Mieten statt Leasen, Outsourcing statt Eigenleistung

Warum klassische TK-Anlagen out sind

16.11.2009 von Jürgen Hill
VoIP steht auch im Mittelstand vor dem Durchbruch. Wir sagen Ihnen, was Sie bei der Wahl der nächsten TK-Anlage beachten sollten und warum Mieten statt Leasen billiger ist. Auch Open-Source-Lösungen sollten für Sie kein Tabu mehr sein, wenn Sie beim Telefonieren richtig sparen wollen.

Die Sterbeglocken für die klassischen TK-Anlagen läuten lauter denn je. Über zehn Jahre, nachdem erste Networking-Hersteller in den USA VoIP groß propagierten, setzt sich die Technik auch hierzulande auf breiter Front durch. Sie ist nicht mehr länger eine Domäne der Großkonzerne, sondern kommt in immer mehr kleinen und mittelständischen Unternehmen zum Einsatz.

Siegeszug der IP-Technik

Mit VoIP hat die klassische TK-Anlage ausgedient,
Foto: France Telecom

Das Interesse an VoIP-TK-Anlagen hat mehrere Ursachen: Klassische TK-Anlagen wurden häufig mit einer Leasing-Laufzeit von fünf (mit Verlängerungsoption um fünf Jahre) oder zehn Jahren angeschafft. Nach der letzten Erneuerungswelle im Zusammenhang mit der Jahr-2000-Problematik steht nun wieder die Ablösung alter Geräte an. Zusätzlichen Migrationsdruck schafft die globalisierte Wirtschaft, die ein flexibleres Arbeiten verlangt - ein Punkt, an dem klassische TK-Anlagen oft passen müssen. Ebenso hapert es bei ihnen häufig in Sachen Skalierbarkeit.

Kommen neue Standorte hinzu, müssen neue Anlagen gekauft werden, und bei steigender Mitarbeiterzahl ist oft kein Upgrade möglich, sondern die Komplettanschaffung einer neuen Anlage erforderlich. Für die Migration in Richtung IP-Welt spricht zudem unter zwei Aspekten der Kostendruck: Zum einen lassen sich mit VoIP die Gesprächsgebühren senken, zum anderen verspricht eine ins IT-Netz integrierte Nebenstellenanlage (Private Branch Exchange = PBX) einen geringeren Wartungsaufwand und mehr Flexibilität.

Angesichts dieser Vorteile ist Joachim Trickl, Chief Operating Officer beim TK-Anbieter QSC, überzeugt, "dass in fünf Jahren nahezu hundert Prozent der deutschen Unternehmen eine IP-basierende TK-Anlage nutzen". Während der VoIP-Anteil bei kleinen und mittelständischen Unternehmen heute noch bei etwa 20 Prozent liegt, ist die VoIP-Migration bei großen Unternehmen nach den Erfahrungen von Matthias Feicht, Product Manager Unified Communications bei BT Deutschland, seit mehreren Jahren bereits im Gange.

VoIP-Trends Unabhängig von der Unternehmensgröße kristallisieren sich bei der Migration in die IP-Telekommunikation vier Trends heraus:

Damit hört es mit den Gemeinsamkeiten von Großkunden und Mittelstand schon auf. Cisco-Geschäftsführer Michael Ganser beobachtet, das Konzerne nach wie vor ihre PBX in Eigenregie betreiben, während sich der Mittelstand mit neuen Business-Modellen anfreundet. War dort bislang das TK-Outsourcing verpönt, können es sich Firmen mittlerweile durchaus vorstellen, ihre Telekommunikation in fremde Hände zu geben. Die Bereitschaft reicht dabei von der gemieteten Anlage über eine dediziert gehostete Lösung beim Provider des Vertrauens bis hin zu IP-Centrex-Lösungen, die im Prinzip nichts anderes als virtuelle mandantenfähige TK-Anlagen sind (siehe Kasten "Outsourcing-Wirrwarr"). Angesichts des Trends zum VoIP-Outsourcing sprechen viele schon in Analogie zur Entwicklung im Softwarebereich von VoIP as a Service (VaaS).

TK-Outsourcing

Während die großen Player der TK-Branche noch zweifeln, ob diese Entwicklung hierzulande ein neues Geschäftsfeld eröffnet, hat beispielsweise Avaya reagiert: Seit Neuestem offeriert das Unternehmen nicht nur zusätzliche Mietmodelle, sondern setzt auch auf den VaaS-Gedanken. "Diese Lösungen binden die Anwender nicht so langfristig wie das klassische TK-Leasing und ermöglichen eine sanftere Migration", nennt Andreas von Meyer zu Knonow, Geschäftsführer Mietlösungen und Managed Services bei Avaya, zwei Gründe für den Strategiewechsel. So könne ein Unternehmen schrittweise je nach den Restlaufzeiten der alten TK-Anlagen in die VoIP-Welt migrieren. Ferner partizipiere der Anwender flexibler an technischen Neuerungen wie etwa Unified Communications oder Collaboration und könne die bestellten TK-Services besser an seinen Bedarf anpassen.

Outsourcing-Wirrwarr

In Diskussionen um neue Business-Modelle für TK-Anlagen sollte der Anwender genau aufpassen, dass er und der Anbieter die gleiche Sprache sprechen. Während VoIP heute in der Regel nicht mehr mit der InternetTelefonie verwechselt wird, verwenden Hersteller und Anbieter die Begriffe rund um IP-basierende TK-Anlagen noch unterschiedlich. In der Praxis sollten aber folgende Definitionen gelten:

• IP-Centrex: Hierunter versteht man in der Regel eine virtuelle, IP-basierende TK-Anlage, die bei einem Provider gehostet wird. Allerdings steht die darunterliegende Hardware dem Kunden nicht alleine zur Verfügung. Vielmehr teilt er sich den Server in Form einer mandantenfähigen Anlage oder durch andere virtuelle TK-Anlagen mit weiteren Kunden. Das Management der Anlage selbst liegt nicht in der Zuständigkeit des Kunden. Per WebInterface kann er neue Anschlüsse, Rufnummern, Fax, Rufweiterleitungen etc. konfigurieren.

• Hosted VoIP: Die TK-Anlage, besser gesagt der Call-Server, steht ebenfalls bei einem Provider. Allerdings handelt es sich hier um einen dedizierten Server. In dieser Variante ist der Anwender meist für das komplette Management verantwortlich.

• Managed VoIP: Dieser Begriff wird in zwei Bedeutungen verwendet. Zum einen kann unter Managed VoIP eine gehostete Variante verstanden werden, bei welcher der Dienstleister das Management übernimmt. Eine andere Verwendung des Begriffs bezeichnet einen VoIP-Call-Server, der im Rechenzentrum des Anwenders steht. Per Fernzugriff übernimmt allerdings ein Dienstleister das Management der Plattform.

• SIP: Das Session Initiation Protocol ist heute der kleinste gemeinsame Nenner, wenn es um die Anbindung von IP-Geräten an eine VoIP-PBX geht. Deshalb sollte auf eine SIP-Fähigkeit nicht verzichtet werden. Spezielle Funktionen lassen sich allerdings in der Praxis oft nur mit den Telefonen bestimmter Hersteller realisieren.

Eine positive Resonanz in Sachen TK-Outsourcing verbucht auch der VoIP-Provider Sipgate. "In den ersten vier Monaten konnten wir für unsere neue IP-Centrex-Lösung Teamgate 1200 Kunden gewinnen", erklärt Pressesprecher Wilhelm Fuchs, der sonst lieber von Software as a Service (Saas) als von IP-Centrex spricht. Und zu den neuen Anwendern zählten beileibe nicht nur kleinere Unternehmen. So nutzt etwa die Eismann-Kette die Lösung in ihren Call-Centern.

Flexibler planen

Oft unterschätzt: Die Wahl des richtigen Telefons entscheidet häufig über die VoIP-Akzeptanz der Mitarbeiter.
Foto: Snom/Hill

QSC-COO Trickl spricht noch einen besonders wunden Punkt an: "Im Zuge der Finanzkrise bekommen viele Unternehmen keine Kredite mehr, um etwa eine neue TK-Anlage kaufen zu können." Leasing sei hier auch kein Ausweg, denn aufgrund der aktuellen Compliance-Regeln sinke damit die Kreditwürdigkeit der Firmen. Und last, but not least, so Trickl weiter, müssten viele IT-Leiter in Zeiten knapper Budgets mit spitzem Stift rechnen, ob ihre TK-Anlage nicht zu teuer sei.

Manche TK-Anlagen, die früher für die Zukunft gekauft oder geleast wurden, würden jetzt den wirtschaftlichen Vorgaben nicht mehr gerecht. "Und mit einer Mietlösung spart der Anwender 30 bis 40 Prozent seiner bisherigen TK-Kosten", sattelt Jens Blomeyer, Vorstand der Münchner Nfon AG, drauf. Die Münchner offerieren ihren Kunden eine virtuelle TK-Anlage, wobei der Anwender Nebenstellen (IP-Phone, Fax, Softphone etc.) monatlich hinzu- und abbestellen kann.

Preisbrecher Open Source

Seine günstigen Tarife erklärt Blomeyer unter anderem damit, dass er keinen klassischen Call-Server der etablierten Hersteller einsetze, sondern die Open-Source-Lösung Asterisk. Diese habe Nfon mit eigenen Modulen und Tools veredelt. Unter Kostenaspekten wird das Thema Asterisk auch bei QSC in Köln heiß diskutiert, erzählt COO Trickl. Derzeit nutzt das Unternehmen für seine VoIP-Services die Softwarelösung der Dortmunder Swyx und im IP-Centrex-Bereich Produkte von Broadsoft und Aastra. "Wir können uns aber vorstellen, auf der Asterisk-Plattform weiterzuentwickeln", so Trickl weiter.

Asterisk als Alternative

Nicht auf der Agenda steht Asterisk dagegen bei den etablierten VoIP-Anbietern. Weder BT und Cisco noch Avaya beschäftigen sich derzeit mit der Open-Source-Alternative. Mehr oder weniger unisono lautet die Antwort, dass das Großkunden nicht interessiere. Für diese Klientel sei die Optimierung ihrer Geschäftsprozesse mit Unified-Communications- und Collaboration-Anwendungen wichtiger. Zweigleisig fährt man dagegen bei der deutschen Funkwerk Enterprise Communications. Selbst entwickelt das Unternehmen seine noch aus Elmeg-Zeiten stammenden ICT-Anlagen zu hybriden VoIP-Lösungen weiter und baut aus der UTM-Hardware entsprechende VoIP/ISDN-Gateways.

Gerade die erfolgreiche ISDN-Vergangenheit in Deutschland bestärkte den Hersteller in dieser Entscheidung. "Asterisk dagegen", so Theo Mossdorf, Manager bei Funkwerk, "ist im Kern stark amerikanisch geprägt, so dass wir im ISDN-Land Deutschland nur geringe Synergieeffekte hätten." Allerdings scheint Funkwerk der Open-Source-Lösung keinen kompletten Korb geben zu wollen. Im Juni dieses Jahres veröffentlichte das Unternehmen eine Pressemitteilung über eine Partnerschaft mit der Kieler Addix Software GmbH. Dort war zu lesen: "Die gemeinsam entwickelten IP-PBX-Systeme, Astimax IP-1100 und Astimax IP-2100, basieren auf der embedded Linux Appliance von Funkwerk und der Asterisk-Plattform Astimax von Addix."

Während man auf Anbieterseite dem Thema Asterisk teilweise noch abwartend oder gar ablehnend gegenübersteht, haben namhafte deutsche Unternehmen und Institutionen bereits den Sprung in die Open-Source-TK-Welt gewagt: Zu den Nfon-Kunden zählen der ADAC und die Bavaria-Film. Und das Münsteraner Versicherungsunternehmen LWM, die Eon Ruhrgas AG sowie der Security-Anbieter Secunet, einer der IT-Sicherheitspartner des Bundes, setzen mit "Gemeinschaft" auf eine deutsche Asterisk-Weiterentwicklung. Diese kommt unter anderem, so die Referenzliste, beim Bundesministerium der Justiz und dem Bundespräsidialamt zum Einsatz. Wie eine Asterisk-Migration mit Gateway aussehen kann, zeigt unser Praxisbeispiel der Universität Würzburg (siehe "Asterisk in der Praxis").

Kostensparen mit

Open-Source-Alternative Asterisk

Eigentlich waren die Anbieter IP-basierender TK-Anlagen mit dem Versprechen angetreten, den Anwender aus der Abhängigkeit von den klassischen Anlagenbauern zu befreien und ihm die Telefonie zu geringeren Kosten zu liefern. Doch mittlerweile finden sich viele Anwender in einer ähnlichen Abhängigkeit wieder, und Zusatzfunktionen oder Änderungen müssen ebenfalls teuer bezahlt werden. Einziger Unterschied: Kam früher der Techniker vorbei und tauschte eine Platine aus, so gibt es heute in der IP-Welt einen Freischaltschlüssel per Mail oder USB-Stick.

Aus diesem Dilemma wollen die Verfechter der Open-Source-Idee die Anwender befreien, indem sie nicht nur geringere Kosten, sondern auch größere Freiräume bei der Weiterentwicklung versprechen. Die wohl bekannteste und mit mittlerweile fast zwei Millionen Downloads populärste TK-Plattform ist Asterisk. Die Software, die ihren Namen von dem Unix-Platzhalterzeichen "*" hat, geht auf eine Idee von Mark Spencer zurück, der 1999 den ursprünglichen Kernel schrieb. Heute ist die Software für

NetBSD, OpenBSD, FreeBSD, Mac OS X, Solaris, verschiedene Linux-Derivate und selbst Microsoft Windows als AsteriskWin32 verfügbar. Allerdings wird in Diskussionen gerne der Fehler begangen, Asterisk mit einer Telefonanlage gleichzusetzen. Korrekter wäre es, von einem Telefonanlagen-Betriebssystem zu sprechen, das mit zusätzlichen Modulen an den jeweiligen Einsatzzweck angepasst wird. In diesem modularen Ansatz liegt dann auch - zumindest aus deutscher Sicht - eine der Schwächen des Konzepts: Da Asterisk ursprünglich eine US-amerikanische Entwicklung ist, hapert es teilweise mit der Unterstützung von ISDN-Karten oder anderen europäischen Features. Gleichzeitig ist die Modularität jedoch einer der großen Vorteile von Asterisk.

Das System kann dadurch sehr individuell an die jeweiligen unternehmensspezifischen Bedürfnisse (etwa Call-Center oder Mitarbeiter in Home Offices) angepasst werden. Zudem existiert mittlerweile eine so große deutsche Entwicklergemeinde, dass auch nationale TK-Besonderheiten nicht zu kurz kommen. Ferner liefern etliche Hersteller Asterisk-kompatible Gateways, so dass die Anbindung an ISDN oder das GSM-Mobilfunknetz kein Problem mehr ist.