Nachkrisen-Agenda für die IT

Wer Prioritäten setzt, vermeidet Sparschäden

30.11.2009 von Christoph Witte
Wo genau lassen sich IT-Kosten sparen? Diese Frage muss im Einklang mit den Geschäftszielen beantwortet werden.

Gerade in der Krise braucht die IT mehr Flexibilität und Geschwindigkeit. Das forderte Patrik Gisel, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz, auf dem "IT-Strategie-Forum". Boydak Management Consulting hatte dazu auch in diesem Jahr wieder an den Zürichsee eingeladen, und knapp 100 IT- und Business-Manager aus dem deutschsprachigen Raum waren angereist. Sie wollten eine Agenda für die Zeit nach der Krise erarbeiten.

Selçuk Boydak, Gründer von Boydak Management Consulting

Thomas Buberl, CEO des Versicherungsunternehmens Zurich Schweiz, verlangt von der IT: "Sie muss sowohl die Kosten senken als auch Enabler für Transformationsvorhaben sein." Eine Möglichkeit beides zu tun, skizzierte Selçuk Boydak, Gründer von Boydak Management Consulting. Ein klares, auf den Business-Nutzen und die IT-Rendite ausgerichtetes Kennzahlensystem helfe der IT, von der Business-Seite als wertorientiert wahrgenommen zu werden. Diese Key-Performance-Indikatoren gäben präzise Hinweise auf den strategischen Wertschöpfungsgrad der IT. So könne die IT die direkt zum Unternehmenserfolg beitragende Aktivitäten identifizieren und weniger wertbringende Tätigkeiten geringer priorisieren.

Dass das funktionieren kann, belegten Franz Zeder, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Krankenversicherers Sanitas, und Andreas Beeres, CIO von Seat Deutschland. An Beispielen aus der Praxis zeigten sie, wie sich Unternehmens- und IT-Strategie gezielt aufeinander aufbauen lassen, so dass die IT einen eindeutigen Business-Nutzen liefern kann und übermäßige Kosteneinsparungen vermeidbar werden.

Sanitas: Mit weniger Geld den geschäftlichen Nutzen steigern

Franz Zeder, Mitglied der Geschäftsleitung von Sanitas

Die Sanitas Gruppe gehört heute mit einem Marktanteil von acht Prozent zu den größten Schweizer Krankenversicherungen. Diese Position verdankt sie nicht zuletzt der Übernahme der Winterthur-Tochter Wincare im Jahr 2006. Damit verdoppelte sich praktisch die Zahl der Versicherten, das kombinierte Prämienvolumen stieg auf 2,2 Milliarden Schweizer Franken und die Zahl der Mitarbeiter auf über 700.

Mit dem Zusammenschluss mussten auch die IT-Organisationen, Infrastrukturen, Applikationen und Kundendaten harmonisiert werden. Als schließlich alle Kundendaten in einem System verwaltet werden konnten, konstatierte die IT, dass sie sich "in den vergangenen zwei Jahren hauptsächlich mit dieser Konsolidierung und nicht so sehr mit den Kundenanforderungen auseinandergesetzt" hatte, wie Zeder als verantwortlicher CIO einräumt. Genau das will er wieder ändern.

Deshalb entwickelte Sanitas Ende 2008 eine Business- und wertorientierte IT-Strategie, die auf den Unternehmenszielen Kundenorientierung, Wachstum und Leistungs-Management basiert. Bis 2012 soll sie vollständig umgesetzt sein. Dazu wurde zunächst die bisherige Leistungsfähigkeit der IT in Bezug auf Wertbeitrag und Innovation in den vier IT-Dimensionen Alignment, Architektur, Governance und Steuerung analysiert sowie mit externen Benchmarks und Best-Practice-Beispielen verglichen. Dann sollten das Topmanagement und die wichtigsten Stakeholder ihre Anforderungen an die IT nennen. Diese Analyse ergab sieben strategische Handlungsfelder für die Sanitas-IT:

  1. Effizienzverbesserung der Lieferkette (Business - IT-Provider);

  2. übergreifende Ressourcenplanung/-steuerung;

  3. Business-orientierte, integrierte IT-Architektur;

  4. Verbesserung der IT-Organisation;

  5. effizienzorientierte Abwicklung des laufenden Betriebs;

  6. Optimierung im Outsourcing;

  7. Business-orientierte IT-Steuerung.

Da die IT nicht alle Initiativen gleichzeitig in Angriff nehmen konnte, war eine Staffelung notwendig. Begonnen hat bereits die Verbesserung der IT-Organisation, 2010 folgen der Aufbau einer Business-orientierten, integrierten IT-Architektur, die Optimierung des Outsourcings sowie die Effizienzsteigerung im laufenden Betrieb. Ebenfalls noch im kommenden Jahr beginnend, sollen die Verbesserung der Lieferkette, die übergreifende Ressourcenplanung und die Business-orientierte IT-Steuerung die Initiativen abschließen.

Von der Umsetzung verspricht sich der Sanitas-CIO eine IT, die dem Business mehr direkten Nutzen bringt als bisher sowie eine "innovative, proaktive und flexible Gestaltung von Business-Lösungen bei gleichzeitigem kunden- und effizienzorientiertem IT-Betrieb". Zu Letzterem zählt Zeder auch die Steuerung der externen Dienstleister, die helfen soll, die externen IT-Kosten zu senken.

Seat Deutschland: Ein Portfolio-Management für IT und Business

Andreas Beeres, IT-Chef bei Seat Deutschland

Die Seat Deutschland GmbH mit Sitz in Mörfelden-Walldorf importiert die Fahrzeuge der spanischen VW-Tochter Seat. Das Vertriebsnetz umfasst derzeit vier Niederlassungen sowie 310 Vertriebs- und 332 Servicepartner in Deutschland. Der Importeur rechnet für das laufende Jahr mit 65.000 verkauften Fahrzeugen, einer Stückzahlensteigerung um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Steigerung verdankt Seat auch einer 2007 gestarteten unternehmensinternen Initiative. Mit dem "Sales größer 2" genannten Vorhaben sollten nicht nur mehr Kunden gewonnen, sondern auch deren Bindung an die Marke verstärkt werden.

Parallel zu den Zielen der Geschäftsbereiche wurden die Ziele der IT definiert. "Schon zu Beginn der Initiative haben wir in der IT begonnen, uns vorzubereiten, zu standardisieren und die Kosten zu senken", berichtete IT-Leiter Beeres. So wurde die IT zum integralen Bestandteil des angestoßenen Change-Prozesses. Beleg dafür ist auch die Tatsache, dass es bei Seat Deutschland kein separates IT-Projektportfolio-Management gibt, sondern nur ein integriertes Projektportfolio-Management für IT und Business.

"Vor zehn Jahren etwa war die IT technisch getrieben", fuhr Beeres fort: "Sie hat die leistungsfähigsten Systeme implementiert, die das Budget erlaubte." Danach habe er die Optimierungsphase der IT erlebt - sowohl hinsichtlich der Prozesse als auch der Kosten. Es sei versucht worden, die Services bei geringeren Kosten auf demselben Niveau zu halten. Das hat, so der IT-Verantwortliche, nicht immer geklappt. "Sparschäden" hätten sich nicht vermeiden lassen. Die Flexibilität im Business sei teilweise auf der Strecke geblieben: "Bei uns waren die Kundendaten verteilt auf verschiedene Systeme in Marketing, Vertrieb und anderen Bereichen. So konnten wir keine einheitliche Sicht auf das gesamte Potenzial entwickeln."

Kosten sind wichtig, aber nicht alles

Foto: Fotolia, B. Kröger

Derzeit wird an diesem Problem mit Hochdruck gearbeitet. Aber diese Reparaturen wären wahrscheinlich nicht nötig gewesen, wenn Business und IT früher, also bei der Entwicklung neuer Anforderungen miteinander geredet und an einem Strang gezogen hätten. "Inzwischen fokussieren wir uns nicht mehr nur auf die Kosten, sondern achten verstärkt auf den Nutzen und den Mehrwert für das Business", resümmiert Beeres.

Im Rahmen von "Sales größer 2" verstand offenbar jede Seat-Abteilung die Bedeutung der IT - mit dem Ergebnis, dass die IT an den vielfältigen zusätzlichen Aufgaben zu ersticken drohte. Auch hier war es deshalb wichtig, die nachgefragten Initiativen nach ihrer Wichtigkeit und Hebelwirkung zu priorisieren sowie mit den IT-Implikationen abzugleichen.

Laut Beeres ist die IT inzwischen auf den Business-Nutzen ausgerichtet und wird so auch vom Topmangement gesehen. Hierzu zitierte der IT-Chef den Seat- Geschäftsführer Rolf Dielenschneider mit den Worten: "IT ist der Motor für das Geschäft, der Herzschlag, der das Blut durch die Adern treibt."

So viel Anerkennung erfährt offenbar nicht jeder CIO. Teilnehmer und Sprecher des IT-Strategie-Forums von Boydak Management Consulting forderten unisono einen anderen Umgang der Business-Seite mit der IT. Aber nicht nur zwischen IT- und Business-Seite treten häufig Verständnisprobleme auf, sondern auch zwischen unterschiedlichen IT-Bereichen, bemerkte Andreas Huber, Head of Operations Group Corporate and Investment Banking bei der österreichischen Erste Group Bank: "Diese Silo-Denken ist nicht mehr angemessen." (qua)