Digitale Transformation

Warum ‚Smart Working‘ mehr ist als neue IT

16.05.2017 von Thomas Kuckelkorn
Gerade junge Unternehmen nutzen die Digitalisierung für disruptive Geschäftsmodelle, indem sie die neuen Bedürfnisse ihrer Kunden, Lieferanten und Partner in den Fokus stellen. Folglich ändert sich auch die Arbeitsumgebung – räumlich, technologisch und organisatorisch.

Nicht erst seit dem Grünbuch „Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (PDF) wurden die Herausforderungen und Möglichkeiten des neuen Arbeitens auch für die bundesdeutsche Poilitik zum relevanten Thema. Ausgangspunkt ist die Digitalisierung, die mittlerweile alle Branchen umfasst und Innovationen in ungeahnten Größen verspricht. Das führt sogar so weit, dass ganze Geschäftsmodelle an den digitalen Wandel angepasst oder gänzlich erneuert werden.

Mit neuen Geschäftsmodellen ändert sich auch die Arbeitsumgebung – räumlich, technologisch und organisatorisch.
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Gerade junge Unternehmen hinterfragen das traditionelle Business und entwickeln neue, disruptive Geschäftsmodelle. Aufgrund dieser Entwicklungen stellt das amerikanische IT-Marktforschungsunternehmen Gartner die drastische These auf, dass bis 2017 rund 20 Prozent aller marktführenden Unternehmen von all jenen Unternehmen überholt werden, die nach dem Jahr 2000 gegründet wurden.

Bereits etablierte Geschäftsmodelle scheinen dieser These rechtzugeben: Streaming-Portale wie Netflix lösen mit dem flexiblen On-Demand-Fernsehangebot den klassischen Videotheken-Service ab; Uber bietet mit seinem online vermittelten Fahrdienst eine Alternative zum regulären Taxiservice; Steuerberater stellen ihren Mandanten cloudbasierte Plattformen zur Verfügung, über die Dokumente und Informationen wesentlich schneller und effizienter ausgetauscht werden können. All diesen neuen Geschäftsmodellen gemein: Sie stellen Kunden, Lieferanten und Partner sowie deren digitalisierte Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Produktentwicklungen und Dienstleistungen.

Bricks, Bytes & Behaviour

In diesem Zusammenhang spielen auch die zahlreichen neuen Kommunikations- und Interaktions-Tools eine wichtige Rolle: Sie ermöglichen vor allem (potenziellen) Kunden beispielsweise aktiv über Social-Media-Portale auf das Unternehmen zuzugehen und Anfragen, aber auch Lob und Kritik öffentlich zu äußern. Dienstleistungen müssen somit wesentlich schneller und transparenter ausgerichtet sein. Basis bilden dabei drei strategische und technische Komponenten: Bricks, Bytes und Behaviour. Gemeint ist damit eine flexible Gestaltung der Arbeitsplätze (Bricks), die Etablierung effektiver IT-Lösungen (Bytes) und die Verwirklichung einer gemeinsamen Unternehmensvision (Behaviour). Sie sind die wesentlichen Säulen des neuen Arbeitens innerhalb eines Unternehmens sowie Ausgangspunkt für dessen digitale Transformation – und seinen wirtschaftlichen Erfolg.

Mit der Realisierung der drei Säulen des neuen Arbeitens – Bricks, Bytes und Behaviour – schaffen Unternehmen die Grundlage für einen Informationsaustausch – innerbetrieblich und auch innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette.
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Bricks: Flexible Gestaltung der Arbeitsumgebung

In immer mehr Unternehmen lässt sich schon jetzt eine gewisse Abkehr von traditionellen, festdefinierten Bürokonzepten – räumlich wie organisatorisch – beobachten. Das Smart Working von heute findet in flexiblen Arbeitsumgebungen (Bricks) statt, welche sich je nach Bedarf und Tätigkeiten der Mitarbeiter anpassen lassen. Mittels mobiler Trennwände können diese beispielsweise als Einzelarbeitsplätze oder Team-Office für größere und kleinere Gruppen genutzt werden. Immer bedeutsamer für ein produktives Miteinander werden zudem soziale Meetingpoints wie definierte Lounge-Bereiche und Kaffee-Ecken. In abgegrenzten Ruhezonen finden Mitarbeiter entsprechende Bereiche für kreative Arbeiten, die besondere Konzentration erfordern, und zur Regenerierung.

Arbeiten 4.0: Die Tätigkeiten der Mitarbeiter sind immer seltener lokal fest definiert, sondern verteilen sich auf verschiedene Orte und Zeiten.
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Diese Form des arbeitsplatzunabhängigen Arbeitens ist vor allem dadurch möglich, dass stationäre PC-Systeme nach und nach durch mobile Endgeräte wie Tablets und Laptops ersetzt werden. Da sich diese via Cloud-Computing nahezu problemlos in die unternehmenseigene IT-Infrastruktur integrieren lassen, wird auch das Arbeiten im Home-Office und von unterwegs immer bedeutsamer. Die Tätigkeiten der Mitarbeiter sind seltener lokal fest definiert; sie verteilen sich auf verschiedene Orte und Zeiten und verlagern sich eventuell sogar direkt hin zum Kunden, Partner oder Lieferanten. Diese geschaffene Mobilität bringt eine praktische Vernetzung bei gleichzeitiger Unabhängigkeit des Einzelnen mit sich.

Bytes: Effektive und zeitgemäße IT-Lösungen

Veränderte Raumansprüche und -nutzungen auf der einen Seite bedürfen technologischer Neuheiten, um dem Prinzip des Smart Workings gerecht zu werden. Die Lösung: Intelligente Arbeitswerkzeuge (Bytes), die miteinander kommunizieren und so die Mitarbeiter während der gesamten Arbeitsabläufe unterstützen.

Einige Unternehmen nutzen etwa ein digitales Archiv, in dem alle ein- und ausgehenden Dokumente in digitalisierter Form abgelegt werden. Über eine eingerichtete Schnittstelle wird dieses an weitere Software-Komponenten sinnvoll angeschlossen. Dazu zählen beispielsweise Input-Management-Tools, die papiergebundene und elektronische Korrespondenzen und Unterlagen klassifizieren, anschließend die enthaltenen Daten extrahieren und in nachgelagerte Systeme – DMS, FiBu, ERP, CRM etc. – exportieren. Auf diese Weise werden bereits einzelne wiederkehrende Abläufe digital abgebildet und unternehmensweit standardisiert.

Einen Schritt weiter gen ganzheitlicher IT-Infrastruktur gehen Unternehmen mit der Etablierung eines Enterprise Information Management (EIM). Dieses standardisiert die gesamte bestehende Informationslandschaft als solche sowie das Arbeiten in allen Abteilungen. Die einzelnen EIM-Komponenten helfen dabei, die Fülle der täglich das Unternehmen erreichenden Dokumente und Daten zu bündeln, das in ihnen enthaltene Wissen zu filtern und es vor allem für einzelne Arbeitsprozesse und somit wirtschaftlich nutzbar zu machen. Aus Big Data soll Smart Data werden. Dazu müssen Unternehmen zunächst klären: Welche Daten sind wichtig und valide, welche weniger? Somit zählt auch bei der Nutzung von Daten: Qualität statt Quantität.

Der große Vorteil eines ganzheitlichen EIMs gegenüber einzelner, statischer Insellösungen in den verschiedenen Abteilungen: Als zentrale Software erkennt sie den Prozess, in dem sich der einzelne Sachbearbeiter befindet, und weiß, welche weiteren Arbeitsschritte folgen bzw. erledigt werden müssen. Für die Verkettung von Prozess-Sachbearbeiter-Content sucht sie die benötigten Informationen hinsichtlich Aktualität und Vollständigkeit aus allen genutzten Systemen und Wissensquellen zusammen. Der jeweilige Sachbearbeiter bekommt diese über ein responsives Interface automatisch kontextsensitiv und nachvollziehbar bereitgestellt, um sie zu bearbeiten. Via cloudbasierter Lösungen ist dies problemlos auch unabhängig von Zeitpunkt und Ort möglich.

Zusätzlich lassen sich Informationen für alle relevanten Akteure der gesamten Wertschöpfungskette zur Verfügung stellen. EIM ist somit eine Art virtueller Organisator, mit dem Informationen transparent, benutzerfreundlich und schneller ausgetauscht werden können. Auf diese Weise wird das vernetzte und mobile Agieren im und über das Unternehmen hinaus gefördert – und schlussendlich lassen sich selbst die letzten Prozesse effizient steuern. Eine Entwicklung, die erheblich zur Optimierung der Servicequalität des Unternehmens beiträgt.

Behaviour: Gemeinsame Vision und Abkehr von straffen Hierarchien

Entscheidend ist, diese räumlich und technisch optimierten Arbeitskonzepte (Behaviour) schrittweise und bedacht zu etablieren. Im gesamten Unternehmen muss ein digitales Bewusstsein vorherrschen. Dazu müssen allen Mitarbeitern frühzeitig die Vorteile des neuen Arbeitens und der Prozessoptimierung aufgezeigt werden: Dass etwa digitalisierte Dokumente mithilfe einer abteilungsübergreifenden IT-Lösung deutlich schneller wiedergefunden werden als in raumgebundenen Papierordnen.

Es gilt auch, die Vorteile einer möglichen Umgestaltung bestehender Geschäftsmodelle zu verdeutlichen. Ein gutes Changemanagement ist daher essentiell. Die Geschäftsführung muss die neuen Ansätze als gemeinsame Vision des Unternehmens vorleben sowie Mitarbeiter aktiv einbinden und bei der Umgestaltung begleiten. Dabei ist es wichtig, auch in Form von Fort- und Weiterbildungsangeboten aktiv mit Bedenken etwa gegenüber Cloud-Computing aufzuräumen und Anreize für aktuelle wie zukünftige Angestellte zu schaffen.

Wie die dargestellten Bricks und Bytes zeigen, rückt beim Smart Working der einzelne Mensch stärker in den Fokus. Selbstmanagement, Selbstentfaltung, Selbstdisziplin und Selbstvertrauen sind wichtige Schlagworte. Das neue Arbeiten bringt einen größeren Freiraum mit sich, der aber vor allem gemäß vereinbarter Absprachen funktioniert. Seitens der Arbeitgeber muss ein höheres Maß an Vertrauen aufgebracht werden, dass Angestellte ihre Aufgaben auch im Home-Office selbstständig erledigen. Für Arbeitnehmer wiederum bedeutet das, auch abseits der klassischen Arbeitszeiten (9 bis 17 Uhr) erreichbar zu sein. Nur wenn der angestrebte Wandel auf allen Unternehmensebenen akzeptiert wird, können bestehende Geschäftsprozesse effektiv verändert werden.

Fazit

Die Verfechter des „Digitalen Darwinismus“ behaupten „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Diese höchst dramatische Prognose beinhaltet einen ernstzunehmenden Ansatz. Nur wenn Unternehmen ihre Kernkompetenzen durch die Nutzung der Digitalisierung stärken, schaffen sie es auch in Zukunft im Wettbewerb zu bestehen. Die zuvor erläuterten Säulen bilden dabei eine wichtige Basis. Eine digitale Transformation ist somit eine langfristige, zukunftsorientierte Umgestaltung, die schließlich über Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens mitentscheidet. Realisieren lässt sie sich vor allem durch eine regelmäßige Evaluation der eigenen Strategie: Welche Tendenzen und Entwicklungen sind für das Unternehmen wichtig? Auf welche muss es mit Blick auf die Zukunft aktiv reagieren – auch über Abteilungs-, Prozess- und grundsätzliche Unternehmensstrukturen hinaus?

Die Aussichten sind gleichwohl positiv: Mit dem Bitkom Digital Office Index wurden im Mai 2016 neue Zahlen zum „Stand der Digitalisierung in deutschen Unternehmen“ veröffentlicht. Diese besagen, dass 87 Prozent der befragten Teilnehmer den digitalen Wandel der Gesellschaft und der Arbeitswelt als große Chance für das eigene Unternehmen verstehen. Etwa die Hälfte nutzt IT-Lösungen für die Bearbeitung und Archivierung von Dokumenten und Informationen sowie für die Prozesssteuerung, etwa bei der Freigabe von Rechnungen. Auf diese Weise kann das in Dokumenten enthaltene Wissen gewinnbringend gesammelt und gefiltert werden. Denn zielgerichtet genutzt, bietet Wissen als wichtigste Handelsware von Unternehmen einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil.

Mit der Realisierung der drei Säulen des neuen Arbeitens – Bricks, Bytes und Behaviour – schaffen Unternehmen eine Grundlage für einen gewinnbringenden Informationsaustausch – innerbetrieblich und auch innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Somit geben die Säulen gerade für bestehende Unternehmen den Anstoß für eine digitale Transformation. Entscheidend ist jedoch, sich bewusst mit den technologischen, kommunikativen und organisatorischen Möglichkeiten und Neuheiten auseinanderzusetzen. Nur so können zukunftsorientierte Konzepte verwirklicht werden, die die Fähigkeiten der Mitarbeiter mit dem eigenen Geschäftsmodell in harmonischen Einklang bringen. (mb)