Intrepid Ibex

Ubuntu 8.10 Linux im Test

31.10.2008 von Markus Franz
Mit Ubuntu 8.10 (Codename: Intrepid Ibex) hat Canonical die populäre Linux-Distribution für Privatnutzer und Unternehmen weiter verbessert. Die COMPUTERWOCHE hat die seit gestern verfügbare Version unter die Lupe genommen.

Ubuntu Linux ist schon seit einigen Versionen beliebter als Debian GNU/Linux, auf dem die Distribution eigentlich basiert. Besonders die einfache Installation und der umfangreiche Support machen Ubuntu auch für Unternehmen interessant. Fast sechs Monate nach der Veröffentlichung der letzten Variante Ubuntu 8.04 mit Long-Term-Support (LTS) konzentrieren sich die Entwickler mit Intrepid Ibex, dem "unerschrockenen Steinbock", wieder weniger auf Stabilität, sondern auf wichtige neue Features. Mark Shuttleworth, der Kopf der Ubuntu-Community und Chef von Canonical, spricht wie gewohnt vom wichtigsten Release in der Geschichte der Distribution. Ob er damit Recht hat, zeigt ein erster Blick auf Ubuntu 8.10, das seit dem 30. Oktober 2008 freigegeben ist.

Linux-Installation vereinfacht

Wie immer gibt es Ubuntu 8.10 in zwei Varianten: als Desktop- und als Server-Edition. Für den Endanwender liegen eine grafische Oberfläche (Gnome) und Programme für Produktivität und Multimedia bei. Das Server-Image enthält nur Dienste, die für den Server-Betrieb wirklich wichtig sind. Mit Ubuntu 8.10 ist es nun aber erstmals problemlos möglich, über den Paketmanager die betreffenden Pakete nachzuinstallieren und so aus einem Server eine Desktop-Umgebung mit grafischer Oberfläche zu machen. Sogar der Server-/Desktop-Kernel lässt sich ohne Schwierigkeiten austauschen.

Mit Ubuntu 8.10 erscheinen aber nicht nur Desktop und Server, sondern gleichzeitig auch die alternative Installations-CD, eine Variante für USB-Sticks und mit "Ubuntu 8.10 MID USB Image" eine speziell angepasste Edition für Handhelds und andere Geräte mit kleinen Bildschirmen. Letztere kann sogar mit Touchscreens umgehen. Diese Version versteht sich auch auf die Stromsparfunktionen der Intel-Atom-Generation - und macht Ubuntu 8.10 damit interessant für Netbooks.

Bis Ubuntu 8.10 gab es noch eine gesonderte Edition für virtuelle Umgebungen, genannt Ubuntu JeOS. Diese ist nun nicht mehr extra erhältlich, sondern steht als Option im Server-Image bereit. Die Installation selbst ist von der Live-CD in wenigen Schritten erledigt. Überarbeitet wurde hier nur der Assistent zur Partitionierung, der jetzt eine ansprechende grafische Vorher-Nachher-Ansicht zeigt. Von der LTS-Version Ubuntu 8.04 kommt man über den Update Manager direkt zur neuen Version Ubuntu 8.10. Eine Aktualisierung aller Pakete machte im Test keine Probleme.

Ubuntu 8.10: Das neue Design

Wer Ubuntu 8.10 installiert, wird als Benutzer älterer Versionen erst einmal erschrocken sein: Das Design wurde komplett überarbeitet und ist nun durchweg etwas dunkler gehalten. Nach dem ersten zwiespältigen Eindruck erweist sich das neue Desktop-Thema als sehr praktisch, da die Kontraste hoch sind und die Farben und Effekte sich angenehmer anfühlen. Shuttleworth möchte mit diesem Design zum anspruchsvollen Niveau von Mac OS X aufschließen, ohne dabei die Flexibilität von Linux zu verlieren. Canonical hat dazu für Ubuntu 8.10 einige Designer eingestellt, die sich offenbar richtig austoben durften.

Gnome 2.24 als Desktop

Als grafische Oberfläche setzt Ubuntu 8.10 nun auf Gnome 2.24, das viele Bugfixes und auch einige neue Features mitbringt. Der Dateimanager Nautilus kann nun mit Tabs umgehen, wie man es vom KDE-Pendant Konqueror oder jedem modernen Browser gewohnt ist. Im Test ist vor allem Evolution durch eine bessere Stabilität aufgefallen, wenn man Sicherungen der gesamten Umgebung anlegt. Der Archivmanager File Roller kennt seit Ubuntu 8.10 die Dateiformate ALZ, RZIP, CAB und TAR.7Z. Hinter Gnome werkelt der X-Server X.Org 7.4 - für Grafiker eine der besten neuen Versionen, die es jemals gab. Mit X.Org 7.4 lassen sich endlich Grafiktablets vernünftig nutzen. Im Test machte ein Wacom-Tablet mit Ubuntu 8.10 erstmals keinerlei Probleme.

UMTS-Einsatz erleichtert

An der Oberfläche kratzt auch der neue Network Manager: Endlich kann Ubuntu 8.10 mit UMTS-Sticks oder anderen Paketdatenverbindungen über Handys oder Modems vernünftig umgehen. Direkt nachdem das Gerät verbunden wurde, erscheint im Network Manager eine neue Verbindung, mit der man ins Internet gelangt. Die komplizierte Konfiguration aus früheren Versionen mit AT-Kommandos und Modemskripten entfällt. Das macht Ubuntu 8.10 auch für den Einsatz auf Notebooks mit UMTS-ExpressCards interessant.

Mehr Multimedia, mehr Sicherheit

Bereits in Ubuntu 8.04 gab es ein YouTube-Plugin für Totem, mit dem sich Flash-Filme direkt im Player abspielen ließen - ohne Umweg über die YouTube-Website und lästige Werbung. Mit Ubuntu 8.10 gibt Canonical nun stolz die Zusammenarbeit mit der britischen BBC bekannt. Videos, Radio-Streams und Podcasts des altehrwürdigen Senders erscheinen nun direkt in Totem und Rhythmbox. Das macht es angenehm und unkompliziert, auf die Inhalte ohne Browser direkt zuzugreifen. Man darf hoffen, dass einige weitere (deutsche) Medienanbieter nachziehen und ihre Online-Mediatheken stärker mit den Open-Source-Playern verzahnen.

Möchte man nur kurz die BBC-Videos ansehen oder irgendeine andere Arbeit als Gast am Rechner verrichten, bietet sich die neue Gast-Session an: Klickt man im bekannten Gnome-Applet zum Benutzerwechsel, kann man Gästen den eigenen PC gefahrlos überlassen. Für jede Gast-Session wird ein eigener Benutzeraccount ohne Passwort temporär erzeugt, der über minimale Systemrechte verfügt.

Private Daten verschlüsseln

Auch wer seine private Daten gegen ungebetene Besucher schützen möchte, wird sich mit Ubuntu 8.10 wohler fühlen: Der private Benutzerorder lässt sich nun komplett verschlüsseln. Bisher war eine Verschlüsselung nur für Linux-Experten und über eine gesamte Partition möglich, beispielsweise mit LVM+LUKS. Seit der Kernel-Version 2.6.19 steht mit "encryptfs" und dem Kernel-Schlüsselbund aber eine leistungsfähige Umgebung bereit, um die eigenen Daten zu schützen. Damit lässt sich gezielt ein bestimmter Mountpoint (also auch "/home") verschlüsseln.

In Ubuntu 8.10 gibt es dafür nun erstmals eine komfortable grafische Oberfläche im Kontextmenü. So lassen sich zum Beispiel die eigenen SSH-Schlüssel für den Zugriff auf Server in einem sicheren Verzeichnis zentral ablegen. Auch die Steuererklärung kann man nun effektiv schützen. Selbst wenn das Notebook verloren geht, bleiben die Daten jedem Dritten verborgen.

Ubuntu 8.10 unter der Haube

Die angenehmste Neuerung hinter der Oberfläche von Ubuntu 8.10 ist die neue Architektur für Kernel-Updates, genannt DKMS. Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit Dell entstanden, das Ubuntu als einziger großer Hardwarehersteller vorinstalliert auf einigen Geräten ausliefert. Damit werden Treiber automatisch neu gepackt, wenn auf dem System ein neuer Linux-Kernel installiert wird. Das macht es möglich, einen neuen Kernel deutlich schneller als bisher an Ubuntu-Nutzer auszuliefern: Man braucht nun nicht mehr zu warten, bis auch die Treiber auf den neuen Kernel angepasst sind. Sicherheitsupdates und neue Funktionen kommen so ab Ubuntu 8.10 deutlich schneller beim Anwender an. Schade nur, dass dieses Feature erst jetzt kommt - es wäre bereits in Ubuntu 8.04 LTS nützlich gewesen.

Samba 3.2 für Windows-Netze

Mit Samba 3.2 legen die Ubuntu-Entwickler der neuen Distribution die beste verfügbare Version bei, um in heterogenen IT-Umgebungen in Windows-Netzen zu arbeiten. Zu den Neuerungen des Pakets gehört die Unterstützung von IPv6, eine Option für das Clustering sowie der verschlüsselte Transport von Dateien übers Netz. Damit lässt sich die Ubuntu-Maschine besser mit Windows-Clients und -Servern zusammenführen. Nachdem Microsoft hier immer mehr Protokolle offenlegt, bleibt die Entwicklung auf für künftige Samba-Updates in allen Linux-Distributionen spannend.

Virtualisierung erweitert

Weiterhin wurde in Ubuntu 8.10 die gesamte bisherige Strategie zur Virtualisierung aus- und umgebaut: Wie bereits oben erwähnt, ist Ubuntu JeOS nunmehr als Option im Installer der Server-Edition verfügbar. Das bisher separate ISO-Image für Ubuntu JeOS gibt es ab Ubuntu 8.10 nicht mehr. Zu dieser Option gelangt man beim ersten Installations-Screen über die F4-Taste und die Auswahl "Install a minimal virtual machine”. Der neue JeOS-VM-Builder ersetzt komplett die alte Architektur, um virtuelle Umgebungen auf Xen-Basis anzulegen:

Mit dem neuen Kommando "python-vm-builder" hat das ältere System "ubuntu-vm-builder" komplett ausgedient. Das neue Programm steuert die komplette Verwaltung von virtuellen Umgebungen und legt nun erstmals eine neue virtuelle Umgebung in wenigen Minuten an, ohne den gesamten Installer durchlaufen zu müssen. Gleichzeitig kommt mit Ubuntu 8.10 erstmals die Möglichkeit, Ubuntu auf dem Server als offiziell unterstützen Xen-Gast einzusetzen. Der Standard-Server-Kernel enthält diese Möglichkeit und kann damit über "pythin-vm-builder" direkt Ubuntu-8.10-Gäste unter Xen anlegen.

OpenJDK und Apache Tomcat

Ubuntu 8.10 glänzt auch durch einige kleinere neue Features und etliche Verbesserungen: In das Main-Repository wurden erstmals das OpenJDK 1.6 (also Sun Java SE 6) und der Servlet-Container Apache Tomcat 6.0 aufgenommen. Gleichzeitig haben es ClamAV und SpamAssassin dorthin geschafft. Pakete des Main-Zweiges unterstützen Canonical und die Ubuntu-Community offiziell mit Supportangeboten und betrachten sie als integralen Bestandteil der Distribution. Insofern bedeutet dieser Schritt eine deutliche Aufwertung der genannten Software und mehr Sicherheit für deren Benutzer.

Firewall und Authentifizierung

Im Test machten die neuen Optionen der Ubuntu Uncomplicated Firewall viel Spaß, ebenso wie das neue Kommando für Systemdienste: Statt mit "sudo /etc/init.d/postfix start" den MTA zu starten, geht das jetzt etwas bequemer und intuitiver mit dem Befehl "sudo service postfix start". Das Status-Kommando sagt dem Benutzer nun auch ohne Umwege über die Prozessliste, ob ein Dienst gerade läuft oder nicht. Die Integration des PAM-Frameworks zur Authentifizierung trägt ebenfalls zur Verbreitung von Ubuntu 8.10 bei, auch wenn sich nur wenige Anwender damit befassen.

Fazit

Mit Ubuntu 8.10 liefern Canonical und Ubuntu eine gelungene Linux-Distribution ab: Die vielen Verbesserungen in der Desktop- und der Server-Version sind im täglichen Umgang mit dem System spürbar. Ob das neue Design der Oberfläche in härteren Brauntönen gefällt, ist Geschmackssache - bei Bedarf können Anwender schnell auf das gewohnte alte Human-Thema umstellen.

Viele der Änderungen, insbesondere an der Server-Edition mit der besseren Virtualisierung und der Kernel-Update-Prozedur, hätten sich Anwender sicher schon für Ubuntu 8.04 gewünscht. Auf dem Desktop fällt die UMTS-Unterstützung angenehm auf, die es bei anderen Distributionen allerdings schon länger gibt.

Ubuntu 8.10 schließt also in einigen Punkten zur Konkurrenz auf und legt gleichzeitig die Messlatte in anderen Bereichen höher. Für Benutzer von Ubuntu 8.04 LTS lohnt sich der Umstieg wegen des längeren Supports (Desktop: bis April 2011, Server: bis April 2014) für diese Version kaum. Jedem anderen ist ein Wechsel auf das neue Release zu empfehlen. (wh)