ERP-Software Business One

Welche Zukunft hat das Stiefkind im SAP-Portfolio?

05.10.2009 von Markus Reppner und Bernd Seidel
Mittlerweile gibt es 20.000 Installationen von "SAP Business One". Doch die Konkurrenz aus dem eigenen Lager könnte das Aus für die ERP-Software bedeuten.

SAP und der Mittelstand. Seit Jahren muss sich der Softwareriese den Vorwurf gefallen lassen, diese Zielgruppe nur halbherzig wahrzunehmen und den Fokus ausschließlich auf große Unternehmen zu legen. Der Konzern hält dagegen: Ihm zufolge sind 78 Prozent seiner Kunden Mittelständler. Doch was für welche? Das Analystenhaus Gartner sieht SAP bei Unternehmen mit 100 bis 2500 Mitarbeitern zwar als Marktführer. Bei Firmen mit weniger als 100 Beschäftigten sind die Walldorfer mit SAP Business One aber nur ein strategisch unwichtiger Commodity-Anbieter von vielen. Von einer Markführerschaft kann nicht die Rede sein. Nimmt der Konzern die Lösung und diesen Markt nicht ernst?

Nicht innovativ

Seit mittlerweile sechs Jahren ist das Paket auf dem Markt. 2003 kaufte SAP es von dem israelischen Unternehmen Topmanage und baute es schrittweise aus. Business One richtet sich an Fertigungs-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen ab fünf Benutzern und mit weniger als 100 Mitarbeitern. Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) gibt Business One ein gutes Zeugnis: "Das Produkt ist jetzt absolut marktreif, hat keine gravierenden Defizite und kann mit der Konkurrenz bezüglich Funktionalität und Integration sehr gut mithalten", sagt Vorstand Gunther Reinhard, Leiter des Ressorts Mittelstand bei der DSAG. Mehr auch nicht.

Mittlerweile habe sich die Lösung auch an den SAP-Qualitätsstandard angepasst. Anfängliche Missstände, etwa eine fehlende Mahnabwicklung, seien behoben. Reinhard weiter: "Wir bemängeln inzwischen keine fehlenden Module mehr, sehen allerdings Optimierungsbedarf in einzelnen Funktionen, beispielsweise in der Logistik. Dementsprechend haben wir aktuell in unserem Arbeitskreis ‚SAP Business One im Konzern’ eine Liste mit Optimierungen erstellt, die wir mit SAP durchgehen." Positiv erwähnenswert seien die Mehrsprachigkeit, die gegenüber Alternativen von Nischenanbietern zum Tragen komme, sowie die Investitionssicherheit, die der Name SAP biete. Auch beim Preis zeige sich das Produkt durchaus konkurrenzfähig: "Das Vorurteil, SAP sei zu teuer, greift bei Business One nicht", sagt Reinhard. Dem stimmt Christian Hestermann, Research Director ERP beim Analystenhaus Gartner, unbedingt zu, und verweist zusätzlich auf das sehr global aufgestellte und gut organisierte Partner-Netzwerk. Allerdings bemängelt der Analyst SAPs Innovationsmüdigkeit in Bezug auf die Mittelstandlösung.

Analysten von Gartner sehen das kritischer und bemängeln insbesondere SAPs Innovationsmüdigkeit in Bezug auf die Mittelstandlösung. "Ich vermisse bei Business One Innovationen, wie sie beispielsweise Microsoft im letzten Jahr bei 'Dynamics NAV' gebracht hat", erläutert Hestermann. Dort sei eine Umstellung von einer Zwei-Schicht- auf eine Drei-Schicht-Architektur erfolgt und ein rollenbasierendes User Interface eingeführt worden. "Bei Business One erkenne ich im Wesentlichen nur Aufräumarbeiten, hier muss SAP nachbessern", fordert der Analyst. Er sieht die Gefahr, dass Business One sonst gegenüber der Konkurrenz zurückfällt. Zwar kündigte SAP für nächstes Frühjahr die Version 8.8 an, die weitere Funktionen, eine Integration von Crystal Reports und ein neues User Interface bringen soll. Ob das allerdings die von Hestermann geforderten Innovationen sind, bleibt abzuwarten.

SAP Business One als unterer Verteidigungsschirm

Strategisch komplettieren die Walldorfer mit Business One neben "Business All in One" und der Software-as-a-Service-Lösung "Business ByDesign" das Angebot für den Mittelstand. Business One richtet sich an kleinere Unternehmen, Business ByDesign an Mittelständler mit 100 bis 500 Beschäftigten, und Business All in One ist für Firmen mit 500 bis 2500 Beschäftigten gedacht. "Wir wollen dem heterogenen Markt ein komplettes Portfolio anbieten", erklärt Friedrich Neumeyer, SAPs Chief Operating Officer für den Mittelstandvertrieb weltweit. "Das geht nicht mit einer einzigen Lösung. Die drei Produkte decken zusammen ein äußerst breites Spektrum an Kundenanforderungen ab. Deswegen ist Business One wichtig für uns." Diese Meinung teilt auch Rüdiger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications beim Analysten-Haus IDC: "Business One ist eine Art Verteidigungsschirm für die SAP, um in diesem Segment präsent zu sein und der Konkurrenz die Stirn zu bieten."

ERP im Mittelstand
Raad-Studie ERP im Mittelstand
In der Raad-Studie wurden die Anwender unter anderem gefragt, welche Anbieter sie für relevant halten. SAP-Nutzer waren nicht darunter. Hier gehen offenbar Markenbekanntheit und tatsächliche Verbreitung deutlich auseinander.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Die Fertigungsindustrie ist eine Kernbranche der ERP-Anbieter. Der SAP trauen die befragten Leiter des Finanzwesens/Controlling eine hohe fachspezifische Kompetenz zu. Microsoft kommt hier auf 37 Prozent. Lässt man die Microsoft-Kunden außen vor, sinkt die Quote auf 28 Prozent. Infor leidet Raad Research zufolge darunter, dass vielen Nutzern in den Fachabteilungen noch nicht klar geworden ist, dass die von ihnen genutzte Software (etwa das Rechnungswesen von Varial oder die auf Fertigung spezialisierte ERP-Lösungen „Baan“ beziehungsweise „ERP LN“) nun zu diesem Softwarekonzern gehören.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Auch die Vertriebsleiter kennen vor allem SAP und Microsoft. Ihr Votum ähnelt dem der Finanzverantwortlichen im Unternehmen. Auch hier liegt Infor etwas hinten, da laut Raad Research den Firmenbereichen mit wenig Softwareherstellerbezug wie dem Vertrieb Infor als Markenname nur schwer zu vermitteln ist.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Produktionsleiter beurteilen SAP und Microsoft ebenfalls gut. Sind aber deutlich skeptischer als ihre Vertriebs- und Finanzkollegen. Unklar bleibt dabei, welche bestehende Software die befragten Unternehmen einsetzen.

Eigenen Angaben zufolge will SAP mit Business One seine Kunden als strategischer Partner beim Wachstum begleiten und ein Upgrade-Potenzial für die Zukunft aufbauen. Kurz: Business One ist als Einsteigermodell gedacht. Bei entsprechendem Wachstum sollen Firmen dann auf die nächsthöhere Lösung wechseln. Frühzeitige Kundenbindung ist hier das Stichwort. Ob diese Strategie in der Praxis aufgeht, ist aber umstritten. "Das klingt schön", meint Gartner-Analyst Hestermann. "Es nutzt aber nicht viel, weil das Geschäft mit Business One weder eine hohe Marge bringt noch ein großes Kundenpotenzial für die anderen Lösungen aufbaut. Denn nur wenige Unternehmen schaffen es, so zu wachsen, dass sie für die anderen SAP-Mittelstandlösungen in Frage kommen."

Riesiges Marktpotenzial - SAP greift nicht richtig zu

Wie oft Business One derzeit installiert ist, dazu macht SAP keine Angaben. Wie es von offizieller Seite heißt, veröffentlichen die Walldorfer nach der aktuellen "Coporate Policy" Kundenzahlen gesamthaft nur nach Marksegment, um Doppelzählungen zu vermeiden, da etliche Kunden auch andere Lösungen nutzen. Auf der Homepage des Unternehmens ist allerdings zu lesen, dass im Juli letzten Jahres das 20.000. Unternehmen Business One eingeführt hat. Analysten schätzen die Installationszahlen aktuell auf etwa 23.000. "Das ist ein achtbarer Erfolg, der die weltweite Präsenz unterstreicht", sagt Gartner Analyst Hestermann. Im Vergleich zu den härtesten Mitbewerbern reicht das in diesem Marktsegment aber nicht für die Marktdominanz, die das Unternehmen in anderen Segmenten erreicht hat. Im Vergleich zu den härtesten Mitbewerbern ist das in diesem Marktsegment nicht gerade berauschend. Microsoft zählt mit Dynamics NAV alleine in Deutschland 13.500 Unternehmen zu seinen Kunden. Weltweit liegt die Navision-Lösung bei 70.000. Beim Konkurrenten Sage gehen die Installationszahlen in die Hunderttausende.

Die Walldorfer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, Business One nicht richtig auf die Straße zu bekommen. Das fehlende Marktpotenzial kann nicht der Grund sein. Laut Gartner haben einige Millionen Unternehmen weltweit den Bedarf, für den die Lösung prinzipiell in Frage kommt. Der Markt ist sehr zersplittert und hält viele reife Lösungen bereit. SAP hat es bislang nicht geschafft, sich hier klar zu positionieren. "Im Marketing gibt es nach wie vor große Herausforderungen", gesteht SAP-Mann Neumeyer ein. "Wir müssen noch deutlicher machen, dass SAP auch ein Anbieter für den unteren Mittelstand ist. Bei der Bekanntheit müssen wir noch kräftig zulegen und die Stärken von Business One besser kommunizieren." Schwierig sei auch, dass SAP im Mittelstand das Image "zu teuer" und "zu komplex" anhängt. Nach Überzeugung des SAP-Managers trifft dies auf Business One nicht zu. Im Durchschnitt dauere die Installation der ERP-Lösung zwölf bis 14 Manntage.

Kundenauftrag in SAP Business One 8.8.

Aus Sicht unabhängiger Experten hat SAP Business One nur wenig zu bieten, was die Konkurrenz nicht hat. Die Lösung basiert im Wesentlichen auf Microsoft-Technik, unterstützt Linux nicht und lässt sich nicht auf einer Open-Source-Datenbank aufsetzen. "Die Lösung hat kaum Alleinstellungsmerkmale und drängt sich daher nicht unbedingt auf", sagt Gartner-Analyst Hestermann. Das gilt gerade auch für kleinere Konzernniederlassungen in abgelegenen Gebieten, für die Business One ebenfalls gedacht ist. Das Argument, die Lösung biete sich als lokales Klein-ERP dort an, wo wegen fehlender Breitbandnetze eine Web-Anbindung an die zentralen Applikationen des Mutterhauses schwierig ist, zieht nur bedingt, da der Netzausbau weltweit immer weiter voranschreitet.

Nur die zweite Geige

Die Probleme der Vermarktung von Business One liegen tief - sie sind hausgemacht. "Ich habe nicht den Eindruck, dass Business One bei SAP die höchste Priorität genießt", kommentiert Frank Naujoks, Director Research und Market Intelligence bei Intelligent Systems Solutions (i2s). "Sicher gibt es im Konzern Leute, die das Mittelstandsgeschäft ernst nehmen und es auch verstanden haben." Aber letztendlich spiele es im Walldorfer Gesamtorchester nur die zweite Geige. Das betreffe insbesondere jenes Segment, das Business One abdecken soll. Das Geschäft mit kleineren Unternehmen ist ein völlig anderes als das mit Dax-notierten Organisationen. Auch nach sechs Jahren ist das noch Neuland für die SAP. Das gelte, so Naujoks, auch für den Vertriebsweg, der ausschließlich über zertifizierte Partner führt. Und der Aufbau dieses Partnernetzes laufe schleppend: "Die Suche nach Systemhäusern, die sich im unteren Marktsegment auskennen und das Geschäft verstehen, ist schwierig. Es gibt einfach zu wenige davon."

Business ByDesign könnte Business One verdrängen

Und noch eine weitere Gefahr droht der Lösung: SAP unternimmt derzeit große Anstrengungen, die gehostete Mittelstandlösung Business ByDesign in den Markt zu drücken. Trotz aller Beteuerungen, das On-Demand-Produkt richte sich an eine ganz andere Zielgruppe und biete ganz andere Funktionen, die klar über Business One positioniert seien, sind Kannibalisierungseffekte zu befürchten (siehe auch SaaS-Markt in Deutschland). "Das kann passieren", meint IDC-Mann Spies. Für Gartner-Analyst Hestermann könnte ein Erfolg von Business ByDesign sogar langfristig das Aus für Business One bedeuten. "Wenn Business ByDesign einschlägt, wird sich die SAP genau überlegen, ob sie noch ein zweites Produkt braucht. Ab 2012 oder 2013 sehe ich die Zukunftssicherheit von Business One gefährdet." (fn)