Versicherungen vs. InsurTechs

Verdrängen Chatbots den Versicherungsmakler?

21.12.2018 von Stephen Voss  IDG ExpertenNetzwerk
Der Versicherungsmarkt in Deutschland ist hart umkämpft. Die Digitalisierung stellt auch die Vermittler vor immer größere Herausforderungen. Was steckt dahinter?

Kunden deutscher Versicherungen haben nach wie vor ein hohes Sicherheitsbedürfnis und vermeiden Risiken, wo immer es geht. Bislang haben sie ihre Risikoaversion in erster Linie mit ihrem Berater geteilt und sich von ihm leiten lassen.

Das Zeitalter der ständigen digitalen Verfügbarkeit aller Daten und Informationen verführt nun zu der Schlussfolgerung, der Kunde bräuchte keine Beratung mehr und alles funktioniere mittlerweile online. Rezensionen anderer Versicherungsnehmer, analog zu Online-Shops, würden also genügen, um sich eine fundierte Meinung zu einem Produkt zu bilden. Doch ganz so einfach ist es nicht und die beschriebene Haltung zur Beratung bildet nur einen Teil der Wahrheit ab.

Persönliche Beratung durch den Versicherungsmakler oder Kontakt mit einem Chatbot?
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Denn eine Versicherung ist nicht mit einem standardisiert hergestellten Fernseher gleichzusetzen. Dafür sind die Risikosituationen jeder Einzelperson zu individuell. So ist die Unfallversicherung eines 25-jährigen alleinstehenden Bankangestellten überhaupt nicht mit der Unfallversicherung eines 45-jährigen Schreiners und Familienvaters zu vergleichen. Digitale Tools können hierbei zwar unterstützen, alle Risikosituationen werden aber auch sie nach aktuellem Stand noch nicht fundiert bewerten und lösen können.

Offensichtlich brauchen die Kunden also weiterhin Beratung in irgendeiner Form. Allerdings stellt sich die Frage, wie die Beratung zum Kunden kommt – physisch oder digital?

Digitale Vertragsordner und Chatbots

Die Zahlen der Deutschen Industrie- und Handelskammer sprechen da eine klare Sprache: Auf jeden Vermittler kommen immer mehr Versicherungskunden – und die Anzahl der Berater sinkt weiter. Demnach könnten clevere digitale Tools und Apps Versicherungen und Versicherte durchaus weiterbringen.

Da bieten sich zum einen die sogenannten digitalen Vertragsordner an. Dort kann der Kunde seine Versicherungen digital ablegen, verwalten und über die App auch mit dem Berater kommunizieren.
Oder beide, Kunde und Vermittler, nutzen gemeinsam die vom Versicherer zur Verfügung gestellten Online-Angebote zur Vertragsverwaltung. Mit beiden Varianten geht man neue Wege in der Ansprache zum Kunden. Dies kann helfen, bisherige oder entstehende Distanzen zu überbrücken, da nun der Dialog mit dem Versicherten über die Möglichkeiten der App viel dynamischer erfolgt.

Dazu bedarf es einer strikten Anpassung der Informationsschnittstellen, etwa auf Basis der etablierten BiPRO e.V.-Normen, damit Informationen nicht nur ausgetauscht, sondern konkret in systemisch verarbeitbaren Prozessen automatisiert ausgeführt werden können. Als Beispiel seien hier exemplarisch die 430er Normen genannt. Sie beschreiben die grundsätzliche Übertragung von strukturierten Daten, Dokumenten, Nachträgen etc. vom Versicherungsunternehmen zum Vermittler. Nur damit entsteht die Schnelligkeit, die der Kunde heute erwartet.

Lesetipp: IT-Vision 2015 für Versicherungen: So funktionieren Kundenschnittstellen der nächsten Generation

Eine besondere Rolle kommt diesen digitalen Tools vor allem dann zu, wenn sie jene Aufgaben übernehmen, für die bisher das klassische Telefonat mit dem Makler oder dessen persönlicher Besuch vor Ort notwendig war. Sprich: Die laufende Betreuung und Beratung des Kunden, auch über Jahre hinweg.

Ein neuer Versicherungsnehmer braucht allerdings deutlich mehr als lediglich eine Angebots-App, über die er einen Vertrag abschließen kann. Er braucht schon aus regulatorischen Gründen eine kontinuierliche Überprüfung seiner Risikosituation. Ein Makler, der über 1.000 Kunden im Portfolio hat, wird gar nicht in der Lage sein, jeden Einzelnen anzurufen oder vor Ort persönlich zu beraten. Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht ist, dass die fortschreitende Entwicklung der Technik ihm helfen wird. Makler können in Zukunft auf die Unterstützung von Robo Advisors zurückgreifen. Diese KI-basierten Systeme werden bereits von Banken und Fondsgesellschaften erfolgreich eingesetzt. Hier gibt es etwa die mit einem Chat-Bot ausgestattete Anwendung der Berliner Sparkasse, bei der ein virtueller Berater dem Kunden in kürzester Zeit Lösungen zu seinem Thema anbietet. Oder das Konzept der ING Diba mit dem Service von Scalable Capital. Dabei erstellt der Anlagespezialist Scalable Capital für den ING Diba-Kunden ein ETF-Portfolio, das auf einer durchzuführenden Risikobeurteilung basiert, und optimiert es ständig – computergesteuert und automatisch.

Robo Advisors mit Tarif-Durchblick

Der Schritt zum Robo Advisor in der Versicherungsbranche ist nicht groß. Im Markt wird momentan schon viel darüber diskutiert. Sehr weit in der Entwicklung eines eigenen Robo Advisors ist der Lübecker Maklerpool blau direkt. Der digitale Assistent überprüft mit einem Algorithmus die aktuelle Risikosituation des Kunden, legt seine bisherigen Versicherungen daneben und gleicht das aktuelle Produkt mit einem möglichen Alternativprodukt mit gleicher Leistung zum günstigeren Preis oder zum gleichen Preis mit einer höheren Leistung ab.

Und er unterbreitet dem Kunden im Anschluss einen Vorschlag, den er über sein Smartphone annehmen kann. Gegebenenfalls empfiehlt das System sogar noch eine zusätzliche Deckung oder schlägt einen individuellen Beratungstermin vor. Wenn dies personalisiert und im Anstrich des Versicherungsmaklers erfolgt, erfährt der Kunde eine optimale Risikobeurteilung – ohne dass der Makler zum Termin fahren muss.

Doch welche Rolle spielt dann eigentlich der Versicherer, wenn all die beschriebenen Abläufe und Prozesse von cleveren Tools übernommen werden? Die Antwort lautet: eine ganz entscheidende. Denn der Versicherer muss seine Tarife künftig so aufbauen, dass die einzelnen Leistungsbausteine durch den digitalen Analysten Roboadvisor auch automatisiert ausgelesen und bewertet werden können.

Tut der Versicherer das nicht, fällt sein Angebot automatisch aus dem Vergleich heraus. Gleiches gilt natürlich auch für eine digitale Verarbeitung des Tarifs. Schließlich muss die neue Versicherung auch optimal und effizient verwaltet werden können. Hierzu ist es wichtig, dass das Ergebnis des Robo Advisors direkt aus der digitalen Beratung heraus über die Dokumentenschnittstelle des Advisors in Echtzeit zum Versicherer übertragen wird – und von dort nach automatisierter Bearbeitung entlang der digitalen Zeichnungsrichtlinien wieder in Echtzeit an das Maklerverwaltungsprogramm des Vermittlers zurückgespielt wird. Dadurch werden diese Informationen sofort im digitalen Vertragsordner des Kunden mit den neuen Policenbedingungen aktualisiert. Dieser Vorgang muss ohne manuelles Zutun und in Echtzeit passieren.

Laut der Lünendonk-Studie "Versicherungen in der Zeitfalle" sind die meisten Versicherungen von neuen digitalen Produkten und Services noch weit entfernt.
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Die beste Risikobeurteilung und der beste Tarif nutzen gar nichts, wenn das Produkt danach nicht im digitalen Ökosystem des Maklers – bestehend aus Maklerverwaltungsprogramm (MVP) und Customer Relation Management Tool (CRM) – optimal dokumentiert und verarbeitet werden kann. Zumal der Makler nach den regulatorischen Anforderungen der IDD (Insurance Distribution Directive, zu Deutsch: Versicherungsvertriebsrichtlinie) zwingend alle Schritte und Handlungen dokumentieren muss. Danach hat er sich zu richten. Und danach hat der Versicherer mit Blick auf die Prozesse des Vermittlers seine Produkte zu optimieren.

Makler sollten sich auf neue Technologien einlassen

Es ist demnach zu erwarten, dass die Insurtechs als neue Marktbegleiter den Weg und die Beratung zu Versicherungsprodukten nachhaltig beeinflussen werden. Sie werden zusätzlich Druck auf die etablierten Versicherer ausüben, ihre Produktangebote und digitalen Leistungspakete anzupassen. Versicherer, die das nicht tun, werden sich über kurz oder lang den Zugang zu maßgeblichen Absatzkanälen versperren.

Wie Insurtechs die Versicherungen herausfordern - das sind die pfiffigsten Geschäftsideen

Die technologische Entwicklung könnte nicht nur Vergleichsportalen und Online-Beratern entgegenkommen, sondern auch den Versicherungsmaklern. In Zukunft werden sie digitale Tools und darüber optimierte Versicherungsprodukte einsetzen können – und somit bei geringerem administrativen Aufwand digital gestützt beraten können. Geht ein Makler diesen Weg mit, wird er auch weiterhin am Markt gebraucht – und auch in absehbarer Zeit kein Auslaufmodell werden.