Update: IBMs neue Softwarelizenzen - Eisberg für Anwender?

01.08.2006
Kunden von IBM müssen sich bei den Preisen für Softwarelizenzen auf ein neues Modell umstellen: In Zukunft berechnet Big Blue nach so genannten Prozessor-Werteinheiten. Für Kunden könnte dies zu bösen Überraschungen führen.

Mit den Processor Value Units (PVUs) will das Unternehmen auf neue Prozessortechniken reagieren. Seit der Einführung von x86-Prozessoren - also Intel-konformen CPUs - im Jahr 2005, die mit zwei Prozessorkernen ausgestattet sind, ist es laut IBM komplizierter geworden, ein Lizenzmodell für Middleware-Software zu entwerfen. Die meisten Anbieter von Middleware hätten mit der Einführung des Dual-Core-Prozessors ihre Lizenzmodelle geändert.

Wesentlich für das Verständnis des neuen Berechnungsmodells ist der Vergleich der Art, wie einerseits bei Servern mit Multicore-CPUs und andererseits bei Multiprozessor-Maschinen (die bislang mit lauter Single-Core-Chips ausgestattet sind) die Lizenzgebühren festgelegt werden.

IBM-Sprecher Hans Rehm macht dies an einem Beispiel deutlich: Es sei vollkommen üblich, dass beim Umstieg von einer Zwei- auf eine Vier-Wege-Maschine sich die Lizenzgebühren für Software verdoppelt, da sich ja auch die Rechenleistung erhöht. Theoretisch könnte nun ein Anwender von solch einem Vier-CPU-System wechseln auf eines mit einem Quad-Core-Prozessor, wie IBM ihn kürzlich auf Power-Basis in dem p5-Server "Modell 570" vorgestellt hat. In solch einem Fall würden nach den bisherigen Lizenzpreis-Usancen die Kosten für Software sogar sinken - eine Vorstellung, die sicherlich den Anwendern, nicht aber den Softwareanbietern wie Oracle, SAP etc. gefallen dürfte.

Auch derjenige, der von einer auf die nächste Prozessorgeneration wechselt (Beispiel: von "Power5" auf "Power5+"), kommt in den Genuss von Rechenleistungszuwächsen (auch bei gleich bleibenden Zahlen von Prozessoren oder Prozessorkernen). Hiermit verbunden wäre aber keine Steigerung der Lizenzgebühren für die Software.

Die IBM selbst hat nun am 25. Juli 2006 reagiert und ihr neues Abrechnungsmodell vorgestellt. Die wesentliche Neuerung: IBM gibt für die Berechnung von Softwarelizenzen das Konzept der Pro-Prozessor-Kalkulation auf und setzt auf das Lizenzierungsmodell der PVU. Außerdem wird die Rechenleistung von Prozessoren künftig bei der Lizenzpolitik berücksichtigt.

Von diesem Modell sind so gut wie alle Middleware-Produkte des Passport-Advantage-Programms der IBM betroffen wie etwa die Websphere-, Lotus-, Rational- und Tivoli-Software und die Produkte des Bereichs Information Management (also etwa DB2- und Informix-Datenbanken).

Was eigentlich ist PVU?

Eine Processor Value Unit ist eine Werteinheit, die IBM anhand eines eingesetzten Prozessortyps festlegt. Sie ermöglicht Big Blue, unterschiedliche Lizenzpreise für seine Middleware zu berechnen, je nachdem, welche Prozessoren mit welcher Anzahl von Prozessorkernen zum Einsatz kommen.

Danach gilt zum einen für alle Prozessoren mit einem Kern ein Konversionsfaktor von 100. An den Lizenzgebühren ändert sich für Kunden, die solche Prozessoren einsetzen, damit nichts. Setzt ein Kunde zum anderen Server ein, die mit Risc-CPUs rechnen, so gilt für jeden Prozessorkern dieser Architektur der Faktor 100. Wer also einen Rechner mit "Power-5"-, "HP-PA-", "Ultrasparc-IV"- oder "Itanium"-CPUs nutzt, auf dem IBM-Middleware läuft, dem berechnet Big Blue Softwarelizenzgebühren nach der Zahl der Rechenkerne. Bei einer Dual-Core-Maschine käme demnach ein Faktor von zweimal 100 zum Ansatz. Hintergrund: IBM sagt, die Rechenleistung steige bei Risc-CPUs mit der Zahl der CPU-Kerne linear an.

Anders bei x86-Prozessoren (Intel "Xeon", AMD "Opteron"): Für sie gilt ebenso wie für "Power-PC-970"- und für "Power-5-QCM"-Prozessoren ein Faktor von 50. Bei einem Zweikern-Intel-Prozessor wird so beispielsweise der Konversionsfaktor 50 zweimal angesetzt, was für das Dual-Core-Intel-System eben zum Faktor 100 führt. Big Blue glaubt bei diesen Prozessorarchitekturen, dass die Rechenleistung mit der Zahl der CPU-Kerne nicht linear wächst. Deshalb wird der Konversionsfaktor nur bei 50, also halb so hoch wie bei den Risc-Plattformen angesetzt.

Die dritte Variante gilt für Suns "T1"-Ultrasparc-Architektur. Hier berechnet IBM einen Faktor pro Rechenkern von 30. Nutzt ein Anwender solch eine Sun-Maschine für eine Websphere-Applikation, so multipliziert Big Blue bei dieser Octo-Kern-Maschine den Faktor 30 mit acht. 240 ist also der Berechnungsfaktor beispielsweise für eine Websphere-Applikation auf dieser Hardwareplattform.

Mit anderen Worten: Die Lizenzgebühren würden sich um 140 Prozent erhöhen. Allerdings sagt Jeffrey Tieszen, Konzernsprecher IBM weltweit, dass sich in der ersten Phase der Umstellung in puncto Kosten für IBM-Kunden nichts ändern werde. Denn für bereits im Einsatz befindliche Prozessoren gilt zwar das theoretische Modell, die sich gegebenenfalls daraus ergebende Erhöhung der Lizenzkosten berechnet Big Blue aber erst bei künftigen neuen CPUs.

Los geht es erst mit...

So richtig zum Tragen kommt der PVU-Lizenzberechnungsmodus aber erst, wenn IBM in einem nächsten Schritt den Prozessoren beziehungsweise den einzelnen Prozessorkernen auch Rechenleistungsklassen zuordnet. Hierzu bedient sich Big Blue verschiedener Rechenleistungsprüfungen wie beispielsweise des TPC-C-, des Specint-CPU oder des Specjbb-Tests.

Der erste Prozessor, mit dem das Verfahren tatsächlich eingeführt wird, ist Intels Vierkern-Xeon-CPU "Clovertown". Hierbei handelt es sich um zwei Xeon-5100-Chips "Woodcrest", die auf einem Multichip-Modul aufgebracht sind. Dieser sollte zu Beginn des kommenden Jahres auf den Markt kommen, seine Vorstellung wurde aber vorgezogen auf das letzte Quartal 2006. Experten berechnen für den Clovertown folgende PVU-Logik: Würde der Vierkern-Clovertown-Chip rund 65 Prozent mehr Leistung bringen als ein Dual-Core-Intel-Chip (ein Zweikern-Intel-Prozessor wird bekanntlich mit dem Faktor 100 angesetzt), dann ergäbe dies nach IBM-Lizenzkostendefinition einen PVU-Wert von 165. Ein Kunde, der Intels künftigen Vierkern-Prozessor einsetzen wird, würde - so die Theorie - also im Vergleich zu einem Woodcrest-Prozessor-Nutzer für auf Clovertown-Systemen eingesetzte Middleware 65 Prozent mehr Lizenzgebühren zahlen.

Dies ist allerdings nur die Theorie: In der Praxis scheint IBM noch ein Verfahren zu suchen, wie sie für die diversen Prozessortypen jeweils repräsentative Leistungskategorien zusammenstellen kann. IBM-Sprecher Rehm betont denn auch, dass das PVU-Softwarelizenzmodell noch nicht komplett angekündigt ist. Neben den Rechenleistungstest scheint Big Blue zu überlegen, ob es sich der Dienste eines Unternehmens wie Ideas International versichert. Ideas besitzt ausgefeilte Datenbanken zur Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Server mit verschiedenen Prozessorarchitekturen.

Noch hält sich IBM bedeckt, was die genauen Konsequenzen der PVU-Lizenzpolitik sein werden. Das Unternehmen ist sich wohl darüber im Klaren, dass es bei künftigen Mehrprozessorkern-Systemen nicht einfach die Prozessor-Werteinheiten (Processor Value Units) addieren und daraus eine Lizenzgebühr errechnen kann. Denn Anwender insbesondere von Großkonzernen wollen natürlich Preisnachlässe auch für Software. Big Blue ist aber offensichtlich auch nicht bereit, bei neuen, mit mehreren CPU-Kernen ausgestatteten Prozessorgenerationen, deren höhere Leistung nach dem PVU-Modell automatisch zu höheren Lizenzgebühren führen, die Softwarepreise zu senken.

Die zu erwartenden Preiserhöhungen könnten dramatisch sein und dürften bei Kunden zu erheblichem Unmut führen. Beispiel: Ein Kunde, der eine aktuelle DB2-Version auf einem Zweikern-Power-5-System benutzt und dafür ohne Wartungsgebühren pro Jahr und Lizenz rund 20 000 Euro zahlt, würde beim Wechsel auf die Power-6-Generation möglicherweise doppelt so viel entrichten müssen. Die Konfrontation zwischen IBM und vielen seiner Kunden scheint bei solchermaßen explodierenden Lizenzgebühren programmiert.

Spätestens dann dürfte bei vielen Unternehmen ein Denkprozess in Gang kommen: Bislang nämlich rüsten sich Konzerne gerne mit exzessiver Rechenleistung aus, die sie nur in Spitzenzeiten nutzen, die in der Regel aber brachliegen. Mit IBMs neuem Lizenzmodell müssten sich diese Unternehmen sehr genau überlegen, ob sie sich solch eine Hardwarepolitik noch leisten können oder ob sie nicht auf andere Konzepte ausweichen müssen, die unter Bezeichnungen wie On-Demand-Computing firmieren. Oder sie kaufen weniger Hardware - was IBM nicht erfreuen dürfte. (jm)