiter fortsetzen.

Mit 8,3 Prozent erwarten die Marktforscher 2019 die höchsten Umsatzzuwächse im Bereich Enterprise Software. Ausschlaggebend dafür sei das Segment Software as a Service (SaaS). Getrieben von dem Wunsch, die Customer Experience zu verbessern, setzten die Unternehmen dabei vor allem auf Customer Relationship Management (CRM) in Form von Cloud-Services. Im Bereich Data Center Systems rechnet Gartner dagegen mit einem verlangsamten Wachstum und innerhalb der kommenden fünf Jahre sogar mit Umsatzrückgängen.

CIOs rechnen mit weiter wachsenden Budgets

Auch die CIOs selbst rechnen mit weiter steigenden Budgets. Wie Gartner in einer Umfrage herausfand, erwarten sie für 2019 weltweit ein Wachstum um 2,9 Prozent. Die Zunahme würde damit fast auf dem Niveau des laufenden Jahres liegen.

IT-Chefs im Raum Emea kalkulieren demnach mit einem Zuwachs von 3,3 Prozent; in Nordamerika liegt der Wert bei 2,4 Prozent. Mit 3,5 Prozent legen die Budgets in der Region Asien / Pazifik zwar am stärksten zu. Der Vorjahreswert lag allerdings noch bei 5,1 Prozent. Auch in Lateinamerika rechnen die CIOs mit einem verlangsamten Wachstum von nur noch zwei Prozent (Vorjahr 2,8 Prozent).