User Groups - zwischen Anwender und Hersteller

18.03.2004 von Katharina Friedmann
Produktinformationen, eine exklusive Plattform für den Erfahrungsaustausch der Anwender untereinander sowie Einflussnahme auf die Verbesserung der Lösungen - das versprechen User Groups ihren Mitgliedern. Effektivität durch Automomie haben sich vor allem die großen Nutzerguppen auf die Fahnen geschrieben.

Im Alleingang haben Anwenderunternehmen kaum eine Chance, ihren Anliegen beim IT-Hersteller das nötige Gewicht zu verleihen. Nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark" schließen sich daher viele Nutzer zu User Groups zusammen. Sinn und Zweck dieser in der Regel als Verein eingetragenen Organisationen ist es, die Anwender frühzeitig und kritisch über neue Produkte oder Veränderungen in der Herstellerstrategie aufzuklären und den Anbieter so zu beeinflussen, dass er auf die Bedürfnisse der Anwender schnell reagiert.

Als Informationsquelle sowie Plattform für den Austausch von Erfahrungen, heiße Diskussionen und ein reges Networking sollen jährlich ein bis zwei Großveranstaltungen sowie regelmäßige Treffen in zahlreichen regionalen und überregionalen Arbeitsgruppen dienen. Eine darüber hinausgehende Community-Bildung unterstützen User Groups über ihren jeweiligen Web-Auftritt, die Kontaktpflege zu europäischen und globalen Anwendervereinigungen sowie eine Mitgliederzeitschrift.

Wer für seine Mitglieder Konkretes bewirken will, ist auf den direkten und guten Draht zum Hersteller angewiesen. Gerät die Beziehung zwischen Anbieter und Anwenderverein allzu innig, kann die kritische Distanz aber schon mal auf der Strecke bleiben. Damit Anwenderunternehmen von einer Mitgliedschaft profitieren, gilt es für ihre Lobby, die Gratwanderung zwischen fruchtbarer Kooperation und kritischer Nutzervertretung zu meistern - eine Disziplin, die nicht alle Organisationen gleich gut beherrschen.

Die Deutsche Oracle Anwendergruppe e. V. (Doag) ist sich des besagten Spannungsfelds wohl bewusst. "Zwar müssen wir uns aufgrund unserer finanziellen Unabhängigkeit keine Sorgen machen, dass uns der Geldhahn zugedreht wird, dennoch basieren wir inhaltlich natürlich darauf, dass es Oracle gibt", beschreibt Doag-Vorstandsvorsitzender Fried Saacke die in seinen Augen aus der Anwendergruppe, ihren Mitgliedern und Oracle bestehende Gemeinschaft. Missbrauche eine User Group jedoch die Macht ihrer Souveränität, sei eine sinnvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich. Vor vier Jahren hat sich die Doag von Oracle gelöst.

Als wesentlich erachtet Saacke den fairen Umgang miteinander. So sei es mittlerweile gelungen, den Datenbankanbieter davon zu überzeugen, dass die Doag als Anwendervereinigung nur dann glaubhaft ist, wenn ihr offene Kritik zugestanden wird. Im Gegenzug erhält Oracle die Chance, zu Problemen Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Missverständnisse auszuräumen, bevor sich die Doag damit an ihre Gemeinde oder die Öffentlichkeit wendet.

Auch die Tatsache, dass sich Oracle bei seinem diesjährigen CeBIT-Auftritt voll und ganz in die Hände der Doag begibt und sich dort ausschließlich auf dem Messestand der User Group zeigt, empfindet Saacke nicht als kompromittierend. "Die Doag führt hier Regie und hat die alleinige Verantwortung", so ihr Vorsitzender. Natürlich finanziere Oracle seine eigene Präsenz, sei als Mitaussteller jedoch lediglich einer von 20 Partnern, die sich dort vorstellen.

Wo angebracht, zeigt die User Group dem Hersteller die Zähne und scheut sich nicht, Konflikte öffentlich zu diskutieren. Die Doag konnte sich mit den Leitthemen ihrer Jahreskonferenzen wiederholt durchsetzen - so auch vor drei Jahren, als Oracles Datenbank-Pricing unter Beschuss stand. Der Anbieter hatte daraufhin das seinerzeit heftig kritisierte Power-Unit-Pricing wieder zurückgenommen und die Nutzungsgebühren nur nach Anzahl der Prozessoren berechnet (siehe www.computerwoche.de/go/145610). Als Hinweis auf den offenbar gelungenen Spagat zwischen Zusammenarbeit und Anwendervertretung führt Saacke das jährlich rund zehnprozentige Mitgliederwachstum an. "Seit wir uns von Oracle losgelöst haben, hat sich die Zahl der Mitgliederunternehmen mit inzwischen gut 2300 mehr als verdoppelt", freut sich der Doag-Leiter.

Autonomie bringt Mitglieder

Die Emanzipation vom Anbieter zählt Saacke zu den großen Erfolgen der Nutzergruppe. Mit dem Ziel, die Zusammenarbeit auf operativer Ebene zu unterstützen, kann der Datenbankhersteller gemäß Doag-Satzung zwar bis zu vier Mitarbeiter bestimmen, die in beratender Funktion im Beirat der Anwendergruppe sitzen. Nach Angaben des Vorsitzenden sind es in der Praxis aber meist nur ein bis zwei Personen, die den Hersteller vertreten und den Informationsaustausch kanalisieren.

Als zweites großes Verdienst führt Saacke das erfolgreiche Doag-Engagement für die Nutzerbetreuung durch Oracle an. Im Zuge der Umstellung auf Web-basierenden Support hatte deren Qualität hinsichtlich Kommunikation, Antwortzeiten und Transparenz deutlich nachgelassen (siehe www.computerwoche.de/go/80113966). Da habe sich hierzulande nach einer von der Doag initiierten Zufriedenheitsumfrage unter den Mitgliedern viel verbessert - eine Aktion, die laut Saacke mittlerweile auch in der europäischen und weltweiten Oracle-User-Group Schule gemacht hat. Dennoch hat das Thema auch im laufenden Jahr Priorität: "Da Oracle bemüht ist, die Kosten für den gesamten Support zu senken, muss man aufpassen, dass hier nicht an den Anwenderinteressen vorbei optimiert wird", mahnt der Doag-Chef.

Ebenfalls von wiederkehrender Wichtigkeit für die Anwender ist Oracles Lizenzpolitik: Aktuellen Unmut verursachen laut Saacke nicht so sehr steigende Preise als vielmehr mangelnde Transparenz. Moniert werden die Versuche des Herstellers, Nachlizenzierungen zu erzwingen. "Das ist ein derzeit rumorendes Thema, das wir konkreter formulieren und worüber wir uns mit den benachbarten User Groups austauschen müssen."

Ansonsten will die Doag heuer mehr exklusive werthaltige Angebote für ihre Mitglieder schaffen. Deren Vorteile erschöpfen sich derzeit in Vergünstigungen bei der Jahreskonferenz und anderen Veranstaltungen sowie dem kostenlosen Bezug der "Doag-News". Zunächst soll der Doag-Web-Server zum Community-Portal mit ausschließlich für Mitglieder zugänglichen Foren ausgebaut werden. "Gegenüber Doag-Mitgliedern wollen wir die Neuigkeiten pushen, während sich die anderen diese abholen müssen", so Saacke.

GSE - die IBM muss sparen

Bei der IBM-Anwendervereinigung Guide Share Europe (GSE) hat die Beteiligung des Herstellers in den vergangenen zehn Jahren dramatisch abgenommen. Nach Angaben von Christoph Laube, ehemaliger Region-Manager der GSE und Leiter des Bereichs Veranstaltungs-Management, waren früher zwei IBM-Mitarbeiter allein für die deutsche Region verantwortlich, während heute für sämtliche User Groups nur noch einer zuständig sei. "Es ist zu beobachten, dass auch IBM sparen muss", kommentiert Laube die nachlassende Zuwendung seitens Big Blue. Die User Group finanziert sich heute ausschließlich über ihre Mitgliederbeiträge und Tagungseinnahmen.

Eine stärkere Abhängigkeit sieht der GSE-Mann im Bereich Veranstaltungen: "Auf der Agenda für unsere Jahrestagung im Mai finden sich rund 70 Referenten, davon sind gut die Hälfte von IBM." Den verbleibenden Rest der Vorträge bilden Praxisberichte aus den eigenen Reihen. "Da wir uns naturgemäß hauptsächlich mit Betriebssystemen und Hardware der IBM befassen, sind wir auf deren Informationen beziehungsweise Referenten dringend angewiesen", begründet Laube das Ungleichgewicht. Durch inhaltliche Vorab-Checks achte die GSE jedoch penibel darauf, dass ihre Veranstaltungen nicht in Werbe-Events für den Hersteller ausarten. "Da greift unser Ehrenkodex, nach dem hier kein Marketing betrieben werden darf: Wer das versucht, wird rausgeschmissen - das haben wir auch schon mehrfach praktiziert", weiß der Ex-Region-Manager

zu berichten. Eigenwerbung ist lediglich im dafür bestimmten Ausstellungsbereich der Jahrestagungen erlaubt - allerdings nicht nur für IBM.

Die Teilnehmer und Leiter der insgesamt gut 60 Arbeitsgruppen, denen jeweils ein IBM-Ansprechpartner als Mittelsmann zur Seite steht, bestimmen die Themen ihrer insgesamt 150 Veranstaltungen pro Jahr eigenständig. War hier etwa früher gemäß IBM-Vorgabe die aktive Teilnahme von Mitbewerbern ausgeschlossen, mischt sich Big Blue laut Laube heute inhaltlich nicht mehr ein: "Nachdem wir von der IBM in den vergangenen Jahren immer weniger Geld bekommen, ist das auch nicht mehr einzusehen."

Thema Software-Pricing im Fokus

"Unsere Kernaufgabe ist es, den direkten Informationsaustausch unter den Mitgliedern zu fördern", beschreibt Eberhard Grammes, seit Anfang dieses Jahres Region-Manager der GSE, deren primären Zweck. Neben ihrer Funktion als Vermittler von Neuerungen aus der IBM-Welt ermögliche es die GSE, von Arbeitsgruppen formulierte Anwender-Requirements über einen speziellen Kanal direkt in die IBM-Labors zu schicken. "Dabei handelt es sich um Wunschlisten, in denen vorgeschlagene Produktfunktionen mit ihren jeweiligen Vorteilen aufgeführt werden", erklärt Grammes. Als Anwender-Lobby sei es aber auch Aufgabe der GSE, Einzelinteressen gebündelt an den Hersteller heranzutragen. Als wichtiges Thema führt sein Kollege hier das Software-Pricing an - insbesondere im Hinblick auf IBMs On-Demand-Konzept. "Da mussten neue Ideen her, denn leider haben sich IBMs diesbezügliche Entwürfe teilweise als Bananen erwiesen, die ja bekanntlich erst beim Kunden reifen."

Den Mehrwert für die GSE-Mitglieder unter den IBM-Anwendern sieht Grammes vor allem in preisgünstiger Weiterbildung: "Für 650 Euro bekommt man nirgendwo auch nur einen Tag Training - bei der GSE wird man dafür das ganze Jahr über geschult." In diesem Jahr wolle sich die User Group von der reinen Mainframe-Fraktion hin zur Client-Server-Klientel weiter öffnen und noch intensiver um die Anwender von IBMs P-Series- und X-Series-Systemen kümmern. Den Anliegen der I-Series- beziehungsweise AS/400-User widmet sich die Nutzergruppe Common.

"Stärke durch Gemeinsamkeit" lautet das Motto der Deutschen Baan Usergroup (DBUG), die sich als Sprecherin der deutschen Anwender versteht und für die Belange der Baan-User gegenüber dem neuen Eigner SSA Global Technologies einsetzt. "Da wir uns nicht über den Hersteller, sondern aus eigenen Mitteln finanzieren, sind wir hundertprozentig unabhängig", betont Klemens Hauk, Vorsitzender und Gründungsmitglied der DBUG. "Wir arbeiten kooperativ mit SSA zusammen, pflegen aber eine kritische Partnerschaft, in der stets zur Sprache kommt, wenn Entwicklungen unseres Erachtens in die falsche Richtung gehen."

Und SSA muss draußen bleiben

Die starke Entkoppelung vom Hersteller zeigt sich nach Ansicht von Hauk auch bei den beiden großen Jahresveranstaltungen der User Group: Von einem Event sei der Hersteller vollständig ausgeschlossen, so dass die Anwender ungestört ihre Erfahrungen austauschen könnten. Auch der erste Tag der zweiten großen Jahresveranstaltung, die Mitgliederversammlung, findet ohne SSA statt. Lediglich die Inhalte des Folgetags bestreitet der Softwarehersteller etwa mit Keynotes aus dem Management zu Neuentwicklungen oder Roadmaps - "allerdings in enger Absprache mit uns", betont der DBUG-Vorsitzende.

Der aktuelle Fokus der User Group liegt darin, zu verfolgen, wie sich die nach der Baan-Übernahme durch SSA im vergangenen Herbst ergriffenen Restrukturierungsmaßnahmen auf das Leistungsangebot - etwa Support oder Produktentwicklung - des Anbieters auswirken. "Wir haben eine ganze Reihe von Zusagen hinsichtlich Strategie und Roadmaps von Seiten des SSA-Managements, die wir kontinuierlich verfolgen, hinterfragen und auf ihre Umsetzung hin überprüfen", schildert Hauk die Aktivitäten. Um die Zusammenarbeit der einzelnen User Groups zu intensivieren und somit der Baan-Anwendervertretung gegenüber SSA auf europäischer Ebene mehr Gewicht zu verleihen, findet im März die Gründung eines Europäischen Baan Usergroup Forums statt.

Als einen Aufgabenschwerpunkt auch der DBUG führt Hauk die Einflussnahme auf künftige Produkte an. Hierzu werden in den Arbeitskreisen erarbeitete Inhalte an die Baan-Entwicklung weitergegeben. Zu den größten Verdiensten in der Vergangenheit zählt er Funktionserweiterungen in den Bereichen Buchhaltung und Finanzen, in denen einige kritische Geschäftsprozesse von der Software nicht ganz abgedeckt waren. Definiert von der DBUG, wurden diese von Baan zunächst als lokale Add-ons umgesetzt, in späteren Software-Releases aber als Bestandteil der Standardpakete integriert. Wesentliche Verbesserungen hätten auf Initiative der Nutzergruppe zudem spezielle Tools für die Verwaltung von Fehlerkorrekturen erfahren, die dann in die internationale Entwicklung eingegangen seien.

"Wir sind zwar finanziell unabhängig, haben aber eine Exklusivität in der Zusammenarbeit mit SAP", umschreibt Alfons Wahlers, Vorsitzender und Gründungsmitglied der Deutschen SAP Anwendergruppe (DSAG), das Beziehungsgeflecht zwischen der weltweit größten Usergroup im SAP-Umfeld und dem Walldorfer ERP-Anbieter. Mit 1360 Mitgliederunternehmen vereint die Dsag eigenen Angaben zufolge etwa 40 Prozent aller deutschen SAP-User unter ihrem Dach. Den Grenzgang zwischen Herstellerkooperation und kritischer Anwendervertretung bezeichnet Wahlers als "Spagat", der jedoch durch die wirtschaftliche Eigenständigkeit des Vereins zu bewerkstelligen sei. Im Bereich Veranstaltungen habe sich das Anbieter-Usergroup-Verhältnis mittlerweile sogar umgekehrt: "Heute sagen wir, was ins Portfolio passt, weil wir wissen, wo die Anwender Bauchschmerzen haben",

schildert der Kopf der Dsag das Prozedere. Dabei würden SAP-Beiträge stets auf Marketing-Inhalte hin überprüft und gegebenenfalls auch abgelehnt. Für eine ausgewogene Interessenvertretung in den mittlerweile 90 Arbeitsgruppen sorge jeweils ein "Doppelgestirn" aus einem DSAG-Anwendermitglied und einem SAP-Ansprechpartner, so Wahlers.

Die DSAG im Spagat

Als "Seele der SAP-Community" hat sich die DSAG insbesondere die Einflussnahme bei der funktionalen Erweiterung von SAP-Produkten im Sinne der Anwender zum Ziel gesetzt. Zu den größten diesbezüglichen Erfolgen zählt Wahlers das Interims-Release R/3 Enterprise als Brücke zwischen SAPs R/3 und deren Mysap-ERP sowie die Wartungsverlängerung verschiedener R/3-Branchenlösungen. Für das Jahr 2004 steht dreierlei auf dem Programm: Zum einen soll den CIOs der DSAG-Mitgliederfirmen "als SAP-Verkäufern im Unternehmen hin zu den Fachbereichen" mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden und beim Auswahlprozess mehr Unterstützung in Form von gezielten Informationen, Argumenten und Wirtschaftlichkeitsberechnungen zukommen - nicht zum Ärger der SAP. Ein zweiter Schwerpunkt wird das Thema Produkt- und Wartungsstrategie im Bereich Mysap-ERP sein. Last, but not least will sich die Anwendergruppe im laufenden Jahr an SAPs neuer Entwicklungsorganisation, den "Business

Solution Groups", ausrichten. "Aufgrund der neuen Gruppen und Verantwortlichen müssen wir hier einen Informationsfluss aufbauen, damit das Thema nicht abbricht und wir mehr Einflussmöglichkeiten haben", schildert Wahlers.

Im Gegensatz zur Doag trägt die SAP-Anwendergruppe ihre Konflikte lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus, was deren vollständige Abnabelung von dem Walldorfer ERP-Anbieter zumindest in Frage stellt. Szenekenner erachten das Miteinander zwischen der User Group und SAP jedenfalls für ungewöhnlich innig. Nach Meinung etwa von Karin Henkel, Research Director der Unternehmensberatung Strategy Partners, besteht hier noch ein dringender Emanzipationsbedarf: "Die DSAG muss verstärkt an ihrer Unabhängigkeit arbeiten und sich in ihrem Außenauftritt entsprechend darstellen."