Der Markt für Unternehmenstelefonie

VoIP-Anbieter müssen Unified Communications lernen

24.09.2008 von Jürgen Hill
Bis vor kurzem schien die TK-Strategie für die Anwender klar zu sein: Wer für die Zukunft plante, der setzte auf VoIP. Mittlerweile beherrscht ein neues Schlagwort die Strategiediskussionen: Unified Communications.

Rien ne va plus, so oder ähnlich schätzten im vergangenen Jahr viele den VoIP-Markt ein. Die großen Player hatten ihre Einsätze gemacht, und zu den Top 8 im Enterprise Business zählte Frost & Sullivan auf den vorderen Plätzen Siemens, Alcatel und Aastra. Ausgewählt nach verkauften Sprachkanälen folgten erst mit Abstand andere Hersteller wie Avaya, Nortel, Ericsson, Panasonic oder Cisco. Auch wenn die Marktverhältnisse nicht in Beton gegossen waren, zeichnete sich nach den technischen Umwälzungen, die VoIP mit sich gebracht hatte, eine gewisse Marktberuhigung ab. Ein Grund hierfür waren Marktstandards wie das Session Initiation Protocol, an denen sich der Markt orientiert.

Doch mit der Ruhe ist es vorbei. Mit Unified Communications (UC) prägt künftig ein Thema den ITK-Markt, das sich in den Augen von Dan Bieler, Director Consulting bei IDC, "zum zentralen Schlachtfeld der Umverteilung der Mehwertkette im ITK-Markt entwickeln wird". Für die meisten Anwender bedeutet UC dabei, so Bieler weiter, die Integration von Sprachen, Messaging, Kontakt-Management und Präsenzfunktionen. Im Vordergrund bleibt bei den Anwendern jedoch wie bei VoIP der Kommunikationsaspekt, allerdings beginnen sie die neuen Möglichkeiten der Integration zu erkennen. So werden in ersten Projekten CRM- und ERP-Systeme, aber auch Funktionen wie Video in UC-Lösungen integriert. Und hier sieht man bei IDC Firmen wie Avaya, Siemens Enterprise Communications, Cisco oder Nortel gut positioniert. Neu im Geschäft sind in Sachen UC aber auch reine IT-Shops wie etwa Microsoft, IBM oder Hewlett-Packard, die bislang im reinen VoIP-Umfeld nur eine geringere Rolle spielten.

Die Top 8 der Enterprise-Telefonie-Anbieter in Europa 2007 nach verkauften Sprachkanälen (Quelle: Frost &Sullivan)

Hersteller

Marktanteil in Prozent

Alcatel-Lucent

15,3

Siemens

14,0

Avaya

13,2

Cisco

10,4

Nortel

8,3

Aastra Technologies

7,0

Ericsson

5,0

Sonstige (< 5 Prozent)

26,8

Hohe Zuwachsraten für Unified Communications

Ähnlich bewertet Frost & Sullivan das Thema Unified Communications und rechnet bis 2014 mit Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich. Geprägt ist die Entwicklung dabei vor allem durch die Erkenntnis der Unternehmen, dass sie mit moderner Kommunikationstechnik ihre Flexibilität und Konkurrenzfähigkeit erhöhen können.

Der Paradigmenwechsel zu UC prägt auch die Nachfrage im Enterprise-TK-Markt. Nach aktuellen Analysen von Frost & Sullivan sind Investitionen in neue TK-Anlagen mittlerweile hauptsächlich Ersatzbeschaffungen. Aber selbst damit lebt die Branche noch gut, denn 2007 wurden rund 48,8 Millionen neue Sprachkanäle verkauft, und bis 2013 soll diese Zahl auf 62,1 Millionen ansteigen. "Rund 72 Prozent aller weltweit ausgelieferten Sprachkanäle waren dabei IP-fähig", unterstreicht Elka Popova, Program Director Unified Communications bei Frost & Sullivan, die Bedeutung von VoIP. Aus geografischer Sicht ist dabei Europa, der Mittlere Osten und Afrika (Emea) nach wie vor der größte TK-Markt im Enterprise-Umfeld, zählt aber nicht zu den am schnellsten wachsenden Regionen: Hier punkten andere Regionen wie etwa Mittel- und Lateinamerika. Unter dem Strich wächst der Weltmarkt für TK-Anlagen insgesamt weiter.

Für die Hersteller sollte dies aber kein Grund sein, sich zufrieden zurückzulehnen, denn teilweise scheinen sie am Bedarf ihrer Kunden vorbeizuproduzieren. Program Director Popova sieht nämlich eine der großen Herausforderungen für die Hersteller im Kaufverhalten der Anwender: "Viele Unternehmen bevorzugen eine schrittweise Umstellung auf die IP-Telefonie anstelle einer Migration in einem Rutsch."

Marktführer: Siemens und Alcatel-Lucent

Ob nun gerade Siemens und Alcatel-Lucent diesem Kundenbedürfnis besonders entgegenkommen, mag dahingestellt sein. Frost & Sullivan attestiert den beiden Unternehmen auch 2007 die Marktführerschaft in Europa. Dabei hat diesmal Alcatel-Lucent mit 15,3 Prozent (2006: 14,7 Prozent) die Nase leicht vor Siemens mit 14 Prozent (2006: 15,1 Prozent). Böse Zungen lästern allerdings, dass die Führerschaft beider Unternehmen weniger auf ihrer Innovationskraft oder besonders attraktiven Produkten basiere, sondern vielmehr historisch gewachsen sei: Aus den alten TK-Monopolzeiten, als die beiden Unternehmen in ihren jeweiligen Heimatmärkten zu den Haus- und Hoflieferanten der Carrier zählten, hätten sie eben einen direkten Draht zu den Kunden. Neu auf dem Treppchen ist Avaya. Nachdem das Unternehmen in den vergangenen Jahren eher durch negative Schlagzeilen und eine ungewisse Zukunft auf sich aufmerksam machte, scheint 2007 die Konsolidierung mit neuen Investoren als Partner Früchte getragen zu haben.

Der absolute Durchstarter unter den Top-Playern in Europa war im letzten Jahr allerdings Cisco. Der Netzriese, der im Telefoniebereich gegenüber Schwergewichten wie Alcatel oder Siemens wie ein Zwerg erschien, konnte sich vom achten auf den vierten Platz verbessern. Das entspricht einem Marktanteil von 10,4 Prozent im Vergleich zu lediglich 6,5 Prozent im Jahr 2006. Diese Entwicklung scheint zu belegen, dass Cisco mit seinem Strategiewechsel, auch Linux anstelle von Microsoft-Betriebsystemen für seinen VoIP-Server "Callmanager" zu verwenden, die richtige Entscheidung getroffen hat. Zudem legte das Unternehmen mit Zukäufen wie Webex die Grundlage für Collaboration-Dienste in einer UC-Welt. Und last, but not least landete Cisco mit seinem Highend-Videokonferenzsystem Telepresence einen Überraschungscoup. Auch wenn sich viele Unternehmen das System nicht leisten können, darüber diskutiert wurde dennoch.

Absteiger des Jahres 2007 war Aastra. Konnte sich das kanadische Unternehmen ein Jahr zuvor noch unter den Top 3 platzieren, so landete es nun auf Position sechs. Rechnet man allerdings die Marktanteile der im April 2008 zugekauften Ericsson-Unternehmenskommunikationssparte hinzu, dann läge die Company mit zwölf Prozent Marktanteil im Rennen um die Käufergunst noch vor Cisco.

Hersteller Aastra ist zudem ein gutes Beispiel dafür, dass die klassischen Erhebungsmethoden, die Marktanteile anhand der Zahl der verkauften Sprachkanäle festmachen auf dem Weg in die UC und Next-Genration-Network-Welt (NGN) mit Vorsicht zu genießen sind. Diese Zahlen spiegeln nämlich nicht die Tatsache wider, dass heute im Enterprise-TK-Markt ein großer Teil des Wissens auf Software-Know-how basiert. Diese löst beispielsweise die klassische TK-Hardware ab. So kaufen beispielsweise in der IP-Welt immer mehr Unternehmen keine klassischen Telefone mehr, sondern setzen auf PC-basierende Softphones. Und selbst die klassische TK-Anlage beruht immer häufiger auf elektronischen Standardkomponenten. Unternehmen wie Swyx oder jüngst Microsoft mit dem Office Communications Server haben diesen Ansatz gar zur Business-Strategie erhoben: Sie verkaufen nur Software und lassen vom Hardwaregeschäft die Finger beziehungsweise holen sich hierfür Partner ins Boot.

Fazit

Trotz der Umorientierung zur Software als dem Mehrwertfaktor bleibt die Frage offen, ob sich die etablierten Anbieter mit ihrer bisherigen Produktpolitik auf Dauer am Markt behaupten können. Mit dem Trend zu UC, so IDC-Analyst Bieler, "werden die Anwender Komponenten von mehreren Anbietern beziehen". Und in letzter Konsequenz führt dies nach Einschätzung von IDC dazu, dass sich offene Lösungen durchsetzen. Sollte diese Einschätzung zutreffen, dann haben die etablierten Player wie Microsoft, Cisco, Siemens und andere noch viel Arbeit vor sich. Ihre Lösungen sind nämlich meist nur auf dem Papier offen. Will der Anwender wirklich Geräte oder Applikationen Dritter einbinden, so haben sich diese Anbieter gefälligst an den Schnittstellenspezifikationen der etablierten Player zu orientieren. Hier ist also bei einer Kaufentscheidung akribisch darauf zu achten, wie der jeweilige Hersteller Offenheit definiert.