Verbesserung der IT-Performance: Operation am offenen Herzen

18.10.2007
Die MTG Malteser Trägergesellschaft hat ihrer IT eine Radikalkur im laufenden Betrieb verordnet. Nun ist sie schlank und auf künftige Herausforderungen vorbereitet.

Die Deutschen Malteser haben sich zur Nähe zum Menschen verpflichtet. Aufmerksam, respektvoll, beteiligend und die Stärken aktivierend sind für alle Malteser-Mitarbeiter die wesentlichen Merkmale, an denen sie ihren Umgang mit Patienten und Kunden ausrichten müssen. Angesichts der ausufernden Kosten im Gesundheitswesen konzentriert sich die Dachorganisation für Pflege-, Gesundheits- und Betreuungsdienste zunehmend auf gesundheitsfördernde Angebote. "Weg von der reinen Krankheitsbehandlung, hin zur Gesundheitsvorsorge", bringt Bernd Meisheit, CIO bei der MTG Malteser Trägergesellschaft, diese Maxime auf den Punkt. Die MTG ist innerhalb der Malteser-Organisation die Betreibergesellschaft für Krankenhäuser, Einrichtungen der Altenhilfe sowie Pflegedienste.

Foto: Joachim Wendler

Der Leitsatz lässt sich auch auf das Mitte dieses Jahres abgeschlossene Projekt zur IT-Performance-Verbesserung übertragen. Die IT der MTG krankte vor dem Start des Vorhabens im Jahr 2004 an mangelnder Flexibilität und hohen Kosten. 90 Prozent der Aufgaben des IT-Personals befassten sich mit dem laufenden Betrieb. Jedes der zehn Krankhäuser in Deutschland hatte sich mit einem eigenen Krankenhaus-Informationssystem samt zugehörigen Servern und Datenbanken ein kleines Fürstentum in der IT-Landschaft geschaffen. An eine schnelle Integration übernommener Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser sowie innovativer Techniken war in diesem Umfeld nicht zu denken.

Projektsteckbrief

Projektart: Verbesserung der IT-Perfomance.

Branche: Gesundheitswesen.

Zeitrahmen: Mitte 2004 bis Mitte 2007.

Stand heute: IT-Migration abgeschlossen, fortwährende Überarbeitung der Geschäftsprozesse.

Aufwand: 17 Projektmitarbeiter (in Spitzenzeiten 70 involvierte IT-Mitarbeiter).

Produkte: Krankenhausinformationssystem Orbis; Thin Clients; Blade-Server und SAN von IBM.

Dienstleister: Fritz & Macziol (Lieferung und Konfiguration der Blade-Server und des SAN); Pironet NDH (Colocation, Betrieb des MPLS-Netzes), Socura (Netz- und Systemadministration, Betrieb der kaufmännischen Applikationen); TA Triumph Adler (Vor-Ort-Endgeräte-Service), Agfa Healthcare (Hersteller des Krankenhausinformationssystems).

Umfang: 5,9 Millionen Euro.

Ergebnis: transparente Kosten; flexible und auf Wachstum ausgerichtete IT-Umgebung; Einsparungen der IT-Personalkosten um 20 Prozent. Entlastung des IT-Jahresbudgets der MTG um 1,5 Millionen Euro; Entlastung des IT-Jahresbudgets der gesamten Malteser-Gruppe um 3,5 Millionen Euro (jeweils ohne Personalkosten).

Herausforderung: Neugestaltung der IT- und Kernprozesse in einem konservativen Umfeld, bei knappem Budget und in kurzer Zeit im laufenden Betrieb.

Nächster Schritt: Überarbeitung des Workflows und Neugestaltung der Kernprozesse in den Einrichtungen.

Das wurde zunehmend problematisch, weil beispielsweise die Gesundheitsreform hohe Anforderungen an die digitale Dokumentation stellt, gleichzeitig die IT-Budgets im Gesundheitssektor nach wie vor schrumpften. Auch die bevorstehende Einführung der Patientenkarte und –akte bedeutet anspruchsvolle Aufgaben für die IT. "Die Patienten fordern Informationen etwa über behandelnde Ärzte und Qualität auch über das Internet ein", beschreibt Meisheit. Last, but not least ließ der immer härtere Wettbewerb in dieser Branche keine Alternative, sich für mögliche Übernahmen von Gesundheitseinrichtungen vorzubereiten.

Der Malteser-CIO verschrieb der IT daher eine OP am offenen Herzen. Ohne Betriebsunterbrechung sollte sie zentralisiert, industrialisiert und an den Kernprozessen ausgerichtet werden. Das kam nicht überall gut an, zumal die Neuerungen sowohl der IT ein vollkommen neues Gesicht geben als auch in die Abläufe der Krankenhäuser, Altenhilfeeinrichtungen und ambulanten Pflegedienste eingreifen sollten. Für die IT bedeutete das Vorhaben beispielsweise einen klaren chirurgischen Schnitt. Im Hause verblieben nur noch das Prozess- und Projekt-Know-how sowie Unterhalt und Anpassung des Krankenhausinformationssystems. Der Betrieb von Rechenzentren, Netzen, PCs und kaufmännischen Standardapplikationen wurde ausgelagert. Daher war der Widerstand sowohl in der internen IT als auch in den Malteser-Einrichtungen gegen die Pläne programmiert. Dennoch: "Wir haben konsequent alte Zöpfe abgeschnitten", betont Meisheit.

Neue Organisationsstruktur

In einem ersten Schritt wurde eine neue Organisationsstruktur eingeführt, deren Aufgabenschwerpunkt die Medizininformatik und das Prozess-Management ist. Rund 30 Mitarbeiter, davon etwa die Hälfte in den lokalen Einrichtungen, verantworten die standardisierte Einführung und Fortschreibung aller klinischen IT-Systeme und -Verfahren. Zudem leisten sie den Anwendungssupport für das zentrale Krankenhausinformationssystem. "Erstmals steht die kompetente Anwenderbetreuung rund um die Uhr und an allen Tagen des Jahres zur Verfügung", berichtet Meisheit stolz.

Für kerngeschäftsfremde Dienste wie die Betreuung der Server- und Netzwerkadministration sowie die Anwendungsprogrammierung und -betreuung der kaufmännischen Lösungen gründete die MTG zusammen mit einer Schwester- und der Muttergesellschaft eigens die Servicetochter Socura. Für den sicheren Arbeitsplatz und eine Standortgarantie im Rheinland mussten Arbeitnehmervertretung und Socura-Mitarbeiter große Opfer bringen. Statt 38,5 Stunden arbeiten die IT-Experten nun 42 Stunden pro Woche, und ihr 13. Jahresgehalt wurde ersatzlos gestrichen. Damit erspart sich die MTG Personalkosten von rund 20 Prozent. Mit projektbezogenen Zulagen wurden die Gehaltseinbußen teilweise auszugleichen.

Dass dieses Auslagerungsprojekt intern betrieben wurde, hatte klare finanzielle Gründe. Weil die Socura dem so genannten Malteser Organkreis zugerechnet wird, zahlen die Gesellschafter keine Mehrwertsteuer für die bezogenen Leistungen, die interne Tochter hat somit automatisch einen erheblichen Kostenvorteil.

Die Malteser Trägergesellschaft

Unternehmen: MTG Malteser Trägergesellschaft gGmbH (Tochtergesellschaft der Deutschen Malteser gGmbH und Schwestergesellschaft des Malteser Hilfsdienstes gGmbH).

Standort: Bonn.

Umsatz 2006: 345,7 Millionen Euro.

Gewinn 2006: nicht ausgewiesen.

Anzahl der Mitarbeiter: 5900.

IT-Budget 2006: 7,1 Millionen Euro inklusive IT-Personalkosten.

Branche: Gesundheitswesen.

Geschäftstätigkeit: Betrieb von

  • zehn Krankenhäusern;

  • einer Fachklinik für Naturheilverfahren;

  • 22 Einrichtungen der Altenpflege;

  • acht ambulanten Pflegedienste,

  • zehn Einrichtungen für Hospizarbeit und Palliativmedizin.

Auch in einem zweiten Outsourcing-Projekt entschied sich Meisheit mit seinen Mitarbeitern für einen ungewöhnlichen Weg. Eine Ausschreibung unter drei Anbietern zum Betrieb des Rechenzentrums zeigte: Bei gleicher Leistung und identischem Service-Level kann die MTG den RZ-Betrieb in Eigenregie zur Hälfte der Kosten betreiben, die der günstigste externe Dienstleister angeboten hatte. Als problematisch erwies sich allerdings, dass die vorhandenen Rechnerräume für den gemeinsamen Betrieb ungeeignet waren.

Ein Neubau wurde ins Auge gefasst, doch die hohen Anforderungen an Ausfallsicherheit sowie Kühlung und Stromversorgung aufgrund der genutzten Server-Blades machten die Pläne unrentabel. Glücklicherweise bescherten die enormen Überkapazitäten im deutschen Hosting-Geschäft der MTG eine attraktive Alternative. Nach kurzer Zeit war ein geeignetes Rechenzentrum gefunden. In Hamburg mietete die MTG eine Colocation-Fläche zu attraktiven Konditionen für zehn Jahre an.

Test- und Backup-Systeme für geschäftskritische Anwendungen

In dem Hamburger Data-Center stehen heute 175 Blade-Server auf Windows-Basis für den Applikationszugriff via Citrix-Umgebung sowie 35 Unix-Server, vornehmlich für den Betrieb der Datenbanken. "Im Vergleich zu der bisherigen, in den Krankenhäusern und in der Altenhilfe üblichen Technik ist die Ausstattung ein Quantensprung", freut sich Meisheit. Für alle geschäftskritischen Anwendungen gebe es Test- und Backup-Systeme. Der Provider garantiere eine Verfügbarkeit von 99 Prozent. Die hohe Zuverlässigkeit der Installation ist notwendig, weil alle Applikationen in einem Rechenzentrum konsolidiert wurden. Den schnellen und gesicherten Zugang stellt ein Corporate Network sicher, das ebenso wie das Rechenzentrum von Pironet NDH betrieben wird.

Allerdings sind Zentralisierung beziehungsweise Outsourcing von lT im Gesundheitswesen ungleich heikler als in anderen Branchen, weil personenbezogene Daten einem speziellen und sehr strengen Datenschutz unterliegen. Der Gesetzgeber kennt in der Schweigepflicht der Heilberufe kein Pardon. Jeder Gesetzesbruch, also jede unbefugte Weitergabe von Daten an Dritte, kann eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Die üblichen Verfahren zur Datensicherung und zum Datenschutz wie zum Beispiel Firewall, Viruswall, Intrusion Detection und Spam-Filter erachtet der Gesetzgeber nicht als ausreichend. Aus diesem Grund werden alle Daten getunnelt, das heißt, sie werden mit dem sicheren IPsec-Verfahren übertragen.

Mit der Migration der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen auf die zentralen Anwendungen im Rechenzentrum ging die Neugestaltung der dezentralen Installation einher. Sämtliche Desktops wurden durch Thin Clients mit Citrix-Zugang ausgetauscht. Weder gibt es heute noch lokale Applikationen noch die Möglichkeit für die Anwender, eigene Software-Tools und –Lösungen zu installieren. Die Geräte wurden ebenso wie sämtliche Drucker, Kopierer und Faxgeräte nicht gekauft, sondern angemietet beziehungsweise geleast. Im Zuge des Outsourcing-Projekts wurden für alle Endgeräte verbindliche Standards festgelegt. Heute laufen bei der MTG beispielsweise nur noch sieben unterschiedliche Druckertypen. Die jährlichen Beschaffungskosten für Toner und Tinte gingen um 60.000 Euro zurück.

Zentralisierte und standardisierte IT

Mit dem bislang Erreichten können Meisheit und seine Mitarbeiter zwei wichtige Vorhaben von ihrer Liste streichen: Die IT ist zentralisiert und standardisiert. Die Zusammenführung aller Applikationen in einem Rechenzentrum, die Installation des Corporate Network und die Vereinheitlichung der dezentralen Systeme entlasten das IT-Infrastruktur-Budget bereits um bis zu 50 Prozent. Unterm Strich steht eine Ersparnis von 1,5 Millionen Euro pro Jahr oder 22 Prozent der bisherigen IT-Kosten.

Nicht minder wichtig erscheint es Meisheit, mit der neuen IT-Landschaft eine zukunftsfähige Umgebung gestaltet zu haben. Einer schnellen Integration neuer Einrichtungen – etwa im Zuge von Übernahmen - steht damit nichts im Wege. Zudem schlummert im Kerngeschäft noch ein erhebliches Sparpotenzial, das sich mit der neuen IT heben ließe. Sie erlaubt nun den schnellen und zentralen Zugriff auf alle relevanten Daten im Krankenhaus- und Pflegebetrieb und bietet die Basis für eine Neugestaltung der internen Abläufe. Die eigenen IT- Mitarbeiter mit ihrem tiefen Wissen um die Medizininformatik haben nun die Freiräume, die Malteser-Einrichtungen zu beraten, wie sie mit Hilfe der IT ihre Prozesse und den digitalen Workflow effizienter gestalten.

Ganz einfach ist das Unterfangen nicht. Die Projektverantwortlichen haben die Veränderungsresistenz und die Zurückhaltung des Klinikpersonals gegenüber aktuellen IT-Verfahren im Gesundheitssektor unterschätzt. Statt einer kalkulierten Amortisationszeit von 18 Monaten stehen nun 30 Monate auf dem Papier. Dennoch zeigt sich Meisheit optimistisch, die bislang schon deutlich verbesserte IT-Durchdringung weitertreiben zu können. "Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir müssen mit der hohen Qualität unserer IT-Services überzeugen", schildert er. Dabei helfen insbesondere positive Erfahrungen der Einrichtungen, die ihren klinischen Workflow bereits überarbeitet haben. So konnten beispielsweise erste Krankenhäuser ihre Ressourcenplanungen für Operationen verbessern. "Die Zufriedenheit unter den dortigen Mitarbeitern ist deutlich gestiegen", freut sich der MTG-CIO.