Gemeinsam an Dokumenten arbeiten zu können - diese zentrale Aufgabe steht über allem. Nur wenn Tools, ob Web-basiert oder lokal installiert, das bequem möglich machen, bringen sie ein Unternehmen weiter.
Blogs und Wikis sind die modernen Klassiker der Collaboration-Welt. Blogs werden gerne für aktuelle Einzelprojekte genutzt, in die bei Bedarf auch Inhalte von außen einfließen können, Wikis eher als ständig erweiterbare unternehmensinterne Wissensdatenbanken.
Let's try it
Ein weit verbreiteter Fehler besteht darin, Collaboration-Tools links liegen zu lassen, weil einem die Phantasie für Einsatzszenarien fehlt. Karsten Ehms, Principal Consultant im Corporate-Technology-Bereich bei der Siemens AG in München, beteuert: "Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten für diese Werkzeuge. Aus ihren Funktionen kann man aber nicht die Einführungsstrategien ableiten. Mein Tipp: Seien Sie immer offen für Anwendungsfälle, die Sie nicht vorhersehen können." Ehms hält viel von Experimentierfreudigkeit und Offenheit. Andererseits erleichterten vorhersehbare Anwendungsszenarien, die sich ohnehin einer starken Aufmerksamkeit in der Belegschaft erfreuten, die Installation von Collaboration-Tools natürlich ungemein.
Bei Siemens selbst sind nicht nur Wikis, sondern auch Blogs unter den Mitarbeitern weit verbreitet. Selbst wenn nicht jeder täglich etwas in sein digitales Tagebuch schreibt - ein Eintrag wöchentlich ist laut Ehms bei inhaltlich wertvollen Postings völlig ausreichend -, findet laut Ehms ein reger Wissens- und Erfahrungsaustausch auch gerade auf diesem Weg statt. So halten sich Projektteams über lokale Grenzen hinweg gegenseitig auf dem Laufenden.
Projektgruppen mögen Wikis
Wie wichtig eine zentrale Materialsammlung in Form eines Wikis sein kann, auf das sich von überall aus zugreifen lässt, stellt auch Michael Mielke fest. Er ist Teamleiter Unternehmenssteuerung und Informations-Management im Bereich DB Training bei der Deutschen Bahn. In rund 800 einzelnen Projekten im Jahr, in die alle 60 Mitarbeiter eingebunden sind, unterstützt die intern gehostete Wiki-Lösung Atlassian Confluence den Konzern bei der Verbesserung interner Arbeitsabläufe. Hier können Erfahrungen und Daten gesammelt werden. "Wir haben für jedes Projekt einen eigenen Bereich, in dem die Projektmitarbeiter ihre Dokumente ablegen und gemeinsam verändern können", so Mielke. Einen großen Vorteil des Tools sieht der Teamleiter in der bequemen Rechtevergabe: "Überall, wo Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen zusammenkommen, ist die Verteilung der Zugriffsrechte beispielsweise bei klassischen Gruppenlaufwerken kompliziert, weil hier alles einzeln koordiniert werden muss." Im Wiki lege man lediglich eine neue Gruppe an und weise die Mitglieder mit wenigen Handgriffen zu. Durch die Vollindexierung der gesammelten Inhalte seien die Dokumente zudem wesentlich schneller auffindbar als bei gemeinsam genutzten Laufwerken.
Mit einem ähnlichen Ansatz arbeitet der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall AG. Corporate CIO Markus Bentele setzt auf virtuelle Zusammenarbeit mit einer Kombination aus den IBM-Produkten Lotus Quickr für Teamarbeitsbereiche und Dokumenten-Management, Lotus Sametime für die Echtzeitzusammenarbeit und Lotus Connections für Social Networking unter den Mitarbeitern. Mit dieser Collaboration-Suite setzen Projektteams unter anderem Blogs und Wikis auf und tauschen Dokumente in abgesicherten Räumen untereinander aus. Die lexikalischen Fähigkeiten eines Wikis, leicht durchsuchbare Materialsammlungen zu erstellen, vereinfachten die Projektarbeit ungemein, so der CIO.
Cloud - nein danke!
Eine zentrale Frage, wenn es allgemein um den Einsatz von Collaboration-Tools geht, ist die nach der Infrastruktur. Soll man diese extern in der Cloud hosten oder doch lieber intern selbst aufbauen? Darüber wurde auch bei Rheinmetall diskutiert: Besonders wichtig bei der Entscheidung für eine interne Lösung waren Bentele die lokale Infrastruktur und die branchenspezifisch hohen Sicherheitsstandards, die eine Cloud-Variante niemals erfüllen könne: "Nach dem deutschen Handelsrecht darf ich gar keine öffentliche Cloud einsetzen, weil ich die Hoheit über wesentliche Geschäftsressourcen meines Unternehmens verlieren würde." Auch Mielke hält nichts von extern gehosteten Lösungen: "Eine öffentliche Cloud kommt für DB Training aus Sicherheitserwägungen heraus nicht in Frage. Wir könnten in Zukunft aber darüber nachdenken, ob wir bei unserer Größe nicht selbst demnächst eine private Cloud für unsere Applikationen hosten."
Indem die Anwender ihre Infrastruktur intern betreiben, können sie aber noch nicht deren Missbrauch für private Zwecke verhindern. Deshalb bedient sich Rheinmetall redaktioneller Workflows, in deren Rahmen die Mitarbeiter-Postings von Dritten freigegeben werden müssen. "Die Anwendung eines Wikis, wie wir es aus dem Internet kennen, hätte durch sein anarchisches Umfeld im Unternehmen keinen Sinn. Sehr wohl können wir aber die Funktion Wiki mit Berechtigungen und Freigabe-Workflow hervorragend im Business-Kontext einsetzen", verteidigt Bentele die Web-2.0-Strategie des Konzerns. "Nach meiner Wahrnehmung steigt die Effizienz durch diese Werkzeuge sehr. Sie machen Projektteams flexibler und stellen auch Teams mit häufig wechselnden Mitarbeitern vor weniger Probleme", resümiert der Corporate CIO.
Intern oder extern?
Dass der Einsatzzweck die Verwendung von Collaboration-Werkzeugen maßgeblich beeinflusst, sieht auch Christoph Hecker, Geschäftsführer des CIOcolloqiums, so. Er ist verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung und die Arbeitsformate auf den Tagungen des CIO-Netzwerks und setzt dabei bereits verstärkt auf den Web-Konferenz-Dienst Adobe Connect. Die für Hecker zentrale Frage ist die der Abgrenzung der unternehmensinternen Verwendung von der Sichtbarkeit der Tools nach außen: "Was will ich mit den Tools? Verwende ich sie nur zur internen Abstimmung von Dokumenten? Oder will ich sie auch zur Kommunikation mit externen Mitarbeitern und Kunden benutzen und die Software in alle meine Arbeitsprozesse integrieren?" Im letztgenannten Fall seien kollaborative Web-2.0-Tools wegen ihrer Offenheit durchaus mit Vorsicht zu genießen.
Auch Mielke empfiehlt, vor dem Einsatz von Collaboration-Tools grundsätzlich nachzudenken. Vor allem im Bereich Wissens-Management müsse nicht vom Werkzeug, sondern von den Mitarbeitern her überlegt werden: "Wir haben die Kollegen gefragt, wie bei ihnen unscharfes Suchen stattfindet. Recherchieren Sie eher Personen, Themen, Projekten, Kunden oder Unternehmenseinheiten?" Erst danach habe man sich für ein Wiki entschieden, weil es die Anforderungen der beteiligten Mitarbeiter am besten erfüllen konnte.
Ein Wiki entscheidet alles
Collaboration heißt, von den Mitarbeitern her zu denken. Das zeigt auch das Beispiel der Synaxon AG aus Bielefeld, zu deren wichtigsten Marken die Franchise-Kette PC-Spezialist gehört. Deren Vorstandsvorsitzender Frank Roebers ist Co-Autor des neuen COMPUTERWOCHE-Buchs "Web 2.0 im Unternehmen". Roebers erklärt, warum sich die IT-Verbundgruppe, die Franchise-Systeme und Kooperationsmodelle für fast 3000 IT-Fachhändler in ganz Europa anbietet, schon 2006 für ein "Open Company Wiki" entschieden hat, an dem jeder Mitarbeiter mitschreiben darf und das mittlerweile das Herzstück im operativen Tagesgeschäft bildet. Die auf der Wikipedia-Software Mediawiki basierende Collaboration-Lösung biete die Möglichkeit der völligen Transparenz. "Jeder kann alles sehen, jeder kann an allem mitschreiben", sagt Roebers. Das Wiki ersetze sowohl das Intranet als auch bereits große Teile der Office-Software. So werden dort viele gemeinsame Texte und Projekte begonnen und weiterentwickelt. Ein Mitarbeiter könne sogar seine eigene Stellenbeschreibung ändern, wenn dies erforderlich sei - ohne Freigabe, direkt für jeden sichtbar. Auch strategische Vorstandsentscheidungen werden bei Synaxon öffentlich diskutiert und gemeinsam getroffen.
Heute verzeichnet Roebers im "Open Company Wiki" zwischen 300 und 500 Edits pro Tag. Alle 140 Mitarbeiter stellen solche Beiträge ein. Insgesamt 87 Millionen Abrufe von 44.000 Seiten bei 324.000 einzelnen Änderungen seit der Einführung vor vier Jahren sprechen eine deutliche Sprache: Die Synaxon AG ist ohne Wiki nicht mehr vorstellbar.
Totale Transparenz
Warum das Modell so erfolgreich ist? Die totale Transparenz verhindere zum einen den Missbrauch, weil jede Änderung namentlich gekennzeichnet werde, und motiviere zum anderen ungemein, die eigene tägliche Arbeit voranzutreiben. "In vier Jahren hatten wir keinen einzigen Eintrag im Wiki, der von einer Führungskraft rückgängig gemacht worden wäre", zeigt sich Roebers begeistert von seiner ursprünglichen Idee, ein "Wikipedia fürs Unternehmen" zu installieren. Der Erfolg dieser Maßnahme übertraf seine kühnsten Vorstellungen. Damit das zukunftsträchtige Projekt nicht wieder einschläft, stellt Synaxon nur noch Mitarbeiter ein, die das neue, ebenfalls im Wiki von allen Mitarbeitern gemeinsam entwickelte Unternehmensleitbild voll unterstützen und die aktive Wiki-Arbeit als wichtigsten Bestandteil ihres Jobs anerkennen. "Durch die hohe Transparenz wissen alle Bewerber genau, was auf sie zukommt. Dadurch bewerben sich heute ganz andere Leute bei uns als früher", erklärt Roebers.
Neben dem Wiki kommen auch Blogs und Mikroblogs zum exzessiven Einsatz: Bevor ein neuer Inhalt eingestellt werde, müsse ein Mitarbeiter dessen potenzielle Lebensdauer bewerten. "Was nur kurz lebt, kommt in unsere Mikroblogs - was länger lebt, in die Blogs, langlebiger Content findet sich im Wiki wieder", so Roebers. Für internes Mikroblogging setzt das Unternehmen auf Yammer, für alles andere auf Twitter. Der Corporate Blog auf der Website basiert auf Wordpress, intern bloggen die Mitarbeiter mit einer eigens entwickelten Mediawiki-Erweiterung. Hinzu kommt laut Roebers die Vernetzung der Kanäle untereinander: "Vieles wird heute im Blog mit einem Verweis auf das Wiki angekündigt." Von einer integrierten Gesamtlösung für alle Einsatzzwecke sei man abgerückt und nutze nun ein Programm für jeden einzelnen Bereich, weil sich integrierte Applikationen als nicht handhabbar herausgestellt hätten.
"Cloud-Kritik ist Quatsch"
Die Cloud-Computing-Kritik anderer Anwender kann der Synaxon-Chef, der allerdings auch nicht in der Rüstungsindustrie unterwegs ist, nicht nachvollziehen: "Das ist Quatsch. Wie kommen die bloß immer auf die Idee, die Daten seien bei ihnen sicherer als bei Google oder anderen Dienstleistern?" Synaxon habe alle rechtlichen Aspekte prüfen lassen und sei zu dem Schluss gelangt, dass Cloud-Anwendungen im Enterprise auch in Deutschland möglich seien, so Roebers. Synaxon hoste sein Wiki wegen des niedrigen Ressourcenverbrauchs zwar intern, habe seine übrige Collaboration-Infrastruktur aber erst kürzlich von IBM Lotus Notes auf Google Apps in die Cloud übertragen.
Aber was ist mit Betriebsgeheimnissen, die viele Konzerne und Mittelständler niemals in den Rechenzentren von Cloud-Anbietern sehen wollen? "Ich habe meine Zweifel, ob diese Einstellung wirklich etwas nützt", sagt Roebers. Sobald etwas digital vorliege, lasse es sich de facto nicht mehr schützen. Bis auf die gesetzlich untersagte Veröffentlichung bestimmter Inhalte, wie beispielsweise personenbezogener Daten, sei die Synaxon AG dazu übergegangen, einen entscheidenden Grundsatz, der in den meisten Unternehmen vorherrsche, ins Gegenteil zu verkehren: "Bei uns ist alles öffentlich und total transparent - nur im Einzelfall wird entschieden, etwas geheim zu halten", lässt Roebers wissen. Damit steht sein Unternehmen zwar noch ziemlich alleine da, scheint für die digitale Zukunft aber besser gerüstet als andere.
"Ein gewisses Vertrauen muss da sein"
Wie bekomme ich die Web-2.0-Werkzeuge aber nun in das Unternehmen hinein? Über diese Fragestellung hat die COMPUTERWOCHE mit Reiner Gratzfeld, Senior Manager IT-Architektur und Leiter des Competence Center Collaboration & Webservices bei der Henkel KGaA in Düsseldorf, gesprochen:
CW: Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, damit sich kollaborative Web-2.0-Technologien wie Wikis und Blogs durchsetzen?
GRATZFELD: Das Wichtigste ist ein offenes Unternehmensklima, in dem sich die Mitarbeiter auch trauen, solche Plattformen zu nutzen. Darüber hinaus müssen die Firmen erkennen, wo die E-Mail ihre Grenzen hat und welche Aufgaben man mit ihr nicht mehr lösen kann. Das gilt insbesondere für große und dezentral organisierte Unternehmen. Firmen mit über 50.000 Mitarbeitern wie Henkel haben in fast jedem Land der Welt Mitarbeiter. Natürlich weiß ich nicht, welcher Kollege in Brasilien oder Peru gerade an welchem Problem arbeitet - gerade da helfen Web-2.0-Tools enorm. Bei Mittelständlern, wo jeder jeden kennt, ist das etwas ganz anderes. Dritter Punkt ist die einfache Benutzbarkeit der Techniken - nur was simpel zu bedienen ist, kann sich auch durchsetzen.
CW: Welche Probleme können noch entstehen?
GRATZFELD: Natürlich gibt es Bedenken gegen Web-2.0-Tools, was die Datensicherheit angeht. Darüber muss in den Unternehmen geredet werden - auch darüber, dass die Software nicht dazu dient, das Wissen der Mitarbeiter digital vorrätig zu halten, um die Angestellten überflüssig zu machen und Arbeitsplätze abzubauen. Ein gewisses Vertrauen muss also da sein. Wenn sich ein Unternehmen dagegen in Restrukturierungsmaßnahmen befindet und an vielen Stellen Personal abbaut, wird es keine neuen Collaboration-Werkzeuge einführen können. Dann ist das Misstrauen unter den Mitarbeitern so groß, dass sich niemand auf diese Tools einlassen wird.
CW: Welche Werkzeuge sind fürs Enterprise-Umfeld geeignet?
GRATZFELD: Ich glaube, dass es für alle gebräuchlichen Web-2.0-Werkzeuge Anwendungsbereiche gibt. Wir müssen dahin kommen, dass Unternehmen Werkzeuge einsetzen, die gleich mehrere Kommunikationsformen ermöglichen - also nicht nur ein Wiki oder ein Blog. So führt mich eine Suchanfrage beispielsweise zu einem interessanten Beitrag auf einem Blog, über dessen Profilseite ich gleich auch verschiedene Wiki-Einträge desselben Autors finde. Es hat aber keinen Sinn, Blogs oder Wikis en passant einzuführen. Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden, welche Werkzeuge für sich und seine Mitarbeiter sinnvoll sind. Ganz wichtig ist eine klare Linie, wie Social Services bereitgestellt und genutzt werden sollen.