Was die IT-Zukunft bringt

12.11.2004 von Nick Jones
Die Entwicklung in der IT wird in einem atemberaubenden Tempo voranschreiten. Unternehmen erwarten tiefgreifende Neuerungen: von der Chip-Entwicklung bis zur Mensch-Maschine-Kommunikation.

Das war 1974: Intel brachte die ersten 8080-Mikroprozessoren auf den Markt, eine Floppy-Disk hatte einen Durchmesser von acht Zoll, fasste dabei gerade mal einige hundert Kilobytes, und Personalcomputer waren so groß wie Reisekoffer mit einer Rechengeschwindigkeit von einigen Megahertz - ein Speicher von 4K war damals viel. Seit 1974 scheint sich viel getan zu haben. Jedoch - die nächsten 30 Jahre werden nochmal um einiges spannender werden.

Stellen Sie sich diese Szenarien vor: zum Beispiel eine "Always-on"-Welt, in der man via Web-Services jederzeit und von überall innerhalb von 30 Sekunden auf unerschöpfliche Informationsquellen zugreifen kann; oder virtuelle globale Gemeinschaften, die sich innerhalb von Minuten zusammenfinden, um die Weltgemeinschaft betreffende Probleme und Krisen zu lösen; oder physikalisch implantierte Sensoren oder Speicher, die das menschliche Gehirn erweitern, und Küchenroboter, die Gedanken lesen und auf sie reagieren ...

Bildschirme verändern sich

Es scheint unwahrscheinlich, dass sich die technologische Evolution verlangsamen wird. Viele Entwicklungen sind bereits in der Pipeline (siehe "Hype Cycle neue Technologien") Hier eine kleine Auswahl meiner persönlichen Favoriten: Neue Bildschirmtechnologien, die 2004 auf den Markt kommen, werden allgemeiner verbreitet sein und mit elektronischer Tinte arbeiten. Displays auf Basis von elektronischer Tinte können groß, flexibel und kostengünstig sein; außerdem brauchen sie keinen Strom, solange sich die Anzeige nicht ändert. Auf lange Sicht wird sich aus diesen Displays echtes elektronisches Papier entwickeln. Stellen Sie sich einen Bildschirm vor, den sie falten oder zusammenrollen können; oder einen vollständig flexiblen A4-Tablet-PC, der nur einige Millimeter dick ist, mit dem Sie aber Inhalte aufrufen oder wiederherstellen können, wie Sie wollen.

Neue, schnellere und billigere Wireless-Technologien werden die Grundvoraussetzungen für eine vollständig vernetzte Gesellschaft schaffen. Wir werden in Zukunft ständig von verschiedenen Wireless-Technologien für Kurz- und Langstrecken umgeben sein. Einige der heutigen Technologien arbeiten mit 2,5G, 3G, WiFi und Zigbee. In einigen Jahren werden diese durch 3,5G, WiMax und Ultra Wideband (UWB) ergänzt. In zehn Jahren wird es wahrscheinlich 4G-Mobilsysteme geben, die in zweistelligen Megabitraten mit Taschencomputern kommunizieren. Die PCs, Handys und Handhelds der Zukunft werden mehrere Wireless-Standards nutzen können. Bis 2015 wird jeder durchschnittliche Großstädter in den USA oder Europa jederzeit in Reichweite verschiedener Wireless-Systeme sein; täglich wird er sechs verschiedene Wireless-Technologien nutzen.

In zwei Jahren werden drahtlose Verbindungen billiger sein als eine einfache Drahtverbindung mit niedrigen Datenraten. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Art und Weise, wie drahtlose Netzwerke organisiert und verwaltet werden. Die Netze von heute wie etwa WiFi oder Mobiltelefonie nutzen zentral kontrollierte und gemanagte Zugangspunkte oder Basisstationen, über die alles und jeder kommuniziert. Da Computing- und Wireless-Technologien immer billiger werden, wird auch die Zahl der vernetzten Geräte um einige Größenordnungen anwachsen.

Das Netz organisiert sich selbst

Das Management einzelner Geräte oder auch nur einzelner Gerätenetzwerke ist dann nicht mehr möglich. Muss es aber auch nicht, denn es wird Maschennetze geben, in dem jedes Gerät autonom ist. Das Netzwerk organisiert sich dynamisch selbst. Es gibt keine zentrale Kontrolle mehr. Auf ihrem Weg zwischen Quelle und Zielort springen die Botschaften von Knoten zu Knoten. Sie finden ihre Routen auf dynamische Weise; das Netzwerk kann sich selbst neu konfigurieren, wenn Knoten verloren gehen oder defekt sind.

Auch die Art und Weise, wie wir mit Computern interagieren, ändert sich. Haptik, druckempfindliche Materialien, Schwingungssensoren oder Gesten-, Blick- und Spracherkennung eröffnen endlose Möglichkeiten für neue Produkte, Services und Innovationen. Und in Kombination miteinander ermöglichen sie noch vielseitigere und intuitivere Interaktionen: Sprach- und Blickerkennung könnten beispielsweise in der Küche der Zukunft immer dafür sorgen, dass genau das Gerät auf Ansprache reagiert, das auch angeschaut wird. Die Computer der Zukunft werden aus biometrischen Daten wie Bewegung, Körpertemperatur, Puls und Hautwiderstand ablesen können, ob Sie gerade glücklich oder wütend sind oder schlafen. Irgendwann werden Computer buchstäblich Gedanken lesen können - wir erwarten derartige Geräte aber nicht vor Ablauf der nächsten zwei Dekaden. Dabei werden die ersten Anwendungen recht bodenständig sein wie etwa das An- und Ausschalten der Heimanlage oder des Lichtschalters.

Wenn Computer und intelligente Geräte größere Verbreitung in der Gesellschaft finden sollen, dann müssen sie noch kleiner, schneller und billiger werden. Und das werden sie, dafür sorgt allein schon das Moore’sche Gesetz, das auch weiterhin Gültigkeit haben wird, selbst wenn dem Silizium der Dampf ausgehen mag. Innerhalb der nächsten ein, zwei Dekaden werden wir das Potenzial für komplett neuartige Formen des digitalen Computings kennen lernen, die etwa auch aktive Elemente wie Molekulartransistoren und Protein-DNA-Logik nutzen.

Speicherkapazitäten wachsen

Auch die Speichertechnologien werden sich weiter verbessern. Die Kapazität einer bescheidenen Disk wird bis 2010 ein Terabyte pro Quadratzoll betragen. Neue Storage-Technologien zeichnen sich bereits am Horizont ab. Ein Beispiel ist die Millipede-Technologie von IBM, die MEMS-Aktoren für mikroskopische Kerbung von Kunststoff nutzt. Ein 40-GB-iPod von heute mag alle Musikstücke speichern können, die Sie besitzen - in 20 bis 30 Jahren könnte sein Nachfolger alle Lieder tragen, die je aufgenommen wurden.

Die größte Veränderung wird IT aber in der Gesellschaft leisten. In den 40er-Jahren waren Computer noch etwas sehr Seltenes und wurden für wichtige militärische Zwecke eingesetzt; in den 60er-Jahren kamen die ersten Mainframes und mit ihnen die Ausrichtung auf die Unterstützung von Geschäftsprozessen. Bis 2013 werden mehr als 200 Milliarden Prozessoren weltweit installiert sein - der Großteil davon in Endkundenprodukten, nicht mehr im Business-Bereich. Das mit den 90er-Jahren begonnene dritte IT-Zeitalter verlagert den Schwerpunkt auf den privaten Lifestyle-Bereich. Das populärste Beispiel dafür trägt schon heute fast jeder in seiner Tasche - das Mobiltelefon.

Das neue Zeitalter wird davon handeln, wie die Technologie soziale Prozesse unterstützt. Das hat fundamentale Auswirkungen sowohl auf die IT-Industrie als auch auf die Gesellschaft. Die fallenden Kosten für IT und Netzwerktechnologie führt dazu, dass hunderte Millionen Menschen mehrere Wireless-fähige Geräte wie Handys, Spielzeug und sogar Kleidungsstücke mit sich führen.

Informationen überall verfügbar

Der Netzzugang ist nur eine Frage von Sekunden und jeden Augenblick möglich. Alles, was je digitalisiert wurde, kann man sich in die eigene Jackentasche schicken lassen - überall und jederzeit. Jede Information, jeder Service, der einem bei einer Entscheidung hilft oder sonstige Unterstützung bietet oder auch nur unterhält, ist jederzeit überall zugänglich. Für den demokratischen Prozess ist das sehr viel versprechend. In Ländern, wo die Mehrheit der Bürger mit jedem jederzeit kommunizieren kann, können Regierungen den demokratischen Prozess kaum unterbinden.

Vernetzte Kunden werden besser informiert sein und können sich auf neuen Wegen über schlechten Service beschweren. Wenn mich ein Verkäufer ärgert, würde ich heute vielleicht einen altmodischen Beschwerdebrief schreiben. Meine Tochter könnte dagegen ein Foto von dem Verkäufer mit ihrer Handy-Kamera machen und dieses zusammen mit einer Beschwerdeliste im Web öffentlich machen. Darüber hinaus werden Bewertungssysteme wie etwa bei Amazon oder eBay für jedes vorstellbare Produkt oder jeden Service möglich. Die private IT-Nutzung in diesem Ausmaß wird noch viel höhere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Systeme stellen: ein abgestürzter Computer ist lästig genug - noch lästiger ist es, wenn man seine Kleidung neu starten muss. Noch schlimmer wäre das bei einem Herzschrittmacher. Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit werden zukünftige Schlüsselfaktoren in der IT sein.

Auch wird aufgrund dieser Entwicklungen in Zukunft dem Augenschein nicht mehr so leicht zu trauen sein: Hollywood bringt heute bereits synthetische Figuren auf die Leinwand, die von der Realität nicht mehr unterschieden werden können. Mit dem Voranschreiten des Moore’schen Gesetzes wird in einigen Dekaden mit einem Heim-PC möglich sein, wofür man heute noch ganze Serverfarmen benötigt. Wie wird man dann noch wissen, wie echt etwa Bilder vor Gericht oder in Zeitungen sind?

Um heute ein erfolgreiches Computersystem herzustellen, braucht man gute Designer, IT- Architekten und Programmierer. Wenn aber IT mehr und mehr zu einem Lifestyle-Accessoire wird, dann werden die Funktionen zunehmend hinter die Moden und Trends zurücktreten müssen. Für eine Bank etwa wird es dann nicht länger nur mehr darum gehen, Anwendungen zu entwickeln, die der Teenager nur nutzt - sondern er muss solche anbieten, die auf dem trendigsten Handy in der Stadt laufen und bei deren Nutzung sich ein moderner Teenager sehen lassen kann. Es müssen also Leute bei der Herstellung beteiligt werden, die diese Anreize schaffen können.

Ein Grund, warum wir heute in Spam begraben werden, liegt darin, dass die Systeme von heute keine Ahnung von Kontexten haben. Mein PDA oder PC weiß nicht, was ich gerade tue, wo ich bin, wie ich gelaunt bin und welche Informationen mir im Augenblick gerade zuträglich sind und welche mich nicht interessieren. Erst wenn ein Gerät über mehr Wissen über den Ort, den Kontext und den Zustand seines Users verfügt, kann es Informationen besser und in die richtigen Wege leiten. Und wer weiß - wenn ich gerade gut gelaunt bin und mich ganz entspannt auf dem Weg zum Golfplatz befinde, vielleicht bin ich dann eher empfänglich für die großartigen Werbeangebote anderer Golfclubs.

Billige und allgegenwärtige Vernetzung eröffnet interessante Geschäftsmöglichkeiten. Allgemein gilt hier: Sobald man ein Produkt vernetzen kann, kann man es auch mit einer neuen Funktion verbinden. Es gibt bereits vernetzte Waschmaschinen, die die Nutzung pro Waschgang abrechnen. Aber was ist mit Kühlschränken, die automatisch frische Lebensmittel bestellen? Oder eine vernetzte Wiese, die den Gärtner anruft, wenn sie gemäht werden muss? Und was ist mit vernetzten Verpackungen? Zum Beispiel könnte eine Cornflakes-Packung selbständig den Supermarkt verständigen, wenn sie leer ist. Und in der Zwischenzeit könnte die auf elektronischem Papier basierende Schachtel Nachrichten für die Frühstückslektüre anzeigen.

Jede Gesellschaft kontrolliert und entwickelt Technologien entsprechend ihres kulturellen Hintergrundes. Während in Nordamerika das freie Unternehmertum vorherrscht, zieht Europa eine eher staatlich gelenkte Vermittlung vor. Asien wiederum setzt meist auf einen Mix. Die Chancen und Möglichkeiten durch neue Technologien, aber auch die Gefahren werden in den nächsten 30 Jahren sicherlich größer sein als bisher. Eine ständig vernetzte Gesellschaft birgt auch die Chance auf mehr Demokratie. Regierungen werden sich viel schwerer dabei tun, die Informationslage zu kontrollieren, wenn jeder mit jedem jederzeit kommunizieren kann.

Angst vorm Ertrinken

Geheimnisse werden in diesem Klima nicht leicht bewahrt werden können. Die Privatsphäre wird sich nicht mehr dadurch definieren, ob persönliche Informationen zur Verfügung stehen - denn sie werden in irgendeiner Form verfügbar sein-, sondern wie man deren Verbreitung kontrollieren kann. Es besteht durchaus die Gefahr, dass wir in der Informationsflut in einer ständig vernetzten Gesellschaft ertrinken. Aber die Aussichten sind gut, dass uns in 30 Jahren exzellente Filter und Priorisierungs-Software davor bewahren werden. Jedenfalls wird die Frage danach, wie in Zukunft mit Technologie umgegangen wird, mehr denn je von jedem Einzelnen abhängen.