CeBIT Trendbericht

Webciety - das Internet wird zum Herzen der Gesellschaft

20.02.2009 von Martin Bayer
Wir entwickeln uns zu einer Internet-Gesellschaft, sagen die Messeverantwortlichen in Hannover. Die Webciety-Area auf der CeBIT spiegelt diesen Trend wider.

"Wie ist man eigentlich ins Internet gekommen, bevor es Computer gab?", hat die Tochter von Peter Figge, CEO von TribalDDB, ihn einmal gefragt, erzählt Sascha Lobo, Autor und Web-2.0-Pionier. Vor allem die jüngere Generation, die mit dem World Wide Web aufwachse, hantiere wie selbstverständlich mit neuen Tools wie Social Networks, Wikis und Blogs. Die Technik greife immer stärker in das tägliche Leben der Menschen ein. Aus Wirtschaft, Kultur und Politik sei das weltweite Netz nicht mehr wegzudenken. "Das Internet wird zum Herzen unserer Gesellschaft", ist sich Lobo deshalb sicher.

"Nichts geht mehr ohne das Netz", sagen auch die Veranstalter der CeBIT und haben für die diesjährige Messe den Begriff "Webciety" geprägt - ein aus "Web" und "Society". "Wir werden die Internet-Gesellschaft unter dem Begriff 'Webciety' in all ihren Facetten auf der CeBIT darstellen", gibt Ernst Raue, CeBIT-Vorstand der Deutschen Messe AG, die Richtung vor. Immer mehr Menschen informierten sich im Internet und nutzten Wikis, Blogs und Social Networks in ihrem täglichen Leben. "Mehr als 1,5 Milliarden Menschen sind inzwischen online", bilanziert Raue, "tagtäglich gibt es neue Anwendungen, Programme und Inhalte."

Webciety auf der CeBIT

Die Messegesellschaft präsentiert das Thema Webciety kompakt in Halle 6. Der Bereich ist als Webciety-Area komplett neu strukturiert und wird ganz anders aussehen als herkömmliche Stände, beschreibt der bei der Messe AG verantwortliche Projekt-Manager Marius Felzmann das neue Konzept. Der ganze Bereich sei als eine Art begehbares Internet konzipiert. Statt auf Ständen präsentierten sich die Web-2.0-Anbieter auf so genannten Homebases. Diese könnten mit digitalen Inhalten bespielt werden, die sich auf großformatigen Displays anzeigen ließen. Theoretisch sei eine Person mit einem Notebook in der Lage, die komplette Homebase allein zu betreiben.

Umfragen bestätigen diesen Trend: 58 Prozent der deutschen Online-Nutzer sind auf Plattformen wie StudiVZ, Stayfriends, Facebook oder Xing aktiv, hat das Internet-Portal Web.de ermittelt. Vor allem bei den Jüngeren sind Social Networks beliebt. In der Altersgruppe der unter 20-jährigen Onliner organisieren sich 95 Prozent in solchen Netzen. Viele Nutzer sind mit verschiedenen Profilen im Internet unterwegs. Dabei sinkt auch die Hemmschwelle, persönliche Informationen preiszugeben. Laut einer Forsa-Umfrage stellt fast ein Viertel aller Deutschen über 14 Jahre persönliche Daten, Meinungen oder Bilder ins Web.

Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die gesamte IT-Welt. Die Marktforscher von Gartner sprechen von einer zunehmenden "Konsumerisierung der IT". IDC ermahnt Unternehmen, sich in Richtung "Enterprise 2.0" zu entwickeln, da verstärkt Web-2.0- und andere IT-Werkzeuge aus der Welt der Endverbraucher in die Firmen einsickerten - ob gewollt oder nicht. Aus Sicht der Experten im Beratungshaus Accenture müssen deshalb die Verantwortlichen in den Unternehmen umdenken. "Die nachwachsende Generation, die Millennials, kann sich ein Leben ohne Mobiltelefon und Internet gar nicht mehr vorstellen", sagt Tönnies von Donop, Geschäftsführer des Bereichs System Integration & Technology bei Accenture.

Millennials haben hohe technische Ansprüche

Das wirkt sich darauf aus, wie die Wirtschaft mit den jungen Leuten als Kunden beziehungsweise Mitarbeitern umgeht, so der Accenture-Manager unter Berufung auf eine eigene Online-Studie, für die Ende vergangenen Jahres 570 Menschen zwischen 14 und 32 Jahren befragt wurden. Die Millennials haben demnach hohe Ansprüche, was das technische Equipment und die Ausstattung ihres künftigen Arbeitsplatzes angeht. Rund zwei Drittel der Befragten nannten diese Kriterien als ausschlaggebend für die Wahl des nächsten Arbeitgebers.

Tönnies von Donop: "Die Millennials werden ihre aus dem Privatleben gewohnten Geräte und Anwendungen unter dem Radar der IT-Abteilungen in die Unternehmen einschleppen."

"Die Millennials werden ihre aus dem Privatleben gewohnten Geräte und Anwendungen unter dem Radar der IT-Abteilungen in die Unternehmen einschleppen", ist sich von Donop sicher. Fange dieser Wildwuchs erst einmal an zu wuchern, würden die IT-Verantwortlichen schnell die Kontrolle verlieren. Daraus resultiere ein steigendes Risiko für die betroffenen Unternehmen, weil das Sicherheitsbewusstsein der neuen Generation nur gering ausgeprägt sei.

Trotz aller Risiken und Herausforderungen sieht der Accenture-Manager auch Chancen für die Firmen: "Die Millennials werden den Wandel hin zu einer flexibleren und Internet-orientierten IT vorantreiben." Das beschleunige die Abwicklung der Geschäfte und sorge für mehr Effizienz. Von Donop zufolge liefen in Firmen mit überdurchschnittlichem Umsatz- und Renditewachstum besonders viele Interaktionen mit Kunden schon automatisiert und Internet-gestützt ab.

Stefan Pfeiffer, Market Manager ECM & Lotus bei IBM in Deutschland, ist zuversichtlich, dass die Sensibilität in Sachen Security wachsen wird. Die Unternehmen müssten ihren Mitarbeitern erklären, was erlaubt ist. Überhaupt sei es wichtig, trotz aller Skepsis in den IT-Abteilungen, aktiv und bewusst mit Web-2.0-Technik umzugehen. Verbote und Restriktionen seien die falsche Taktik. "Man hat auch mal geglaubt, man könne E-Mail verbieten", argumentiert er rückblickend. Pfeiffer empfiehlt den Firmen, pragmatisch an das Thema Enterprise 2.0 heranzugehen. Ein Wiki aufzubauen, nur weil es schick sei, bringe nichts. Vielmehr müssten die Verantwortlichen genau hinterfragen, in welchen Bereichen Web-2.0-Technik ihr Unternehmen weiterbringe. Aber, so warnt Pfeiffer, die Technik sei nicht alles. Die Firmenverantwortlichen müssten dazu auch die entsprechende Kultur im Unternehmen fördern und die Mitarbeiter motivieren.

Sasch Lobo, Web-2.0-Pionier: "Das Internet ist die Zukunft."

Glaubt man den Experten und ihren Voraussagen, was die zunehmende Nutzung von Web-2.0-Tools, privat und auch in Unternehmen, betrifft, müsste den Anbietern der entsprechenden Werkzeuge und Anwendungen eigentlich eine goldene Zukunft winken. Ein Trugschluss: "Es hakt noch an den Geschäftsmodellen", berichtet Klaus Böhm, Director Media bei Deloitte. Gerade das Internet hätten die Nutzer als kostenlos kennen gelernt. Die Zahlungsbereitschaft für Online-Inhalte sei gering, das Umlernen schwierig.

Auf die Anbieter von Web-2.0-Tools für den Business-Einsatz dürften angesichts der grassierenden Finanzkrise schwierige Zeiten zukommen, prophezeit Oliver Young, Analyst von Forrester Research. Wenn es in den Firmen darum gehe, Kosten einzusparen, biete sich dieser Bereich geradezu an: Die Technik sei neu, überwiegend nicht geschäftskritisch, und ein zählbarer Mehrwert lasse sich meist nur schwer nachweisen. Werden die IT-Budgets gekappt, sei es schwer, Investitionen in Web-2.0-Werkzeuge zu rechtfertigen. Grund zum Verzweifeln gibt es Young zufolge dennoch nicht. Auch wenn die hochgesteckten Wachstumsraten nicht erreicht würden, lege der Markt immer noch zu.

"Das Internet ist die Zukunft"

Für Lobo, der das Konzept für die Webciety-Area auf der CeBIT entwickelt hat, kein Anlass, den Kopf in den Sand zu stecken. "Zwar hat man derzeit das Gefühl, das Nachbarhaus brennt, und man selbst ist froh, nicht davon betroffen zu sein." Die Stimmung sei aber nicht am Boden, und die Geschäftsmodelle entwickelten sich weiter: "Das Internet ist die Zukunft."

Das Webciety-Programm

An allen Messetagen gibt es in der Webciety-Area in Halle 6 ein Bühnen- und Veranstaltungsprogramm mit verschiedenen Formaten. Das sind die Highlights:

  • Dienstag 3. März um 15 Uhr: Panel-Diskussion zum Thema "Future of E-Commerce";

  • Mittwoch 4. März um 15 Uhr: Panel-Diskussion zum Thema "Enterprise Collaboration";

  • Donnerstag 5. März um 11:30 Uhr: Panel-Diskussion zum Thema "Future Workplace";

  • Donnerstag 5. März um 12:40 Uhr: Präsentationen, "Pecha Kucha - einmal Web und zurück";

  • Freitag 6. März um 10:20 Uhr: Future Trend Talk "Webciety - Gesellschaft im Wandel";

  • Samstag 7. März um 11:30 Uhr: Vertreter verschiedener Parteien diskutieren über "Politik 2.0";

  • Samstag 7. März ab 15:00 Uhr: "Webciety Startup Competition" mit Award-Verleihung.

Nützliche Web-2.0-Tools

Das Web 2.0 ist auch in Deutschland angekommen. Neben vielen Kopien amerikanischer Vorbilder finden sich auch pfiffige Ideen heimischer Gründer:

Mehr Tipps zu nützlichen Web-2.0-Angeboten finden Sie unter www.computerwoche.de/1867393.