Steve Mills, IBM: "Kunden zahlen nicht nur für den Code"

01.06.2005
IBMs Softwaresparte rechnet mit schwierigeren Geschäften. Steve Mills, Senior Vice President und Group Executive IBM Software, sprach mit CW-Redakteur Martin Bayer .

CW: Wie laufen derzeit die Softwaregeschäfte der IBM?

MILLS: Der Markt stellt eine Herausforderung für uns dar. So ist es jedoch schon seit Jahren. Zwischen 1995 und 2000 haben die Anwender eine Menge Geld für Technik ausgegeben - Technik, die zum Teil nie eingesetzt wurde und sich damit auch nicht gerechnet hat. Daher haben wir heute ein Umfeld, in dem die Anwender IT-Anschaffungen genau untersuchen und prüfen. In den Firmen gibt es rigorose Regeln, was die Genehmigung betrifft. Kunden gestalten ihre Evaluierungen heute wesentlich gründlicher.

CW: Wie beurteilen Sie die Wachstumschancen?

MILLS: Die Zuwächse liegen im einstelligen Prozentbereich. Für die Softwarebranche rechnen wir mit sechs bis sieben Prozent in diesem Jahr. Das ist natürlich nicht das Wachstum, das wir uns wünschen. Jeder hätte lieber zweistellige Raten. Wir müssen uns jedoch eine realistischere Sicht des Marktes angewöhnen und uns auf die Kunden einstellen. Immerhin kaufen sie nach wie vor ein. Es ist nicht so, dass gar nichts passiert.

CW: IBM hat in den vergangenen Jahren rund 25 Softwarefirmen zugekauft. Was steckt hinter dieser Akquisitionsstrategie?

MILLS: Wir kaufen prinzipiell Firmen zu, um unser Produktportfolio zu ergänzen. Wenn wir erkennen, dass es eine Lücke gibt, müssen wir diese füllen.

CW: Wie funktioniert das?

MILLS: Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten: es selbst machen, die Lösung zukaufen oder mit einem Partner zusammenarbeiten. Wenn die Eigenentwicklung zu aufwändig ist und es keine lohnenden Akquisitionsziele gibt, ist es sinnvoll, mit Partnern zu kooperieren.

CW: Wenn es die nicht gibt, kaufen Sie zu?

MILLS: Manchmal muss man ein Stück Technik selbst besitzen, um ein Angebot oder eine Lösung zu komplettieren. Hier gibt es meist zu viele Abhängigkeiten und sensible Bereiche was Funktionalität und Performance betrifft. In diesem Fall ist es schwer, einen geeigneten Partner zu finden, der die Lücke passgenau schließen kann. Dann müssen wir uns entscheiden, selbst zu entwickeln oder zuzukaufen.

CW: Nach welchen Kriterien wählen Sie ihre Akquisitionsziele aus?

MILLS: Wir machen Middleware-Geschäft, kein Applikationsgeschäft. Wir folgen einer Architektur-Roadmap, die wir mit der Zeit auffüllen. Im Kontakt mit unseren Anwendern ermitteln wir neue Bereiche, die künftig für die Kunden wichtig und damit auch für IBM interessant werden könnten. In diesen Segmenten sehen wir uns nach Akquisitionen um.

Das Software-Business wird für IBM immer wichtiger. So trug die Sparte zwar im Ende März abgelaufenen ersten Quartal 2005 mit Einnahmen von 3,55 Milliarden Dollar nur rund 15,5 Prozent zum IBM-Umsatz bei. Doch die Profitabilität des Bereichs ist einzigartig. Mit 893 Millionen Dollar verdiente Big Blue in den ersten drei Monaten des Jahres über 44 Prozent seines Vorsteuergewinns mit Software. IBM hat sein Softwaregeschäft, das sich angesichts rückläufiger Einnahmen mit Betriebssystemen immer stärker auf die Middleware-Plattform Websphere stützt, in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Trotz geringerer Gesamtumsätze in den Jahren 2001 und 2002 wuchsen die Softwareeinnahmen stetig von 12,6 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 15,1 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr. Der Vorsteuergewinn der Sparte verbesserte sich derweil von 2,8 auf 4,5 Milliarden Dollar.

CW: Wie funktioniert die Integration?

MILLS: Die Firmen müssen zu uns passen: in Sachen Technik, Mitarbeiter und Firmenkultur. Es geht nicht darum, Unternehmen zu kaufen, dann die Mitarbeiter loszuwerden, und nur die Umsätze zu kassieren. Wenn wir eine Firma übernehmen, kaufen wir deren Know-how, Erfahrungen und Kundenbeziehungen. Letztendlich fragen wir nicht, ob eine Firma gekauft werden möchte, sondern ob sie bei uns mitmachen will. Das Konzept ist, die Zukäufe mit IBM zu verschmelzen. Es ist nicht das Ziel, separate Einheiten zu schaffen.

CW: Bereiche wie Lotus oder Tivoli agierten aber lange Zeit relativ eigenständig innerhalb der IBM-Softwaresparte!

MILLS: IBM hat Lotus 1995 übernommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keine klare Linie in unserer Akquisitionsstrategie. Künstliche Trennungen wie bei Lotus und Tivoli haben zahlreiche Probleme verursacht. Kunden haben diese Konstellation nicht verstanden. Unsere Strategie ist heute, die einzelnen Teile zusammenzufügen, und nicht ein Set verschiedener Softwareteile anzubieten. Das können sich die Kunden im Grunde überall kaufen.

CW: Gibt es denn noch Lücken in Ihrem Produktportfolio?

MILLS: Wenn es keine Lücken mehr gäbe, könnte ich nach Hause gehen. Das wäre im Grunde nicht schlecht. (lacht) Alles was wir haben, muss aber auch weiter ausgebaut werden. Es gibt immer neue Funktionen, die von den Kunden nachgefragt werden. Je mehr Probleme gelöst werden, desto mehr neue Fragen tun sich auf, die einer Antwort bedürfen. Wenn ein Problem gelöst ist, taucht sofort ein neues auf, an das man vorher überhaupt noch nicht gedacht hat. Das ist ein nie endender Prozess.

CW: Haben Sie momentan konkrete Pläne für Zukäufe?

MILLS: Ich kann Ihnen natürlich keine Namen nennen. Das würde eine Menge Probleme verursachen - vor allem für mich.

CW: Auf der einen Seite schließen Sie Lücken im Portfolio, aber auf der anderen Seite gibt es Überlappungen. Beispielsweise führt Ihre jüngste Akquisition Gluecode Produkte wie App-Server und Portal, die auch IBM hat.

MILLS: Der Hintergrund der Gluecode-Akquisition war, mit deren Open-Source-Produkten mehr Kunden zu erreichen. Wir müssen darauf achten, wo momentan die Dynamik im Markt steckt. Sie zeigt an, wo sich langfristig Geld machen lässt, auch wenn sich auf kurze Sicht nur wenige oder gar keine Geschäfte abzeichnen. Dynamik gibt es derzeit im Open-Source-Umfeld. Gluecode hat zum Beispiel viel zum "Geronimo"-Projekt von Apache beigetragen. Wir glauben, in diesem Umfeld auch Kunden für unser Websphere-Portfolio begeistern zu können.

CW: Geld lässt sich damit allerdings kaum verdienen.

MILLS: Gluecode verdient sehr gut an Distribution und Support. Es ist natürlich ein anderes Modell als das traditionelle, das wir bisher in unserer Branche kennen. Doch davor ist uns nicht bange. IBM hält nicht an starren vorgefertigten Meinungen über den Code und dessen Wert fest.

CW: Ändern sich denn grundsätzlich die Vorstellungen der Kunden darüber, was den Wert einer Software ausmacht?

MILLS: Die Vorstellungen der Kunden über die Wertschöpfung von Software verschieben sich allmählich. Sie zahlen für die Implementierung, für den Support - für die Dinge, die für ihren Erfolg sorgen. Ich glaube nicht, dass jemand nur für den Code zahlen möchte. Seit Jahren üben die Kunden Druck auf die Softwarehersteller aus, in diese Richtung zu denken. Wenn der Kunde einen Nutzen aus der Software zieht, dann erhält der Anbieter seinen entsprechenden Anteil daran.

CW: Letztendlich nutzt dieses Modell doch in erster Linie der Service-Sparte.

MILLS: Nein, es bedeutet vor allem einen Push für meine Software-Unit. Ich habe 3500 Mitarbeiter, die sich nur um Services wie beispielsweise die Implementierung unserer Software kümmern. Ich habe Gluecode nicht gekauft, um Global Services unter die Arme zu greifen, sondern um meinen Entwicklern mehr Möglichkeiten zu bieten und mehr Kunden und Partner anzusprechen - um meinen Anteil am Software-Ecosystem zu erweitern.

CW:Wie würden Sie das Verhältnis zwischen IBMs Service- und Softwaresparte beschreiben?

MILLS: Wir trainieren beispielsweise die Mitarbeiter von Global Services auf unsere Produkte. Es gibt ferner zahlreiche Initiativen, die wir gemeinsam vorantreiben. Außerdem verfolgen wir zusammen Projekte beim Kunden. Wir kombinieren unsere Ressourcen, je nachdem wie wir unsere Möglichkeiten einschätzen. Insgesamt arbeiten wir also viel mit Global Services zusammen. Das macht vielleicht zehn bis zwölf Prozent unseres Geschäftes aus. Wir kooperieren aber genauso mit anderen Dienstleistern.

CW: Sorgt das nicht für Konfliktstoff innerhalb der IBM?

MILLS: Ich habe rund 10 000 Vertriebsmitarbeiter, die dafür bezahlt werden, Software zu verkaufen. Weitere 4500 sind nur damit beschäftigt sind, den Kunden beim Einsatz der Software zu helfen. Wir sind nicht im Softwaregeschäft, um das Servicegeschäft zu verbessern. Und Servicemitarbeiter, egal ob sie bei IBM, Accenture oder einem anderen Dienstleister arbeiten, sind auf der anderen Seite keine Softwareverkäufer. Wir produzieren keine Software, um das Dienstleistungsgeschäft anzutreiben. Wir entwickeln Software, um das IBM-Geschäft zu verbessern.

CW: Ihr Softwareportfolio ist breit gefächert. Kunden haben oft Schwierigkeiten, den Durchblick zu behalten. Gibt es Pläne, hier aufzuräumen?

MILLS: Es wird künftig eher noch mehr Software geben als weniger. IBM verdient damit 15 Milliarden Dollar im Jahr. Das macht aber nur einen Bruchteil der Software aus, die insgesamt in der Welt verkauft wird. Dahinter steckt eine gewaltige Industrie. Die Zahl der Produkte lässt sich kaum erfassen. IBM bietet die gesamte Palette an Middleware-Produkten an. Viele Kunden nutzen nur wenige davon. Manche eine ganze Reihe. Einige Kunden wiederum haben so viele Produkte im Einsatz, dass sie sich über die Zahl wundern, wenn sie diese hören.

CW: Das heißt aber nicht automatisch, dass die Kunden auch zufrieden sind?

MILLS: Sicher wäre das Leben einfacher, wenn man nur eine Software bräuchte. Ich würde mein Portfolio liebend gern vereinfachen. Das habe ich auch meinen Kunden oftmals angedroht. Dann bekämen sie allerdings den gesamten Stack mit einem Stapel von CDs. Im Endeffekt hilft ihnen das jedoch kaum weiter. Es verwirrt die Kunden, sie wissen nicht, was sie für welches Problem benötigen. Das funktioniert nicht.

CW: Wie sieht denn IBMs Lösung aus?

MILLS: Wir versuchen, unsere Produkte auf alle möglichen Arten zu bündeln. Die Kunden verlangen jedoch nach Granularität. Sie wollen einzelne Softwareteile, die genau ihr Problem lösen und gut zusammenpassen. Kunden kaufen Software heute in kleineren Häppchen. Das zeigt sich auch am Volumen der einzelnen Deals. Das durchschnittliche Volumen einer Softwarebestellung beträgt hier in Europa 40 000 Dollar. Auch weltweit liegt der Betrag unter 50 000 Dollar.

CW: Mit welchen Anforderungen sehen Sie sich konfrontiert?

MILLS: Wir müssen den Kunden ein hohes Maß an Modularität bieten und auf der anderen Seite die Integration und die Verwendung der Software so einfach wie möglich gestalten. Kunden wollen heute schnell die Vorteile einer Softwareinvestition sehen, andererseits aber alle Möglichkeiten modularer Bausteine nutzen können.