Linux-Distribution im Test

Was openSUSE 12.2 leistet

20.12.2012 von Michael Kofler
openSUSE zählt neben Debian, Fedora und Ubuntu zu den beliebtesten nicht-kommerziellen Linux-Distributionen. Die neue Version openSUSE 12.2 ist grundlegend aktualisiert, bietet aber nur wenige technische Neuerungen.

Mit zwei Monaten Verspätung hat die Open-Source-Community openSUSE 12.2 freigegeben. Die in der Linux-Distribution enthaltenen Programme wurden erwartungsgemäß fast vollständig aktualisiert. Standardmäßig kommt der KDE-Desktop in der Version 4.8 zum Einsatz (leider nicht in der ebenfalls schon fertigen Version 4.9). Alternativ kann während der Installation Gnome als Desktop ausgewählt werden; in diesem Fall erwartet den Anwender ein nahezu originales Gnome-3.4-System. Dank der llvmpipe-Bibliothek funktionieren die Grafikeffekte von Gnome 3.4 auch ohne 3D-Treiber sowie in virtuellen Maschinen.

Auch die meisten anderen openSUSE-Komponenten sind auf dem aktuellen Stand, etwa Firefox und Thunderbird 14 (die Aktualisierung auf Version 15 erfolgt beim ersten Update), Gimp 2.8, LibreOffice 3.5, Amarok 2.5, digiKam 2.6, Banshee 2.4, Shotwell 0.12, Kernel 3.4, Samba 3.6 und Apache 2.2 (nicht 2.4!). Wie bei anderen populären Linux-Distributionen wird der Webbrowser Firefox im Rahmen des Update-Services regelmäßig aktualisiert.

openSUSE 12.2
openSUSE-Installationsprogramm
Im openSUSE-Installationsprogramm (hier das Startmenü) dominieren die (open)SUSE-typischen Grüntöne.
KDE
Standardmäßig wird KDE installiert. Zwar Wahl stehen aber die Desktop-Systeme Gnome, XFCE und LXDE.
Partitionierungsvorschlag
Linux-Einsteiger können einfach den Partitionierungsvorschlag des Installationsprogramms übernehmen.
Manuelle Partitionierung
Vorbildlich gelöst: Experten können die Festplatte manuell partitionieren, bei Bedarf auch mit LVM und RAID.
Vor der eigentlichen Installation
Vor dem Beginn der eigentlichen Installation werden alle Einstellungen nochmals zusammengefasst. Hier können letzte Änderungen durchgeführt werden.
Bootloader-Optionen
Kein anderes Linux-Installationsprogramm verwirrt den Anwender mit einer derartigen Fülle von Bootloader-Optionen. Weniger wäre oft mehr ...
GRUB-Menü
Das GRUB-Menü zum Start des frisch installierten openSUSE-Systems erscheint im Grafikmodus.
KDE-Desktop
Der KDE-Desktop auf der Basis von KDE 4.8.
Gnome-Desktop
Der Gnome-Desktop auf der Basis eines nahezu unmodifizierten Gnome 3.4. Zu den wenigen openSUSE-spezifischen Änderungen zählt das Systemmenü (rechts oben), in dem die Einträge Ruhezustand und Ausschalten standardmäßig angezeigt werden.
Aktivitätenansicht
Die Aktivitätenansicht von Gnome.
YaST-Module
Unzählige YaST-Module helfen bei der Systemkonfiguration.

ISO-Dateien von openSUSE 12.2 stehen unter http://software.opensuse.org/ zum kostenlosen Download zur Verfügung. Außerdem bietet der Münchner Verlag Open Source Press eine openSUSE-Box zum Verkauf an. Diese enthält neben zwei Installations-DVDs ein Handbuch sowie diverse Add-ons.

GRUB und EFI

Zu den wenigen technischen Neuerungen in openSUSE zählt der Umstieg auf den neuen Bootloader GRUB 2. Dieses Programm ist dafür verantwortlich, openSUSE und eventuell auch andere auf dem Rechner installierte Betriebssysteme zu starten (also Windows, andere Linux-Distributionen). Die Vorgängerversion GRUB 0.97 wird schon lange nicht mehr gewartet, weswegen viele andere Distributionen seit Jahren Testversionen von GRUB 2 einsetzen.

Mittlerweile ist die finale Version von GRUB 2.0 verfügbar – Grund genug, auch mit openSUSE in das GRUB-2-Lager zu wechseln. Aus optischer Sicht hat sich die lange Wartezeit gelohnt: openSUSE zählt jetzt zu den ersten Distributionen, die die neuen Gestaltungsmöglichkeiten von GRUB 2 nutzen. Das GRUB-Menü wird optisch sehr ansprechend im Grafikmodus dargestellt. Davon abgesehen ist der GRUB-Versionswechsel für den Endanwender nicht spürbar, das heißt, wie bisher kann nach der Installation in einem Menü ausgewählt werden, welches Betriebssystem gestartet werden soll.

Ein wenig befremdlich ist der Umstand, dass die openSUSE-Installationsmedien nicht im EFI-Modus gestartet werden können. Auf (U)EFI-Rechnern ist nur dann eine Installation möglich, wenn diese auch zum herkömmlichen BIOS kompatibel sind. Fedora und Ubuntu sind in diesem Punkt schon weiter und unterstützen EFI gut.

openSUSE-Anwender werden voraussichtlich auf openSUSE 12.3 warten, wenn Sie eine EFI-Installation durchführen möchten (oder müssen). In der nächsten openSUSE-Version soll dann sogar UEFI Secure Boot unterstützt werden, also ein neues, durch signierte Schlüssel abgesichertes Bootverfahren, das auch unter Windows 8 zum Einsatz kommt. In Linux-Kreisen ist dieses Bootverfahren umstritten, weil es die Parallelinstallation von Windows und Linux deutlich schwieriger macht als bisher.

YaST

Das Markenzeichen von openSUSE und den kommerziellen SUSE-Distributionen ist das Konfigurationsprogramm YaST (Yet another Setup Tool). Es erleichtert viele Konfigurationsarbeiten und bietet dabei beinahe ähnlichen Komfort wie OS X oder Windows.

YaST hat aber im Laufe der Jahre an Glanz verloren – und daran ändert sich auch in openSUSE 12.2 wenig: Das Programm enthält eine Menge Module, die in der Praxis nur noch selten benötigt werden und die offensichtlich kaum mehr gewartet werden. Zudem sind einige Konfigurationsdialoge übermäßig verschachtelt. Experten finden dort für alle erdenklichen Sonderfälle die richtige Option, Einsteiger verlieren aber rasch die Orientierung.

Schließlich machen diverse YaST-spezifische Eigenheiten (zum Beispiel das automatische Überschreiben mancher Konfigurationsdateien) Administratoren das Leben schwer, die parallel verschiedene Distributionen warten müssen.

Flash, MP3, Multimedia

Aus lizenz- und patentrechtlichen Gründen kann openSUSE weder das Flash-Plugin noch MP3-Bibliotheken auf der DVD ausliefern. openSUSE umgeht dieses Problem mit einem eleganten Trick: Das Flash-Plugin von Adobe wird automatisch beim ersten Update heruntergeladen und installiert.

Außerdem wird in openSUSE-KDE-Systemen bei der ersten Installation eines zusätzlichen Pakets durch YaST die Fluendo-MP3-Bibliothek heruntergeladen. Merkwürdigerweise funktioniert dieser Automatismus nicht in Gnome-Systemen. Dort muss das Paket gstreamer-0_10-fluendo-mp3 manuell installiert werden.

openSUSE macht es seinen Nutzern also sehr einfach, Flash-Seiten anzusehen oder MP3-Dateien anzuhören. Für eine noch bessere Multimedia-Unterstützung ist es allerdings erforderlich, die nicht-offizielle PackMan-Paketquelle zu aktivieren. Das gelingt am einfachsten mit YaST im Modul Software-Repositores mit Hinzufügen|Community/Gemeinschafts-Repositories.

Tumbleweed

Technisch interessierte Linux-Anwender träumen seit langem von einer Linux-Distribution, die automatisch aktualisiert wird, sobald es neue Versionen von KDE, Gnome, LibreOffice, Gimp etc. gibt. Mit der »Tumbleweed«-Paketquelle kann dieser Traum eines sogenannten Rolling Release für fortgeschrittene openSUSE-Anwender in Erfüllung gehen.

Sobald diese Paketquelle aktiviert wird, wird openSUSE regelmäßig aktualisiert, wenn neue Programmversionen der unzähligen openSUSE-Pakete zur Verfügung stehen. Die Tumbleweed-Entwickler versuchen, neue Software-Versionen erst dann zu aktivieren, wenn diese einigermaßen stabil sind. Insofern ist Tumbleweed weniger aktuell und dafür stabiler als die openSUSE-Entwicklerversion »Factory«. Dennoch sind beim Einsatz von Tumbleweed natürlich gelegentlich Probleme zu erwarten, wenn eine neue Software-Version doch noch Fehler enthält oder Inkompatibilitäten mit anderen Komponenten verursacht.

Die Tumbleweed-Projektseite warnt eindringlich vor dem Einsatz von Tumbleweed, wenn proprietäre Treiber im Einsatz sind (NVIDIA, ATI), zusätzliche Paketquellen aktiviert sind oder openSUSE in einer virtuellen Maschine ausgeführt wird:
http://en.opensuse.org/Portal:Tumbleweed

Neuer Release-Zyklus für openSUSE?

Die vergangenen Versionen von openSUSE sind in einem achtmonatigen Zyklus zumeist pünktlich erschienen. Bei der Arbeit an openSUSE 12.2 sind allerdings eine Menge projektinterner Probleme aufgetreten, die schließlich die Verschiebung des Release-Zeitpunkts um zwei Monate erforderlich machten. (Ursprünglich war die Fertigstellung von openSUSE 12.2 bereits für Mitte Juli angekündigt worden.)

Im Zuge der Verzögerungen entstand eine längere Diskussion darüber, ob der im Vergleich zu anderen Distributionen ungewöhnliche Release-Zyklus von 8 Monaten verändert werden soll. Eine Entscheidung zu dieser Frage ist noch nicht gefallen, aber vieles spricht dafür, dass es in Zukunft nur noch einmal jährlich eine neue openSUSE-Version geben wird. Unklar ist, ob es dann auch ein neues Schema für die Versionsnummern und einen längeren Update-Zeitraum geben wird. Dieser beträgt momentan 18 Monate, was vor allem für den Server-Einsatz zu wenig ist.

openSUSE versus Ubuntu

openSUSE ist zwar nicht so populär wie Ubuntu, zählt aber – vor allem im deutschen Sprachraum –, zu den beliebtesten Linux-Distributionen. Was spricht also für openSUSE, was für Ubuntu?

Zu den größten Vorzügen von openSUSE zählt der Umstand, dass sowohl Gnome als auch KDE nahezu unverändert weitergereicht werden. Während sich Ubuntu mit jeder Version weiter von etablierten Linux-Standards entfernt, sieht Gnome bzw. KDE unter openSUSE weitgehend so aus, wie die Entwickler der beiden Desktopsysteme dies vorgesehen haben. Einen besonders guten Ruf genießt openSUSE bei KDE-Anwendern: Viele KDE-Entwickler arbeiten am openSUSE-Projekt mit oder sind von SUSE angestellt. Nicht umsonst schlägt openSUSE KDE bei der Installation als Default-Desktop vor.

Naturgemäß bietet openSUSE eine gute Möglichkeit für Administratoren, SUSE-spezifische Konfigurations- und Administrationswerkzeuge kennenzulernen. Die kommerziellen SUSE-Distributionen basieren auf älteren openSUSE-Versionen und weisen deswegen sehr viele Ähnlichkeiten auf. (openSUSE spielt für SUSE Linux Enterprise eine ähnliche Rolle wie Fedora für Red Hat Enterprise Linux.)

Ubuntu bietet im Vergleich zu openSUSE einen seit Jahren etablierten halbjährlichen Release-Zyklus sowie für LTS-Versionen einen fünfjährigen Wartungszeitraum. Gerade für den geschäftlichen Einsatz, wo niemand Freude an ständig neuen Versionen hat, ist das ein gewichtiges Argument. Außerdem brilliert Ubuntu durch seine außergewöhnlich gute Hardware-Unterstützung (Grafikkarten, WLAN-Adapter, EFI-Rechner etc.). Gerade auf ganz neuen Rechnern fällt die Installation und Hardware-Optimierung mit Ubuntu oft leichter als mit openSUSE. Dafür müssen sich Ubuntu-Anwender mit den vielen Eigenheiten des Unity-Desktops abfinden.

Fazit

Die openSUSE-Entwickler haben mit Version 12.2 eine solide Distribution fertiggestellt, die im Test erfreulich wenig Mängel zeigte. Die zweimonatige Verspätung lässt sich da leicht verschmerzen.

openSUSE ist nicht so experimentell wie Fedora und verzichtet im Gegensatz zu Ubuntu auf allzu viele Eigenentwicklungen und Sonderwege. Das kommt der Stabilität zugute; gleichzeitig fehlen aber „Killer-Features“ oder andere Besonderheiten, um sich von der Masse der Linux-Distributionen abzuheben.

openSUSE 12.2 eignet sich gut für Desktop-Anwender, die eine aktuelle, einfach zu nutzende Distribution suchen. Für den Server-Einsatz ist openSUSE wegen des kurzen Update-Zeitraums leider ungeeignet. (wh)