"Intern bewerben sich oft immer die gleichen Interessenten, auch wenn sie auf die freien Stellen weniger passen, und andere, die passen würden, bewerben sich nicht", schildert Heinrich Wottawa ein Problem, mit dem Personalleiter und Fachvorgesetzte zu kämpfen haben. Er empfiehlt, Mitarbeitern, die sich für eine Position interessieren könnten, einen diskreten Eignungstest zu ermöglichen. Fällt das Ergebnis gut aus, fühlen sie sich ermutigt; wenn nicht, weiß niemand, dass sie den Test gemacht haben, so dass sie sich ohne Gesichtsverlust zurückziehen können.
Wottawa ist Psychologieprofessor und leitet den Lehrstuhl für Methodenlehre, Diagnostik und Evaluation an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Unternehmen Eligo hat unter anderem die gleichnamige psychologische Personalsoftware und die Internet-Plattform "Perls" entwickelt. Benutzer, meist aus Personalabteilungen, können eingeben, welche Eigenschaften sie sich von den Bewerbern für eine freie Stelle in welchem Ausmaß wünschen. Perls und Eligo werten die Tests, die die externen oder internen Kandidaten online ausfüllen, entsprechend aus. Dabei spielen Rankings und Prozentzahlen eine Rolle - die Befürworter solcher Tests argumentieren mit Genauigkeit, Objektivität und Prognosequalität.
Verbreitet sind Persönlichkeits-, Intelligenz-, Konzentrationstests sowie Eignungstests für bestimmte Positionen und Berufe. Die Testfragen in Perls und Eligo spielen in alle diese Bereiche hinein. Auf der Liste der Projektkunden stehen vor allem große Firmen wie DHL, RWE und die Deutsche Bank. 300 bis 500 Bewerbungen auf 30 bis 50 Stellen sollte ein Unternehmen laut Wottawa pro Jahr mindestens bekommen, damit sich die Eligo-Produkte lohnen.
Test kommt mit der Post
Die Otto Group schickt Bewerbern sämtlicher Fachrichtungen mit der Post einen Predictive-Index-Test nach Hause. Er soll vorhersagen, wie sich der Prüfling in beruflichen Situationen verhalten wird und ob er menschlich zum Unternehmen passt. PI-Tests gibt es in vielen Versionen, bei einer gängigen soll der Kandidat von 86 Adjektiven alle ankreuzen, von denen er sich beschrieben fühlt. "In einer Organisation wie Otto, in der E-Commerce eine so zentrale Rolle spielt, soll jeder Mitarbeiter, gleich welcher Profession, an der Kultur des Gesamtunternehmens partizipieren und sie aktiv mitgestalten", argumentiert Recruitment-Abteilungsleiterin Ireen Baumgart. Auch Techniker müssten sich durch "Kommunikationsstärke, Teamgeist und Selbstreflexion" auszeichnen. Der Predictive-Index-Test ist bei Otto ein "ergänzendes Instrument" neben dem persönlichen Gespräch.
Lieber Word und Excel
"Der Aufwand war hoch, der zusätzliche Nutzwert gering", erinnert sich CIO Henning Stams an die extern gestützte Potenzialanalyse, mit der der Aluminiumoxid-Hersteller Almatis früher seine Mitarbeiter beurteilte. Davon sei man wieder abgekommen und verlasse sich jetzt auf intensive jährliche Überlegungen, was aus den Mitarbeitern werden und wie man sie fördern könne: "Für dieses Performance-Management benötigen wir keine Software von Externen. Unsere Standards lassen sich in Word und Excel abbilden." Auch Bewerber von außen unterzieht Almatis keinen Eignungstests, sondern beschränkt sich auf strukturierte Interviews. "Ich habe gelernt, in Personalfragen vor allem auf meinen Bauch zu hören", bilanziert Stams. "Wann immer ich anders gehandelt habe, war es im Nachhinein verkehrt."
Unternehmen, die mit Bewerbungen überschüttet werden, können mit automatisch ausgewerteten Online-Tests versuchen, vielen Kandidaten eine Chance zu geben und doch nur wenige einladen zu müssen. Das Risiko, einer Superfrau oder einem Supermann unbesehen abzusagen, sinkt durch die Tests. Herbert Wittemer, Personalleiter beim Ismaninger Systemhaus msg Systems, sieht sein Unternehmen und die Szene jedoch nicht so unter Druck: "Wir in der ITK-Branche leiden eher an Fachkräftemangel, daher sind die Bewerberzahlen etwas niedriger. Fachlich nicht geeignete Bewerbungen können wir auch ohne Eignungstests aussortieren." Um Fachkenntnisse, Berufserfahrung und Branchenwissen zu prüfen, genügten persönliche Gespräche.
Qualitätskriterien für Eignungsdiagnostik
Seit Juni 2002 gibt die DIN 33430 "Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen" vor. Auf Initiative der Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) kam im November 2011 mit internationalem Anspruch die ISO 10667 hinzu. Für solche offiziellen Qualitätskriterien sieht die Münchner Karriereberaterin Madeleine Leitner, eine Diplompsychologin, Bedarf: "Viele Personaler haben überhaupt keine Ahnung mehr von Eignungsdiagnostik und kaufen irgendwelchen Unsinn ein, zumal viele Verfahren von Personen entwickelt und vermarktet werden, die ebenfalls keine Ahnung haben." Auch viele der bekanntesten Persönlichkeitstests seien "schrecklich unseriös und unwissenschaftlich". Gute Eignungsdiagnosen könnten Hinweise geben, die dem subjektiven Urteil eines Personalers oder Fachvorgesetzten überlegen seien. Solche Tests zu entwickeln ist aber eine anspruchsvolle Fitzelarbeit.
Tests auf eigene Rechnung
Vor allem junge Leute und Menschen in beruflichen Krisen lassen sich auch ohne Zutun eines Arbeitgebers und unabhängig von Bewerbungen auf Eignungstests und Potenzialanalysen ein. Der "IT-IQ"-Test des IQ Professionals Institute aus Hürth kostet einzelne Teilnehmer 185 Euro, für Studenten ist er seit Anfang Juli gratis. Und Birgit Zimmer-Wagner erzählt von einem Kunden ihres Frankfurter Unternehmens Bewerber Consult. Nach einem schweren Unfall musste der Mann sich beruflich neu orientieren. Er absolvierte eine zweite Ausbildung, begann ein Fachhochschulstudium, schaffte aber die ersten Scheine nicht. "Er hat geglaubt, sich wegen seiner Verletzungen nicht gut konzentrieren zu können. Der Studienwahltest, den er auf unsere Empfehlung hin gemacht hat, hat ihm aber gezeigt, dass seine Konzentrationsfähigkeit besser ist als der Durchschnitt seiner Altersgruppe. So hat er gemerkt, dass seine Probleme woanders lagen. Dass er das Potenzial für einen erfolgreichen Abschluss hat, weiß er jetzt."
So können Sie sich vorbereiten
Auf Intelligenztests: Für Intelligenz gibt es viele wissenschaftliche Definitionen. Allgemein anerkannt ist keine. Intelligenztests prüfen vor allem logisches Denken und Abstraktionsfähigkeit. Beides ist trainierbar, weil es auf Mustern beruht. Wer schon 20 Zahlenreihen richtig fortgesetzt oder falsch fortgesetzt und dann die richtige Lösung verstanden hat, wird sich bei den nächsten 20 leichter tun. Wie sehr und wie dauerhaft, ist allerdings umstritten.
Auf Konzentrationstests: Konzentration kann man immer üben, indem man Arbeitsschritte und Gedanken zu Ende führt. Das muss man allerdings wollen. Das Gegenteil von Konzentration ist Multitasking.
Auf Persönlichkeitstests: Diese Tests fragen Meinungen, Neigungen und Haltungen ab. Der Prüfling kann versucht sein, so zu antworten, wie es zwar nicht der Wahrheit entspricht, mutmaßlich aber dem Unternehmen gefällt ("sozial erwünschte Antworten"). Dem vorbeugen sollen Fangfragen. Trotz seiner geringeren Erfahrung hat der Getestete aber durchaus Chancen, noch um eine Ecke mehr zu denken als der Tester. Vielleicht sollte man sich trotzdem besser irgendwo bewerben, wo man weniger lügen muss.
Lesetipps: Assessment-Center
Schriftliche Intelligenz-, Konzentrations- und Persönlichkeitstests kommen auch in Assessment-Centern vor. Ob man sich auf diese Auswahlveranstaltungen vorbereiten kann, ist umstritten. Führungskräfte sollen auf Unvorhergesehenes überlegt und schnell reagieren können, deshalb setzen die Psychologen und Personaler, die sich Assessment- Center ausdenken, einiges daran, die Vorbereitung der Kandidaten ins Leere laufen zu lassen. Das gilt auch für die schriftlichen Tests. Andererseits folgen auch Überraschungen Mustern, mit denen man sich im Voraus vertraut machen kann, und kein Assessment-Center besteht komplett aus neuen Erfindungen.
Wer sich auf die schriftlichen Tests oder ein ganzes Assessment-Center vorbereiten will, hat viel Ratgeberliteratur zur Auswahl. Ob er zu dem Buch von Christian Püttjer und Uwe Schnierda oder zu dem von Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader greift, ist Geschmackssache.
Hesse/Schrader bieten mehr Seiten und pro Seite mehr Text. Sie geben Erfahrungsberichte von Teilnehmern wieder und informieren über die Geschichte der Assessment-Center, die nicht im englischen Sprachraum, sondern in der "Heerespsychotechnik" der Reichswehr und der Wehrmacht begann.
Püttjer/Schnierda sind noch pragmatischer, arbeiten noch mehr mit Stichworten, Listen und kurzen Absätzen und steuern noch zügiger auf das jeweilige Problem zu.
Beide Bücher vermitteln eindrücklich, dass Assessment-Center auch testen, wie die Teilnehmer mit Misserfolgen umgehen. In manchen schriftlichen Tests ist es praktisch unmöglich, alle Fragen rechtzeitig zu beantworten. Wer hier fehl greift oder einige Fragen unbeantwortet lässt, ist noch im Rennen.
Jürgen Hesse, Hans Christian Schrader: Assessment Center und Management Audit für Führungskräfte. Ihr entscheidender Schritt auf der Karriereleiter, Berlin (Stark Verlagsgesellschaft) 2012 (340 Seiten, 24,95 Euro)
Christian Püttjer, Uwe Schnierda: Assessment-Center-Training für Führungskräfte. Die wichtigsten Übungen - die besten Lösungen, Frankfurt am Main (Campus Verlag) 2012, 294 Seiten, 24,99 Euro