Too little, too late?

Was hat das Nokia E7 zu bieten?

10.04.2011 von Manfred Bremmer
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das gilt auch für Smartphones wie das Nokia E7 - vor ein oder zwei Jahren wäre es noch State of the Art gewesen.

Ein schlechteres Timing kann es wohl kaum für ein Produkt-Launch geben: Nachdem das Nokia E7 auf der Hausmesse Nokia World im September vergangenen Jahres erstmals vorgestellt wurde, verpasste das als Business-Flaggschiff und Nachfolger der Communicator-Serie angepriesene Gerät wegen angeblichen Fertigungsmängeln zunächst das Jahresendgeschäft 2010. Als das Symbian-Smartphone dann endlich lieferbar war, hatte es Nokia-CEO Steven Elop bereits mit seiner Ankündigung, künftig auf Windows Phone zu setzen, endgültig auf das Abstellgleis befördert.

Qualität made in Finland

Doch Moment - nachdem die Finnen zumindest bis auf weiteres Symbian weiterentwickeln und die ersten Windows Phones mit Nokia-Logo nicht vor Jahresende erwartet werden, gebietet es die Fairness, dem Smartphone einen zweiten Blick (und darüber hinaus) zu schenken. Viel Überwindung kostet dies nicht, wie bereits das Consumer-Flaggschiff N8 (Praxistest) ist auch das E7 mit seinem Gehäuse aus eloxiertem Aluminium eine wahre Augenweide und nicht zuletzt sehr hochwertig verarbeitet. Erkennbar ist dies unter anderem - wie bei Autos - an den geringen Spaltmaßen. Wäre das E7 mit 124 mal 62 mal 14 Millimetern Abmessungen nicht etwas größer und mit 176 Gramm auch deutlich schwerer als das N8 (135 Gramm), das Volltastatur-Handy würde glatt als Doppelgänger durchgehen. Damit nicht genug ist der Aufklappmechanismus exakt und scheinbar für die Ewigkeit konstruiert, allerdings muss man den komplizierten Mechanismus erst mal verstehen. Details wie die vierzeilige Tastatur dokumentieren, dass Nokia aus der Kritik am (nur dreizeiligen) N97 gelernt hat. Da mehr Zeichen direkt zugänglich sind, geht das Tippen vergleichsweise zügig von der Hand.

Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7
Nokia E7

Möglich wurde die zusätzliche Zeile nicht zuletzt durch das größere Gehäuse, welches wiederum dem größeren 4-Zoll-Bildschirm geschuldet ist. Hier hat sich Nokia für einen AMOLED-Touchscreen entschieden, der dank ClearBlack-Technologie auch im Freien und selbst bei prallem Sonnenlicht sehr gut lesbar ist. Leider fiel die Auflösung mit 640 mal 360 Pixel aber relativ klein aus. Dies soll keine Pixelzählerei sein, vergleichbare Geräte mit 4-Zoll-Display haben aber bereits 800 mal 480 Pixel als Standard, wodurch sich Nokia unnötig Minuspunkte einhandelt. Was erschwerend hinzukommt: Auch bei anderen technischen Daten glaubt man nicht, dass sie zu einem über 600 Euro teuren Topmodell aus dem Erscheinungsjahr 2011 gehören. So verbaut Nokia einen mit 680 Megahertz getaktete ARM-11-Chipsatz mit nur 256 MB RAM, während die Konkurrenz bereits Dualcore-CPUs im Gigahertz-Bereich und 1GB Arbeitsspeicher einsetzt. Zugegeben: Die Modelle der Wettbewerber kommen indes aber auch nicht mit einem vergleichsweise mickrigen 1200 mAH-Akku aus - beim E7 reicht dieser trotz starker Beanspruchung mit Ach und Krach einen Arbeitstag.

Weitsichtige Kamera

Visitenkarten scannen? Ohne Autofokus keine Chance!

Geradezu unverständlich ist aber Nokias Auswahl bei der Kamera: So griffen die Finnen beim E7 nicht zu dem hochgelobten 12-Megapixel-Objektiv des N8, sondern entschieden sich für eine - sicher günstigere - 8-Megapixel-Kamera, die auch nicht von Carl Zeiss stammt und statt eines Xenon-Blitzes zwei LEDs besitzt. Dies alles wäre bei einem als Business-Smartphone deklarierten Gerät allein keine Tragödie. Problem ist vielmehr, dass die E7-Kamera kein Autofokus beherrscht. Das verwendete EDoF-Modul (Extended Depth of Field) kann Objekte unter 40 Zentimeter Nähe nicht scharf darstellen. Damit sind nicht nur Nah- und Makroaufnahmen unmöglich, praktische Tools wie Visitenkarten-Scanner funktionieren nicht, beziehungsweise nur mit Tricks.

Solide Grundausstattung

Zumindest hardwareseitig endet hier die größte Kritik, mit der restlichen Ausstattung muss sich das E7 keineswegs verstecken. So unterstützt das Gerät HSDPA (10,2 Mbit/s), HSUPA (2,0 Mbit/s) sowie WLAN (b/g/n). Auch (A-)GPS, Bluetooth 3.0, ein Kompass und verschiedene Sensoren gehören zum Standard. Außerdem verfügt das Gerät über 16 GB internen Speicher - auf eine Speichererweiterung per microSD-Karte wurde dagegen verzichtet. Stattdessen verfügt das Nokia-Smartphone über einen Host-fähigen USB-Port (USB On-the-Go), mit dem nicht nur Speicher-Sticks, sondern auch externe Festplatten (Voraussetzung: FAT-32) direkt beschrieben und gelesen werden können. Ein weiteres kleines Highlight ist der miniHDMI-Port zur Anbindung eines HD-fähigen Fernsehers, Displays oder Beamers. Nutzer können damit - etwa im Hotelzimmer - HD-fähige Videos (720p) mit Dolby-Surround auf einem Fernseher abspielen. Da auch das normale Handy-Display übertragen wird, eignet sich diese Funktion zudem für Videotelefonate oder zum Arbeiten (etwa in Kombination mit Bluetooth-Tastatur und USB-Maus), Surfen und Spielen am Smartphone. Löblich ist die Grundausstattung, an der sich andere Hersteller ein Beispiel nehmen können: Adapter für HDMI und USB-to-Go müssen nicht extra gekauft werden, sondern sind im Bundle bereits enthalten. Ein FM-Transmitter zur Übertragung von Musik auf das (Auto-)Radio wie beim Nokia N8 fiel dagegen (vermutlich) dem Rotstift zum Opfer.

Software

Über Symbian ist in der jüngsten Vergangenheit viel Schlechtes verbreitet worden, ein Teil der Kritik ist sicher angebracht. So hat der Hersteller Symbianˆ3 bereits verbessert hat - man denke nur an Symbian S60 5th Edition. Dennoch ist das auf Touch-Bedienung aufgerüstete Mobile-Betriebssystem selbst für langjährige Nokia-Nutzer eine Herausforderung, etwa bei der Suche nach bestimmten Einstellungen, Funktionen oder gar Programmen. Besonders hinsichtlich der Benutzeroberfläche wird der nun angepeilte Wechsel auf Windows Phone als bevorzugte Smartphone-Plattform verständlicher. So läuft nicht nur die Bedienung allgemein zäher als bei iOS, Android & Co, auch dem Homescreen entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen in Sachen Individualisierung, man denke nur an die riesigen fast statischen Widgets. Ähnliches gilt für den nach wie vor unhandlichen Browser - hier gibt es Opera Mobile als Alternative - und die Texteingabe, die trotz virtueller Tastatur ein extra Formularfenster erfordert.

Symbian 3
Symbian 3 Screenshots
Einer von drei Homescreens mit Widgets
Symbian 3 Screenshots
Einer von drei Homescreens mit Widgets
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Such-Widget auf Homescreen und virtuelle Tastatur
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Menü
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Menü in der Längsansicht
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Task Manager mit offenen Programmen
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Einstellungen
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Telefoneinstellungen
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Telefon in Längsansicht
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Programme
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Eingabe von Web-Adressen - nach wie vor in einem eigenen Fenster
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Quickoffice
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Videos & TV
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Videoeditor
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Medienauswahl im Videoeditor
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Storyboard im Videoeditor
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Menü der Bildbearbeitung
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Albenansicht im Music Player

Lob gebührt Nokia indes für die üppige Ausstattung an vorinstallierten Anwendungen. Hier ist an erster Stelle die - wenn man von den nervigen Erinnerungen an Tempolimits absieht - hervorragende und zudem offline-fähige Navigationslösung "Ovi Karten" zu erwähnen. Außerdem findet sich auf dem E7 die Vollversion "Quickoffice Dynamic Premium". Sie erlaubt nicht nur das Bearbeiten, sondern auch das Erstellen von Office-Dokumenten (Word, Excel, Powerpoint). Des weiteren gibt es Nokia Mobile VPN, F-Secures "Anti-theft for Mobile", die Spracherkennungs-App "Vlingo" sowie der "World Traveler" bereits vorinstalliert. Problematisch wird die Suche nach weiteren Anwendungen in Nokias AppStore-Pendant Ovi Store, denn die Auswahl ist stark begrenzt.

Interessant für Unternehmen, die Microsofts Unified-Communications-Lösung "Office Communications Server (OCS) 2007 R2" nutzen: Für das E7 liefert Nokia mit dem "Microsoft Communicator" einen mobilen Client mit, der Presence-Anzeige und Instant-Messaging ermöglicht. Daneben unterstützt das Gerät die Synchronisation via "Mail for Exchange". Über das dabei genutzte Microsoft-Protokoll "Exchange ActiveSync" sowie Tools von Drittanbietern ist auch ein eingeschränktes Remote-Management möglich.

Fazit: Die Tücken liegen im Detail

Beim E7 hat der Noch-Weltmarktführer Nokia eindrucksvoll demonstriert, was Handy-Bau "made in Finland" leisten kann. Egal, ob Apple, HTC, Sony Ericsson oder Research in Motion (bei den Highend-Modellen): Was die Fertigungsqualität anbelangt, übertrifft das E7 vergleichbare Smartphones um Längen. Schade ist , dass Nokia diesen hohen Qualitätsanspruch nicht konsequent verfolgt und ausgerechnet bei heute üblichen Details (Display, CPU, Akku, Kamera) spart - und das trotz eines Preises (629 Euro UVP), der ohnehin bereits überzogen erscheint. Besser sieht das Preis-Leistungsverhältnis bei dem bereits erreichten Straßenpreis von unter 500 Euro aus - bei diesem Betrag wird das Volltastaturgerät allmählich für Unternehmen oder preisbewußte Prosumer als Business-Smartphone interessant.