Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren - ein Grundsatz, der zumindest in Bezug auf XP-Desktops einigermaßen fragwürdig ist. Seit seiner Markteinführung vor knapp einem Jahrzehnt blieb das Betriebssystem technisch unverändert - in starkem Kontrast zur digitalen Welt drum herum: Prozessorgeschwindigkeiten vervielfachten sich, Endgeräte wurden mobil, das Word Wide Web mutierte zum interaktiven Web 2.0. All das hat die Ansprüche und Gewohnheiten der User massiv verändert - und dem werden XP-Clients immer weniger gerecht. Gründe genug also, die Client-Landschaft auf ein zeitgemäßes Fundament zu stellen. Zudem tickt die Uhr: Der Support für das alternde Betriebssystem läuft 2014 aus.
Aller Anfang ist schwer
Egal, ob die Migration bei XP oder Vista startet - für die Zeitplanung sollte immer die Devise "so schnell wie möglich" gelten, denn ein Parallelbetrieb von alt und neu ist nicht nur aufwändig, sondern birgt auch Risiken für die Mitarbeiterproduktivität. Ein Big Bang im buchstäblichen Wortsinn ist in fast allen Unternehmen allerdings unrealistisch. Selbst bei idealen Bedingungen sind wenigstens einige Wochen einzuplanen.
Windows-7-Migration
Lesen Sie hierzu auch die beiden anderen Teile unserer Serie zur Windows-7-Migration:
Am Anfang des Migrationsprojekts sollte eine detaillierte Soll-Ist-Analyse stehen. Genau betrachtet werden müssen dabei beispielsweise XP-Applikationen, die unter Windows 7 weiter genutzt werden sollen. Zudem ist zu prüfen, inwieweit die vorhandene Client-Hardware für Windows 7 und die Anwendungen tauglich ist. Eventuell notwendige Neuanschaffungen, für die natürlich auch Budgets bereitgestellt werden müssen, verzögern gegebenenfalls den Migrationszeitplan. Ebenfalls von den individuellen Voraussetzungen abhängig ist die Entscheidung, wo im Unternehmen die Migration sinnvollerweise gestartet wird. Hier wäre zu prüfen, wer am meisten von den Features des neuen Betriebssystems profitiert. Als Windows-7-Pilot empfiehlt sich beispielsweise eine Abteilung mit überwiegend mobilen Mitarbeitern. Übrigens kombinieren viele Firmen die Betriebssystemmigration mit einem Office-Upgrade. Fast überall, wo es noch kein Office 2007 gibt, dient Windows 7 als Sprungbrett für den Umstieg auf Office 2010.
COMPUTERWOCHE Marktstudie Windows 7
Schon die Tatsache, dass neue Rechner mit Windows 7 ausgeliefert werden, hat Microsoft und der ganzen PC-Branche einen echten Boom beschert. Umso erstaunlicher, dass die Euphorie einen Großteil der IT-Verantwortlichen in deutschen Unternehmen nicht erfasst hat.
Die Mehrheit hat Windows Vista ausgelassen und plant nun, von Windows XP aus zu wechseln. Doch zunächst wollen Anwendungen getestet und der Umstieg sauber vorbereitet sein. Dafür lassen sich die IT-Chefs Zeit.
Wie teuer wird das Ganze?
Immer wieder fragen Unternehmen nach einem Richtwert für die Migrationskosten pro Client. Auch jenseits von Lizenzen und gegebenenfalls notwendigen Hardwareinvestitionen gibt es dafür keine allgemeine Faustregel - es kommt immer auf die individuellen Voraussetzungen an. Schwer zu beziffern sind außerdem indirekte Kostenanteile aufgrund von Störungen und Ausfallzeiten. Bei den direkten Kosten - etwa für Schulung und externe Dienstleistungen - muss in jedem Fall ein dreistelliger Euro-Betrag pro Client einkalkuliert werden. Dieser Wert kann aber auch 1.000 Euro überschreiten, wenn beispielsweise neue Hardware wie etwa Notebooks angeschafft werden muss. Beim Sprung von XP auf Windows 7 etwa gehen Analysten von bis zu 1.500 Euro pro Client aus. Ein Mittelwert für die Neuanschaffung von Hardware und Anwendungen sowie alle indirekten Kosten sind hier bereits enthalten. Letztlich ist die konkrete Summe in hohem Maße abhängig von der Anzahl und Komplexität der Applikationen. In manchen Unternehmen sind 50 Anwendungen betroffen, in anderen 500, auch über 1.000 Applikationen sind keine Seltenheit.
An einem professionellen Kompatibilitätscheck all dieser Applikationen führt kein Weg vorbei. Denn die kleinste unentdeckte Inkompatibilität - zum Beispiel in einer geschäftskritischen Eigenentwicklung - kann sich während der Migration zu einem schwerwiegenden Problem auswachsen. Obwohl Microsoft praktikable Tools für Kompatibilitätstests mitliefert, fehlt es in XP-gewohnten IT-Abteilungen oftmals am notwendigen Know-how. Sollen Anwendungen dennoch aus eigenen Kräften auf Verträglichkeit mit Windows 7 geprüft werden, sollte das IT-Team zumindest von einem qualifizierten Anbieter vorab dafür geschult werden.
So groß die Herausforderungen insgesamt auch erscheinen - die Chancen sind ungleich größer. Denn die Migration auf Windows 7 ist eine ideale Gelegenheit, die IT sozusagen zu entrümpeln und mit dem Betriebssystem auch gleich die Applikationslandschaft einer Generalüberholung zu unterziehen. Auf lange Sicht zahlt sich ein derart grundsätzliches Herangehen aus, nämlich durch stabilere Geschäftsprozesse und höhere Anwenderakzeptanz.
Der menschliche Faktor
Stichwort Anwender - sie sind die Zielgruppe und der zentrale Erfolgsfaktor jeder Windows-7-Migration. Erfahrungsgemäß entfallen rund 50 Prozent der Betriebskosten auf die User. Intensive Nutzerschulungen sind also unabdingbar, sonst könnte sich das Produktivitätspotenzial des neuen Betriebssystems in sein Gegenteil verkehren. Als wenig hilfreich hat sich hier allerdings klassischer Face-to-Face-Unterricht erwiesen. Effektiver sind E-Learning-Tools, die unmittelbar in den Arbeitsplatz integriert sind und rollenbasierende Methoden unterstützen. Denn Lernvorgänge sind dadurch direkt in den Geschäftsalltag integriert. Unternehmen, die auf konventionelle Face-to-Face-Veranstaltungen dennoch nicht verzichten wollen oder können, sollten diese eher zur Information als zur Schulung nutzen.
Bei einem Vorhaben, das eine Jahre lang gewohnte Umgebung auf neue Füße stellt, ist eine zeitnahe Information aller Beteiligten unverzichtbar, am besten im Rahmen eines dezidierten Projektmarketingkonzepts. Das betrifft nicht nur die User, sondern in gleicher Weise die Client-verantwortliche IT-Mannschaft. Akzeptanz muss nach allen Seiten hin aufgebaut und während der gesamten Projektlaufzeit aufrechterhalten werden. Jeder muss wissen, wann was und in welcher Reihenfolge auf ihn zukommt.
Windows 7 bei Volkswagen
COMPUTERWOCHE: Warum steigt Volkswagen auf Windows 7 und Office 2010 um?
EICKHOFF: Der Volkswagen Konzern setzt bei Entwicklung, Produktion und Vertrieb seiner Fahrzeuge auf Innovationen, wir folgen aber nicht jedem Hype, sondern wägen Kosten und Nutzen ab. Das gilt auch für die Informations- und Telekommunikationstechnologie am Büroarbeitsplatz bei Volkswagen. Hier messen wir Innovationen vornehmlich an zwei Zielen: Mehr Effizienz für unser Unternehmen sowie Mehrwert für unsere internen Kunden. So forciert die Konzern-IT die Einführung von Windows 7 und Office 2010, damit Mitarbeiter künftig ihre täglichen Arbeiten am Computer bequemer, schneller und effizienter erledigen können.
COMPUTERWOCHE: Was meinen Sie mit mehr Effizienz und Mehrwert?
EICKHOFF: Ein Beispiel für mehr Effizienz im Unternehmen ist der konzernweit einheitliche Desktop-Arbeitsplatz, den wir auf unserem Global Client in mehreren Sprachen als Standard zur Verfügung stellen. Beispiele für Nutzermehrwert sind: die formatunabhängige Desktop-Suche und die verbesserte Darstellung von Suchergebnissen in Outlook. Die Desktop-Suche erfasst Dateien sowie E-Mails einschließlich Anhängen und führt schneller zu Treffern. E-Mails werden nicht nur nach Verfasser, Titel und Datum durchforstet. Als Suchergebnisse werden bei Bedarf Vorgänge angezeigt, die in einem Sinnzusammenhang stehen, so genannte Unterhaltungen.
COMPUTERWOCHE: Wie erfolgt die Migration bei Volkswagen?
EICKHOFF: Wir haben zunächst Test-Clients für kleinere Organisationseinheiten im Unternehmen installiert, beispielsweise für Teams in der Forschung und Entwicklung sowie in der Beschaffung. Auf diese Weise sammelten wir wertvolle Erfahrungen, wo und in welchem Umfang wir Anpassungen vornehmen müssen. Als Migrationshürde stellten sich Dokumente heraus, die in älteren Office-Formaten abgespeichert wurden. Das Kompatibilitätspaket erwies sich hier als eine sinnvolle Investition. Darüber hinaus floss das Erstanwender-Feedback in die Global-Client-Weiterentwicklung ein. Nun wird dieser Client weiteren Konzernbereichen sukzessive zur Verfügung gestellt. Das sind teils Arbeitsgruppen, teils ganze Abteilungen von bis zu 50 Mitarbeitern, sowie kleinere Konzerngesellschaften. Sie nutzen Anwendungen, die wir als Windows-7-fähig identifiziert haben. Die Motivation der Mitarbeiter, die Vorteile von Office 2010 zu nutzen, ist hoch. Oft kennen sie die Programme schon vom Privat-PC zuhause. Die Umstellung unserer insgesamt 150.000 Desktop-Arbeitsplätze, also von PCs und Laptops, werden wir bis Ende 2012 abschließen.
COMPUTERWOCHE: Ist es richtig, dass die Kompatibilität der Applikationen den Knackpunkt darstellt?
EICKHOFF: Die Migration von Betriebssystem und Software in Verbindung mit anderen Anwendungen ist immer eine Herausforderung. Schließlich geht es darum, die Lauffähigkeit von Programmen sicherzustellen, die für das gesamte Unternehmen wesentlich sind, denken Sie beispielsweise an CAD-Programme in der Fahrzeugentwicklung oder Systeme in der Fertigungsplanung. Das haben unsere Experten in der Applikationsentwicklung alles im Griff. Die Kompatibilität konzerneigener Software hatten wir als problematischer eingeschätzt. Auch hier sind wir auf der Zielgeraden. Überraschend ist für uns aber, dass viele Softwarehersteller noch keinen Plan zu haben scheinen, ob oder wie ihre Produkte künftig mit Windows 7 harmonieren. Hier sollten einige Anbieter die Anforderungen ihrer Kunden besser verstehen und zur Kenntnis nehmen, dass sich immer mehr Unternehmen mit der Windows-7-Migration befassen. (ue)
Fazit
Je zahlreicher die Clients im Unternehmen, desto größer wird die Baustelle der Windows-7-Migration. Mit der Anzahl wächst andererseits auch die Summe der Flexibilitäts- und Produktivitätseffekte, die das neue Betriebssystem verspricht. Ungeplante Folgekosten, Zeitverzug und Anwenderfrustration lassen sich nur durch ein präzise geplantes Projekt-Management mit klar definierten Verantwortlichkeiten vermeiden. Wichtig zudem: Die Migration muss mit hoher Priorität im Unternehmen eingebunden sein. Projektmitarbeiter dürfen nicht abgelenkt werden durch zu viele andere betriebliche Aufgaben. Die Erfahrung lehrt, dass Stockungen in der Windows-7-Migration fast immer auf das Konto unzureichender Projektkoordination gehen.
(Grafiken: Computacenter)