Die neue Kundenorientierung

Vom ERP zum Lebens-Management

18.08.2011 von Karin Quack
Bis zum Überdruss wird in der IT die Kundenorientierung gepredigt. Aber oft steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern bloß seine Rolle in den Unternehmensprozessen. Das muss sich ändern.
Die Unternehmens-IT muss den "Social"-Trend aufnehmen.
Foto: Dirceu Veiga, Fasticon & Sgursozlu, Fotolia

Social Media, mobile Apps auf dem Smartphone, Sensorik und andere Werkzeuge für Konsumenten erzeugen einen Paradigmenwechsel in der IT. Nicht mehr die Geschäfts-, sondern die Konsumentenprozesse bestimmen den Unternehmenserfolg, so die Überzeugung von Hubert Österle, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen: "Wir müssen wegkommen von den komplexen und kundenunfreundlichen Einzellösungen mit ihren isolierten Sichten, beispielsweise bei den Passwörtern. Heute erwarten die Menschen von der IT umfassende Lebensassistenz, ein Lebens-Management, wie es der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt als Vision formuliert hat."

Immer mehr Produkte werden in Dienstleistungen eingebettet oder bestehen im Grunde aus einem Service, erläutert Österle. Ein gutes Beispiel dafür sei der Service "MyTaxi", der es erlaubt, mit wenigen Tastenbewegungen auf dem iPhone das schnellsterreichbare Taxi zu rufen, wobei das Mobiltelefon selbständig die Position des Anrufers und die der verfügbaren Taxen ermittelt. Die herkömmliche Taxizentrale mit ihrem umständlichen Order-System wird dadurch überflüssig.

Genauso ergeht es seit einigen Jahren den Reisebüros. Buchungsplattformen wie Ebookers fügen auf Knopfdruck Flüge, Hotel- und Mietwagenangebote zu einer Komplettofferte zusammen: "Einige Unternehmen sehen hier Gefahren, andere Möglichkeiten. Und jedes muss für sich entscheiden, wie es damit umgehen will," sagt Österle.


Die digitale Revolution

  • Vertieft wird das Thema dieses Beitrags auf dem diesjährigen "Business Engineering Forum 2011".

  • Dazu lädt das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen am 22. und 23. September nach Bregenz ein.

  • Die Veranstaltung trägt das Motto: "Die digitale Revolution der Konsumenten."

  • Referieren werden unter anderen die St. Gallener Professoren Hubert Österle und Walter Brenner sowie Stephan Mennerich vom FC Bayern und Ansgar Hölscher von Beiersdorf.

  • Mehr Informationen unter www.be-forum.ch.

Facebook, Google oder was?

Hubert Österle, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen
Foto: Österle

Bislang sind Konsumentenservices noch Stückwert. Das liegt unter anderem daran, dass sie jeweils für eine bestimmte Umgebung konzipiert sind. Daran ändern auch die Sozialen Plattformen wenig. Galt gestern noch Facebook als der Informations- und Kommunikations-Hub der Zukunft, so schickt sich heute Google an, eine Konkurrenzplattform aufzubauen. Daneben behauptet sich Apple mit seiner unglaublich treuen Anwendergemeinde und den mehr als 300.000 verfügbaren iPhone-Apps.

Die Hersteller von Konsumentenprodukten und -services versuchen, ihren Platz in diesen Universen zu finden - um ihre Angebote zu lancieren, Reputations-Management zu betreiben und die verfügbaren Kundeninformationen zu nutzen, so weiß Österle aufgrund seiner Unternehmenskontakte. Allerdings hätten bislang weder Wissenschaft noch Wirtschaft einen Plan, wie sich die Möglichkeiten dauerhaft nutzen lassen.

Einige Unternehmen sind aber schon vorgeprescht. So hat der Schweizer Handelsriese Migros eine eigene Community-Plattform namens Migipedia aufgebaut, wo Verbraucher Produkte bewerten und Verbesserungsvorschläge machen können.

"Das ist eine Herausforderung auch für die Markenartikler", konstatiert Österle. Ein anderes Beispiel für ein wirklich konsumentenbezogenes System sei der "Pill Reminder", den Bayer Health Care entwickelt habe; er erinnere die Patienten online an die Einnahme ihrer verschiedenen Medikamente. Eine von Österles Lieblingsideen ist denn auch die vom "Service-Wohnen", in dem Haushalte einfachen Zugriff auf vielfältige Services haben - vom Hemdenbügeln bis zur Organisation eines Statdvierteltreffens.

10 Thesen zu Social Media
1. Social Media muss abteilungsübergreifend organisiert werden:
Im Umgang mit Social Media sind "Hobby-Lösungen mit Praktikanten" vorbei. Social Media wird zum Alltag und muss daher abteilungsübergreifend organisiert werden. Der BVDW sieht nicht nur die IT, sondern vor allem auch die Unternehmenskommunikation in der Pflicht.
2. Employer Branding 2.0:
Künftig reicht es nicht mehr, eine eigene Jobbörse auf der Homepage zu schalten und Stellenanzeigen aufzugeben. Bewerber informieren sich in den Netzen über potenzielle Arbeitgeber - und erfahren dabei auch, wie diese von anderen Nutzern bewertet werden.
3. Neue Dynamik in der Produktentwicklung:
Unternehmen lassen immer mehr Informationen in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen einfließen. Social Media liefert Input zur Produktentwicklung und ermöglicht intern wie extern schnelles Feedback. Der BVDW spricht hier von "Adaptive Engineering".
4. Customer-Relationship-Management (CRM) verschmilzt:
Schon in diesem Jahr verschmelzen verschiedener CRM-Bereiche mit Social Media-Komponenten. Leadmanagement, Kundenservice und Kundenbindung sind die ersten Bereiche, in denen Social Media eine zunehmende Rolle spielt.
5. Unternehmen aus der zweiten Reihe springen auf:
2011 werden auch kleinere und mittlere Player auf den Zug aufspringen. Mittelständler, Verbände oder auch Non-Governmental-Organisationen (NGOs) können aus Erfahrungen der "Großen" lernen.
7. Erfolgsfaktor "Social Intelligence":
Social Media Monitoring war bereits voriges Jahr ein großes Thema. Nun geht es darum, Tools weiter zu optimieren. Dabei kreist alles um die Frage, wie und wofür die Daten eingesetzt werden können. Von einer adaptiven Aussteuerung der Kommunikation über die Produktentwicklung bis zur Kundensegmentierung - die Informationen aus dem Social Web bieten viele Möglichkeiten.
8. Auf der Suche nach dem Return on Investment (ROI):
Die Messbarkeit der Maßnahmen gewinnt 2011 an Bedeutung. Bisher mag es ausgereicht haben, dabei zu sein - in Zukunft muss Social Media Ergebnisse erzielen, die messbar sind.
9. Neue Berufsbilder entstehen:
Die Nutzung von Social Media erfordert von den Mitarbeitern neue Fähigkeiten. "Mit Social Media wollen neue Tools und Infrastrukturen bedient werden, zudem muss ein neuer Kommunikationsstil geprägt werden", schreibt der BVDW.
10. Mit dem Launch eines Produktes beginnt die Arbeit erst:
Die klassischen Werbe-Kampagnen reichen nicht mehr aus. Unternehmen nutzen das Engagement und Feedback von Verbrauchern, um an ihren Marken zu arbeiten.

Die IT muss umdenken

Aber wer zeigt den Unternehmen die Möglichkeiten auf, die sich für sie ergeben. Die interne IT? "Jein", sagt Österle: "In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass solche Ideen von den Fachbereichen, also Marketing, Vertrieb und Servicebereich, entwickelt werden müssen, weil diese das Geschäft besser kennen". Allerdings müsse die IT den internen Anwendern die realisierbaren Möglichkeiten und Lösungsbeispiele vorstellen. Die Mitarbeiter im Geschäft seien zwar bereits selbst Anwender der Online-Services, hätten aber nicht "das ganze Bild" vor Augen.

Um eine "Beraterrolle" ausfüllen zu können, sollten die ITler allerdings umdenken. "Jahrelang war das ERP-System das gültige Paradigma", holt Österle aus, "in der IT ging es fast immer um Effizienz und Profitabilität des Unternehmens; die Kunden waren die internen Anwender." Heute hingegen sei die IT aufgerufen, einen Schritt vorauszudenken - hin zum Kunden ihrer Kunden: "Wir müssen aus dem Unternehmen heraustreten und uns in die Lage des Konsumenten versetzen."

Und der wolle nun einmal keine 20 User Names und 30 Passwörter, sondern einfachen Zugriff - mit der nötigen Sicherheit. Dass dies möglich sei, beweise zum Beispiel der Single-Sign-On-Dienst von BioID auf Basis des Standards "Open-ID"; er verwalte transparent unterschiedliche Log-ins.

Aufgaben des modernen CIOs

Der CIO moderner Prägung steht nun vor der anspruchsvollen Aufgabe, sich einen Überblick über einen explodierenden Markt von Angeboten für Konsumenten zu verschaffen, darunter die für sein Unternehmen erfolgsversprechendsten herauszupicken und dann gemeinsam mit den Fachbereichen zu entscheiden, auf welchen Plattformen (sprich: in welchen Ökosystemen) das Unternehmen präsent sein und was es dort unternehmen sollte. "Wenn er sich informieren will, ist er herzlich eingeladen, bei unserer Initiative Independent Living mitzumachen", treibt Österle ein wenig Eigenwerbung.

Daneben sieht der Wirtschaftsinformatiker eine riesige Herausforderung in der Qualität der Kundendaten. Wo liegen sie, wie verlässlich und vollständig sind sie, und wie lassen sie sich sinnvoll nutzen? Erst auf der Basis zuverlässiger Informationen sind Pannen im Umgang mit dem Konsumenten vermeidbar.

Last, but not least entstehen auf mittlere Sicht, davon ist Österle überzeugt, "Consumer-ERPs"; deren Aufgabe ist es, den Konsumenten die Möglichkeiten der IT-Applikationen zu erschließen und ihnen gleichzeitig die Komplexität im Umgang damit abzunehmen. Wer eine solche Plattform schaffen werde, sei noch nicht entschieden: "Ich persönlich hoffe, dass es kein Monopol wie Apple, Google oder Facebook sein wird".

So werden Sie ein besserer CIO
1. Man muss spielen, um die Regeln zu lernen:
Angry Birds erfolgreich zu spielen lernt man nur durch das Spielen selbst. Das gilt auch für Technologien. Immer wieder hört man von CIOs, die Social Media verbieten oder Probleme mit mobilen Endgeräten haben, weil diese nicht zur IT-Architektur passen oder Risiken bergen. Dabei sollten CIOs unbedingt verstehen, dass niemand die Beschränkungen, Risiken und auch Möglichkeiten von neuen Technologien erfahren wird, wenn Sie den Angestellten nicht erlauben, diese im Arbeitsumfeld zu nutzen
2. Menschen sind dann am erfolgreichsten, wenn man ihre Talente einsetzt:
Jeder Vogel in Angry Birds hat eine ganz bestimmte Fähigkeit, die ihn auszeichnet. Auch ein CIO muss in seinem Team als Chief Talent Manager agieren und jedem Mitarbeiter dabei helfen, die richtige Balance zwischen Leidenschaft und Unternehmensbedürfnissen zu finden. Die Einzigartigkeit seiner Mitarbeiter zu akzeptieren und zu fördern, ist auch eine wichtige Eigenschaft, um ein gutes Verhältnis zu jungen Mitarbeitern aufzubauen.
3. Einen schlechten Start kann man nicht ausbügeln:
Wenn in einem Projekt nichts vorangeht, ist das nicht zielführend, die Mitarbeiter weiter wurschteln zu lassen. Deshalb sollten CIOs mehr Mut an den Tag legen. Wenn Sie merken, dass sie mit dem falschen Team oder einem falschen Ansatz an einem Projekt arbeiten, sollten sie ihre Strategie überdenken und wenn nötig einen Neustart wagen.
4. Unterschiedliche Probleme benötigen unterschiedliche Spezialisten:
Die Gamedesigner von Angry Birds verwenden im Spiel ganz unterschiedliche Materialien, zum Beispiel Wolken, Glas und Holz. Jedes Material hat eine andere Beschaffenheit und reagiert auf seine Art auf die Angriffe. Technologien folgen dem gleichen Muster. Längst gibt es nicht mehr nur einen Programmierer, der alles kann. Oft sind ganz unterschiedliche Fähigkeiten von IT-Experten gefragt.
5. Eine Explosion richtet nicht überall Schaden an:
Wer im Spiel Angry Birds eine Bombe zu weit abseits oder in einer zu gut geschützten Zone platziert, trifft sein Ziel nicht. Auch ein CIO muss die physischen Gegebenheiten des Unternehmens beachten. Wenn eine Veränderung alle Geschäftsbereiche einbeziehen soll, bringt es überhaupt nichts, die Maßnahme nur mit einer kleinen Lösung zu beginnen und darauf zu hoffen, dass sie auf den Rest des Unternehmens übergreift.
6. Verbesserungen erreicht man Schritt für Schritt:
Seinen Highscore bei Angry Birds zu verbessern, ist harte Arbeit. Man braucht Geduld und muss Schritt für Schritt das Gelernte umsetzen, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. CIOs müssen einsehen, dass es schwer ist, wenn hoch spezialisierte IT-Experten ständig noch bessere Ergebnisse erzielen. Fortschritt erreicht man auch hier eher schrittweise als in einem Riesensatz nach vorn.
7. Nur weil man eine Aufgabe meistert, meistert man sie nicht alle:
Beim Spiel Angry Birds ist jeder Level individuell arrangiert. Wie oben beschrieben, haben die Gamedesigner zum Beispiel ganz unterschiedliche Materialien benutzt. Auch in der IT existieren unglaublich viele verschiedene Spezialdisziplinen: Nur weil man in einer von ihnen glänzt, beherrscht man sie nicht alle.
8. Man kann nie etwas exakt wiederholen:
Auch wenn man auf eine Aufgabenstellung exakt so reagiert wie bei einer früheren gleichen Aufgabe, wird das Ergebnis nicht identisch sein. Bei Angry Birds kann schon eine leichte Veränderung des Timings zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Auch IT-Projekte kann man nicht exakt wiederholen und das gleiche Ergebnis erwarten. CIOs sollten ihr Team lieber zum kontinuierlichen Weiterlernen ermuntern, damit sie schnell mit neuen Gegebenheiten zurechtkommen.
9. Für manche Ziele braucht man mehr Vögel:
Manche Level des Spiels Angry Birds meistert man mit nur einem einzigen Vogel, den man auf die verschanzten Schweine feuert. Für andere benötigt man alle zur Verfügung stehenden Vögel, um das Level zu bestehen. Für CIOs bedeutet das: Sie müssen die Komplexität eines Projekts verstehen, bevor sie das Team zusammenstellen.
10. Es gibt mehr als einen Weg zum Ziel:
Bei Angry Birds gibt es mehr als einen Weg zum Ziel. Wer sich immer nur auf eine einzige Strategie beschränkt, wird kaum das Maximale erreichen. Auch CIOs sollten neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen reagieren. Denn wer sich jeden Tag für den sicheren und erprobten Weg entscheidet, ist der lebende Gegensatz zur Innovation. Wer wirklich gewinnen will, sollte auch mal Risiken eingehen.