IT-Outsourcing

Was muss raus?

06.09.2004 von Lars Reppesgaard
Gemessen an Großunternehmen halten sich Mittelständler beim Auslagern der IT noch zurück. Doch immer mehr Unternehmen lassen sich informationstechnologisch gern bedienen.

ALS IHR IT-LEITER von Bord ging, hatte Ute Schütt-Ewald endgültig die Nase voll. Wieder einmal musste sie als Vorstandsmitglied der B.r.a.h.m.s AG in Henningsdorf bei Berlin erleben, wie das Unternehmen mit dem Mitarbeiter auch wertvolles Wissen um Prozesse und Strukturen der Abteilung verlor. Die Verantwortliche für Personal, IT-Management und Materialwirtschaft zog Konsequenzen, um das Biotechnologieunternehmen zumindest im Bereich der Informationstechnologie gegen den Wissensschwund zu schützen. Die dazu getroffene Maßnahme: Seit Mai dieses Jahres ist unter den knapp 180 Mitarbeitern der AG in Deutschland niemand mehr für die IT zuständig. Dafür sitzen in ihrem Haus ständig vier Computerexperten, die auf der Gehaltsliste von IBM Mittelstand SystemeGmbH (IMS) stehen. Sie kümmern sich um die geschäftskritischen Simulationsanwendungen für die Bluttestverfahren von B.r.a.h.m.s. und um die Server, auf denen sie laufen.

30 Prozent Kostensenkung

Doch das ist nicht alles: Die Outsourcing-Tochter von IBM Global Services übernimmt den kompletten IT-Betrieb des Diagnostikkonzerns für die nächsten fünf Jahre. Sie betreut alle PCs, Notebooks und Drucker sowie das Rechenzentrum mitsamt den I-Series-Servern. Auch die Netzwerk-Infrastruktur und die IT-Security gibt Schütt-Ewald in fremde Hände. Die Kosten sollen so um ein Drittel sinken. Doch es ging der IT-Verantwortlichen bei der Entscheidung nicht nur um Geld. „Wir brauchen strukturierte, nachvollziehbare Prozesse und können es uns nicht leisten, dass bestimmte Abläufe nur in den Köpfen einzelner Mitarbeiter festgeschrieben sind“, erklärt sie.

Ute Schütt-Ewald befindet sich in guter Gesellschaft. Inzwischen hat sich das Auslagern von IT Aufgaben an einen externen Dienstleister auch im Mittelstand fest etabliert. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der beiden Marktforschungsunternehmen Lünendonk und Techconsult. Dazu befragten sie 530 Unternehmen. Das Hauptmotiv für Outsourcing ist dabei nach wie vor der Wunsch, Geld zu sparen. Immer wichtiger als Entscheidungsfaktoren werden aber auch der Wunsch, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, und fehlende interne Ressourcen, wie sie Schütt- Ewald Kopfzerbrechen bereiteten.

Wie die neue IT-Infrastruktur aussieht, welche Service Level Big Blue garantiert und welche Wartungsleistungen zu welchem Preis erbracht werden, hat Schütt-Ewald drei Monate lang mit dem Dienstleister ausgehandelt. Dabei habe man außerdem die Kostentreiber in der IT erkannt, die insbesondere in der Wartung der Systeme liegen. „Diese Transparenz erlaubt uns genauer denn je, die Kontrolle über die Ausgaben zu gewinnen“, freut sich Schütt-Ewald.

Der neue Überblick ist gewissermaßen ein Nebeneffekt der Outsourcing- Verhandlungen. „Der Outsourcer muss sich die Prozesse vornehmen, und das, was er tut, muss er dokumentieren“, sagt Udo Faulhaber, Chef des IT Dienstleisters Arxes NCC AG. Diese Strukturanalyse ist für die Preisfindung unabdingbar. Die Mittelständler erhalten dadurch gewissermaßen en passant den Überblick darüber, wie die eigene IT funktioniert - ein Wissen, das in vielen kleinen Häusern fehlt.

Basel II motiviert Firmen

Ohnehin verfügen dieUnternehmen selten über komfortabel ausgebaute IT-Abteilungen, deren Know-how kontinuierlich auf dem Stand der Technik ist. Vielerorts stecken die Abteilungen in der Komplexitätsfalle - die Kosten steigen, und trotzdem werden die fortlaufend aufwändigeren Systeme immer anfälliger. „Die Mittelstand war lange sehr skeptisch“, beobachtet Arxes-Chef Faulhaber. „Man fürchtete, sich abhängig zu machen und kein eigenes Know-how mehr zu besitzen. Aber derzeit verändert sich die Lage dramatisch.“ Viele Unternehmen würden begreifen, dass sie heute de facto ebenfalls abhängig sind - und zwar von den Mitarbeitern in den IT-Abteilungen, die sich unersetzlich gemacht haben.

Auch die Kreditvergaberichtlinien des Basel-II-Abkommens motivieren manchen Unternehmer, IT als Dienstleistung zu beziehen. „Basel II hat das Thema noch interessanter gemacht“, sagt Axel Schmidt, Berater im Geschäftsbereich Managed Services bei Tenovis.Outsourcing schone die Liquidität und ermögliche so ein besseres Rating, als man es bekommen würde, wenn man die eigene Infrastruktur im Alleingang erneuert. Tenovis beschränkt sich bei seinen Outsourcing- Angeboten nicht nur auf die Computernetze. Vor allem die Steuerung und Wartung von Unternehmenstelefonanlagen boomt, erklären die Frankfurter - ein Service, den unter anderem der Holzwerkstoffhersteller Glunz AGin Göttingen oder die Lentinger Kessel GmbH, ein Anbieter von Baugruppen für die Elektronik- und Automobilindustrie, nutzen.

Eigenen Dienstleister gegründet

Die BHS Tabletop verdient sogar auf Umwegen Geld dazu, nachdem sie sich entschlossen hat, ihre IT nicht mehr selbst zu betreiben.Mitte der neunziger Jahre litt die Firma Hutschenreuther 1814, aus der BHS hervor gegangen ist, unter der Billigkonkurrenz aus Osteuropa und Asien sowie unter ungünstigen Wechselkursen. Mitten in dieser schwierigen Situation versuchteman sich an einer großen SAP-R/3-Einführung - „und das ging total schief“, wie Thomas Rövekamp erzählt. Er ist einer von zwei Vorständen der BHS Tabletop AG, die 1998 entstand und heute mit mehr als 1000 Mitarbeitern 90 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet.

Um sich nicht noch einmal bei einem zu umfangreichen R/3-Projekt zu verheben und Luft für das Kerngeschäft zu haben, entschloss man sich, die gesamte IT auszulagern - an einen ungewöhnlichen Partner:Mit Rödl&Partner arbeitete man bereits im Bereich Wirtschaftsprüfung und Beratung zusammen, aber als IT-Dienstleister hatte das Nürnberger Unternehmen bis dahin keinerlei Erfahrung. Gemeinsam gründete man 1998 die HSB Systemhaus GmbH, die auch die ehemaligen IT-Mitarbeiter von Hutschenreuther/BHS übernahm. Der Porzellanhersteller ist bis heute mit 25 Prozent an dem Dienstleister beteiligt.

Vom Anwender zum Anbieter

„Wir haben von Beginn an darauf gesetzt, dass das Systemhaus auch andere Kunden akquiriert und wir mit unserer Beteiligung Geld verdienen“, sagt BHS Vorstand Röwekamp. Die Rechnung ging auf: DieMitarbeiterzahl des Systemhauses hat sich seit seiner Gründung auf 72 verdoppelt, und der Porzellanhersteller trägt statt ursprünglich 100 nur noch 40 Prozent zum Umsatz bei. Der Dienstleister kümmert sich nicht nur umdas Netzwerk und die gesamte SAP-Landschaft, sondern auch um die Technik und das Management von 500 PC-Arbeitsplätzen.

Wie viel die BHS Tabletop AG durch die gesamte Lösung im Vergleich zum Selbermachen spart, ist schwer zu beziffern, denn vor der Zusammenarbeit gab es keine vergleichbare IT-Landschaft.Michael Schiffmann, der zur Geschäftsleitung des Systemhauses gehört, geht von etwa 30 Prozent aus, BHS Vorstand Thomas Rövekamp hält das ebenfalls für realistisch.

Gute Anwendererfahrungen

Abgerechnet wird auf Basis eines Dienstleistungsvertrags. Lediglich Projekte von mehr als fünf Tagen und Anwendungsprogrammierungen, die pro Fall länger als 40 Stunden dauern, müssen extra bezahlt werden. Ein gemeinsames IT-Gremiumentscheidet, welche Projekte angegangen werden. Die Laufzeit des Vertrags beträgt vier Jahre. Schiffmann sagt, dass er es „bei dieser Größenordnung darunter auch nicht machen“ würde. „Wir sind zum Teil auch Leasinggeber, und wenn ich eine Maschine für 1,4 Millionen Euro verlease, dann brauche ich schon eine gewisse Planungssicherheit.“

Also Zufriedenheit allerorten? Das überrascht, denn lange war die Debatte um die IT-Auslagerung von Horrormeldungen geprägt. „2002 beispielsweise war zwar ein Rekordjahr für Outsourcing“, sagt Gianluca Tramacere, Analyst beim Marktforschungsunternehmen Gartner, „aber unglücklicherweise war es auch ein Rekordjahr für die Zahl der Firmen, die mit Outsourcing-Deals unzufrieden waren.“ Verträge, bei denen sich erst im Nachhinein herausstellte, wie teuer sie die Kunden kamen, und Klagen über die mangelnde Qualität der erbrachten Leistungen durch die Outsourcer, zum Beispiel bei der Belegschaft der Deutschen Bank, prägten das Bild.

Mittlerweile scheint sich das Klima gewandelt zu haben. Heute sind 85 Prozent der von Lünendonk und Techconsult Befragten mit ihrem Outsourcing-Anbieter zufrieden. „Aus Sicht der Anwender ist eine gute partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Dienstleister der wichtigste Faktor für positive Erfahrungen“, sagt Frank Schmeiler, Berater bei Techconsult. „Bei den negativen Erfahrungen werden vor allem nicht eingehaltene Ziele, eine schlechte Abstimmung zwischen Kunde und Dienstleister sowie nicht eingehaltene Service- Level- Vereinbarungen genannt.“ Nur ein Prozent der Befragten will die IT wieder zurückins Haus holen.

Vieles ist schon Standard

Doch so weit vor wie die Komplettauslagerer bei B.r.a.h.m.s. oder BHS Tabletop wagen sich die wenigsten. Das Stichwort heißt Selective Outsourcing. Das Vorhalten und Pflegen von Internetseiten etwa überlassen laut der Lünendonk/ Techconsult-Untersuchung 54 Prozent der Befragten den Dienstleistern, 45 Prozent geben auch die Anwendungsentwicklung ganz oder teilweise in fremde Hände. 37 Prozent kümmern sich nicht selbst um das Managen von Geschäftsanwendungen, 33 Prozent haben die Server aus dem Haus gegeben. Vor allem die beiden letzten Bereiche würden immer stärker nachgefragt.

Unter anderem beim 180 Mitarbeiter starken Folienhersteller Leebfolien in Memmingen wird selektives Outsourcing praktiziert. Das Unternehmen hat seine SAP-Systeme an Freudenberg IT in Weinheim ausgelagert. Nachdem der ehemalige IT-Leiter ausgeschieden war, sollte Bernd Finkenzeller, der damalige Leiter Controlling, auch die Verantwortung für die IT übernehmen. Damit war klar, dass er Entlastung durch Externe brauchte. Die Partnersuche war allerdings kniffelig. Einsteinet, der erste Anbieter, für den sich das Haus entschieden hatte, meldete im Sommer 2003 Insolvenz an. Innerhalb einer Woche zog die Warenwirtschaft daraufhin auf die Server der Freudenberg IT in Weinheim um. „Das sind auchMittelständler, die sind ungefähr so groß wie wir. Die Zusammenarbeit ist sehr eng und sehr persönlich“, sagt Finkenzeller. Und darauf kommt es gerade beim Outsourcing vielen Firmen an.