Früh selbständig?

Tipps für junge Freiberufler

14.04.2009 von Peter Ilg
Jeder fünfte Informatikabsolvent wechselt direkt in die Selbständigkeit. Erfahrene Freelancer warnen davor und raten, erst einmal Berufserfahrung in einer Festanstellung zu sammeln.

Kai Simons wusste früh, was er beruflich einmal machen wollte. Schon während der Schulzeit programmierte er Web-Anwendungen. Dass er am Gymnasium bei "Jugend forscht" mit dem Sonderpreis für Informatik ausgezeichnet wurde und sein IT-Studium an der Fachhochschule in Aachen mit einer Eins abgeschlossen hat, ist ein Beweis dafür, dass Menschen in den Dingen besonders erfolgreich sind, die ihnen Spaß machen.

Kai Simons, IT-Freiberufler: "Ich kenne meine Fähigkeiten."

Während des Studiums arbeitete Simons in einem IT-Beratungshaus. Er war einer von vielen Freiberuflern in der Firma, die Selbständigkeit erschien ihm deshalb als logische Konsequenz und übliches Beschäftigungsmodell für Informatiker. "Ich kenne meine Fähigkeiten, und mit dem Beratungshaus hatte ich einen ersten verlässlichen Kunden", zählt Simons als die Gründe auf, die ihm die Sicherheit gaben, sich gleich nach dem Studium in die Selbständigkeit zu wagen. Das war im Sommer 2007.

Eine Festanstellung hätte ihm keinen Vorteil gebracht, stattdessen profitieren seine Kunden von seiner Lebenseinstellung. Simons mag es, den Tag nach seinem eigenen Rhythmus zu planen. Dazu gehört auch auszuschlafen: "Ich verkaufe den Kunden meine beste Zeit." Sein Geschäftsmodell geht auf: Der 25-Jährige ist seit seinem ersten Tag voll ausgelastet, zur Überraschung manch anderer.

Zuerst die Festanstellung?

Weil ein Informatikstudium nicht auf die Selbständigkeit vorbereitet, raten viele Hochschullehrer sowie der Branchenverband Bitkom davon ab, ohne Berufserfahrung direkt von der Hochschule ins eigene Büro zu wechseln. Doch das ist ein durchaus typischer Weg von jungen Informatikern. "Knapp jeder fünfte bei uns registrierte Freiberufler kommt direkt von der Hochschule", so Stefan Symanek, Marketing-Leiter von Gulp. Das Unternehmen vermittelt freiberufliche IT-Experten in IT-Projekte. Mehr als 65.000 IT-Freiberufler sind in der Datenbank gespeichert, darunter auch Kai Simons.

Er ist Spezialist für Software-Engineering - das war sein Schwerpunkt im Studium, und in der Praxis beschäftigte er sich hauptsächlich als Entwickler im Microsoft .NET-Umfeld. Jetzt liegt sein Fokus auf dem Projekt-Management-Vorgehensmodell Scrum. "Ich unterstütze Unternehmen bei der Einführung des Modells als Vorgehensweise zur Projektorganisation und Softwareentwicklung", sagt der von der Scrum Alliance zertifizierte junge Mann.

Wenn die Ehefrau mithilft . . .

Zusätzlicher Vorteil des jungen Selbständigen: Seine Frau ist gelernte Industriekauffrau und studiert internationale Betriebswirtschaftslehre. Sie kennt sich mit betriebswirtschaftlichen Themen aus, was für eine Selbständigkeit unerlässlich ist. Frau Simons kümmert sich um die Buchführung, schreibt Rechnungen und betreibt das Controlling. Was andere eine traditionelle Rollenverteilung nennen, bezeichnet der Ehemann als "tolle Symbiose".

Junge Leute wie Simons tun der Szene gut, denn in der Altersstruktur der IT-Freiberufler zeigt sich der demografische Wandel deutlich: Im Durchschnitt sind die bei Gulp eingetragenen Experten 43 Jahre alt, und nur noch 30 Prozent sind unter 40 Jahre. Der Bundesverband Selbständige in der Informatik geht von etwa 50.000 freiberuflichen IT-Experten in Deutschland aus - Tendenz steigend. "Das liegt an den guten Verdienstmöglichkeiten, außerdem schätzen gerade junge Informatiker die Unabhängigkeit dieser Arbeitsform", sagt Dirk Bisping, Vorstand des Verbands. Selbständigkeit ist nach seiner Meinung immer dann ein Vorteil, wenn Spezialkräfte gebraucht werden. "Die Informatik eignet sich für eine freiberufliche Tätigkeit, weil der Experte nicht immer vor Ort sein muss, um seine Arbeit zu erledigen. Vieles kann er von zu Hause aus machen", so Bisping.

Aushängeschild Berufserfahrung

Dirk Bisping, BVSI: 'Ein Absolvent ohne Berufserfahrung hat nichts zu bieten.'
Foto: BVSI

Direkt nach dem Studium in die Freiberuflichkeit zu wechseln, hält auch der Verbandsvorsitzende tendenziell für gefährlich. "Diesen Schritt kann ein extrem guter Absolvent wagen, der als Spitzenkraft im umkämpften Freiberuflermarkt erstklassige Chancen hat." Bisping rät zu einigen Jahren Festanstellung, um Erfahrungen zu sammeln und sich auf dem IT-Markt zu orientieren. Aus der Praxis weiß er, dass die Kunden besonderen Wert auf die Erfahrungen des Freiberuflers legen. "Die bisherigen Tätigkeiten sind meist das Aushängeschild. Ein Absolvent ohne Berufserfahrung hat hier nichts zu bieten."

Mehr Erfahrung, mehr Geld

Berufspraxis rechtfertigt zudem höhere Honorare, hat Gulp in einer Stundensatzauswertung im Februar 2009 ermittelt. Danach fordern freiberufliche IT-Spezialisten mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung um ein Viertel höhere Honorare als unerfahrene Kollegen. Selbständige mit unter zehn Jahren Berufserfahrung verlangen im Durchschnitt 57 Euro pro Stunde, ihre Kollegen ab zehn Jahren praktischer Tätigkeit 72 Euro. Die höchsten Stundensätze erwarten Freiberufler, die 20 bis 29 Jahre im Job sind. Deren Honorarvorstellung von 75 Euro liegt zudem vier Euro über der durchschnittlichen Stundensatzforderung aller IT-Freiberufler.

Besonders häufig suchten Unternehmen im vergangenen Jahr Experten für SAP-Software. In knapp einem Viertel aller Projektangebote bei Gulp tauchten diese drei Buchstaben auf. 2008 war nach Angaben des Unternehmens ein Rekordjahr für Selbständige in der IT. Über die Datenbanken der Firma liefen rund 150.000 Projektangebote, das waren etwa 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Jetzt scheint es so, als wäre Schluss mit der Euphorie auf dem Projektmarkt: IT-Freiberufler erwarten für 2009 Stagnation bei den Aufträgen - das allerdings auf hohem Niveau.

Welche Krise?

Kai Simons spürt nichts von einer Krise. Er ist voll beschäftigt. Trotzdem: "Ich habe meine persönlichen Freiheiten in vollen Zügen genossen, war spontan im Urlaub, habe weniger gearbeitet, wenn wenig los war, und viel, wenn es die Auftragslage erforderte." Durch den Ausgleich hat er es geschafft, seine Arbeitszeit mit wöchentlich 40 Stunden auf der Höhe zu halten, wie es bei Festangestellten die Regel ist. Seine Lernkurve bezeichnet er als "intensiv". Teilweise fehlt ihm das Gruppengefühl und die Identifikation, die Mitarbeiter eines guten Unternehmens an den Tag legen. Mehr aber nicht - zumindest jetzt.

"Sollten wir Kinder haben und ich Alleinverdiener der Familie sein, werde ich mich erneut mit meinem beruflichen Status auseinandersetzen und abwägen", denkt Simons an morgen. Ein potenzieller Arbeitgeber müsste dann "schon einiges bieten und den richtigen Spirit haben", damit er etwas an seiner Situation ändert. Im Herbst dieses Jahres geht Simons mit seiner Frau für ein knappes Jahr nach Edinburgh, sie studiert, und er wird arbeiten. Deshalb sucht er jetzt passende Projekte für Schottland. Simons wird mit dem Vertrauen in den Flieger steigen, dass gute Leute immer und überall gebraucht werden.

Sieben goldene Regeln für Freiberufler

  1. Klären Sie vor der Gründung, wie gefragt Ihre Fähigkeiten derzeit sind. Machen Sie Checks in Projektbörsen wie gulp.de, freelancermap.de und projektwerk.de.

  2. Entscheiden Sie, ob Sie direkt oder über Vermittler tätig werden wollen. Achten Sie dabei auf Ihre Skills: Passen diese eher für größere Unternehmen (dann Vermittler) oder für kleinere und mittlere (dann direkt)?

  3. Machen Sie eine Standortanalyse mit Hilfe einer Karriereberatung. Welche fachlichen und persönlichen Kenntnisse fehlen Ihnen noch?

  4. Projekt-Management ist auch da gefragt, wo Sie (noch) keine Projekte leiten. Insofern ist die Zertifizierung nach beispielsweise GPM immer eine gute Investition.

  5. Erstellen Sie ein aussagekräftiges Profil, das aus einer Übersichtsseite, einer ausführlichen Skills-Übersicht und einer Projektliste besteht.

  6. Klären Sie den Status: Wenn Sie als Freiberufler anerkannt werden, entgehen Sie der Gewerbesteuer. Derzeit sind die Chancen vor allem für SAP-Berater gut.

  7. Business-Plan muss sein - auch für Projektarbeiter. Rechnen Sie mit Pausen von ein bis drei Monaten Pause zwischen einem Projekt und dem nächsten.

(Zusammengestellt von Karriereberaterin Svenja Hofert)

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