Vom "Local Hero" zum "Global Player"

Wachstum kann auch hinderlich sein

25.07.2012 von Bettina Dobe und Renate Oettinger
Mit dem Größerwerden muss sich auch die Unternehmens- und Führungskultur wandeln. Hubert Hölzl erklärt, warum.
Damit Pflanzen - und auch Firmen - wachsen können, ist eine passende Umgebung nötig.
Foto: Christian Malsch - Fotolia.com

Viele Mittelständler entwickelten sich im zurückliegenden Jahrzehnt zu High-Tech-Unternehmen und international agierenden Firmen - ohne dass sich ihre Unternehmens- und Führungskultur merklich wandelte. Das entpuppt sich zunehmend als Hemmschuh für die weitere Entwicklung. Freitagnachmittag, in der weihnachtlich geschmückten Kantine eines mittelständischen Maschinenbauers in Baden-Württemberg. Fast 600 Augenpaare blicken zum Rednerpult. Hinter ihm steht der schon stark ergraute Firmeninhaber und lässt in seiner Rede anlässlich der Weihnachtsfeier die Entwicklung seines Unternehmens in den letzten Jahren Revue passieren.

"Wenn ich in den Saal schaue", stellt er fest, "dann sehe ich, wie viel sich im letzten Jahrzehnt geändert hat." "Vor zehn Jahren", fährt der Firmeninhaber nach einer Atempause fort, "waren die meisten Mitarbeiter Facharbeiter. Heute sind über zwei Drittel Akademiker. Vor zehn Jahren arbeiteten für unser Unternehmen nur wenige Frauen - vorwiegend als Schreibkräfte und Kantinenpersonal. Und heute sind über ein Viertel der Mitarbeiter Frauen - und zwar hoch qualifizierte. Und vor zehn Jahren sprach bei uns kaum einer Englisch. Und heute? Heute sprechen die meisten von uns nicht nur Englisch, sondern viele sogar fließend zwei, drei Fremdsprachen." "Das zeigt mir, wie stark sich unser Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt verändert hat", sagt er dann. "Und wie viel sich in den kommenden Jahren noch ändern wird", ergänzt er, während er zu seinem Sohn blickt, der vor einem halben Jahr in die Firmenleitung eingetreten ist.

Frauen in Führungspositionen
Noch bilden sie eine Minderheit: Frauen in der IT haben in den meisten Firmen Exotenstatus, erst recht im Management.
Ralica Yancheva, Beraterin bei Conargus:
"Die Diskussionen und politischen Debatten zur Frauenquote haben viele Manager für das Thema sensibilisiert."
Inge Hanschke, Geschäftsführerin bei Iteratec:
"Frauen müssen wissen, was sie wollen und gelassen auf das Platzhirschgebaren reagieren."
Rebecca de Souza, Diversity Managerin bei General Electric (GE)
"Zu wenige Frauen in Führungspositionen sind überall in Europa ein Problem, doch besonders in Italien und Deutschland."
Patricia Rezic, verantwortlich für Controlling und Personal bei Projektron
"Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeiter liegt bei 32 Jahren; viele haben Kinder."
Eva Faenger, Diversity-Managerin bei Hewlett-Packard:
"Besonders im Service und im Outsourcing-Geschäft gibt es Handlungsbedarf."
Claudia Kedor: Leiterin Marketing bei Projektron:
"Wir sprechen schon vor der Geburt des Kindes mit den Kollegen, wie sie sich den Wiedereinstieg vorstellen."
Edeltraud Leibrock, Vorstand IT bei der KfW Bank:
"Frauen tendieren öfters als Männer dazu, ihre Fähigkeiten kritisch zu bewerten."
Katrin Jenkins, Abteilungsleiterin Systemdesign und Customizing bei DB-Systel:
"Junge Mütter sind besonders engagiert, weil sie sich nichts nachsagen lassen wollen."
Claudia Payer, Projektleiterin Commerz Finanz:
"In über 20 Jahren habe ich mir fundiertes IT-Know-how angeeignet, das heute eine solide Grundlage bildet, um Projekte zu leiten."

Auch die Mitarbeiter haben sich gewandelt

Eine ähnliche Rede könnten viele Inhaber mittelständischer Betriebe halten. Denn auch für ihre Betriebe gilt: Sie haben sich von handwerklichen Produzenten mit geringer Fertigungstiefe und Produktkomplexität in High-Tech-Unternehmen verwandelt. Und während sie vor zehn, fünfzehn Jahren noch vorwiegend für den deutschen Markt (und eventuell einige europäische Nachbarstaaten) produzierten, vertreiben sie heute ihre Produkte weltweit. Doch nicht nur dies. Sie lassen zudem einen großen Teil von ihnen im Ausland produzieren. Und in Deutschland? Hier findet vor allem die Entwicklung neuer Produkte statt. Und hier werden noch die Maschinen und Anlagen produziert, deren Fertigung Spitzen-Know-how erfordert.

Aufgrund dieser Entwicklung hat sich auch die Belegschaft der Betriebe gewandelt. Sie wurde nicht nur internationaler - lässt man die Gastarbeiter außer Acht, die vor zehn Jahren in der Produktionshallen vieler Mittelständler ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie wurde auch weiblicher. Und: Sie ist höher qualifiziert als vor zehn, fünfzehn Jahren.

(Führungs-)Kultur hinkt der Entwicklung hinterher

Diese Veränderungsprozesse vollzogen sich bei den meisten Mittelständlern nicht aufgrund einer definierten Strategie. Sie reagierten vielmehr - was eine typische Stärke des Mittelstands ist - ganz pragmatisch auf die neuen Markterfordernisse. Was notwendig war oder erschien, wurde getan. Mit der Konsequenz, dass die meisten Mittelständler heute im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt sind. Auch die technologischen Herausforderungen haben sie gemeistert. Sie nutzten sozusagen die Chancen, die sich aus der Globalisierung und dem technischen Fortschritt ergaben, und entwickelten sich vielfach zu "Hidden Champions in der Provinz", die in ihrem Marktsegment oft sogar zu den Weltmarktführern zählen. Was jedoch vielfach nicht mit der Entwicklung Schritt hielt, war die Organisationsstruktur und (Führungs-)Kultur in den Unternehmen.

Das sei an einigen Beispielen illustriert. Der eingangs erwähnte Maschinenbauer stellte in den zurückliegenden Jahren immer wieder fest: Es gelingt uns zwar, hoch qualifizierte Nachwuchskräfte, die nicht aus Baden-Württemberg kommen, als Mitarbeiter zu gewinnen. Doch nach zwei, drei Jahren kehren diese unserem Unternehmen oft wieder den Rücken. Denn sie schlagen in unserem Betrieb keine Wurzeln. Und ihre Familien? Sie werden in der "schwäbischen Provinz" nicht heimisch. Denn überspitzt formuliert ist und bleibt in unserem Betrieb und im "Ländle" jeder ein Exot, zu dessen Leibspeisen nicht "Spätzle mit Linsen" zählen - ganz gleich, ob er aus Hamburg oder Berlin, Spanien oder Tschechien kommt.

12 Tipps für den CIO
Gartner-Tipps für Social Media
Die Kunst aber ist es, a) diese Kultur der Kommunikation zu fördern und b) die in ihr entstehenden Informationen herauszufiltern und in bestehende Business-Intelligence-Systeme zu integrieren. Zwölf Schritte gilt es laut Gartner für den CIO zu befolgen.
Aufmerksam schärfen:
IT und Business müssen sich bewusst werden, dass in den Informationen aus Sozialen Netzwerken ein Wert für das Business steckt. Das Sammeln und Interpretieren dieser Erkenntnisse - Social Analytics - muss darauf ausgerichtet sein, nach ihnen zu handeln.
Know-How ausbilden:
Ist das Wissen einmal da, sollte der CIO Entwicklungs-Pläne für wichtige Rollen in der Social-Media-Strategie gestalten.
Verständnis wecken:
Der CIO muss dem Business vermitteln, wie wichtig und hilfreich es ist, Menschen aus verschiedenen Abteilungen zu vernetzen und sie an Probleme zu setzen.
Vorleben:
Der CIO muss selbst in Sozialen Netzwerken aktiv sein - und dies auch kommunizieren. Nur wer diese Tools nutzt, kann sie auch glaubwürdig vertreten. Einmal die Woche sollte der IT-Chef mit den Kollegen, die am aktivsten sind in Sachen Social Media, Gedanken austauschen.
Loslegen:
Der CIO sollte sowohl Gruppen mit Leuten aus dem ganzen Unternehmen zusammenbringen als auch bestehende Gruppen an die Möglichkeiten heranführen, die in Social Media stecken.
Motivieren:
Mit Anreizen, und sei es öffentlicher Anerkennung, kann der CIO die Kollegen aus IT und den Fachabteilungen dazu bringen, selbst Social Media Projekte auf die Beine zu stellen.
Ziele stecken:
Social Media soll Business Value generieren, und deswegen auf Kern-Bereiche des Business zielen: Time to Market, Kundenbindung oder die Produktivität der Mitarbeiter.
Die IT-Governance überdenken:
Das Ziel muss das effektive und flexible Management von Informationen sein, nicht Kontrolle der Technologie. Das Auge der Security aber muss sich auf die neuen Technologien einstellen.
Social Media in die Architektur einbinden:
Dazu gehört, Tools und Prozesse zu gestalten, mit denen sich die Informationen zielführend verarbeiten lässt. Das Ziel ist, dass die Business-Entscheider nur die richtige Frage stellen müssen, um schnell Informationen für nachhaltige Entscheidungen zu bekommen.
Eine Strategie festlegen:
Sie sollte enthalten, wer die Adressaten und Teilnehmer der kollaborativen Kommunikation sind, wie weit das Engagement gehen soll - und wohin es das Unternehmen führen soll.
Zurückziehen:
Die IT sollte sich alsbald von der Kontrolle über die Social-Media-Ressourcen verabschieden und sich darauf konzentrieren, Verbindungen zwischen den Menschen herzustellen.

Jede "Stärke" hat zwei Seiten

Hinzu kommen weitere Faktoren, die jungen Leuten oft die Arbeit bei Mittelständlern verleiden. Anfangs sind sie meist davon begeistert, dass bei Mittelständlern in der Regel hierarchiefreier kommuniziert und vieles schneller entschieden wird als in Konzernen. Doch nach einiger Zeit nehmen sie dieses Plus vielfach eher als Minus wahr. Zum Beispiel, wenn sie registrieren: Vieles was gestern noch galt, gilt morgen - wenn "der Chef" es sich anders überlegt - nicht mehr. Und formal wird mir zwar als Führungskraft oder Projektleiter viel Verantwortung übertragen. Doch faktisch sind meine Entscheidungsbefugnisse begrenzt. Immer wieder "regieren" die Firmeninhaber und "altgedienten Fürsten" in meinen Bereich hinein und geben zum Beispiel meinen Mitarbeitern irgendwelche Anweisungen. Mit der Konsequenz, dass meine Autorität zunehmend schrumpft, weil meine Mitarbeiter insgeheim denken "Letztendlich hat der ‚Mayer’ doch nichts zu sagen."

Registrieren dies die Nachwuchskräfte, dann sinkt ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Die Folge: Sie sind immer weniger bereit, sich für dieses so stark zu engagieren, wie dies speziell vom Führungspersonal bei Mittelständlern - aufgrund des Arbeitsethos der Top-Entscheider - oft unausgesprochen erwartet wird: rund um die Uhr. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nachwuchskräfte zugleich registrieren: Unter meiner 60- oder gar 70-Stunden-Woche leidet meine Lebensqualität. Ich bin permanent "kaputt" und weil ich so wenig Freizeit habe, gelingt es mir auch nicht, mich vor Ort zu integrieren.

Die Folge: Die Nachwuchskräfte denken irgendwann - eigeninitiativ oder angeregt durch ihren Lebenspartner - über einen Arbeitgeberwechsel nach. Oder sie "unterwerfen" sich der herrschenden Unternehmenskultur, weil sie merken: Dann lebe ich stressfreier. Das heißt, von ihnen gehen keine Veränderungsimpulse mehr aus.

Die (Führungs-)Kultur muss sich entwickeln

In unserem Unternehmen besteht auf der strukturellen und der kulturellen Ebene ein Entwicklungsbedarf - zumindest wenn wir den Erfolgs- und Wachstumskurs der zurückliegenden Jahre fortsetzen möchten. Das haben inzwischen viele Mittelständler erkannt - auch weil sie zunehmend die Auswirkungen des Fachkräftemangels spüren.

Hinzu kommt: Sie haben inzwischen oft eine Größe erreicht, in der es nicht mehr genügt, schnell und flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren. Die Entwicklung des Unternehmens und seiner Kompetenz muss gezielt forciert werden. Sie haben zudem eine Größe erreicht, bei der es nicht mehr dem Belieben der einzelnen Führungskräfte überlassen werden kann, wie sie ihre Mitarbeiter führen. Es muss sich eine einheitliche Führungskultur im Unternehmen entwickeln - und zwar eine Führungskultur, in der Nachwuchskräfte, von denen neue Impulse ausgehen, gehört und (von oben) gezielt gefördert werden. Sonst stagniert das Gesamtsystem, weil in ihm - wie bei vielen Mittelständlern - zwar ein individuelles, aber kein kollektives Lernen erfolgt.

Erkannt haben das viele Mittelständler, weshalb sie heute mehr Zeit und Energie als früher in die Organisationsentwicklung investieren; auch ihr Engagement in Sachen Personal- und Führungskräfteentwicklung haben sie erhöht. Dabei kämpfen jedoch viele gerade kleinere Mittelständler mit dem Problem, dass sie keine Experten in Sachen Personal- und Organisationsentwicklung in ihren Reihen haben.

Spielregeln für das Projekt-Team
Spielregeln für das Projekt-Team
Diese Spielregeln sorgen für eine offene Kommunikation und bieten auch im Konfliktfall eine Orientierung.
Tipp 2
Eine offene Kommunikation einhalten.
Tipp 3
Eine konstruktive Zusammenarbeit umsetzen.
Tipp 4
Zu Problemen grundsätzlich Lösungsvorschläge anbieten.
Tipp 6
Keine Arbeitspakete ohne Termin und Verantwortlichen definieren.
Tipp 7
Delegieren von Arbeitspaketen vermeiden.
Tipp 8
Lieber miteinander reden anstatt E-Mail-Ping-Pong zu spielen.
Tipp 9
Keine politischen Spielchen treiben.
Tipp 11
Dynamik entwickeln und auf das gesamte Projektteam sowie alle Anwender übertragen.

Passgenaue Lösungen für den Mittelstand finden

Entsprechend hilflos sind sie oft, wenn sie vor der Frage stehen: Wie können wir einerseits die (Führungs-)Kultur in unserer Organisation wie gewünscht entwickeln und andererseits unsere typischen Stärken als Mittelständler bewahren?

Eine Standardantwort auf diese Frage gibt es nicht - nicht nur, weil die Mittelständler in verschiede-nen Märkten agieren, sondern auch, weil sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Historie auch teilweise verschiedene Stärken haben. Klar ist jedoch: Die Lösungen dürfen keine abgespeckten Varianten der Personal- und Organisationsentwicklungsprogramme der Konzerne sein. Denn diese berücksichtigen die Spezifika des Mittelstands nicht. (oe)

Kontakt:

Der Autor Hubert Hölzl ist Inhaber des auf den Mittelstand spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner, Lindau. Tel.: 08382 5042814, E-Mail: mail@fuehrungstrainer.net, Internet: www.fuehrungstrainer.net