SOA Days 2012

Was hat SOA mit Innovation zu tun?

04.07.2012 von Christoph Witte
Wenn der Hype geht, kommt Kritik, dann Effizienz und schließlich Innovation. Auf diesen Nenner ließe sich - sehr frei nach Gartner - der Lifecycle einer Technologie bringen. Dass die Service-Orientierung innovativ in die Branche hineinwirkt, verdeutlichte das diesjährige Jahrestreffen der SOA-Experten.
Foto: fotolia.com/ArchMen

Die "SOA-Days" standen diesmal unter dem Motto lnnovation. Johannes Helbig, neuerdings Chief Innovation Officer der Post, erläuterte, welche Rolle SOA und EAM dabei spielen können. Daimler-CIO Michael Gorriz berichtete, wie Serviceorientierung zum Wachstum des Gesamtunternehmens beitragen kann. Und die SOA-Innovation-Lab-Mitglieder Wilfried Reimann und Helge Buckow zeigten die Defizite auf, die Standardsoftwarehersteller in Sachen SOA und Cloud noch aufweisen.

iPad-Apps als Vorbild

"Einen der größten IT-Innovationsschübe im letzten Jahrzehnt hat Apple mit dem iPhone und dem iPad ausgelöst", erklärte Johannes Helbig zum Auftakt der Veranstaltung, die heuer zum ersten Mal von der Anwendervereinigung SOA Innovation Lab ausgerichtet wurden. Das iPad sei gerade zwei Jahre auf dem Markt, habe aber bereits eine neue Klasse von Devices etabliert und dafür gesorgt, dass den Konsumenten in Form von 1,3 Millionen Apps eine Fülle neuer Funktionen zur Verfügung stehe.

"Ich sehe im Business-Umfeld keine Entwicklung, die eine vergleichbare Schubkraft entwickelt hat", so Helbig. Diese Schubkraft habe sich auch deshalb entfalten können, weil die App-Entwicklung auf Prinzipien basiere, die für Enterprise Architekturen und SOA charakteristisch seien.

Die Prinzipien der Service-Orientierung setzen sich im IT-Markt immer mehr durch.
Foto: SOA Innovation Lab

Für Helbig gliedert sich das Thema Innovation in drei Spielarten: Sourcing-, Prozess- und Produkt-Innovation. In Sachen Prozessinnovation versetzten das Enterprise Architecture Management und die Serviceorientierung die Unternehmen in die Lage, ihre Fähigkeiten je nach Geschäftsprozess zu kombinieren. Die lose Kopplung der Domänen über Services mache das möglich. "Solange es gelingt, diese Servicearchitektur stabil zu halten, können Sie immer wieder Dinge ändern, ohne das Gesamtsystem in Frage zu stellen", erläuterte Helbig, "das hilft auch, die IT-Governance selbst zu dezentralisieren und Innovation dezentral zu betreiben."

Das Prinzip der losen Kopplung von Domänen über Services lässt sich nicht nur innerhalb eines Unternehmens anwenden, sondern auch zwischen unterschiedlichen Organisationen. Damit wird es möglich, die Wertschöpfungskette eines Unternehmens aufzubrechen und Teile davon an Partner oder verschiedene Lieferanten auszulagern.

Rekombination ist der Schlüssel

"Wettbewerbsvorteile werden die Unternehmen erzielen, die es schaffen, diese Rekombination ihrer Wertschöpfungsketten dynamisch zu gestalten", so Helbig, der auch dem Vorstand des SOA Innovation Lab vorsitzt. Er zeigte sich davon überzeugt, dass für Produkt- und Service-Innovation die neue Zusammensetzung der eigenen Fähigkeiten der entscheidende Erfolgsfaktor ist. Amazon sei dafür ein gutes Beispiel. Der Online-Buchhändler habe es geschafft, die im Online-Handel erworbenen Fähigkeiten - robuste, skalierbare IT-Systeme, Billing-Engines, intensive Kundenbetreuung etc. - so zu kombinieren, dass er praktisch im Alleingang eine neue Branche etablieren konnte: die der Cloud-Infrastrukturanbieter.

Innovation hängt, so machte Helbig deutlich, stark von den architektonischen Voraussetzungen eines Unternehmens ab: "Die Serviceorientierung ist beileibe kein reines IT-Thema, sondern sie durchzieht die gesamte Wertschöpfungskette. Von ihr hängt es ab, wie erfolgreich ein Unternehmen Innovation betreiben und in neuen Geschäftsfeldern agieren kann."

Modulstrategie als SOA-Analogie

Daimler nutzt die Modulstrategie - im Automobilbau und in der IT.
Foto: Michael Gorriz/Daimler

Weil die Vorteile der Serviceorientierung den Fachbereichen nicht einfach zu erklären sind, hat Daimler-CIO Michael Gorriz nach einer Analogie aus dem Fahrzeugbau gesucht. Fündig geworden ist er in der Modulstrategie, die Daimler zurzeit weltweit umsetzt. Dabei handelt es sich um einen Baukasten aus rund 100 Modulen, die künftig für alle Mercedes-Baureihen verfügbar sein sollen. Dabei entwickelt der Konzern nicht mehr einzelne Fahrzeugmodelle weiter, sondern Fahrzeugfamilien mit gleichen Fahrzeugarchitekturen. So gibt es bei Daimler nur noch einen Typ von Schiebedach, der in jede Fahrzeugklasse eingebaut wird. Ähnliches gilt für Telematikdienste oder Antriebe, die ebenfalls mehrfach verwendet werden.

Damit wird Komplexität deutlich reduziert, was zu besserer Qualität, kürzeren Entwicklungszeiten und geringeren Kosten beiträgt. "Unter dieser Prämisse sind auf Fahrzeugbau und im IT-Architektur-Management die gleichen Zielgrößen anwendbar", konstatiert Gorriz. Es gehe in beiden Fällen um Kosten- und Zeitersparnis, aber auch um mehr Flexibilität, Qualität und Kundorientierung: "Deshalb versteht es bei uns jeder, wenn ich sage, dass wir mit Serviceorientierung das Gleiche vorhaben, wie der Fahrzeugbau mit der Modulstrategie."

Querschnittsfunktionen zuerst

Daimler arbeitet kontinuierlich an seinem Domänenmodell
Foto: Michael Gorriz, Daimler

Angefangen hat Daimler dabei mit den Querschnittsfunktionen (Corporate Functions) Human Resources sowie Finance & Controlling. "Diese Bereiche schreien regelrecht nach Standardisierung", führte der CIO aus. Inzwischen verfüge Daimler zum Beispiel in Sachen Mitarbeiterverwaltung über einen weltweit standardisierten Prozess, der einheitlich von der IT unterstützt werde. Auch in Finance & Controlling arbeite man an globalen Lösungen, genau wie im Procurement, in Marketing und in Sales.

Das Domainen-Modell bringte, so lobte Gorriz, Business und IT zusammen: "Das ist wie eine gemeinsame Sprache, in der sich Fachbereiche und IT verständigen können." Mittlerweile habe der Automobilkonzern ein unternehmensweites Top-Level-Domain-Modell, in dem alle Geschäftsobjekte abgebildet sind und das zwischen den Hauptdomänen eine lose Kopplung realisiere: "Damit wollen wir bis 2015 unsere Applikationen um 40 Prozent reduzieren." Das Domänenmodell, das bis Ende des laufenden Jahres komplett implementiert sein soll, bilde die strukturierende Architektur.

Das Domänenmodell schlägt bei Daimler die Brücke zwischen IT und Business
Foto: Michael Gorriz, Daimler

Allerdings muss die Daimler IT vorher noch einige Integrationsarbeit leisten. Weil man nicht mit der Top-Level-Domain für den Gesamtkonzern begonnen hat, sondern mit den Domain-Modellen für die Fachbereiche, gibt es noch kein übergreifendes, an den Schnittkanten eindeutiges Model, sondern bislang noch zwölf ähnliche. "Mit den Domains der Fachbereiche zu beginnen, war theoretisch sicher nicht der sauberste Weg", räumte der CIO ein, "aber er war zur gegebenen Zeit der einzig gangbare." Die Erfolge, die man in den Fachabteilungen mit dem serviceorientierten Ansatz erzielt habe, hätten den Weg für die weiteren SOA-Pläne geebnet: "Anosnten wären die Vorteile lange Zeit rein theoretischer Natur geblieben."

Als nächste Agendapunkte auf dem Weg zur vollständigen Serviceorientierung stehen Ausbildungsmaßnahmen. Hinzu kommen die Anpassung des Governance-Modells sowie eine Adaption der Architektur-Tools auf das SOA-Paradigma.

Der Daimler-CIO betonte die Wichtigkeit eines einheitlichen IT-Operating beziehungsweise eines gemeinsamen IT-Prozessmodells. Der Automobilhersteller orientiert sich im Kern an den Itil-Prozessen, die er mit IT Strategy Management, Enterprise Architecture Management, Service Quality Management und Continuous Improvement sowie mit Skill Management und IT Financial Management flankiert. "Wenn Sie kein solches Modell haben, können Sie keine weltweiten Services betreiben; Ihnen fehlt praktisch das Fundament", warnte Gorriz.

Die Lücken der Standardsoftware

Um Standards ging es auch im Vortrag von Wilfried Reimann, verantwortlich für Enterprise Architecture & Innovation bei der Daimler AG, und Helge Buckow, Senior Knowledge Expert bei McKinsey Co. Sie berichteten über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe "SOA und Standardsoftware" im SOA Innovation Lab

Insgesamt ist, so das Fazit der beiden Experten, die "SOA Readiness" der einschlägigen Hersteller wie SAP oder Oracle ausbaufähig. Alle Vendoren hätten frühzeitig in SOA investiert, konzentrierten sich aber auf die technische und nicht auf die semantische Integration der Services.

Standardsoftware ist häufig noch lange nicht SOA- oder gar Cloud-fähig.
Foto: SOA Information Lab

Aus Anwendersicht müssten noch einige Hürden überwunden werden, damit Hersteller die nötige SOA-Reife erreichen, konstatierten Reiman und Buckow. Die SOA-Ansätze seien nach wie vor sehr herstellerspezifisch. Das gelte für die Sprache der Plattformen und die Technologien, die untereinander nicht kompatibel seien. Die Pakete benutzten zum Beispiel unterschiedliche Enterprise-Service-Busse (ESB) oder Repositories. Außerdem seien die Produkte nur "SOA-enabled", sprich: sie wiesen häufig einen service-orientierten Wrapper auf, seien im Kern aber nach wie vor monolithisch aufgebaut.

Auch das Business Modell der Hersteller ist meist nicht an das der serviceorientierten Architekturen angepasst, so die beiden Referenten. Anwender müssten immer noch das ganze Paket installieren, damit einzelne Services zur Verfügung stünden. Das gleiche gelte last, but not least auch für das Lizenzmodell. (qua)