Die Kunst des Einfachen

Was macht eigentlich ein...Usability Professional?

08.10.2009 von Peter Ilg
Usability Professionals sorgen für benutzerfreundliche Systeme. Dafür müssen sie herausfinden, wohin Menschen schauen und was sie sich merken können.

Die meisten Menschen meiden Formulare. Wenn die Formblätter dennoch ausgefüllt werden müssen, soll das reibungslos geschehen, sei es auf dem Papier oder am Bildschirm. "Allein durch den Aufbau einer Website können die Augen des Lesers so geführt werden, dass der nächste Schritt eindeutig ist", sagt Julian Siehl. Der 36-Jährige weiß, was Menschen in welcher Darstellungsform am besten wahrnehmen können und wie viel Information sie verkraften, ohne am nächsten Schritt zu scheitern. Das hat er im Psychologiestudium gelernt. Seine Schwerpunktfächer Mensch-Maschine-Interaktion und Informationswissenschaften runden sein Profil als Usability Professional idealtypisch ab.

Einstiegsgehalt bei 41.000 Euro

Die German Usability Professionals' Association (UPA) (www.germanupa.de) hat in einem Arbeitspapier Aufgaben von Experten für Benutzerfreundlichkeit beschrieben und die rund 600 Mitglieder der Vereinigung im ersten Halbjahr 2009 nach Aus- und Weiterbildung, Zufriedenheit und Gehalt befragt. Nach Verbandsangaben gibt es rund 2000 bis 3000 Spezialisten in Deutschland, die sich mit der Gebrauchstauglichkeit unterschiedlicher Produkte beschäftigen - seien es Internet-Anwendungen, Fahrkartenautomaten oder Handys. "Wettbewerbsvorteile werden vor allem über die Art und Weise der Benutzung von Systemen erzielt. Das haben die Unternehmen erkannt, deshalb steigen die Ansprüche und damit die Nachfrage nach Usability Professionals", sagt Clemens Lutsch. Er ist Leiter des Arbeitskreises Berufsfeld Usability in der German UPA.

Arbeitgeber sind hauptsächlich Softwarehäuser oder Agenturen, die sich auf das Thema Bedienbarkeit spezialisiert haben, beispielsweise wie SirValUse oder UI Design. Durchschnittlich liegt das Anfangsgehalt bei etwa 41.000 Euro jährlich und steigt signifikant mit zunehmender Berufserfahrung. Die Usability-Profis schätzen an ihrem Job vor allem die Vielfalt der Aufgaben. Fast 90 Prozent haben ein Studium in Design, Psychologie, Medien, Informatik oder BWL absolviert.

Julian Siehl, 1&1 Internet AG: 'Usability ist ein Überzeugungsjob, bei dem man Argumente braucht.'

Siehl ist bei der 1&1 Internet AG für die Nutzungsqualität der Seiten Web.de, gmx sowie 1&1 verantwortlich. Im Labor des Unternehmens arbeitet er mit der Eye-Tracking-Methode. "Damit erheben wir Daten von Versuchspersonen, um festzustellen, ob der Vorgang problemlos ablaufen kann." Lautes Denken ist eine übliche Vorgehensweise. Der Proband sagt, was er denkt, und eine im Bildschirm integrierte Scan-Technik zeichnet seine Augenbewegungen auf. "Das hilft uns zu erkennen, welche Elemente übersehen werden, welchen zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und ob die Struktur und der Aufbau einer Seite den Blickverlauf optimal unterstützen."

Siehl kümmert sich darum, dass Neukunden nicht schon am Einrichten ihrer E-Mail-Adresse scheitern. Für seine Aufgabe sind Kenntnisse der kognitiven Psychologie notwendig. "Schließlich müssen Interessenten aus unterschiedlichen Zielgruppen größere oder kleinere Felder auf dem Bildschirm finden und ihre Bedeutung verstehen." Daneben sind kommunikative Fähigkeiten gefragt: "Usability ist ein Überzeugungsjob, bei dem man Argumente braucht."

Der Traum vom benutzerfreundlichen Fahrscheinautomaten

Das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) forscht an einem Objekt, das ähnlich unbeliebt ist wie Formulare. "Wir beschäftigen uns mit der Frage, ob ein multimodaler Fahrscheinautomat sinnvoll wäre", sagt Cornelia Hipp. Durch den Mix aus Grafik und Sprache wäre ein solches Gerät leichter bedienbar. "Sprache wird dann genutzt, wenn sie die bessere Variante ist, dasselbe gilt für das grafische Interface", erklärt Hipp. Der Vorteil der Sprache: Mit einem Satz kann man sich unmissverständlich ausdrücken, etwa: "Ich will heute um elf Uhr von Stuttgart nach München mit dem ICE fahren." Eindeutiger geht es nicht. Sollte das Wort "Stuttgart" nicht richtig verstanden worden sein, eignet sich eine grafische Auswahl für den zweiten Versuch besser als die Aufforderung zur nochmaligen Spracheingabe.

Cornelia Hipp hat Medieninformatik studiert und arbeitet nun als Usability Engineer am Fraunhofer- Institut in Stuttgart.

"Usability Professionals müssen wissen, welche Interaktionsmöglichkeiten es gibt, um beide Modalitäten sinnvoll miteinander zu verknüpfen, und ihnen muss klar sein, welche im speziellen Fall die richtige ist", so Hipp. Die 29-jährige hat an der Universität Ulm Medieninformatik studiert und arbeitet als Usability Engineer am Stuttgarter Fraunhofer IAO. Im Hauptstudium hat sie sich mit Usability Engineering beschäftigt, also mit der Frage: Wie überträgt man Kognitives auf Ergonomie?

Dieter Wallach, Professor für Medieninformatik an der Fachhochschule Kaiserslautern, hält die Kombination von Informatik, Psychologie und Design für das beste Profil von Experten. In diesem Studiengang gibt es die Vertiefungsrichtung Human Computer Interaction, und die Absolventen arbeiten häufig als Usability Professionals. "Unser Ziel ist es, Menschen an der Stelle mit passender Technologie zu unterstützen, wo der Denkapparat Hilfe braucht. Es geht uns darum, Systeme einfacher und sicherer bedienbar zu machen", beschreibt Wallach das Ziel von Usability Professionals. Obwohl das selbstverständlich erscheint, ist Benutzerfreundlichkeit etwas, wofür die Experten oft gegen zähe Widerstände kämpfen müssen.

Usability-Experten haben gute Chancen

CW: Herr Wallach, Sie sind Deutschlands erster Professor für Human Computer Interaction. An den Universitäten Siegen und Duisburg-Essen entstehen die ersten Master-Studiengänge in Human Computer Interaction. In Kaiserslautern ist ebenfalls einer geplant. Warum ist das Thema plötzlich so relevant?

Dieter Wallach ist Deutschlands erster Professor für Human Computer Interaction.

WALLACH: In der Softwareentwicklung gab es eine lange Phase, in der bei Computersystemen die Funktionalität im Vordergrund stand - bedient wurden diese Systeme überwiegend von Experten. Heute ist dies anders, fast jeder Mensch kommt mit Computern in Berührung, und Bedienbarkeit ist ein wesentliches Kriterium bei Kaufentscheidungen, ob am Fahrkartenautomaten, im digitalen Warenhaus oder auf dem Handy.

CW: Welches Wissen braucht man, um Benutzer gut zu bedienen?

WALLACH: Usability Engineering ist ein interdisziplinäres Anwendungsfeld, entsprechend sollte die Ausbildung sein. Ein Studium der Medieninformatik stellt eine praxisorientierte Grundlage dar - die entstehenden Master-Studiengänge bieten darauf aufbauend eine zielgerichtete Verknüpfung von Informatik, Design und Psychologie.

CW: Sie selbst sind Informatiker und Psychologe. Das ist eher eine seltene Kombination.

WALLACH: Sie entpuppt sich aber für diesen Bereich als günstig. Um interaktive Systeme so bauen zu können, dass sie dem menschlichen Denkapparat angemessen sind, muss man wissen, wie unser kognitives System funktioniert. Usability Professionals sind keine Künstler, deren Ziel sich darin erschöpft, ein schönes User Interface zu bauen. Effiziente Systeminteraktion steht ebenso im Fokus wie Fragen der technischen Realisierbarkeit. Selbstverständlich ist das visuelle Design eines User Interface von nicht zu unterschätzender Bedeutung - Menschen bedienen lieber ästhetisch ansprechende Systeme als weniger attraktive.

CW: Wie schätzen Sie den künftigen Bedarf an Usability Professionals ein?

WALLACH: Der Arbeitsmarkt, der in Deutschland entsteht, dürfte bereits jetzt so groß sein, dass er nicht durch die Absolventen einschlägiger Studiengänge gedeckt werden kann. Zudem sind die Einkommensaussichten für Usability Engineers durchaus attraktiv. Die Einstiegsgehälter steigen ständig.

Wo man sich zum Usability Experten fortbilden kann