Arbeitsmarkt Großrechnerexperten

Wer Mainframe und Java kombiniert, ist Gold wert

07.06.2010 von Gabi Visintin
Großrechnerexperten mit Kenntnissen moderner Programmiersprachen haben auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen.

Wer im IT-Bereich auf Stellensuche ist, stößt auch auf dieses Angebot: "Diese Perspektive bieten wir Ihnen: Sie sind für den Betrieb und die Optimierung von IT-Systemen und zugehöriger Prozessabläufe im Großrechenzentrum und im Produktionsbetrieb zuständig. Neue Konzepte für Ablaufprozesse und Produktionssystem setzen Sie um und achten dabei besonders auf Effizienz, Sicherheit und Verfügbarkeit." In der Stellenanzeige der Datev, eines Softwarehauses und IT-Dienstleisters aus Nürnberg, sind die letztgenannten drei Begriffe die Synonyme für die wichtigsten Eigenschaften eines Großrechners: Effizienz, Sicherheit und Verfügbarkeit.

Sichere Großrechner

Diese drei Stichworte sind der Grund dafür, warum die "Dinosaurier der Rechnerwelt" immer noch überall dort stehen, wo betriebskritische Daten und hohe Transaktionsvolumina verarbeitet werden: in Finanzinstituten und Versicherungen, bei Behörden und in Web-Zentren. Nach IBM-Angaben arbeiten die 50 weltweit führenden Banken mit Mainframes. 22 der Top-25-Einzelhändler in den USA zählt der IT-Konzern zum Anwenderkreis seines Großrechnersystems z.

Thomas Leitner, CA: 'Wenn wir die Benutzerfreundlichkeit erhöhen, wächst die Akzeptanz beim IT-Nachwuchs.'
Foto: Thomas Leitner

Thomas Leitner von CA Technologies nennt die Ursache: "Mainframes bieten die höchste Verfügbarkeit vor allen anderen Computersystemen." Er weist darauf hin, dass inzwischen viele Unternehmen geschäftskritische Anwendungen wieder in den Mainframe zurückverlagern. CA-Manager Leitner ist beim Software-Management-Anbieter der ersten Stunde für die Mainframe-2.0-Initiative verantwortlich.

Die Leistungsfähigkeit eines Großrechners verdeutlicht Andreas Gorselewski, Personalreferent bei der Datev, an folgendem Beispiel: "Im Datev-Rechenzentrum verzeichnen wir täglich rund 1,2 Millionen Anwendungsaufrufe." Eine Störung oder Unterbrechung der Rechnertätigkeit würde sofort Tausende von Steuerberatern und mittelständischen Kunden, die Rechenleistung von der Datev beziehen, treffen. Das wollen die Nürnberger und viele andere Unternehmen in Deutschland - das Land zählt rund 10.000 installierte Großrechner - kategorisch ausschließen und setzen deshalb Großrechner ein.

Vor gut 20 Jahren, während des Paradigmenwechsels zur Client-Server-Technologie, waren die IT-Giganten allerdings totgesagt. In der Euphorie bezüglich der schnell wachsenden und vernetzten Client-Server-Systeme gerieten die großen "Numbercruncher" in den 1980er- und 1990er-Jahren ins Hintertreffen. Zwar etablierten sich immer mehr Informatikstudiengänge an Universitäten und Fachhochschulen, doch kaum eine Fakultät kümmerte sich um das Computer-Original, mit dem die elektronische Datenverarbeitung in den 70er-Jahren begonnen hatte.

Obwohl sich die Lage inzwischen geändert hat, sind die warnenden Stimmen vor einer Skill-Krise im Mainframe-Bereich, die sich Anfang 2000 erhoben, nicht sehr viel leiser geworden. Als IBM im Februar dieses Jahres die Universität Leipzig zum 600. Jubiläum mit einem z9-Großrechner überraschte, verwies Martin Bogdan, Professor für Technische Informatik, erneut auf den Nachwuchsmangel im Mainframe-Bereich: "Der Bedarf an Nachwuchs ist extrem hoch und wird dadurch verschärft, dass an den Hochschulen praktisch keine Ausbildung mehr stattfindet", kritisierte der Professor, um gleichzeitig die Mainframe-Ausbildung in Leipzig zu empfehlen. Die Aussage trifft zwar nicht in dieser Schärfe zu, drückt aber die Sorge darüber aus, für wie wichtig das Ausbildungsengagement auf den Informatik-Sauriern eingeschätzt wird.

Mainfraime-fitte Hochschulen

Tatsächlich hat sich die Zahl der Hochschulen, die sich dem Mainframe zuwenden, in den letzten Jahren auf 18 erhöht, bilanzierte der Informatikprofessor Wilhelm Spruth. Inzwischen ist die Universität Karlsruhe dazugekommen. Auch die Fachhochschulen in Düsseldorf und Hof widmen sich nun dem Großrechner. Rechnet man die Bemühungen der IT-Akademie Bayern in Augsburg, die vor rund sechs Jahren auf die Nachfrage aus den Unternehmen - etwa auch von der Datev - reagierte, oder die European Mainframe Academy dazu, die seit 2008 berufsbegleitend ausbildet, glänzt der Silberstreif am Horizont schon heller.

Roland Trauner, IBM: 'Es gibt zwei Jobprofile im Großrechnerbereich: die Programmierung sowie das Infrastruktur-Management.'

Deshalb ist Roland Trauner, Mainframe Systems Brand Manager von IBM Europe, heute überzeugt: "Die Situation hat sich inzwischen grundlegend geändert." Auch die Anwender sind aufgewacht. Laut Guido Falkenberg, Vice President Enterprise Transaction Systems bei der Software AG, die seit ihrer Gründung Mainframe-Produkte entwickelt, haben viele Kunden bereits vor Jahren den Fachkräftemangel im Mainframe-Umfeld erkannt. "Sie gehen inzwischen erfolgreich dagegen vor", freut sich Falkenberg.

Von den Java-Bewerbern abheben

Der Wandel lässt sich auch an einer Vorlesungsankündigung der Tübinger Universität, die schon lange zu den Pionieren der Mainframe-Ausbildung gehört, studieren. Dort wird die Enterprise-Computing- Vorlesung samt Praktikum 2009/10 mit folgenden Worten angekündigt: "Die Vorlesung dient als Ersatz für die bisherige Vorlesung Client-Server-Systeme. (...) Etwa 40 Prozent des Lehrstoffs werden übernommen und durch Eigenschaften der modernen Mainframe-Technologie ergänzt." Aber auch der Mainframe ist nicht der Alte geblieben: Zwar ist "Assembler immer noch die typische Programmiersprache des Großrechners", wie Falkenberg hin und wieder erstaunten Studenten antwortet, doch inzwischen lassen sich auf ihm auch moderne Java-Anwendungen wie Web-Services programmieren.

Hier liegen für den Mainframe-Experten der Software AG wie auch für Roland Trauner die großen Karrierechancen für Bewerber: "Wer Java und Mainframe kombiniert, hebt sich aus der Masse der Hunderten von Java-Bewerbern ab." Für CA-Mann Leitner ist klar, dass erst die Verbindung von Moderne und Urgestein den Numbercruncher zukunftsfähig gemacht hat und somit auch für den Informatiknachwuchs attraktiv. "Dass ein Großrechner läuft, lässt sich ein Unternehmen auch etwas kosten", kommentiert Gorselewski von der Datev die Beliebtheit. Die Verdienstmöglichkeiten sind um mindestens 20 Prozent höher als im normalen IT-Fachkräftemarkt, ist auf der Website der IT-Akademie Bayern zu lesen.

Oft geht es um Sekunden

Dafür muss der Interessent allerdings auch einiges tun. IBM-Mann Trauner konkretisiert: "Es gibt zwei Jobprofile im Großrechner-Bereich: die Programmierung sowie das Infrastruktur-Management, also das Management von Betriebssystem und Hardware. Letzteres ist eine der schwierigsten Ausbildungen." Trauner begründet das mit der "enormen Erfahrung, die bei der Mainframe-Beherrschung notwendig ist".

Andreas Gorselewski, Datev: 'Wer auf den Mainframe wechselt, muss bereit sein, noch einmal von vorne anzufangen.'
Foto: Andreas Gorselewski

In der Leitzentrale des RZ der Nürnberger Datev wird klar, warum die Praxis eine solch wichtige Rolle spielt. Stundenlang zeigen die Parameter auf den großen Bildschirmen, die sich auf Augenhöhe durch den ganzen Raum ziehen, dass alles läuft, wie es laufen muss. Aber plötzlich sind von den Administratoren höchste Aufmerksamkeit und Handlungsfähigkeit gefordert. "Es herrscht oft eine trügerische Ruhe, die von einem Moment auf den nächsten vorbei sein kann", schildert Gorselewski eine Arbeitssituation, "und dann geht es um Sekunden oder Minuten." Ein Mainframe-Experte muss in dieser Situation auf Anhieb wissen, was als Erstes zu tun ist, wen er eventuell hinzuziehen muss oder wer zu informieren ist. Kein Wunder, dass es in Nürnberg drei bis vier Jahre dauert, "bis ein Mitarbeiter in der hochkomplexen Infrastruktur eines Hosts zum ersten Mal ,etwas anfassen` darf". Und noch etwas ist dem Nürnberger Personalreferenten wichtig: "Wer auf den Mainframe wechselt, muss bereit sein, noch einmal von vorne anzufangen und tief in die Materie einzutauchen" - ein Jahr ist allein für das Lernen am Host reserviert, erklärt Gorselewski.

Falkenberg von der Software AG erläutert, wo die Herausforderung liegt: "Mit dem Sprachen-Tooling ist man in fünf bis zehn Tagen vertraut; die eigentliche Themenstellung sind aber Verfahren und Methodik." Das bezieht der Mainframe-Spezialist sowohl auf das Betriebssystem als auch auf die Entwicklung. Gefragt nach der fachlichen Voraussetzung, die ein Bewerber mitbringen muss, sagt er wie aus der Pistole geschossen: "Qualität!" Wer lernen will, mit dem komplexen Großrechnersystem umzugehen, muss sich durch ein strukturiertes und gesamtheitliches Vorgehen auszeichnen. Auch für Trauner von IBM ist "Qualität das oberste Gebot in der Mainframe-Welt". Das hat technische Gründe: "Man kann den Mainframe nicht schnell rebooten wie einen Entwicklungsrechner, wenn etwas nicht stimmt."

Alte Hasen sind nicht immer einfach

Die Frage ist nur: Wie kann ein Bewerber nachweisen, dass er sorgfältig arbeitet und sich als Dompteur des Numbercrunchers eignet? Bei der Datev kann es schon einmal sein, dass vom Bewerber eine Präsentation zu einem diffizilen Thema erwartet wird. Gefragt ist aber auch eine Fähigkeit, die man in der trockenen und sachlichen Zahlenwelt gar nicht erwartet hätte: "Kommunikationsfähigkeit, Offenheit, zuhören können, im Dialog Lösungen erarbeiten." Andreas Gorselewski von der Datev fragt deshalb Bewerber gezielt danach, ob sie sich in ihrer Jugend- oder Studienzeit zum Beispiel in Vereinen betätigt oder für studentische Belange eingesetzt haben: "Wenn einer die Probleme anderer frühzeitig erkennt, ist er meist auch in der Lage, zuzuhören und sich in Projektsitzungen im Dialog an Lösungen heranzuarbeiten." Gerade das Zuhören - "besonders auch den alten Hasen, die manchmal nicht einfach sind", bemerkt Falkenberg - ist eine wichtige Eigenschaft für Mainframe-Bewerber. "Junge und ältere ,teamen` lassen", nennt es Trauner von IBM.

Internationale Ausbildung in Prag

CA-Mann Leitner sieht noch eine zusätzliche Möglichkeit, den Nachwuchs an die Mainframe-Welt heranzuführen: "Wir können die Benutzerfreundlichkeit enorm erhöhen, indem auch die Großrechner mit einer völlig neuen Arbeitsplatzumgebung inklusive grafischem User Interface ausgestattet werden." Diese Idee schlägt sich zum Beispiel in der Betaversion von CA Mainframe Chorus nieder. "Damit kann auch die junge Generation die 30 Jahre alten Anwendungen mittels gewohnter Arbeitsoberfläche bedienen", betont Leitner. Das ist eine Maßnahme, die der Anbieter von Management-Software innerhalb seiner Mainframe-2.0-Initiative forciert. Gleichzeitig bildet CA Technologies in Prag gemeinsam mit der Universität im CA Mainframe Center den Host-Nachwuchs aus.

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