Pizza, Pillen, Projektarbeit

Was IT-Profis krank macht

30.06.2009 von Karen Funk
IT-Profis leiden viermal so häufig unter psychosomatischen Beschwerden wie der Durchschnitt der Beschäftigten in Deutschland. Sie greifen überdurchschnittlich häufig zu Antidepressiva und Psychopharmaka.
Oft bleibt nur der Griff in die Pillendose, um Erschöpfungserscheinungen entgegen zu wirken.
Foto: Gina Sanders - Fotolia.com

Die gesundheitlichen Probleme haben über alle Berufsgruppen hinweg in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Besonders betroffen sind jedoch die Beschäftigten in der IT-Branche, wie das Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) an der Rhein-Ruhr-Universität Essen und Duisburg in einem 2008 veröffentlichten Arbeitspapier zu gesundheitlichen Problemfeldern in der IT-Branche festgestellt hat.

Demnach leiden IT-Mitarbeiter, die in Softwareentwicklungs- und Softwareberatungsprojekten beschäftigt sind, bis zu viermal so häufig unter psychosomatischen Beschwerden (chronische Müdigkeit, Nervosität, Schlafstörungen und Magenbeschwerden) wie der Durchschnitt der Beschäftigten in Deutschland. Ferner zeigen 40 Prozent der Befragten eine Zunahme chronischer Erschöpfung, einem Frühindikator für Burnout. Rund 30 Prozent haben nach eigenen Angaben Probleme, sich nach der Arbeit zu erholen.

Nach einem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse von 2007 gibt es zudem eindeutige Indizien dafür, dass psychische Gesundheitsgefahren gerade für die IT-Branche zutreffen. Danach liegt der Gebrauch von Antidepressiva bei IT-Beschäftigten um 60 Prozent und der von Psychopharmaka um 91 Prozent höher als im Durchschnitt aller Beschäftigten.

Das Institut nennt in seinem Arbeitspapier acht mögliche Gründe, die für die gesundheitlichen Belastungen von IT-Mitarbeitern verantwortlich sein könnten:

1. Projektarbeit

Da IT-Beschäftigte heutzutage meistens in mehreren parallel laufenden Projekten arbeiten, komme es zu widersprüchlichen Arbeitsanforderungen, die als belastend empfunden werden. Das ist der Fall,

Gerade an der Schnittstelle zum Kunden komme es häufig zu belastenden Situationen. So können Service-Level-Agreements IT-Beschäftigte zusätzlich unter Druck setzen. Durch diese Vereinbarungen zwischen IT-Dienstleister und Kunden sind letztere nämlich in der Lage, unmittelbar auf die IT-Mitarbeiter des Serviceanbieters zuzugreifen. Ein weiteres Handikap der Projektarbeit ist die Arbeit beim Kunden, die die Kommunikation zum eigenen Betrieb erheblich einschränkt.

2. Die Arbeit wird kleinteiliger

Die Arbeit in der IT ist laut RISP deutlich kleinteiliger geworden. Viele Beschäftigte seien nicht mehr wie früher für übergreifende Prozesse verantwortlich, sondern nur noch für bestimmte Module. Dies stehe im Gegensatz zur beruflichen Identität der IT-Beschäftigten, was diese als besonders belastend empfinden.

3. Mehr Verantwortung, weniger Mittel

Die vielfach vorherrschenden neuen Management-Konzepte, wonach sich die Mitarbeiter viel stärker selbst organisieren und mehr Verantwortung übernehmen, sollen eine höhere Eigenmotivation und mehr Freiheiten für den Einzelnen bringen. Aber es gibt auch Nachteile: "Den Beschäftigten wird Verantwortung zugewiesen, ohne dass sie die nötigen Ressourcen für eine echte Handlungsfähigkeit bekommen", heißt es in dem Arbeitspapier. So komme es zu dem Paradox, dass die Angestellten "zwar wissen, dass sie die Ziele nicht erreichen können, sie aber dennoch dafür verantwortlich sind."

4. Gemeinschaftsgefühl geht verloren

Dem Arbeitspapier zufolge hat sich die Sozialordnung in den Unternehmen gewandelt. Identifizierten sich die Mitarbeiter früher stark mit den Arbeitsinhalten sowie ihrer Firma und empfanden ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit, so stehen heute die "Notwendigkeit möglichst effizient und kostengünstig zu produzieren" im Vordergrund. Dadurch würden Vertrauensbeziehungen unterwandert und das Gemeinschaftsgefühl gehe verloren, was die Mitarbeiter als Verlust erleben.

5. Schreckgespenst Arbeitslosigkeit

Besonders belastende Faktoren für IT-Mitarbeiter seien inzwischen die Themen Personalabbau und Arbeitslosigkeit. Galten die IT-Jobs einst als sicher und werde auch der IT-Fachkräftemangel immer wieder beschworen, so sehen sich viele IT-Mitarbeiter anderen Realitäten ausgesetzt: Offshoring, Nearshoring, Outsourcing, Auslagerung oder Entlassungen.

6. IT-Jugendwahn

Der IT-Branche haftet das Image einer jungen, dynamischen Branche an. In vielen IT-Unternehmen herrscht eine Kultur vor, die "Jugendlichkeit" propagiert. Allerdings hat der demografische Wandel inzwischen die hippe IT-Branche erreicht: Auch hier arbeiten zunehmend älter werdende Mitarbeiter, die in dieser Kultur häufig als "Auslaufmodell" oder "Low Performers" angesehen werden.

Dazu liefert das Arbeitspapier einige Zahlen: Das Durchschnittsalter von Systementwicklern liegt derzeit bei knapp über 30 Jahren (IG-Metall), das der Mitarbeiter in der IT-Branche allgemein bei 35 Jahren (Bitkom) und das der Beschäftigten in älteren, etablierten Unternehmen inzwischen bei über 40 Jahren (DiWA-IT). Der Anteil der über 50-jährigen hat zudem zwischen 1999 und 2004 um 78 Prozent zugenommen (Bundesagentur für Arbeit) und soll im Jahr 2015 einen Anteil von insgesamt 40 Prozent aller IT-Beschäftigten erreichen (IG-Metall).

7. Permanenter Weiterbildungsdruck

Ohne Weiterbildung geht es in keinem Job, das gilt ganz besonders für die schnelllebige IT-Branche. Wer hier nicht ständig auf dem neusten Stand ist, kann einpacken. Fortbildung ist also ein Muss, wird aber immer weniger organisiert angeboten. Vielmehr liegt es am Einzelnen, sich in seiner Freizeit und auf Eigeninitiative hin weiterzubilden, damit er beruflich Schritt halten kann. Das trifft natürlich in besonderem Maße auf die Freiberufler zu.

8. Bewegungsmangel und schlechte Ernährung

Nicht nur psychische Belastungen, sondern auch andere Begleiterscheinungen der Arbeit am Computer machen IT-Profis zu schaffen. Die Arbeit am Bildschirm kann zu Bewegungsarmut und Zwangshaltungen führen, so das Arbeitspapier weiter. Zwar sei das Klischee des Computer-Freaks, der bis spät in die Nacht an seinem Rechner sitzt und sich ausschließlich von Pizza ernährt, ein moderner Mythos und treffe nicht auf jeden IT-Job zu, aber ein Quäntchen Wahrheit sei doch dabei. Denn: Viele IT-Mitarbeiter ernähren sich unausgewogen und nehmen konzentrationsfördernde Mittel.

Das RISP will gemeinsam mit Partnern aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften und Weiterbildungsanbietern Strategien entwickeln, wie man Gesundheitsprobleme in der IT-Branche vorbeugen kann. Weitere Informationen zu dem Projekt finden Interessierte unter www.it-gesundheit.de.