Linux-Desktop nervt User

Ubuntu 12.10 im Test

25.04.2013 von Michael Kofler
Die neueste Version der Linux-Distribution Ubuntu bringt zahlreiche Neuerungen, aber auch einige für Anwender unschöne Eigenschaften. Ein Test von Ubuntu 12.10.

Das jüngste Release von Ubuntu Linux besticht nicht nur durch neue Funktionen, sondern verärgert etliche Anwender auch durch die Integration von Werbung im Startmenü und im Dock. Fallweise versprüht Ubuntu 12.10 noch Baustellen-Charme: Einige Innovationen müssen bis zur nächsten LTS-Version im Frühjahr 2014 noch ausreifen.

Für einen schnellen Überblick sorgt unsere Bilderstrecke:

Ubuntu 12.10
Spende
Die Ubuntu-Download-Seite fordert nun dezent zur Spende auf. Die einzige Bezahlmöglichkeit ist PayPal.
Installation
Wenn das Installationsprogramm die gesamte Festplatte oder SSD nutzen darf, gibt es zwei neue Optionen zur Komplettverschlüsselung des Systems sowie zur Einrichtung eines LVM-Systems (Logical Volume Manager).
Desktop
In den Default-Einstellungen überzeugt der Ubuntu-Desktop mit einem aufgeräumten Panel. Das Dock ist allerdings unübersichtlich und überladen.
Über diesen Rechner
Das Systemmenü-Eintrag »Über diesen Rechner« führt in ein Modul der Systemeinstellungen und fasst die Eckdaten der Ubuntu-Installation zusammen.
Systemeinstellungen
In den Systemeinstellungen können alle wesentlichen Optionen der Ubuntu-Installation verändert werden.
Privatsphäre-Optionen
Eine Besonderheit von Ubuntu sind die vielen Privatsphäre-Optionen. Normalerweise werden viele Arbeitsvorgänge aufgezeichnet, um später die Suche nach Bildern, Videos, Websites etc. im Startmenü zu ermöglichen. Wenn sie das nicht wünschen, können Sie die Aufzeichnung vollständig oder für einzelne Dateitypen unterbinden.
Suchergebnisse des Startmenüs
In den Suchergebnissen des Startmenüs wird Werbung für den Ubuntu One Music Store und in manchen Ländern auch für Amazon angezeigt.
Rechtlicher Hinweis
Ein Klick auf »Rechtlicher Hinweis« führt auf eine englischsprachige Seite, die darüber informiert, wie Ubuntu die Suchinformationen verarbeitet.
Privatsphäre-Modul
Im Modul »Privatsphäre« der Systemeinstellungen kann die Online-Suche und damit auch die Werbung im Startmenü einfach unterbunden werden.
Bildersuche im Startmenü
Neu im Startmenü ist ein Dialogblatt zur Suche nach Bildern.
Twitter-Web-App Installation
Ein kleiner Dialog weist auf die mögliche Installation der Twitter-Web-App hin.
Twitter-Web-App
Die Twitter-Website als Web-App mit der Integration in das Dock sowie in das Nachrichten-Menü im Panel.
Wenn das Installationsprogramm die gesamte Festplatte oder SSD nutzen darf, gibt es zwei neue Optionen zur Komplettverschlüsselung des Systems sowie zur Einrichtung eines LVM-Systems (Logical Volume Manager).

Die ersten Neuerungen von Ubuntu 12.10 zeigen sich bereits während der Installation: Das grafische Installationsprogramm unterstützt nun sowohl den Logical Volume Manager (LVM) als auch die Komplettverschlüsselung des gesamten Systems. Beide Optionen stehen allerdings nur zur Wahl, wenn Ubuntu zur Installation die gesamte Festplatte oder SSD des Rechners zur Verfügung steht. Auch auf Sonderwünsche bei der Partitionierung müssen Sie dabei verzichten: Die manuelle Partitionierung ist (noch) nicht LVM-kompatibel.

Man merkt dem Installationsprogramm an, dass es mit der heißen Nadel gestrickt wurde und bei weitem nicht die Fülle von Einstellmöglichkeiten bietet, die bei anderen Linux-Distributionen (Fedora, openSUSE) oder im textbasierten Installationsprogramm von Ubuntu Server seit vielen Jahren selbstverständlich sind. Immerhin verspricht Canonical für die kommenden Ubuntu-Versionen weitere Verbesserungen und insbesondere eine RAID-Unterstützung.

So wie die LVM-Unterstützung momentan implementiert ist, stellt sich die Frage nach dem Sinn: Erfahrene Linux-Anwender, die LVM verstehen, kommen in der Regel auch mit dem textbasierten Ubuntu-Installationsprogramm von Ubuntu Server oder des NetInstall-Images zurecht. Und nur damit lässt sich eine wirklich zweckmäßige LVM-Konfiguration durchführen. Auf der anderen Seite sind Linux-Einsteiger mit LVM ohnedies überfordert und gut beraten, auf LVM zu verzichten. (Die spätere Administration von LVM muss in jedem Fall ohne grafische Benutzeroberfläche auf Kommandoebene erfolgen. Nur wer mit Kommandos wie lvcreate oder vgextend vertraut ist, kann von den Vorteilen einer LVM-Installation profitieren.)

Web-Apps in Ubuntu 12.0

Twitter-Web-App

Die interessanteste Innovation in Ubuntu 12.10 sind die sogenannten Web-Apps. Damit können Sie ausgewählte Webseiten durch einen Button im Browser scheinbar zu einem eigenständigen Programm machen: Die Webseite bekommt dann ein eigenes Icon im Dock, und einige Seiten integrieren sich sogar in das passende Audio- oder Nachrichten-Menü im Panel. Wird beispielsweise Google Mail als Web-App genutzt, zeigt das Messages-Menü die Anzahl der neu eingetroffenen E-Mails ein.

Ein kleiner Dialog weist auf die mögliche Installation der Twitter-Web-App hin.

Sobald Sie im Webbrowser eine Website mit Web-App-Unterstützung besuchen, erscheint unterhalb der Adressleiste ein kleiner Dialog, der fragt, ob Sie die zur Website passende Web-App-Erweiterung installieren möchten. Wenn Sie das nicht wünschen, sollten Sie sich für die Option Don't ask again entscheiden – dann werden Sie forthin nicht mehr mit dieser Rückfrage belästigt.

Die Installation erfolgt ohne visuelles Feedback. Nach rund zehn bis 15 Sekunden erscheint im Dock ein eigenes Icon der Web-App. Wenn Sie möchten, können Sie das Icon dort verankern (Im Starter behalten). Bei manchen Websites öffnet sich außerdem das Systemeinstellungsmodul Online-Konten, um die Login-Daten zu erfassen und auch anderen Programmen zugänglich zu machen.

Ab dem nächsten Login können Sie Web-Apps auch im Ubuntu-Startmenü öffnen. Der Unterschied zwischen einer „richtigen“ Anwendung und einer Website verschwindet damit weitgehend. Momentan werden zirka 30 Websites als Web-Apps unterstützt, darunter Google Mail und Google Plus, Yahoo Mail, Facebook, Twitter, YouTube und LinkedIn.

Web-Apps sind eine interessante Idee, überzeugen in der aktuellen Implementierung aber nicht restlos. Die browser-typische Darstellung der Web-Apps samt Adressleiste und dem Fenstertitel „Mozilla Firefox“ lässt nie den Eindruck aufkommen, wirklich mit einem „richtigen“ Programm zu arbeiten. Außerdem funktioniert die Integration von Kontextinformationen (zum Beispiel die Anzahl der neuen E-Mails im Nachrichten-Menü des Panel) nicht bei allen Web-Apps zuverlässig.

Wenn man von den Web-Apps einmal absieht, gibt es in der Unity-Benutzeroberfläche diesmal nur kosmetische Veränderungen: Das Startmenü enthält ein neues Dialogblatt (in der Ubuntu-Nomenklatur spricht man von einer „Linse“) zur Suche nach Bildern; und im Panel wurden das Systemmenü und das Benutzermenü zusammengeführt.

Aktuelle Softwarepakete in Ubuntu Linux

Es zählt zu den Selbstverständlichkeiten aller Linux-Distributionen, dass mit jeder neuen Version ein Großteil des Software-Angebots aktualisiert wird. Ubuntu macht da keine Ausnahme und enthält nun unter anderem Kernel 3.5, Firefox und Thunderbird 16, Gimp 2.8, LibreOffice 3.6, PHP 5.4 (aber Apache 2.2, nicht 2.4) etc.

In den Unity-Desktop sind viele Komponenten von Gnome 3.6 integriert. Einzig beim Dateimanager Nautilus ist Ubuntu bei der älteren Version 3.4 geblieben; die aktuelle Nautilus-Version 3.6 glänzt zwar durch eine verbesserte Suchfunktion, gleichzeitig wurden aber einige grundlegende Funktionen entfernt, was nicht nur innerhalb der Ubuntu-Gemeinde zu großem Unmut geführt hat.

Keine spektakulären Neuerungen gibt es beim Cloud-Dienst Ubuntu One, der ein Dropbox-ähnliches Angebot in den Ubuntu-Desktop integriert. Ubuntu-One-Anwender werden sich aber darüber freuen, dass es mittlerweile auch für OS X einen Client gibt (momentan noch im Beta-Stadium). Damit können fünf GByte Daten kostenlos zwischen Ubuntu, Windows und OS X synchronisiert werden.

Ubuntu 12.10 unterstützt UEFI Secure Boot

Als erste große Linux-Distribution unterstützt Ubuntu 12.10 UEFI Secure Boot. Dabei handelt es sich um eine vor allem durch Microsoft betriebene Erweiterung der EFI-Funktionen: Wenn Secure Boot aktiv ist, kann nur ein Betriebssystem gestartet werden, das mit dem auf dem Mainboard hinterlegten Schlüssel signiert ist. Auf diese Weise ist ausgeschlossen, dass Viren oder andere Schadsoftware bereits in den Bootvorgang eingreifen (was in der Praxis schon bisher nur äußerst selten der Fall war).

Secure Boot wird naturgemäß als Sicherheitsgewinn für Windows-Anwender vermarktet. Aus Linux-Sicht stellt sich UEFI Secure Boot hingegen eher als zusätzliche Hürde dar, um Linux zu installieren. Umso erfreulicher ist es, dass dies in Ubuntu 12.10 (und in Kürze auch mit Fedora 18) gewissermaßen out of the box funktionieren soll.

Wie gut die Installation von Ubuntu 12.10 auf Notebooks und PCs mit vorinstalliertem Windows 8 tatsächlich gelingt, müssen aber erst die nächsten Monate zeigen: Momentan sind Rechner mit UEFI Secure Boot noch Mangelware, so dass ein Test dieser neuen Funktion schwierig ist. Optimistisch stimmt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass schon die EFI-Unterstützung durch Ubuntu bisher überdurchschnittlich gut war (also für EFI-Mainboards ohne Secure Boot).

Virtueller Ärger mit Ubuntu Unity

In Ubuntu 12.10 funktioniert Unity nun auch ohne 3D-Treiber. Diese an sich erfreuliche Entwicklung verdankt Ubuntu dem llvm2pipe-Treiber, der auch unter Fedora 17 und openSUSE 12.2 zum Einsatz kommt und dort den Betrieb von Gnome 3 ohne 3D-Treiber ermöglicht. Profitieren sollen von diesem Treiber in erster Linie alle, die Ubuntu in virtuellen Maschinen ausführen, wo es in der Regel keine 3D-Grafikunterstützung gibt.

Rechte Begeisterung stellt sich bei der Verwendung von Ubuntu in VirtualBox oder KVM aber nicht ein: Die Animationseffekte des Unity-Desktops erscheinen selbst bei sehr schnellen Host-Systemen spürbar schleppend (deutlich langsamer als bei Gnome 3), die CPU-Belastung ist erheblich. Ärgerlich ist zudem ein Fehler im Grafiksystem xorg, der in virtuellen Maschinen ein ständiges Springen des Maus-Cursors verursacht (Launchpad-Bug #1041063); immerhin ist ein Bugfix in Arbeit und wird wohl demnächst in Form eines Updates ausgeliefert.

In Ubuntu 12.04 konnten Virtualisierungsanwender auf Unity-2D ausweichen. Dieser Unity-Clone wies zwar einige kleine Einschränkungen auf, war dafür aber sehr performant. In Ubuntu 12.10 stehen die Unity-2D-Pakete nicht mehr zur Verfügung.

Ubuntu Linux und der Kommerz

Bisher war es ja ein Markenzeichen von Windows-PCs, dass diese beim Kauf mit mehreren GByte unerwünschter Software gleichsam „zugemüllt“ wurden: Das Angebot reicht üblicherweise von Microsoft-Office-Demoversionen über diverse Virenschutzprogramme, die nach einem kostenlosen Probemonat ununterbrochen auf das kostenpflichte Update hinweisen, bis hin zu diversen ebenso überflüssigen wie schlecht funktionierenden herstellerspezifischen Hilfsprogrammen, die bereits vorhandene Betriebssystemfunktionen duplizieren (Backups, Bildverwaltung etc.) Für jedes dieser vorinstallierten Programme erhält der PC-Hersteller ein paar Cent.

In den Suchergebnissen des Startmenüs wird Werbung für den Ubuntu One Music Store und in manchen Ländern auch für Amazon angezeigt.

Auf diesen Zug möchte man nun anscheinend auch bei Canonical aufspringen. Den Anfang machen dabei Amazon und der Ubuntu One Music Store: Einerseits führen unübersehbar im Dock platzierte Icons direkt auf die entsprechenden Websites, andererseits werden in den Suchergebnissen des Startmenüs neben installierten Programmen und lokalen Dateien auch gleich (mehr oder weniger) passende Artikel oder Musikstücke präsentiert. Die Angebote sind noch nicht gut für den deutschen Markt optimiert, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden: Mark Shuttleworth macht auf seinem Blog unmissverständlich klar, dass Amazon nur der erste Schritt sei. In zukünftigen Ubuntu-Versionen sollen auch die Suchergebnisse anderer Anbieter präsentiert werden.

Im Modul »Privatsphäre« der Systemeinstellungen kann die Online-Suche und damit auch die Werbung im Startmenü einfach unterbunden werden.

Immerhin ist es unter Ubuntu einfacher als unter Windows, dem Spuk ein Ende zu bereiten: Im Modul Privatsphäre der Systemeinstellungen gibt es die neue Option Online-Suchergebnisse präsentieren. Wird diese deaktiviert, verschwinden die Werbeeinblendungen im Startmenü. Die nun noch verbleibenden Amazon- und Ubuntu-One-Store-Icons können mit wenigen Mausklicks aus dem Dock entfernt werden.

Aber auch sonst ist unübersehbar, das Canonical nach neuen Einnahmequellen sucht: Das Angebot kommerzieller Programme im Ubuntu Software Center wächst (was ja durchaus positiv zu sehen ist!), und in die Download-Seite von ubuntu.com ist nun ein Spendenaufruf integriert: der geneigte Ubuntu-Unterstützer darf gleich mitbestimmen, welche Komponenten von Ubuntu mit seiner Spende vorrangig weiterentwickelt werden sollen.

Es scheint allerdings zweifelhaft, dass die so erzielten Beträge eine ernsthafte Einnahmequelle darstellen können. Viel größer ist die Gefahr, mit diesen Maßnahmen langjährige Ubuntu-Fans zu verprellen.

Installationsmedien für Ubuntu 12.10

Wenn das Installationsprogramm die gesamte Festplatte oder SSD nutzen darf, gibt es zwei neue Optionen zur Komplettverschlüsselung des Systems sowie zur Einrichtung eines LVM-Systems (Logical Volume Manager).

Jahrelang haben sich die Ubuntu-Entwickler bemüht, das ISO-Image für die Desktop-Installation so klein zu halten, dass es auf einer CD Platz findet. Mit Ubuntu 12.10 hat man diesen Kampf aufgegeben: Die ISO-Datei ist aktuell 760 MByte groß und überschreitet damit das 700-MByte-Limit für normale CDs klar. Wer die Kosten für einen DVD-Rohling scheut, kann die Image-Datei auch auf einen USB-Stick übertragen. Am einfachsten gelingt das mit dem Programm Startmedienerzeuger auf einer bereits vorhandenen (älteren) Ubuntu-Installation.

Aus der Desktop-CD ist damit eine (weitgehend leere) Desktop-DVD geworden. Leider hat man den zusätzlichen Platz nicht dazu genutzt, um auch die deutschen Sprachdateien zu integrieren. Diese müssen weiterhin während oder nach der Installation aus dem Internet heruntergeladen werden – was oft länger dauert als die gesamte restliche Installation.

Mit der Umstellung auf die Desktop-DVD wurde die bisher verfügbare, aber recht unbekannte Ubuntu-DVD eingestellt. Professionelle Ubuntu-Anwender werden eher die Alternative-CD vermissen, die ebenfalls dem „Image-Sparkurs“ zum Opfer gefallen ist. Wer wegen Treiberproblemen eine Installation im Textmodus durchführen muss oder ein RAID-System konfigurieren will, ist nun auf die Server-CD oder auf das minimale NetInst-Image angewiesen.

Fazit

Ubuntu 12.10 ist eine tolle Distribution für alle Linux-Fans, die ihre Open-Source-Umgebung immer auf dem neuesten Stand haben möchten. Wer in erster Linie einen stabilen, langfristig gepflegten Desktop sucht, macht nichts verkehrt, wenn er bei der vor einem halben Jahr vorgestellten Ubuntu-Version 12.04 bleibt. Wirklich überzeugende neue „Killer-Features“ kann Ubuntu 12.10 nicht bieten. (wh)