Miriam Meckel

Wer abschaltet, arbeitet besser

06.02.2011 von Hans Königes
Der Mensch hat sich zum homo connectus entwickelt - immer erreichbar auf allen Kanälen, mit allen negativen Konsequenzen, wie Kommunikationsprofessorin Miriam Meckel in München darlegte.
Nach ihrem Burnout plädiert Miriam Meckel für "weniger ist mehr".
Foto: Claude Stahel

Die Wissenschaftlerin Miriam Meckel aus St. Gallen, zuletzt bekannt geworden durch ihr Burnout-Bekenntnis ("Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burnout") zeigte an einem Beispiel aus ihrem Bekanntenkreis, wie weit es mit dem Kommunikationsstress mittlerweile gekommen ist. So fahren Paare mit getrennten Taxen zum Zielort, weil beide so viele Telefonate noch zu erledigen hätten.

Beängstigend findet sie die Entwicklung erst recht bei Jugendlichen: "Da verabreden sie sich zum Eis-Essen, und sie sind nur am Telefonieren; das Reden miteinander - Fehlanzeige." Studien belegten, dass Kommunikation immer umfassender, immer schneller und immer techniklastiger werde. Diese Entwicklung sei unumkehrbar, aber, fragte sie in den Raum: "Müssen wir es so tun, wie wir es jetzt tun?"

Erholung für Gestresste
Typ1: Wer ermüdet ist,
braucht Regeneration im Urlaub.
Typ 2: Wem die Routine im Berufsalltag stresst,
sollte für Abwechslung im Urlaub sorgen.
Typ3: Wer unter Stress leidet,
braucht dringend Entspannung.
Typ 4: Wer Frust und Ärger im Job verspürt,
braucht in seiner Auszeit Erfolgserlebnisse.
Zeit für sich allein
Menschen, die nur noch für ihren Job brennen, wissen nicht, was ihnen guttut. Deswegen kann es hilfreich sein, vor dem Sommerurlaub mit der Familie ein paar Tage nur für sich zu haben. Wenn das nicht geht: Zeiten vereinbaren, in denen man sich zurückziehen kann. Spazieren gehen, in der Sonne liegen, über den Wochenmarkt streifen.
Ein medizinischer Check-Up...
sollte folgende Fragen klären: Stimmen die Blutwerte, wie hoch ist das Herzinfarktrisiko, was machen die inneren Organe und der Stoffwechsel? Stimmt das biologische mit dem tatsächlichen Alter überein? Wie hoch sind der Stresspegel und die mentale Leistungsfähigkeit? Was machen der Rücken und die körperliche Flexibilität?
Welche Nährstoffe....
fehlen dem Körper? Welcher Sport ist ideal?
Nach dem Urlaub weitermachen
Mit der Familie frühstücken, meditieren oder eine Runde um den Block laufen - wer sich morgens positiv auf den Tag einstimmt, hat nicht das Gefühl, von früh bis spät fremdgesteuert zu sein, und bleibt nach dem Urlaub länger gelassen.
Zeitfresser enttarnen
Wer täglich zwei Stunden mit Kollegentalk, Netzwerken auf Xing und E-Mails beantworten befasst ist, sollte genau hinschauen: Was davon bringt mich wirklich weiter? Wie viele Personen müssen wirklich auf cc gesetzt werden?
Neuer Umgang mit E-Mails
Übung: Mails nur alle drei Stunden und nicht alle 15 Minuten abfragen und beantworten.
Finger weg vom Mountainbike
Wer erschöpft und gestresst ist, sollte nicht mit dem Mountainbike über die Alpen preschen.

Die Tyrannei der Wahl

Anhand von Studien und Beispielen belegte sie, dass ein Zuviel an Informationen zum Hindernis wird und die Entscheidungsfindung beeinträchtigt. "Weniger ist mehr", müsse die die Devise lauten und sprach von einer "Tyrannei der Wahl".

Als klassisches Beispiel dafür erzählte sie von dem Versuch, in dem in einem Laden 24 Sorten Marmelade angeboten wurden, in einem zweiten sechs Sorten. Im ersten Fall kauften sechs Prozent der Ladengäste die Marmelade, im zweiten 30 Prozent. Ähnliche Beispiele kenne sie aus dem betrieblichen Alltag. Ein Unternehmen, das der Belegschaft eine Altersversorgung mit 15 Optionen anbiete, müsse mit einer schwachen Resonanz rechnen, weil sich viele Mitarbeiter überfordert fühlten. Wenn es dagegen nur eine Option gäbe, sei die Akzeptanz wesentlich höher.

Mythos Multitasking

Dass der Mensch nicht Multitasking-fähig ist, ist bekannt. Das Gehirn verarbeitet Informationen seriell. Laut Meckel nimmt das "Zappen im Kopf" zu, je mehr Informationen auf den Menschen einstürzen. Sie berichtete von einem Experiment des Londoner King`s College, das 1000 Studenten in drei Gruppen einteilte, um Textaufgaben zu lösen. Die einen sollten nur konzentriert rechnen, die zweiten zwischendurch E-Mails beantworten und die dritten durften während des Rechnens Cannabis konsumieren. Am schlechtesten schnitten nicht die Kiffer, sondern die E-Mail-Bearbeiter ab.

Ungestörtes Arbeiten
1. Blocken Sie einen Termin für sich
Zwischen Tür und Angel ist konzentriertes Arbeiten unmöglich. Daher sollten Sie sich dafür unbedingt Zeitkontingente im Kalender blocken - und diese dann auch genauso ernst nehmen wie ein Mitarbeitergespräch oder einen Kundentermin. Falls Sie Ihre Termine elektronisch per Netzwerkkalender mit Ihrem Team synchronisieren, sollte der Eintrag auch dort erscheinen. Das ist automatisch ein Signal an die Kollegen: Jetzt bitte nicht stören.
2. Morgenstund hat Gold im Mund
Der Zeitpunkt des Termins entscheidet nicht selten über das Gelingen. Wählen Sie also bewusst Tageszeiten aus, zu denen Sie nach Ihrem Biorhythmus geistig auf der Höhe sind. Bei vielen Menschen dürfte sich der Morgen oder Vormittag anbieten. Wer etwa morgens - noch vor dem Checken der Mails und dem Abhören der Mailbox - zwei Stunden lang konzentriert arbeitet, hat schon einen guten Teil seines Tagespensums geschafft. So startet er anschließend befreit und beflügelt in den weiteren Arbeitstag.
3. Bitte nicht stören
Vom Denken sollte Sie nichts ablenken. Wer in einem Großraumbüro sitzt oder sich das Zimmer mit einem Kollegen teilt, sucht sich am besten für die Dauer der Denkarbeit ein leeres Büro oder einen freien Konferenzraum. Für alle Denkarbeiter gilt: Die nötigen Unterlagen sollten bereits vorher gesammelt worden sein. So entfallen lästige Unterbrechungen im Denkprozess. Dann heißt es: Tür zu, Telefon umstellen, Handy ausschalten, und ganz wichtig: Hände weg vom E-Mail-Programm!
4. Eingrooven
So ganz allein am Schreibtisch zu sitzen mag vielen Mitarbeitern zunächst einmal merkwürdig vorkommen. Meist ist die Arbeit im Büro ja von einem hohen Aktivitätsniveau zwischen Meetings, Teamarbeit und Kollegengesprächen geprägt. Jetzt heißt es: runterkommen. Zum Eingrooven muss jeder seine eigene Form finden. Manch einer beginnt die Session vielleicht mit einem Sonnengruß, ein anderer mit ein paar Jojowürfen, wieder ein anderer stimmt sich mit seinem MP3-Player auf die bevorstehende Arbeit ein. Egal, ob Yoga, Jojo oder iPod: Hauptsache, es hilft einem dabei, die Hektik draußen zu vergessen und sich aufs Thema zu konzentrieren. Erwarten Sie nicht bei jeder Konzept-Session gleich den ganz großen Wurf. Am besten erst mal mit kleinen Schritten anfangen. Das nimmt den Druck raus.
5. Plan B
Trotz der besten Vorbereitungen: Leider wird nicht immer alles nach Plan laufen. Wer zum Beispiel als Vorgesetzter in dringenden Fällen erreichbar sein muss, sollte Störungen von vornherein einplanen. Gut, wenn man sich da im Kalender doppelt so viel Zeit eingetragen hat, wie man eigentlich benötigt. So steigt die Wahrscheinlichkeit, trotz Ablenkungen die Aufgabe abzuschließen. Zudem hilft es, sich auch mental auf Unterbrechungen einzustellen. Wer innerlich gewappnet ist, lässt sich nicht durch jedes Klopfen an der Tür aus der Bahn werfen. In solchen Fällen dann lieber die Störung kurz und bündig abhandeln und anschließend weiterarbeiten.
6. Nichts wie raus
Manchmal hilft alles nichts: In der Hektik des Tagesgeschäfts findet sich einfach keine ruhige Minute. Dann hilft nur: Nichts wie raus! Wozu gibt es Notizblocks, Laptops und Hotspots? Denkarbeit lässt sich gut auslagern: nach Hause, in den Biergarten, in den Coffeeshop. Und die Flucht aus dem Büro hat außerdem noch eine wichtige positive Nebenwirkung: Fremde Arbeitsumgebungen fördern kreative Denkprozesse.
7. Gewissensbisse ade
Viele Mitarbeiter haben das Gefühl, für konzentrierte Konzeptarbeit viel zu wenig Zeit zu haben. Doch diese Sorge ist unbegründet. Laut Arbeitswissenschaftlern besteht die Hauptaufgabe von Managern heute nicht mehr darin, Konzepte im stillen Kämmerlein auszuarbeiten. Strategische Arbeit, so ihre Erkenntnis, findet vielmehr am häufigsten im Team statt. Also dann: Auf zum nächsten Meeting.

"Wer aus einem Thema herausgerissen wird, braucht ein Vielfaches der Zeit, um sich wieder hineinzufinden", sagte Meckel und erzählte von amerikanischen Wissenschaftlern, die herausgefunden hätten, dass sich Büroangestellte im Durchschnitt nur noch zweieinhalb Minuten ungestört auf eine Aufgabe konzentrieren könnten. Einmal unterbrochen, brauchten sie 25 Minuten, um wieder in ihr Thema hineinzufinden. Das bedeute für die amerikanische Volkswirtschaft ein Minus von 28 Milliarden Arbeitsstunden und damit ein Defizit von 588 Milliarden Dollar.

Meckel hat die Hoffnung, dass Unternehmensführungen und Mitarbeiter zur Einsicht kommen, dass ständige Erreichbarkeit kein anstrebenswertes Ziel sein kann. Erste Anzeichen der Umkehr seien in einigen Firmen sichtbar. So habe Chiphersteller Intel den E-Mail-freien Freitag eingeführt. Mitarbeiter sind angehalten, über andere Kommunikationskanäle ihre Kollegen zu erreichen (mehr dazu: "Burnout: Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter schützen können.")

E-Mail-Verbot am Wochenende

Von anderen Firmen wisse Meckel, dass es von oben die Order gebe, an Wochenenden keine berufliche elektronische Post zu verfassen. Dann gebe es Firmen, in denen ein striktes Geräteverbot in Sitzungen herrsche. Um nicht missverstanden zu werden, wies sie darauf hin, dass sie selbst die vielfältigen Möglichkeiten der Kommunikation nutze, aber die Geräte viel bewusster einsetze als noch vor fünf Jahren. "Wenn ich immer für alle erreichbar bin, bin ich nie wirklich da", gibt sie am Ende zu bedenken.

Ein Leben ohne Blackberry
<b>Jürgen, Burger, Hellmann Worldwide Logistics</b>
...ist nicht erstrebenswert - manchmal sind die Dinger ganz nützlich. Man muss sie halt auch aussschalten können. <br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/cio-des-jahres-2009/grossunternehmen/1911088/" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Jesper Doub, Bauer Media Group</b>
...ist ein Verlust an Lebensqualität: Wie sollte ich sonst im Starbucks arbeiten?<br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/cio-des-jahres-2009/grossunternehmen/1910678/" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Jörg Munzel, Autovision</b>
...ist Luxus und Notwendigkeit, die ich mir gönne.<br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/cio-des-jahres-2009/grossunternehmen/1910814/" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Thomas Rössler, Medienhaus Südhessen</b>
...ist schrecklich befreiend...
<b>Matthias Bongarth Matthias, Land Rheinland-Pfalz</b>
...ist wie Käsekuchen ohne Käse - eben unvorstellbar.
<b>Frank Moos, Northrop Grumman LITEF</b>
...ist erst wieder im Ruhestand denkbar.
<b>Stephan Fanenbruck, HSH Nordbank Securities</b>
...ist einfach ein normales Leben.
<b>Ingo Thomas, Roeser</b>
...ist wie ein Samstag ohne Sportschau.
<b>Arno Driemeyer, FRIMO Group</b>
...ist aktuell nicht vorstellbar, weil mein PDA seinem Namen als Personal Digital Assistant alle Ehre macht und tagtäglich mein Leben erleichtert.
<b>Michael Rödel, Bionorica</b>
...ist nach langen Jahren der "Sucht" endlich wieder ohne Probleme möglich.<br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/cio-des-jahres-2009/mittelstand/1911593/index.html" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Thomas Haida, Scout 24 Holding</b>
...ist schwer vorstellbar, wird aber von meiner Frau in unserem Urlaub mit dem notwendigen Nachdruck durchgesetzt.
<b>Wolfgang Gösswein, MHM Holding</b>
...ist mittlerweile ohne Entzugserscheinungen im Urlaub möglich.
<b>Niels Diekmann, Bartscher</b>
...ist der Verlust von Flexibilität.<br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/index.cfm?pid=3515&pk=1911443" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Urs Widmer, ABB Deutschland</b>
...ist über einen bestimmten Zeitraum kein Problem, was eine reine Frage der Organisation und des Verhaltens meines Umfeldes ist (Erziehungssache)<br/><br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/index.cfm?pid=3514&pk=1910827" target="_blank">Hier finden Sie das ganze Porträt:</a>
<b>Thorsten Seifner, GE Capital Bank</b>
...ist wie auf "Entzug".
<b>Thomas Kleemann, Klinikum Ingolstadt</b>
...ist gelebte Praxis. Was ich wissen muss, weiß ich, wer mich erreichen will, erreicht mich. Mehr und schnellere Informationen, bedeutet nicht bessere Entscheidungen.
<b>Reinhold Wittenberg, Aug. Prien Bauunternehmung</b>
...ist leicht vorstellbar (ich mag unhöfliche Leute, die während Besprechungen meinen, ihre Unabkömmlichkeit dadurch beweisen zu müssen, nicht).
<b>Peter Ligezinski, Allianz Investmentbank</b>
...ist normal, ich lese Mails wenn ich es will.