Arbeitsmarkt

Was SAP-Quereinsteiger brauchen

28.04.2010 von Michael Schweizer
Ausgeprägtes Branchenwissen, Beraterqualitäten und ein guter Lebenslauf helfen, wenn man in der SAP-Szene ohne großes Vorwissen unterkommen will.

Als Christoph Kurucz (35) vor zwei Jahren als Consultant bei Realtech in Walldorf anfing, kannte er sich mit SAP-Software noch nicht aus. Kurucz hatte sieben Jahre lang beim Internet-Service-Provider Kevag in Koblenz Web-Server und Netze betreut, Server-Sizing betrieben sowie im Rechenzentrum und in Kundenprojekten gearbeitet. Danach kümmerte er sich bei T-Systems um die Netzplattform MPLS. "Realtech hat wohl in erster Linie wegen meiner Linux-Kenntnisse Gefallen an mir gefunden", mutmaßt er. Der auf Projekte mit SAP-Software und entsprechende Beratung spezialisierte Dienstleister reagierte, wie SAP selbst, darauf, dass viele Anwender von Unix auf Linux wechseln wollen.

Quereinstieg aus der IT ...

Wer ist überhaupt ein SAP-Quereinsteiger? Drei Grundtypen sind zu unterscheiden, wobei es Überschneidungen gibt. Zum ersten gehört, wer die SAP-Software wenig oder gar nicht beherrscht, aber andere fundierte Berufserfahrungen mitbringt, mit denen er an die SAP-Beratung oder -Entwicklung neuen Standes anknüpfen kann. Das können wie bei Christoph Kurucz, der an der Universität Koblenz-Landau Diplominformatik studiert hat, passende IT-Kenntnisse sein. In diesem Sinn sind "zehn bis 15 Prozent unserer etwa 120 SAP-Spezialisten in Deutschland Quereinsteiger", sagt Realtech-Personalleiterin Nicole Mamier. Es können auch Branchen- oder Prozesskenntnisse, zum Beispiel aus Banken oder der Logistik, sein, die der SAP-Neuling durch interne Fortbildung und Selbststudium erst noch informationstechnisch unterfüttern muss.

Christoph Kurucz, Realtech: "Der Arbeitgeber hat mich wohl wegen meiner Linux-Kenntnisse genommen."

Ein solcher Quereinstieg, der bereits auf ausgeprägten Kenntnissen beruht, kann durchaus zu verantwortungsvollen Positionen führen. Christoph Kurucz vertritt Realtech im SAP LinuxLab, in dem SAP zusammen mit IBM, Dell, Hewlett-Packard, Intel, AMD, Red Hat und Novell neue Techniken und Produkte zertifiziert. Er schätzt es, diese angestrengte Technikerarbeit "am Neuen, das noch niemand kennt, mit dem wirklichen Leben draußen beim Kunden zu verbinden". In diesem anderen Teil seines Jobs implementiert er Hochverfügbarkeitslösungen bei Anwenderunternehmen im In- und Ausland.

... aus dem Schuldienst

Hans-Heinrich Luker, Bayer Business Services: "Leute die ihr Wissen nicht teilen, erschweren den Projekterfolg."

"Ja, eindeutig", sagt Uwe Holländer aus dem Hochschul-Marketing von Bayer Business Services (BBS) auf die Frage, ob quer eingestiegene SAP-Berater bei ihnen auch Team- oder Projektleiter werden oder andere Toppositionen erklimmen könnten. Und "Ja, natürlich", sagt auch Hans-Heinrich Luker, bei BBS Teamleiter General Accounting in der Abteilung Accounting & Controlling Solutions: Wer dasselbe studiert habe wie er, könne als SAP-Berater bei BBS auch heute seinen Weg machen. Als Luker sich 1987 der IT zuwandte, war er ein Quereinsteiger zweiten Typs: Er suchte den Berufseinstieg nach einem Studium (Chemie und Geografie auf Lehramt, abgeschlossenes Referendariat), das mit IT wenig und mit SAP überhaupt nichts zu tun hatte. Das Arbeitsamt schulte ihn auf betriebswirtschaftliche Informatik um. Als er nach mehreren anderen Stationen im Jahr 2000 mit 41 Jahren zu Bayer wechselte, war er kein Quereinsteiger mehr, sondern ein erfahrener Projektleiter. Die Bayer AG hatte Ende der 90er Jahre beschlossen, die großrechnerbasierenden Altsysteme durch SAP-Software abzulösen. In dieser Zeit brauchte das Unternehmen viele SAP-Berater, die an der Umstellung sofort mitarbeiten konnten.

BBS ist eine Servicetochter der Bayer AG, die sich um ausgelagerte Geschäftsprozesse des Konzernes sowie um externe Kunden kümmert. Sie beschäftigt in 60 Ländern 5600 Mitarbeiter. IT-Projekte sind hier fast grundsätzlich groß und international. Wer bei BBS SAP-Berater werden will, kann sich durch technische Kenntnisse, betriebswirtschaftliches Denken und ein abgeschlossenes Studium empfehlen - welches, ist nicht entscheidend. Geschafft haben es auch Chemiker, Biologen, Psychologen und Theologen. Hans-Heinrich Luker erwartet, dass Projektmitarbeiter ihr Wissen teilen: "Für uns ist es wichtig, dass Quereinsteiger teamfähig sind." Für Uwe Holländer zählt die "Beratungsaffinität: Bei uns arbeiten Quereinsteiger, die gesagt haben, ich will in die Beratung, da gehe ich hin. Das sind Top-Leute."

Wenn man mit Menschen, die die Gehälter vieler SAP-Spezialisten kennen, über Quereinsteiger-Saläre sprechen will, fällt schnell das Wort "schwierig". Nach zwei bis fünf Berufsjahren können SAP-Berater ein Jahresgehalt von 56.500 Euro erwarten, für SAP-Entwickler sind es 53.900 Euro, errechnete die Hamburger Vergütungsberatung Personalmarkt zusammen mit der COMPUTERWOCHE im Herbst 2009. Wie Quereinsteiger zu solchen Durchschnittswerten beitragen, wird aber, schon wegen der uneinheitlichen Bedeutung des Begriffs, kaum je erfasst. Sie verdienen wohl weniger als gleichrangige erfahrene SAP-Kenner, haben aber, wenn sie sich im Job halten, ebenfalls beste Aussichten, ihr Berufsleben als Besserverdiener zu durchlaufen.

Gehälter

IT-Gehälter hängen von vielen Faktoren ab: Ausbildung und Berufserfahrung spielen eine wichtige Rolle ebenso wie Region und Branche, in der die Firma tätig ist. Wir haben aus der Gehaltsstudie fünf Beispieldatensätze herausgenommen, um zu zeigen, was einzelne IT-Fach- und Führungskräfte verdienen. (Foto: Joachim Wendler/Fotolia.com)
Der Systemadministrator
Alter: 52 Jahre<br/> Ausbildung: IT-Systemkaufmann<br/> Unternehmen: Maschinenbauer, Mittelstand<br/> Sitz des Unternehmens: Hessen<br/> Gehalt: 58.000 Euro im Jahr, keine Prämie (Foto: Andrzej<br/> Puchta/Fotolia.com)
Die IT-Beraterin
Alter: 38 Jahre<br/> Ausbildung: Diplom-Ingenieurin (FH)<br/> Unternehmen: IT-Systemhaus<br/> Sitz des Unternehmens: Frankfurt am Main<br/> Gehalt: 68.000 Euro im Jahr, davon 8.000 Euro Prämie<br/>
Der Leiter Softwareentwicklung
Alter: 40 Jahre<br/> Ausbildung: Diplom-Ingenieur (FH)<br/> Unternehmen: IT-Systemhaus<br/> Sitz des Unternehmens: Hamburg<br/> Gehalt: 92.000 Euro im Jahr, davon 11.000 Euro Prämie<br/>
Der IT-Leiter
Alter: 46 Jahre<br/> Ausbildung: Diplom- Informatiker (Universität)<br/> Unternehmen: Automobilzulieferer<br/> Sitz des Unternehmens: Raum Bremen<br/> Gehalt: 106.000 Euro im Jahr, davon 9.000 Euro Prämie<br/>
Der Leiter SAP-Beratung
Alter: 41 Jahre<br/> Ausbildung: Diplom- Informatiker (Universität)<br/> Unternehmen: IT-Systemhaus<br/> Sitz des Unternehmens: Raum Stuttgart<br/> Gehalt: 154.000 Euro im Jahr, davon 28.000 Euro Prämie<br/>Quelle: Personalmarkt<br/>

... aus der Modebranche

Quereinsteiger des dritten Typs bezeichnet Johannes Cordes, beim Bielefelder Dienstleister Itelligence verantwortlich für das Marktsegement Holz-/Möbelindustrie, als "Exoten": Sie haben ein entfaltetes berufliches Vorleben, das normalerweise aber nichts mit der SAP-Szene zu tun hat. Diese Gruppe dürfte kleiner sein als die anderen beiden, aber es gibt sie.

Cordes’ Eltern betrieben in Bielefeld ein Unternehmen für Damenoberbekleidung: "Mit ungefähr 80 Leuten haben wir Blusen, Röcke und Jacken hergestellt." Er absolvierte eine Schneiderausbildung und studierte dann an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien Modedesign. Zu seinen Dozenten zählte Karl Lagerfeld. Als der elterliche Betrieb große wirtschaftliche Probleme bekam, "bin ich nach Bielefeld zurück und habe das Unternehmen vier Jahre zusammen mit meinen Eltern und dann sechs Jahre alleine geführt, die Kollektionen entwickelt, Stoffe eingekauft, eben eine vollständige Produktion geleitet".

1994 musste er nach 75 Jahren Firmengeschichte Insolvenz anmelden. Er wollte die Modebranche verlassen und ließ sich nach "schwierigen Diskussionen" mit dem Arbeitsamt zum Wirtschaftsinformations-Assistenten ausbilden. 1996, 36 Jahre alt, begann er als Berater für das SAP-Modul PP bei Itelligence. Der auf SAP-Branchenlösungen spezialisierte Dienstleister hat heute in 17 Ländern 1500 Mitarbeiter; damals waren es ungefähr 60, eine Dimension, die Cordes aus dem Familienunternehmen kannte. Schon 1998 wurde er Projektleiter, vor zehn Jahren kam er auf seine jetzige Position. Zu den Kunden, die er betreut, zählt ein großer Hersteller, der 2500 Küchen am Tag fertigt: "Jede besteht mit Ober-, Unterküche und Elektrogeräten aus 20 bis 30 Positionen, von denen jede wiederum bis zu 50 Merkmale aufweist. Das ist sogar für die SAP-Software eine extreme Herausforderung."

Johannes Cordes, Itelligence: "Die Organisation eines mittelständischen Betriebes hat mir für das berufliche Weiterkommen geholfen."

Cordes war den Wechsel zu Itelligence als radikalen Neuanfang angegangen. Doch mittlerweile registriert er einige Kontinuität: Entscheidungsstärke und hohe Umsetzungsgeschwindigkeit, die er als Geschäftsführer gebraucht hatte, helfen ihm auch im zweiten Beruf. "Natürlich ist es gut, in ein starkes Unternehmen eingebunden zu sein. Trotzdem arbeiten mein Team und ich im Marktsegment Holz-/Möbelindustrie sehr selbständig. Der Unterschied zu meiner Zeit als Unternehmer ist relativ klein."

Zwölf Fragen vor dem Wechsel

Je mehr von den folgenden Fragen Sie bejahen können, desto besser dürften Ihre Chancen sein, den Quereinstieg in die SAP-Welt zu schaffen.

1. Haben Sie ein Hochschulstudium abgeschlossen?

2. Können Sie betriebswirtschaftlich denken?

3. Kennen Sie sich in einer Branche so gut aus, dass Ihnen dort zum SAP-Berater nur noch die Softwarekenntnisse fehlen?

4. Haben Sie berufliche IT-Erfahrungen, mit denen Sie an die gegenwärtige SAP-Beratung oder -Entwicklung anschließen können?

5. Können Sie zuhören?

6. Hört man Ihnen gerne zu, wenn Sie komplizierte Zusammenhänge erklären?

7. Kommen Sie mit Zeitdruck zurecht?

8. Wollen Sie Ihre berufliche Zukunft auf ein Softwaresystem stützen, das kein Einzelner mehr überschauen kann?

9. Können Sie es ertragen, als Quereinsteiger eine Zeitlang unter besonderer Beobachtung zu stehen?

10. Wollen Sie gut verdienen?

11. Bleiben Sie gelassen, wenn Sie bei sonst gleichen Bedingungen weniger verdienen als ein gestandener SAP-Spezialist?

12. Für Berater: Schlafen Sie gerne in Hotels?

Entscheidend ist der rote Faden

Andy Beyer, HSC: "Quereinsteiger müssen doppelt überzeugen - fachlich und von der Persönlichkeit."

Andy Beyer, Niederlassungsleiter der Personalberatung HSC in Hannover, sagt im Interview, wer für einen SAP-Quereinstieg in Frage kommt.

CW: Wie oft kommt es vor, dass Quereinsteiger in der SAP-Beratung oder -Entwicklung Fuß fassen?

BEYER: Wenn man ehrlich ist, eher selten. Chancen haben vor allem erfahrene Berater, die zwar noch nichts mit SAP-Software gemacht haben, aber auf andere Anknüpfungspunkte verweisen können, etwa auf ein bestimmtes Prozesswissen. Wenn jemand in einer Bank schon Erfahrung mit Konsolidierung gesammelt hat, könnte sich ein Arbeitgeber entschließen, ihn in die SAP-Banking-Module einzuarbeiten.

CW: Was sollte ein Bewerber sonst noch mitbringen?

BEYER: Quereinsteiger müssen doppelt überzeugen: Es muss fachlich passen, und die Persönlichkeit des Bewerbers muss so sein, dass das Unternehmen zum Beispiel sagt: Ja, das ist der Vertriebler, den wir brauchen.

CW: Wo hat man als Quereinsteiger die besten Aussichten?

BEYER: Eher beim Dienstleister als beim Anwender. Anwender suchen Leute, die passgenau auf bestimmte Aufgaben vorbereitet sind und dort gleich anfangen können zu arbeiten. Dienstleister nehmen sich öfter die Zeit, jemanden, den sie wollen, noch mit SAP-Software vertraut zu machen.

CW: Sollte man sich bei Konzernen bewerben oder bei Mittelständlern?

BEYER: Den Ausschlag gibt nicht die Größe des Unternehmens, sondern seine Philosophie. Konzerne haben es natürlich leichter, einem Quereinsteiger eine interne Weiterbildung zu finanzieren. Aber auch qualitätsbewusste Mittelständler sind bereit dazu.

CW: Verdient ein Quereinsteiger schlechter als ein gelernter SAP-Spezialist?

BEYER: Bei sonst gleichen Bedingungen ist das Gehalt des Quereinsteigers auf jeden Fall niedriger. Um wie viel, hängt allerdings stark davon ab, ob die beruflichen Erfahrungen, die jemand vor dem Quereinstieg gemacht hat, ihm angerechnet werden. Man sollte sich vorher überlegen, zu welchen Abstrichen man bereit ist.

CW: Sollte man sich durch Weiterbildung auf den Quereinstieg vorbereiten?

BEYER: Zurzeit werden viele kurze Trainings zu einzelnen SAP-Modulen angeboten. Ich will das gar nicht schlechtreden, Weiterbildung ist immer gut. Wenn es aber darüber hinaus keine Anknüpfungspunkte zu dem gewünschten neuen Arbeitsfeld gibt, werden solche Kurse für die Bewerbung nicht viel bringen. Entscheidend ist immer der rote Faden.