Linux-Distribution "Natty Narwhal"

Ubuntu 11.04 im Praxis-Test

13.08.2011 von Jürgen Donauer
Die populäre Linux-Distribution Ubuntu bringt in der Version 11.04 eine Reihe von Verbesserungen, darunter die Desktop-Umgebung Unity.
Was kann Ubuntu 11.04?
Foto: Jürgen Donauer

Canonicals neueste Ubuntu-Ausgabe hat für den größten Medien-Wirbel in der Geschichte von Linux gesorgt. Dabei handelt es nicht einmal um eine LTS-Version (Long Term Support). Doch Canonical ist mit der Desktop-Umgebung Unity einen ganz eigenen Weg gegangen.

Gerade für den Business-Einsatz von Ubuntu-Linux sind LTS-Ausgaben, also Versionen mit Langzeitunterstützung, willkommen. Ubuntu 11.04, Codename Natty Narwhal, ist keine solche, hat aber wegen Canonicals Alleingang mit Unity das Interesse auf sich gezogen. Unity ist die neue Desktop-Oberfläche. Die Entwickler haben sich gegen den Einsatz der GNOME Shell entschieden und eine eigene Anwender-GUI entwickelt. Die COMPUTERWOCHE stellt Ihnen im Detail vor, was neu an Ubuntu 11.04 ist.

Ubuntu 11.04 im Praxis-Test
Links
Die neue Startleiste von Ubuntu 11.04
Rechtsklick
Über die Startleiste können Sie gewisse Software-bereiche direkt ansteuern.
Dashboard
Fangen Sie einfach mal zu tippen an und lassen Sie sich überraschen.
Expose
Insgesamt vier Arbeitsflächen stehen zur Verfügung.
Alt+s
So verschaffen Sie sich einen Überlick aller geöffneter Fenster.
Verbessert
Das Software Center wurde deutlich aufgemöbelt.
Bewertung
Vor einer Installation können Sie sich von anderen Meinungen inspirieren lassen.
Probefahrt
Eine ganze Reihe an Applikationen lassen sich vor einer Installation mittels einer Terminal-Server-Lösung testen.
Abtrünnig
Auch Ubuntu hat OpenOffice.org den Rücken gekehrt und setzt auf das komplett freie LibreOffice.
Firefox 4
Der neue Standard-Browser in Natty Narwhal.
Banshee
Sie können mit Banshee Musik direkt bei Amazon oder Ubuntu One Musik beziehen.
Kontrolle
Mit dem Kontrollzentrum haben Sie das komplette System im Griff.
Ubuntu One
Ihre persönliche Datenwolke. Zwei GByte gibt es gratis.
Synchronisation
Hier bestimmen Sie, ob auch Kontakte und Lesezeichen abgeglichen werden sollen.
Neuer Ordner
Ubuntu One ist nicht wie Dropbox auf nur einen haupt-Ordner beschränkt.

Unity: Ein erfolgreiches Spiel mit dem Feuer

Anwender der Netbook-Edition von Ubuntu 10.10 "Maverick Meerkat" sind schon mit einer Art Unity in Berührung bekommen. Diese war allerdings nur ein müder Abklatsch von der neuesten Entwicklung und wurde, teilweise zu Recht, mit viel Kritik bedacht. Als die Canonical-Entwickler ankündigten, die Netbook-Version einzustellen und nur noch eine Oberfläche für alle Varianten zu entwickeln, herrschte große Skepsis. In den einschlägigen Foren haben Ubuntu-Anwender bereits diskutiert, auf welche Linux-Distribution man umsteigen wolle. Zu groß war die Angst, die Entwickler hätten nicht genug Zeit für Unity und der schicke Narwhal würde in einer Katastrophe enden.

Dann kündigte Canonical auch noch an, dass es keinen Release-Kandidaten, sondern nur zwei Beta-Versionen geben wird. Eine Art Panik machte sich breit, weil die erste Beta-Variante mehr einer Alpha-Version glich. Von Ubuntus Beta-Ausgaben ist man in der Regel wesentlich höhere Qualität gewohnt. GUI-Abstürze am laufenden Band, Fehlermeldungen überall - Beta 1 war schlicht und einfach nicht brauchbar.

Es gab sogar innerhalb des Entwickler-Teams Diskussionen, ob man Unity vielleicht doch eine Version nach hinten verschieben soll. Dies wurde von der Führungsriege jedoch abgelehnt und den Anwendern wurde versichert, dass man im Zeitplan liege. Unity werde definitiv in Ubuntu 11.04 debütieren.

Kurz vor Veröffentlichung der Beta 2 gab Canonical ein recht umfangreiches Update aus, welches Hoffnung aufkeimen ließ. Die Fehlermeldungen reduzierten sich schlagartig auf ein Minimum und das Betriebssystem trug nun zu Recht einen Beta-Status. Allerdings lief die Zeit davon und die finale Ausgabe nahte. Mit jedem täglichen Update wurde Natty Narwhal aber besser und die Entwickler haben alle Kritiker Lügen gestraft. Ubuntu 11.04 "Natty Narwhal" erschien mit einem guten Unity und im Zeitplan. Das Spiel mit dem Feuer hat sich gelohnt. Wie schon erwähnt vereint Unity Ubuntus Desktop-Versionen. Nur für ARM-basierte Rechner gibt es ein spezielles Unity 2D.

Ubuntu Unity kurz vorgestellt

Die neue Startleiste von Ubuntu 11.04.
Foto: Jürgen Donauer

Nichts ist mehr, wie es einmal war. Die Oberfläche ist komplett überarbeitet und man muss sich zunächst daran gewöhnen. Die Startleiste befindet sich auf der linken Seite und Programme lassen sich über das so genannte Dashboard aufrufen. Sie öffnen es, indem Sie mit der linken Maustaste auf das Ubuntu-Symbol links oben klicken. Fangen Sie dort zu tippen an und lassen Sie sich vom Betriebssystem überraschen. Es schlägt nicht nur installierte Programme vor, sondern auch welche, die sich im Software-Repository befinden.

Damit Unity läuft, brauchen Sie aber einen entsprechenden Grafiktreiber. Eventuell müssen Sie nach der Installation zunächst einen proprietären Treiber installieren. Das System weist Sie in der Regel darauf mit einem kleinen grünen Symbol rechts oben darauf hin. Sollte kein entsprechender Treiber vorhanden sein, können Sie Ubuntu 11.04 natürlich trotzdem nutzen. Die Entwickler haben eine Fallback-Lösung implementiert. Der Desktop startet dann ohne Unity und das Betriebssystem verwendet ganz normal GNOME 2.32. Sollten Sie Unity gar nicht wollen, können Sie beim Anmelden Ubuntu Classic wählen und somit Unity deaktivieren.

Unity ist ein Aufsatz für GNOME. Im Gegensatz zur GNOME Shell setzen die Ubuntu-Entwickler aber nicht auf Mutter als Compositing-Manager, sondern auf Compiz. Sie begründen diesen Schritt mit besserer Energieverwaltung und Vorteilen bei der Geschwindigkeit.

Linux-Desktopumgebung Unity im Detail

Alt+s: So verschaffen Sie sich einen Überlick aller geöffneter Fenster.
Foto: Jürgen Donauer

Unity lässt sich nicht nur mit der Maus, sondern auch hervorragend mittels Tastatur steuern. Hat man die Tastatur-Kürzel erst einmal verinnerlicht, dürften Sie mittels Shortcuts deutlich schneller unterwegs sein.

Die wichtigste Taste hierfür ist die Super oder Windows. Tippen Sie nur kurz auf Super, so erscheint das Dashboard. Halten Sie die Taste gedrückt, werden Sie in der Startleiste kleine Zahlen und Buchstaben bemerken. Diese stellen Tastatur-Kombinationen dar. Zum Beispiel öffnet Super+s das Expo, das eine Übersicht der vier vorhandenen Arbeitsflächen ausgibt. Mittels Super+w gibt es eine Übersicht aller derzeit geöffneten Fenster.

Mit der Maus lassen sich ebenfalls ganz nette Tricks veranstalten. Wenn Sie auf das Fenster klicken, die linke Maustaste gedrückt halten und das Fenster nach oben ziehen, lösen Sie damit ein Maximieren aus. Nach links beziehungsweise rechts gezogen platziert sich das Fenster in der entsprechenden Bildschirmhälfte. Sie finden eine detaillierte Liste mit allen Tastaturkürzeln und Maustricks hinter diesem Link.

Unity lässt sich auch anpassen, derzeit aber nur bedingt. Dazu müssen Sie mittels Software-Manager das Paket ccsm nachinstallieren. Durch die Tastatur-Kombination Alt+F2 können Sie dann folgenden Befehl eingeben: about:config.

Linux-Kernel 2.6.38

Die neueste Ubuntu-Ausgabe bringt natürlich auch ein aktuelles Herzstück mit sich. Kernel 2.6.38 bietet nicht nur verbesserte Unterstützung für aktuelle Hardware. Eine recht kleine Änderung im Prozess-Scheduler hat eine gehörige Auswirkung. Das auch als "Wunder-Patch" bekannte Update bringt einen deutlichen Geschwindigkeitsschub.

Des Weiteren wurden die WLAN-Treiber für Intel, Ralink, Realtek, Broadcom und Atheros verbessert. Kernel 2.6.38 kann auch mit aktuelleren Grafikkarten von NVIDIA oder AMD umgehen. Der Nouveau-Treiber bietet 2D- und 3D-Beschleunigung für Fermi-Chips. Ebenso unterstützt der Kernel Bobcat-Prozessoren, die AMD in der Fusion-Reihe verwendet.

Das verbesserte Software-Center in Ubuntu 11.04

Das Software Center wurde deutlich aufgemöbelt.
Foto: Jürgen Donauer

Beim neuen Software-Center haben sich die Ubuntu Entwickler wohl eindeutig von Linux Mint inspirieren lassen. Ab sofort können Sie nämlich Software bewerten und kleine Kritiken schreiben. Das ist ein deutlicher Mehrwert. Somit können Sie zunächst sehen, was andere Anwender von der zu installierenden Applikation halten. Man muss allerdings auf die Community vertrauen, dass diese ehrlich ist und fleißig bewertet.

Probefahrt: Eine ganze Reihe an Applikationen lassen sich vor einer Installation mittels einer Terminal-Server-Lösung testen.
Foto: Jürgen Donauer

Ebenso neu ist das Testlaufwerk. Ist das Software-Paket qtnx installiert, erscheint unter einer ganzen Reihe von Programmen das Wort Testlaufwerk. Drücken Sie hier drauf, erscheint ein Terminal-Fenster und sie können die Applikation ausprobieren, ohne diese installieren zu müssen. Für alle Anwendungen gibt es diese Funktion noch nicht. Mit der Zeit will Ubuntu aber mehr und mehr Applikationen zum Probe fahren bereitstellen.

Das Software-Center ist sehr Anwender-freundlich und ist darauf aus, Verwirrung zu vermeiden. Deswegen sehen Sie dort nur die Applikationen und weniger die einzelnen Pakete. Fortgeschrittene Anwender möchten vielleicht etwas andere Informationen und können dafür wie gewohnt Synaptic verwenden. Dieser Software-Manager sieht zwar etwas angestaubt aus, ist aber so mächtig wie eh und je.

Änderungen bei der Standard-Software

Auch Ubuntu hat OpenOffice.org den Rücken gekehrt und setzt auf das komplett freie LibreOffice.
Foto: Jürgen Donauer

Wie viele andere Linux-Distributoren hat auch Canonical mit Ubuntu Natty Narwhal OpenOffice.org den Rücken gekehrt. Der Ersatz ist LibreOffice, das komplett frei von The Document Foundation (TDF) entwickelt wird. Derzeit ist Version 3.4, die zweite Version von LibreOffice, in Arbeit. Von daher werden OpenOffice.org-Anwender in Sachen Bedienung keine großen Unterschiede merken. Es handelt sich hier derzeit um eine rein politische Entscheidung.

Einen echten Mehrwert bringt der neue Standard-Browser Firefox 4. Wie Sie in diesem Benchmark-Test der COMPUTERWOCHE nachlesen können, hat Mozillas Firefox einen Quantensprung in Sachen Bedienung und Geschwindigkeit durchlaufen. Endlich kann der Browser mit Chrome und Opera mithalten. Als Multimedia Player musste Rythmbox weichen. Die Entwickler setzen nun auf Banshee. Damit haben Sie unter anderem direkten Zugriff auf den Ubuntu One Music Store oder den MP3 Store von Amazon.

Alles im Griff: Das Ubuntu-Kontrollzentrum

Mit dem Kontrollzentrum haben Sie das komplette System im Griff.
Foto: Jürgen Donauer

Wie gewohnt konfigurieren Sie die meisten Einstellungen mit Hilfe des Kontrollzentrums. Dieses erreichen Sie entweder über das Dashboard oder rechts oben durch Klicken auf das Symbol, das auch für das Herunterfahren des Systems zuständig ist. Der letzte Punkt ist eine Abkürzung zum Kontrollzentrum.

Hier können Sie nun Bildschirm, Maus, Tastatur, Sprachen, Netzwerk, Remote-Desktop-Verbindungen, Firewall, Benutzer, Gruppen und so weiter konfigurieren.

Persönliche Cloud: Ubuntu One

Ubuntu One ist nicht neu. Allerdings ist es nun erstens wesentlich prominenter angesiedelt und zweitens hat sich die Bedienoberfläche zum Guten gewandelt. In Vorgängerversionen fristete der doch etwas umständliche Client ein Dasein als hässliches Entlein. Die Entwickler haben den Client für die persönliche Datenwolke nun in eine brauchbare, moderne Software verwandelt.

Ihre persönliche Datenwolke. Zwei GByte gibt es gratis.
Foto: Jürgen Donauer

Die von Canonical bereitgestellte Cloud ist vergleichbar mit Dropbox. Zwei GByte bekommen Sie zum Nulltarif. Danach können Sie in 20 GByte-Schritten so viele Pakete dazukaufen, wie Sie benötigen. Pro Paket kostet das 2,99 US-Dollar im Monat. Zahlen Sie jährlich beträgt der Preis pro 20 GByte 29,99 US-Dollar.

Ein Nachteil gegenüber Dropbox ist, dass der One-Client nicht so viele Betriebssysteme unterstützt wie die Dropbox. Letztere Software ist für Linux, Mac OS X und Windows gleichermaßen vorhanden. Ubuntu One ist in erster Linie für Ubuntu verfügbar und es gibt derzeit einen Beta-Client für Windows. Dieser unterstützt Windows XP, Vista und Windows 7.

Ubuntu One erlaubt Ihnen, eigentlich jeden Ordner in die Wolke zu synchronisieren. Mit einem Rechtsklick auf den entsprechenden Ordner finden Sie im aufklappenden Menü eine Sektion für Ubuntu One. Dort ist eine Option "Diesen Ordner abgleichen". Vor dem Ausführen dieser Aktion ist es aber sicher keine schlechte Idee, die Größe des Ordners zu prüfen. Gerade bei langsamen Internet-Verbindungen und großen Datenmengen kann eine Synchronisation eine ganze Weile dauern. Ebenso könnten Sie an das Limit Ihres verfügbaren Cloud-Speichers stoßen.

Darüber hinaus ist die Synchronisation der Kontakte aus Evolution einfach zu bewerkstelligen. Diese Einstellung finden Sie im Ubuntu-One-Client.

Lebenszyklus von Ubuntu Linux

Wie anfangs bereits erwähnt, handelt es sich bei Ubuntu 11.04 "Natty Narwhal" um keine LTS-Version. Diese erscheinen nur in jedem geraden Jahr im April. Die nächste Ausgabe mit Langzeitunterstützung wird also Ubuntu 12.04 sein.

Normale Versionen wie Natty Narwhal versorgen die Entwickler 18 Monate lang mit Sicherheits- und Software-Updates. Dies gilt für Server- und Desktop. LTS-Varianten erhalten hingegen drei Jahre Unterstützung für den Desktop und fünf Jahre für Server-Versionen.

Fazit

Ubuntu 11.04 Natty Narwhal ist schnell und etwas fürs Auge. Auch hat sich in Sachen Software und Hardware-Unterstützung einiges getan. Das Testen von Applikationen vor einer Installation ist großartig und funktioniert sehr gut. Ubuntu 11.04 ist ein modernes Linux-Betriebssystem, das richtig Spaß macht.

Dennoch ist Platz für Verbesserungen und es ist nicht alles Gold, was glänzt. Anwender dürften das eine oder andere Mal verwirrt sein. Ist eine Applikation zum Beispiel nicht aktiv, findet man die Software-Leiste nicht, in der sich oft die Einstellungen des Programms verwenden lassen. Diese ist nicht mehr am Fenster selbst, sondern in die obere Taskleiste gewandert. Das spart zwar Platz, ist aber nicht für alle Anwendungen von Vorteil. Ein Arbeiten mit der Bildbearbeitungs-Software Gimp ist mühselig, gerade wenn Sie mehr als ein Bild offen haben. Hier sollten die Entwickler dringend nachbessern.

An manchen Stellen hat man schon etwas das Gefühl, dass sich die Entwickler nicht in die Lage eines Anwenders versetzen können, der das System zum ersten Mal verwendet. Aber die Desktop-Umgebung Unity ist neu und somit sollte man etwas Gnade walten lassen.

Ansonsten kann man interessierten Linux-Nutzern nur raten, dem System und Unity eine Chance zu geben. Es war eine mutige Entscheidung mit gutem Ausgang. Wie üblich lässt sich Ubuntu Linux als Live-CD zunächst ausprobieren, ohne Änderungen am System vorzunehmen. Ubuntu ist für die Architekturen x86 und x86_64 verfügbar. Die Linux-Distributionen können Sie bei ubuntu.com/download herunterladen.