Weiterbildung: Auch über 40 geht noch was

06.06.2007 von Michael Schweizer
Es gibt geizige Arbeitgeber, schlechte Kurse, träge Mitarbeiter – und eindrucksvolle Gegenbeispiele in Sachen Weiterbildung.

Rolf Vogel hat in der Weiterbildung gute Erfahrungen gemacht. Die Acadon AG, Krefeld und Erftstadt, für die der gelernte Nachrichtentechnik-Ingenieur Kunden zur betriebswirtschaftlichen Software Microsoft Navision berät, leistet sich fast durchweg externe Schulungen. Vier Fünftel von Vogels Kursen drehten sich um Produkt-, die anderen um Vertriebsthemen. Programm und Trainer waren "in allen Fällen" gut. Überwiegend ging die Initiative vom Arbeitgeber aus. Wenn der 53-Jährige selbst Fortbildungsbedarf anmelden würde, schätzt er die Chance, dass Acadon dafür aufkäme, auf 80 Prozent.

Hier lesen Sie ...

  • was IT-Experten in Weiterbildungen erleben;

  • wie es in virtuellen Klassenzimmern zugeht;

  • wann der Staat Ihre Weiterbildung fördert.

Glaubt man Statistiken, so zählt Vogel zu den Ausnahmen. Die Online-Jobbörse Stepstone befragte 12.800 Besucher aus acht europäischen Ländern, ob ihre Unternehmen Weiterbildung betrieben. Das deutsche Ergebnis war überdurchschnittlich, aber nicht gut: 33 Prozent der hiesigen Befragten nehmen "regelmäßig an Fortbildungen teil", 35 Prozent "eher selten", und 32 Prozent wählten die Antwort: "Nein, Fortbildungen gibt es bei uns gar nicht."

Weiterbildung: Initiative 50 plus

Bei den Älteren sieht es noch schlechter aus. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermittelte für 2003 unter den 55- bis 64-jährigen Berufstätigen eine Weiterbildungsquote von neun Prozent. Um hier gegenzusteuern, kann die Bundesagentur für Arbeit seit 1. Mai 2007 die Weiterbildungskosten für Festangestellte übernehmen, die mindestens 45 Jahre alt sind, wenn das Unternehmen höchstens 250 Mitarbeiter hat (siehe Kasten "Was Ihnen zusteht"). Die neue Regelung ist Teil der Ministeriums-"Initiative 50 plus".

Die schlechten Weiterbildungszahlen sind nicht IT-spezifisch. Dass jedoch auch auf diesem Feld ein Defizit besteht, geht aus der von vielen Unternehmen beklagten Schwierigkeit hervor, entsprechende Stellen zu besetzen. Laut dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) ist derzeit für jedes zweite ITK-Unternehmen "der Fachkräftemangel ein großes Problem". Wie schon des Öfteren verlangt der Verband zweierlei Abhilfe: Das Informatikstudium solle kürzer und praxisnäher werden, und das Zuwanderungsgesetz solle so geändert werden, dass wesentlich mehr ausländische IT-Spezialisten eine Niederlassungserlaubnis erhalten.

Weiterbildung: Was Ihnen zusteht

Wenn Sie selbst zahlen: Direkte und indirekte Weiterbildungskosten, also auch Reisen und Verpflegung, sind steuerlich absetzbar. Voraussetzung ist die berufliche Notwendigkeit. Die Finanzämter definieren sie unterschiedlich. Sprachkurse werden oft abgelehnt.

Wenn der Staat zahlt: Anspruch auf von der Agentur für Arbeit geförderte Weiterbildung haben Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme Arbeitslosigkeit abwenden oder der Wiedereingliederung dienen kann. Je nach Agentur kann diese Bewertung unterschiedlich ausfallen.

Wenn Sie der Arbeitgeber schickt: Seit 1. Mai 2007 übernimmt der Staat die Weiterbildungskosten für ungekündigte Arbeitnehmer ab 45 (vorher: 50) Jahren, wenn das Unternehmen maximal 250 (vorher: 100) Mitarbeiter hat. Der Arbeitgeber muss den Lohn während der Weiterbildung weiterzahlen.

Bildungsurlaub: Gesetzlich garantierte Bildungsfreistellung gibt es in allen Bundesländern außer Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen (in diesen vier Ländern nur im öffentlichen Dienst). Der Anspruch beläuft sich in der Regel auf zehn Tage bezahlten Urlaub zusätzlich zum Tarifurlaub in zwei Kalenderjahren. Der Arbeitnehmer muss die Weiterbildung dem Arbeitgeber sechs Wochen vorher "mitteilen" (Berlin) beziehungsweise sie bei ihm "beantragen" (Brandenburg) und selbst bezahlen. Die Weiterbildung muss nicht berufsbezogen, sondern kann auch kulturell oder politisch orientiert sein oder auf ein Ehrenamt vorbereiten. Ein Klassiker sind Sprachreisen.

Wo Weiterbildung etwas kosten darf

Es gibt allerdings Unternehmen, die nicht (nur) nach staatlicher Hilfe rufen, sondern selbst bereit sind, für ihren Bedarf an Mitarbeiter-Know-how zu bezahlen. Die IT Akademie Bayern in Augsburg, betrieben vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft, wendet sich an zwei unterschiedliche Altersgruppen. Die zweijährigen "Trainee-Programme" etwa zum Software-, Datenbankentwickler oder Supporter sind für Berufseinsteiger gedacht. Unternehmen kommen als "Paten" für die Ausbildungskosten ihres Mitarbeiters auf, der nach dem Programm bis zu drei Jahre vertraglich an sie gebunden bleibt.

Für gestandene IT-Experten sind dagegen die berufsbegleitenden "Qualifizierungsprogramme" zum Technology Business Consultant, Cisco Certified Network Associate und an der vom Mainframe-Experten Wilhelm Spruth geleiteten z/OS-academy konzipiert. An Abenden, Wochenenden oder in Blockveranstaltungen laufen die Kurse "grundsätzlich berufsbegleitend", so Akademieleiter Volker Falch, damit die Inhalte "sofort am nächsten Tag in den beruflichen Alltag umgesetzt werden".

40-jährige Teilnehmer sind keine Seltenheit. In aller Regel bezahlen für die Kurse die Arbeitgeber. Sie schicken bewährte Mitarbeiter, die sich auf neue Aufgaben vorbereiten sollen. Die angehenden Mainframe-Spezialisten kommen zum Beispiel oft aus der Unix-Szene, sagt Falch: "Die sollen den Transfer in die Host-Welt schaffen."

Andere Unternehmen bilden ihre Mitarbeiter in eigener Regie weiter. Konrad Keller (Name geändert) arbeitet als Softwareentwickler und Trainer bei einem mittelständischen Softwarehersteller. Üblich sind dort "zwei bis maximal drei Weiterentwicklungen pro Jahr". Der 44-Jährige sucht sie sich aus dem internen Trainingskatalog aus (siehe Kasten "Konrad Kellers Fleiß"): "Ich habe darauf geachtet, dass zirka zwei Kurse im Jahr direkten Bezug zu meiner Arbeit hatten, der dritte war dann ein reiner Wunschkurs. Diesen Wunschkurs durchzusetzen war nicht immer ganz einfach."

Die Qualität der Kurse reichte laut Keller von "sehr gut" bis "mittelmäßig". Sein früherer, wesentlich größerer Arbeitgeber habe mehr externe Trainer engagiert und die Veranstaltungen länger dauern lassen, so dass sie insgesamt professioneller gewesen seien. Externe Trainings zu beantragen, die nicht im firmeneigenen Trainingsplan stehen, wäre für Keller "in meiner Position - keine Führungsverantwortung - eher aussichtslos".

Konrad Kellers Fleiß

Folgende Weiterbildungen hat der Softwareentwickler und Trainer Konrad Keller seit 2005 bei seinem Arbeitgeber besucht:

  • Train the Trainer, intern mit externem Trainer, zwei Tage;

  • Framework, intern mit internem Trainer, zwei Tage;

  • Man Machine Interface (MMI), intern, zwei Tage;

  • Capability Maturity Model Integration (CMMI), Grundlagen, intern mit externem Trainer, drei Tage;

  • MS Project, Einführung, intern mit externem Trainer, zwei Tage;

  • Zeit-Management, intern mit externem Trainer, zwei Tage;

  • Java, Einführung, intern mit internem Trainer, zwei Tage.

Blick auf die Qualität der Weiterbildung

Danilo Kurpiela, Cert-IT: "Ein Bildungsträger muss wissen, was auf dem Arbeitsmarkt passiert."

Bildungsträger, die die Teilnahme an ihren Kursen von den Agenturen für Arbeit gefördert haben möchten, müssen ihr Angebot zertifizieren lassen. Eine "fachkundige Stelle" muss ihnen die Qualität entsprechend der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZWV) des Bundeswirtschaftsministeriums bescheinigen. Eine dieser Stellen ist die Cert-IT in Berlin. Der stellvertretender Leiter Danilo Kurpiela schildert das Prozedere: Wer zertifiziert werden will, muss zunächst einmal schriftlich darlegen, wie er die Kriterien aus der AZWV erfüllt – "wie funktioniert die Leistungserbringung, wie ist die technische und räumliche Ausstattung, wer sind die Trainer. Es wird auch darauf geachtet, dass der Träger den Arbeitsmarkt im Blick hat." Ist die schriftliche Bewerbung akzeptiert, überprüft Cert-IT die Maßnahme vor Ort. Das Zertifikat gilt drei Jahre, Cert-IT kontrolliert das Angebot aber jährlich bei einem weiteren Besuch. Das Risiko, dass Cert-IT von einem Bewerberunternehmen getäuscht wird, hält Kurpiela für "gleich null".

Wolfgang von Berg, Synergie: "Wenn wir eine Informationsveranstaltung für 25 Leute organisieren, haben nur sechs oder sieben Interesse."

Cert-IT bietet Einzelnen auch 29 berufsbegleitende Zertifizierungen zum "IT-Spezialisten" an. Laut Kurpiela sind "30 Prozent der Teilnehmer über 40, das ist in der IT viel". 50 Prozent der Betriebe in Deutschland beschäftigen niemanden, der älter ist als 50 Jahre. 55 Prozent der 55-Jährigen und Älteren sind nicht mehr berufstätig. 2005 waren 1,2 Millionen Menschen ab 50, davon 580.000 ab 55, arbeitslos gemeldet. Die Weiterbildung Arbeitsloser wird staatlich gefördert, wenn sie der Wiedereingliederung dient.

Der Berater Wolfgang von Berg organisiert zusammen mit der Synergie Vertriebsdienstleistung aus Bonn die geförderte Qualifizierung "Fit for Business pro 50" für Arbeitslose, die mindestens 50 Jahre alt sind. Die sechs Module können auch einzeln belegt werden. Sie reichen vom Umgang mit Microsoft Office bis zum Projekt-Management und erstrecken sich insgesamt über ein halbes Jahr. Pro Woche gibt es zwei Präsenztage, an denen auch Coaching angeboten wird. Drei Tage lernen die Teilnehmer von zu Hause via Bildschirm im virtuellen Klassenzimmer ("Live Online"). Als entscheidendes Merkmal nennt von Berg das Niveau: "Wir haben das Übungsunternehmen EIGRENYS gegründet, bei dem sich die Teilnehmer zum Beispiel auch simuliert bewerben können. Die Gespräche finden dann nicht im Klassenzimmer statt, wo die anderen Teilnehmer kichern, sondern in Ruhe und ganz ernsthaft."

Detlev Friedrich: "Web-basierende Applikationen und der Gedankenaustausch mit anderen bewogen mich, noch einen Kurs zu besuchen."

Aufgrund früherer Erfahrungen rechnet von Berg mit einer Vermittlungsquote von mindestens 50 Prozent. Angesichts dessen fragt er sich, warum es manchmal nicht einfach ist, die nötigen 20 Teilnehmer zusammenzubringen: "Wenn wir eine Informationsveranstaltung für 25 Leute machen, haben nachher nur sechs oder sieben Interesse. Das wundert uns dann schon."

Detlev Friedrich lockten Kursthemen wie Web-basierende Applikationen und der "Gedankenaustausch" mit anderen, die arbeitslos gemeldet sind. Sein Hauptgrund, bei Fit for Business pro 50 einzusteigen, waren aber die in Aussicht gestellten guten Vermittlungschancen. Der 54-jährige studierte Betriebswirt (Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik), der lange als IT-Projekt-Manager geabeitet hat, sucht wie die meisten anderen Teilnehmer eine Festanstellung. Falls es damit nicht klappen sollte, denkt er aber auch an Selbständigkeit.

Live Online gefällt ihm. Die Teilnehmer bekommen Headset und Mikrofon und können sich von ihren häuslichen Bildschirmen aus unterhalten wie in einem normalen Klassenzimmer – oder doch anders: "Der Dialog ist besser als in den Präsenzveranstaltungen. Jeder kommt zu Wort, alle lassen sich ausreden." (ka)

"Fachkräfte fallen nicht vom Himmel"

Der habilitierte Soziologe Andreas Boes ist Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München und lehrt als Privatdozent an der Technischen Universität Darmstadt.

CW: Gibt es den Fachkräftemangel, über den sich die Branchenverbände beschweren, tatsächlich?

BOES: Wenn Unternehmen davon ausgehen, dass Fachkräfte vom Himmel fallen, dann können sie jetzt in der Tat den Eindruck eines Mangels gewinnen. Zum Beispiel ist das Studienfach Informatik durch die Krise seit 2001 nicht mehr so gefragt. Viele Firmen haben kein richtiges Ausbildungsbewusstsein. Sie glauben, dass außerhalb etwas getan werden muss, damit ihnen gute Mitarbeiter zur Verfügung stehen.

CW: An welchen Spezialisten fehlt es?

BOES: Es gibt zu wenig Leute für alles, was mit komplexen Internet-Technologien zu tun hat, und für die Verknüpfung von IT und TK. Ebenso für alle höherwertigen Aufgaben, die Prozesse und Projekt-Management betreffen.

CW: Woran liegt das?

BOES: Die Branche hat im Boom die Cobol- und Mainframe-Spezialisten, die ja durch das Jahr-2000-Problem noch einmal sehr gut beschäftigt waren, nicht mehr für die neuen Techniken qualifiziert. Da haben viele den Anschluss verloren. In der Krise hat sich dann allgemein eine Rotstiftpolitik ausgebreitet. Weiterbildung galt nur noch als Kostenfaktor.

CW: Lässt sich mit E-Learning gut sparen?

BOES: Manche Unternehmen, zum Beispiel IBM, betreiben sehr gute E-Learning-Konzepte. Sie sorgen dann aber nicht dafür, dass die Mitarbeiter auch Zeit haben, um solche Angebote wahrzunehmen. Alle, die zum Lernen stabile Zeitstrukturen brauchen, kommen zu kurz. Vor allem Frauen lehnen die Informalisierung der Weiterbildung ab.

CW: Wie reagieren Mitarbeiter, wenn ihnen Kurse gestrichen werden?

BOES: Viele akzeptieren es. Sie schimpfen, gehen aber nicht dagegen vor. Das hat auch mit dem individuellen Interessenhandeln zu tun, das in der IT-Branche verbreitet ist. Tendenziell unterscheiden sich jedoch hier die Geschlechter: Männer ballen die Faust meist nur in der Tasche. Frauen ist Weiterbildung sehr wichtig, sie tun viel dafür.

CW: Wie viel Weiterbildung brauchen IT-Experten?

BOES: Die IT ist immer noch eine weiterbildungsaktive Branche, nur ist eben auch der Bedarf besonders hoch. Wenn man auf dem Laufenden bleiben will, sind zehn Tage pro Jahr realistisch. Bekommt man fünf, ist das aber derzeit schon gut. Teilweise ist das in Tarifverträgen geregelt. Ob die gelebt werden, ist allerdings unklar.