Analyse des Wall Street Journal

Was läuft falsch bei HP?

08.11.2012 von Joachim Hackmann
Für eine langfristig erfolgreiche Neuausrichtung von Hewlett-Packard (HP) sind Verlässlichkeit auf dem CEO-Posten, eine verantwortungsvolle Ausgabenpolitik und frische Produkte unerlässlich.
Die Garage, in der die HP-Story seinen Anfang nahm.
Foto: HP

Unbeständige Strategien, altbackene Produkte, verunsicherte Mitarbeiter und ein Börsenkurs um Sinkflug - HPs Krankheitssymptome sind vielfältig, die Ursachen nicht. Das "Wall Street Journal" führt sämtliche Probleme auf die Unbeständigkeit in der Unternehmensführung zurück: Zu viele CEOs haben in zu kurzer Zeit zu viele unterschiedliche Strategien verfolgt.

Die Wirtschaftszeitung hat sich in ihrer ausführlichen Analyse "What's Gone Wrong With H-P?" mit dem einst großen und stolzen IT-Konzern intensiv auseinander gesetzt. Wir fassen die wichtigsten Aspekte zusammen:

Im Jahr 2010 strotzte HP noch vor Zuversicht. HP sei das "größte IT-Unternehmen der Welt", befand der damalige CEO Mark Hurd. "Wir schöpfen unser volles Potenzial noch gar nicht aus." Zwei Jahre und zwei CEOs später wackelt der Konzern bedenklich. In kurzer Zeit sackte die Marktkapitalisierung von einstmals mehr als 100 Milliarden Dollar auf weniger als 30 Milliarden Dollar. Vergangene Woche erreichte HPs Börsenkurs ein neues Zehnjahrestief.

Die aktuelle Unternehmenslenkerin Meg Whitman hat dem Konzern, der Drucker, PCs, Server, Software und Services sowohl im Privat- als auch im Geschäftskundensegment verkauft, eine ernüchternde Bilanz vorgelegt: Das Unternehmen habe veraltete Produkte und pflege überholte interne Prozesse; ihm fehle eine Patentlösung für eine erfolgreiche Wende. Im kommenden Jahr werde der Gewinn erneut schwinden und vor 2015 sei kein bedeutendes Umsatzwachstum zu erwarten.

Das Wall Street Journal reduziert HPs Schwierigkeiten auf vier Kernprobleme:

Wechselnde Führungskräfte

Seit 2005 haben mit Carly Fiorina, Mark Hurd, Leo Apotheker und Meg Whitman vier CEOs ihr Glück versucht. Jede Führungskraft brachte ihr eigenes Management-Team mit, viele stießen von außerhalb zum Unternehmen. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben wiederum mehr als zwei Dutzend Manager, die mindestens die Position eines Senior Vice President bekleideten, das Unternehmen verlassen.

Auf einem Meeting mit Finanzanalysten räumte Whitman ein, dass Konstanz ein vorrangiges Ziel sein müsse. Die vielen Wechsel seien Ursache für unbeständige Unternehmensstrategien und hätten bedeutsame Fehler nach sich gezogen. Exemplarisch ist das Hickhack um die Printer- und PC-Sparte: 2005 hatte Fiorina beide Bereiche zusammengelegt, ihr Nachfolger Hurd machte die Entscheidung rückgängig.

Leo Apotheker, bis 2011 CEO bei HP, wollte die PC-Sparte verkaufen.
Foto: SAP AG

Als Hurd im Jahr 2010 gehen musste, leitete der neue Chef Apotheker den Verkauf der PC-Sparte ein. Apotheker stolperte über die umstrittenen Pläne und wurde entlassen. Whitman betonte wiederum die Bedeutung der PC-Sparte für das Unternehmen. Die diversen CEOs haben rund 75.000 Mitarbeiter entlassen oder entsprechende Pläne angekündigt. Aktuell verfolgt Whitman das Ziel, bis zu 29.000 oder acht Prozent der 349.000 HP-Arbeitsplätze zu streichen.

Meg Whitman, derzeitige CEO bei HP, betont die Bedeutung der PC-Sparte für HP.

Die fortwährenden Umstrukturierungen und Kürzungen haben eine verunsicherte Belegschaft hinterlassen. Viele haben ihr Vertrauen in die Führungsmannschaft verloren, beobachtet Kimberly Elsbach, Professor an der University of California und Autor verschiedener Analysen über HP. "Die Unruhe durchdringt die Belegschaft und beeinträchtigt die Mitarbeiter dauerhaft", fasst er zusammen.

HPs aktueller Lösungsansatz: Trotz Job-Abbau erwartet Whitman, das Ruhe ins Unternehmen einkehren wird. Ein stabiles Management-Team werde in eine konsistente Strategie münden und somit die Moral der Mitarbeiter stärken. Sie jedenfalls habe vor, CEO zu bleiben.

Dürftige Investitionen

HPs Ex-CEO Mark Hurd schaffte es, den Gewinn des Konzerns immer wieder zu verbessern. Das gelang ihm zum Teil, indem er die Ausgaben für Programme kürzte, die langfristigen Erfolg versprechen. Der Etat für Forschung und Entwicklung sackte beispielsweise von 3,5 Milliarden Dollar pro Jahr bei Hurds Amtsantritt auf drei Milliarden Dollar zum Zeitpunkt seiner Demission.

Zu den Sparten, die unter Hurds Kürzungen besonders zu leiden hatten, zählte die Service-Sparte. Nach der 13 Milliarden Dollar teuren Übernahme von EDS im Jahr 2008 musste sie einige tausend Stellen streichen, obwohl bekannt war, dass das Outsourcing-Geschäftsmodell von EDS enorme Investitionen in Niederlassungen, IT-Equipment und Mitarbeiter erfordert und auf großen, langlaufenden Kundenverträgen fußt.

Nach drei Jahren voller Kürzungen erklärte HP-Chef Apotheker 2011: HPs Servicegeschäft verfüge nicht über die erforderlichen Mittel und Fähigkeiten, um im Wettbewerb um umfangreiche Aufträge zu bestehen.

Erst kürzlich hatten vier große HP-Kunden ihre Verträge nicht verlängert. Anders als das Druckergeschäft, das bei schlecht laufenden Verkäufen weniger Teile ordern und die Produktion drosseln kann, basiert das Servicegeschäft auf einer Vielzahl von Beratern und Mitarbeitern. Die Kosten parallel zum ausbleibenden Umsatz zu senken, mündet daher zwangsläufig in einen Teufelskreis. "Im Technologiegeschäft ist Kostensenken keine großartige Langfriststrategie", warnte Rob Cihra, Analyst bei Evercore Partners.

Im Analysten-Meeting räumte Whitman ein, dass frühere Einschnitte in der Produktentwicklung dem Unternehmen empfindlich geschadet hätten. Sichtbar sei dies besonders im schnell wachsenden Druckergeschäft, wo HP seinen Marktauftritt seit sieben Jahren nicht verändert habe.

HPs aktueller Lösungsansatz: HP plant Teile der Einsparungen, die man sich mit den Stellenstreichungen erhofft, in die Forschung und Entwicklung zu investieren. Zudem werde man neue Software einführen, um Abläufe im Verkauf zu verbessern und Mitarbeiter etwa im Consulting effizienter einsetzen zu können.

Schlechter Umgang mit Barmitteln

Wie andere große IT-Unternehmen verfolgt auch HP die Strategie, durch Akquisitionen neue Technologien ins Haus zu holen. Doch viele der großen Einkäufe erwiesen sich als Fehlinvestitionen, dampften die erheblichen Barmittel ein und bescherten dem Konzern einen hohen Schuldenstand. Das Unternehmen hat sich damit auf absehbarer Zeit der Möglichkeit beraubt, neue Deals zu finanzieren.

2007 konnte HP noch auf einen Vermögensstand von elf Milliarden Dollar verweisen, bei fünf Milliarden Dollar Schulden. In vier der sechs vergangenen Fiskaljahre gab HP nahezu das Doppelte des verfügbaren Cashflows für Akquisitionen sowie für Aktienrückkäufe aus. Am Ende des letzten Geschäftsquartals standen 9,5 Milliarden Dollar Barreserven rund 24 Milliarden Dollar langfristige Schulden gegenüber. Zum Vergleich: Oracle kann derzeit über 32 Milliarden Dollar und Cisco Systems sogar über 49 Milliarden Dollar verfügen. HP reiht sich in die überschaubare Liste der Technologie-Companies ein, die mehr Schulden als Barreserven haben.

Unterm Strich zeigt sich, das sich weder die Rückkaufprogramme noch die Übernahmen ausgezahlt haben.

Foto: Autonomy

Anfang des Jahres musste HP acht von dreizehn Milliarden Dollar der EDS-Übernahme abschreiben. Im Jahr 2010 hatte der Konzern den Mobile-Device-Anbieter Palm für 1,2 Milliarden Dollar übernommen, um das Geschäft ein Jahr später einzustellen und den Betrag abzuschreiben. Im vergangenen Jahr zahlte HP zehn Milliarden Dollar für die Akquisition der Softwareanbieters Autonomy. Erst kürzlich meldete der Konzern sinkende Einnahmen in diesem Geschäftszweig.

Zwischenzeitlich kaufte HP eigene Aktien im Wert von 20 Milliarden Dollar zurück. Derzeit verharrt der Aktienkurs auf dem niedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre. Die Rating-Agentur Moody's drohte bereits eine mögliche Rückstufung der HP-Bewertung an. Damit fiele dem Unternehmen eine mögliche Fremdfinanzierung von Übernahmen und Investitionen noch schwerer.

HPs aktueller Lösungsansatz: Whitman strebt Schuldentilgung und eine ausgewogene Balance zwischen Barreserven und Bankkrediten an, bevor Übernahmen denkbar sind. Zudem hat HP das Tempo beim Aktienrückkauf gedrosselt. In den vergangenen neun Monaten gab das Unternehmen für dieses Programm 1,5 Milliarden Dollar aus, in den vergangenen drei Monaten waren es nur noch 365 Million Dollar. Zeitgleich wuchs das Bargelddepot um 6,5 Milliarden Dollar.

Schrumpfendes Produktgeschäft

Laut Gartner-Zählung war HP im vergangenen Jahr Marktführer im PC-Geschäft. Während Lenovo stetig mehr Einheiten absetzt, schwankt HPs Abstz erheblich. Neueste Gartner-Zahlen vom dritten Quartal 2012 sehen Lenovo vorn.

Jeder bedeutende Geschäftsbereich bei HP steckt inmitten einer branchenweiten Schrumpfkur und verliert Marktanteile. Der weltweite PC-Verkauf war im vergangenen Quartal um acht Prozent rückläufig, weil Käufer Smartphones und Tablets bevorzugen. HPs Anteil am PC-Markt sackte laut IDC von 17,4 Prozent zu Jahresbeginn auf 15,9 Prozent im dritten Quartal 2012.

Der Markt für Drucker ging im jüngsten Quartal um drei Prozent zurück, ebenso der Absatz von Servern. Letzteres hat seine Ursache in einer unumkehrbaren Marktveränderung: Unternehmen wenden sich vermehrt Online-Services zu und benötigen dadurch weniger Hardware.

Schaden genommen hat HPs Business zudem durch die Auseinandersetzung mit Oracle. Der Datenbankkonzern, bei dem Ex-CEO Mark Hurd nur wenige Monate nach seinem Rauswurf bei HP als President anheuerte, hatte im März 2011 angekündigt, seine Software nicht mehr für Intels Itanium-Plattformen zu entwickeln, die HP wiederum in den High-end-Servern verbaut. Der Rechtsstreit zog sich über mehr als ein Jahr hin. Im August 2012 konnte HP einen Erfolg verbuchen: Der Santa Clara County Superior Court in San Jose, Kalifornien, entschied, dass Oracle vertraglich dazu verpflichtet ist, weiterhin Software für Itanium-Prozessoren zu entwickeln.

Während die Verkäufe schrumpfen, steigen die Kosten. Im Fiskaljahr 2011 wuchs die Belegschaft um rund 25.000 Mitarbeiter, obwohl sich schon rückläufige Einnahmen abzeichneten. In den ersten neun Monaten 2012 sackten die Einnahmen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um fünf Milliarden Dollar auf 90,4 Milliarden Dollar ab, doch die verkaufsgebundenen Kosten stiegen weiter.

HP habe durchaus wettbewerbsfähige Produkte im Portfolio, das Unternehmen sei aber "unfähig, den Mehrwert, den HP bietet, darzustellen", kritisierte Gartner-Analyst Martin Reynolds.

HPs aktueller Lösungsansatz: Die Tage des schnellen Wachstums sind für HP vorbei, vermutet Whitman, man werde künftig parallel zum Marktdurchschnitt zulegen. Den Profit will die Chefin verbessern, indem sie Produkte, die sich nicht gegenüber der Konkurrenz abheben, einstellt. Dazu zählt sicher die Hälfte der 2100 verschiedenen Laserdrucker. Zudem strebt Whitman ein frischeres Produktdesign insbesondere in der PC-Sparte an. (jha)