Datenbanken und Open Source

Was wird aus MySQL?

28.05.2009 von Sascha Alexander
Mit dem Kauf von Sun Microsystems durch Oracle steht auch das Schicksal der populären Datenbank MySQL auf dem Spiel. Viele Anwender sind verunsichert, manche machen bereits Front.

Seit Wochen herrscht Unruhe in der MySQL-Gemeinde. Oracle äußert sich nicht über die Zukunft der quelloffenen Datenbank- vielleicht, weil die Übernahme noch nicht abgeschlossen ist, vielleicht aber auch, weil bislang eine klare Strategie fehlt. Zwei zentrale Fragen stehen im Raum: Wird Oracle MySQL im Markt lassen und wird das Produkt langfristig unter einer Open-Source-Lizenz verfügbar bleiben?

Oracle wollte MySQL kaufen

Oracle hat mit Open-Source-Datenbanken Erfahrung. Bereits 2005 übernahm der Softwareriese zunächst die quelloffene Speicher-Engine InnoDB, die Anwender häufig mit MySQL kombinieren, und ein Jahr später den Anbieter Sleepycat Software geschluckt, der die quelloffene Datenbank Berkeley DB entwickelt.

Zudem soll Oracle bereits 2006 versucht haben, MySQL AB zu kaufen, den kommerziellen Anbieter von MySQL. Später erhielt dann aber Sun den Zuschlag. Trotz dieses offensichtlichen Interesses von Oracle an quelloffener Datenbanktechnik war in der Folgezeit wenig von deren Nutzung und Bedeutung innerhalb des Konzerns zu hören, außer dass der Support für die gekauften Produkte bestehen blieb (und MySQL-Nutzer weiter InnoDB nutzen durften). Im April kündigte Oracle beispielsweise ein Plugin für InnoDB für MySQL 5.1 an.

Erst mit der sich jetzt abzeichnenden Übernahme von Sun/MySQL könnten Oracles Open-Source-Avancen eine klare Stoßrichtung bekommen: Nach Ansicht vieler Marktbeobachter soll MySQL Oracles Position im unteren Marktsegment gegen IBM und vor allem gegen Microsoft stärken. Die Chancen stehen nicht schlecht. So ist MySQL die derzeit erfolgreichste Open-Source-Datenbank mit lesitungsfähigen Features und hat Tausende Nutzer und Unterstützer. Noch vor kurzem meldete Sun, dass der kostenlose "MySQL Community Server" täglich 70. 000-mal heruntergeladen werde und zwölf Millionen Datenbanken weltweit produktiv im Einsatz seien. Hinzu kommen zahlreiche OEM-Vereinbarungen mit MySQL.

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MySQL ist vor allem bei Entwicklern, Hochschulen und Betreibern von Websites beliebt, wo die Datenbank meist in Verbindung mit dem Web-Server der Apache Software Foundation und der Skriptsprache PHP die Infrastruktur stellt. Manch Installationen bestehen aus Hunderten Datenbanken. Prominente Nutzer sind Google, Youtube, Yahoo, Wikipedia oder Craigslist, aber auch hierzulande finden sich große Anwender wie zum Beispiel das Rechenzentrum der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen mit über 260 Datenbank-Servern. Ferner wird MySQL in über hundert Produkten als eingebettetes Datenbanksystem eingesetzt.

Angesichts dieser strategischen Vorteile besteht mittlerweile Konsens im Markt, dass Oracle MySQL nicht einfach einstampfen wird, um einen lästigen Konkurrenten zu beseitigen. "Oracle achtet meist sehr darauf, Kunden zugekaufter Firmen nicht abzuschrecken, und versichert ihnen gewöhnlich, dass ihre Produkte nicht plötzlich aus dem Support fallen werden", meint James Kobelius, Analyst von Forrester. Doch die Kernfragen nach dem Support und der künftigen Weiterentwicklung sind damit noch nicht beantwortet.

Angst um die Weiterentwicklung von MySQL

Ins Lager der Skeptiker gehört beispielsweise John Newton, Gründer und CEO des Anbieters der quelloffenen Content-Management-Software Alfresco. Er kann sich vorstellen, dass Oracle die Entwicklung von MySQL verlangsamen wird, um das eigene Datenbankgeschäft vor allem mit den bisherigen Editionen "Standard" und "Express" nicht zu stören. Die geplanten Verbesserung der Skalierbarkeit von MySQL aber auch überarbeitete Debugging-Funktionen könnten sich dadurch verzögern - eine Sorge, die viele in der Open-Source-Gemeinde umtreibt.

Schon MySQL AB hatte Updates der Datenbank nur zögerlich bereitgestellt und sich mehr um seine kommenziellen Kunden gekümmert, so der Vorwurf. Grund hierfür ist das duale Lizenzsystem der Datenbank: Zum einen unterliegt der MySQL Server der General Public License (GPL) und verpfllichtet dazu, sämtliche Weiterentwicklungen zu veröffentlichen. Zum anderen besitzt MySQL AB das volle Copyright am Quellcode und kann Änderungen und Erweiterungen vornehmen, ohne diese zwingend weitergeben zu müssen. Manche könnten sich nun vorstellen, dass Oracle diesen Weg fortsetzt oder gar an einer Migrationsstrategie für MySQL-Anwendungen arbeitet.

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Auf der anderen Seite gibt es aber auch positive Stimmen. So könnte sich Gartner-Analyst Donald Feinberg vorstellen, dass die erfahrenen Oracle-Entwickler eigene Technik in MySQL einbringen, um die Datenbank leistungsfähiger zu machen. Auch die von Konkurrenten angestoßene Debatte, ob durch die Heirat von Oracle und MySQL ein Monopolist im Datenbankmarkt entsteht, scheint nur wenige zu besorgen.

Kaum Geld mit MySQL zu verdienen

Dies liegt vor allem daran, dass Oracles Umsätze durch MySQL nur geringfügig steigen werden. So konnte Sun 2007 gerade einmal 38 Millionen Dollar mit der kommerzielle "Enterprise"-Version von MySQL einnehmen und landete damit laut IDC auf Platz 19 im Datenbankmarkt noch hinter Herstellern wie Siemens, Unisys oder Hitachi. Selbst Apples Datenbank "FileMaker" brachte dreimal mehr ein als MySQL.

Ferner muss sich Oracle trotz seiner Marktführerschaft bei relationalen Datenbanken einer wachsenden Konkurrenz erwehren. Neben traditionellen Rivalen wie IBM und Microsoft formieren sich vor allem im Data-Warehouse-Segment innovative Anbieter unter Führung von Teradata und Sybase sowie Spezialisten wie Netezza. Ebenso spielt Oracle bei Desktop-, Mainframe- und nichtrelationalen Datenbanken keine beziehungsweise nur eine geringe Rolle.

Aus vergangenen Zeiten: MySQL-Chef Marten Mikos (links) und Sun-Chef Jonathan Schwarz, 2008 bei der Übernahme von MySQL AB. Sun konnte Sun in der Folgezeit nur wenig Profit aus dem Deal ziehen.

Auch im Open-Source-Lager gibt es Stimmen, die Oracle als potenzielle MySQL-Mutter willkommen heißen. So erhoffen sich manche mehr Ordnung in der Produktentwicklung und im Support, die in der letzten Zeit chaotisch gewesen seien.

Beispielsweise hatte MySQL-Mitbegründer Michael "Monty" Widenius Sun 2008 aus Protest über die Produktentwicklung verlassen, um mit seiner Firma Monty Program AB an der eigenen, auf MySQL-Code basierenden Datenbank MariaDB und ihrer Speicher-Engine "Maria" zu arbeiten. Damit stieg die Zahl der Produktabspaltungen (Forks) auf mindestens drei an. Doch um wirklich die Gemeinde hinter sich zu bekommen, muss sich Oracle entscheiden, wie es sich die Weiterentwicklung der Datenbank vorstellt - mit der Open-Source-Gemeinde oder als internes "Closed-Source"-Programm?

Lesen Sie, wie die Open-Source-Gemeinde bereits mobil macht.

MySQL-Gemeinde macht mobil

Eile ist geboten, denn vor allem die Entwickler von Speichersubsystemen für MySQL sind verunsichert. Auch wenn die vielen heute erhältlichen Storage-Engines wie "MyISAM", Kickfire und Infobright für unterschiedliche Szenarien optimiert sind und daher nicht unbedingt miteinander konkurrieren, befürchten ihre Anbieter, dass Oracle sie aus dem Geschäft drängen wird. Tatsächlich hat der Datenbankriese mit InnoDB und Berkeley DB und der von MySQL entwickelten Engine Falcon drei Varianten erworben, die sich vor allem für Transaktionssysteme eignen.

Anbieter von Speicher-Engines wie Infobright, Kickfire, Calpont, Tokutek oder ScaleDB such daher bereits nach Wegen, wie sie im Geschäft bleiben können. Beispielsweise kursiert der Vorschlag, eine quelloffene Abstraktionsschicht zu entwickeln, die eine Kommunikation zwischen MySQL-Datenbank und Speicher-Engine sicherstellen soll.

Der vormalige MySQL-Chef Marten Mikos hatte in der Vergangenheit beklagt, dass nur jeder Tausendste Nutzer der Datenbank überhaupt einen Cent an sein Unternehmen zahlt.
Foto: Marten Mickos

Ebenfalls Front gegen Oracle machen bereits einige Entwickler von MySQL. So hat sich als direkte Reaktion auf die Sun-Übernahme die Open Database Alliance gegründet, die zurzeit aus Monty Program AB und dem Dienstleister Percona, der die auf InnoDB basierende Storage Engine XtraDB entwickelt, besteht. Widenius und andere fürchten, dass Oracle die Nutzung von MySQL und der Storage Engines einschränken oder behindern könnte. Daher soll MariaDB für alle Varianten offen sein. Allerdings wird derzeit in der Community diskutiert, ob und wie weit sich die Open-Source-Gemeinde tatsächlich von Oracle lösen kann, ohne juristische Konsequenzen befürchten zu müssen.

Kostenanstieg für Nutzung von MySQL

An einem anderen Punkt herrscht indes weitgehend Einstimmigkeit: Die Nutzung von MySQL wird teurer. So geht beispielsweise Sean Chin, Analyst bei Gartner, davon aus, dass Oracle künftig systematisch für alle produktiven Systeme einen kostenpflichtigen Support einführen wird. Bisher betraf dies offenbar nur einzelne Installationen.

Schon in der Vergangenheit hatte MySQL-Chef Marten Mickos beklagt, dass nur einer von tausend MySQL-Nutzern überhaupt etwas bezahle. Allerdings muss sich Oracle auf heftigen Widerstand einstellen. Bereits Sun war mit dem Versuch gescheitert, neben einer kostenlosen Edition bestimmte Features einer kommerziellen Version vorzuhalten. "Oracle wird um einen kostenlosen Basissupport für die Millionen Downloads nicht herumkommen", sagte Ed Boyajian, CEO von Enterprise DB.