100 Jahre IBM

Ständiger Wandel als Rezept für hohes Alter

09.06.2011
In der Informationstechnik gibt es wenige Unternehmen, die auf eine so lange Tradition zurückblicken können: IBM feiert seinen 100. Geburtstag.

"Big Blue" hat sich immer wieder neu erfunden und rechtzeitig von Geschäften mit sinkender Gewinnmarge getrennt.

Die IBM-Zentrale in Armonk
Foto: IBM

Loch oder kein Loch - mit diesem Unterschied auf einer rechteckigen Pappkarte begann IBM vor 100 Jahren sein Geschäft mit der digitalen Datenverarbeitung. Die Position des Lochs in den Spalten und Zeilen der Karte bestimmte die Bedeutung des Zeichens. Geändert hat sich seitdem nur das Medium für diesen binären Code: Auf die Pappe folgten magnetische Folien, Siliziumscheiben mit elektronischen Schaltungen, Träger für optische Signale und Versuche mit Nanopartikeln.

Mit Blick auf die Gründung von IBM am 16. Januar 1911 konnte Konzernchef Sam Palmisano daher sagen, das Unternehmen habe sich einerseits immer wieder neu erfunden. "Eine andere Sicht ist, dass wir ein Jahrhundert lang exakt die gleiche Sache gemacht haben."

Dabei war das Unternehmen in seinen Anfängen eher ein Gemischtwarenladen. Es entstand als Zusammenschluss von drei verschiedenen Unternehmen: Die Computing Scale Company hatte nichts mit Computern zu tun, sondern stellte Waagen her. Die International Time Recording Company produzierte Uhren, und die Firma mit den Lochkarten war die bereits 1896 von Herman Hollerith gegründete Tabulating Machine Company. Hollerith war Sohn von Einwanderern aus der pfälzischen Ortschaft Großfischlingen bei Neustadt an der Weinstraße.

Seine Hollerith-Maschinen waren vor allem für den Staat interessant, der die Effizienz seiner Verwaltung verbessern wollte. Die schon 1910 gegründete Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft (Dehomag) belieferte unter anderem die Kaiserliche Werft in Kiel und die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin. Im Ersten Weltkrieg zählte die Dehomag zu den kriegswichtigen Betrieben, später wird sie mehrheitlich von IBM übernommen, wie der Konzern seit 1924 heißt. Die Abkürzung steht für International Business Machines.

In den 30er und 40er Jahren wurde die Lochkartentechnik der Dehomag auch vom NS-Regime genutzt - nach Recherchen des amerikanischen Autors Edwin Black für das Buch "IBM and the Holocaust" auch zur systematischen Erfassung der jüdischen Bevölkerung. Inwieweit die Geschäftsführung in den USA Kenntnis von den Dehomag-Geschäften mit dem NS-Staat hatte, ist laut IBM bis heute umstritten.

Die gestanzten Lochkarten lieferten auch nach dem Krieg lange Zeit die Daten für Computer wie das System/360. Dieser 1964 vorgestellte und unter anderem in Böblingen ausgetüftelte Großrechner wurde erstmals für alle Zwecke entwickelt - vorher gab es jeweils spezielle Computer für Wissenschaft, Wirtschaft und Militär. IBM setzte damals ebenso einen einheitlichen Standard wie 1981 mit dem Personal Computer.

Der neue Trend der "Mikrocomputer" wurde zuerst von Apple und Rechnern mit dem Betriebssystem CP/M von Digital Research bestimmt. Dann aber zog der IBM-PC an den Pionieren vorbei und legte die Grundlagen für die digitale Gesellschaft. Das Disk Operating System (DOS), das Betriebssystem für den PC, ließ IBM von Microsoft-Gründer Bill Gates entwickeln. Als die Bedeutung der Software deutlich wurde, entwickelte IBM ein eigenes Betriebssystem für den PC mit der Bezeichnung OS/2 - dies wurde 2005 eingestellt.

Als sich damals abzeichnete, dass mit dem PC immer weniger Geld zu verdienen war, trennte sich IBM von diesem Geschäft - ähnlich wie bereits 2003 von der Festplattensparte. Angesichts der ständigen Neuerungen in der Informationstechnik sei "die Vorwärtsbewegung der einzige Weg für ein High-Tech-Unternehmen, um sich von der Commodity-Hölle fernzuhalten", sagt Vorstandschef Palmisano. Nur noch Commodity, Rohstoff, zu liefern, das ist für IBM eine schreckliche Vorstellung.

Gehobene Firmenkultur mit Anzugpflicht im Vertrieb

"Big Blue", wie der Konzern mit seinem Hauptsitz in Armonk bei New York genannt wird, vertritt eine gehobene Firmenkultur, die jeder CeBIT-Besucher sofort spürt, wenn er auf der Computermesse in Hannover am IBM-Stand vorbeikommt. Dies fängt mit dem Äußeren der Mitarbeiter an - die 1915 für den Vertrieb eingeführte Anzugpflicht prägt die Armonker bis heute - und erstreckt sich bis zur jahrzehntelangen Konzentration auf das Geschäft mit Großkunden. Erst 2007 gab Palmisano die Parole aus, verstärkt auf die mittelständische Kundschaft zuzugehen.

Im vergangenen Jahr haben die rund 427 000 Mitarbeiter - unter ihnen 20 000 in Deutschland - einen Umsatz von 99,9 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Der Gewinn vor Steuern kletterte auf den Rekord von 19,7 Milliarden Dollar. Davon entfielen mehr als 90 Prozent auf Software, Dienstleistungen und Finanzierungen. Mehr als 70 Prozent der 2010 registrierten 5896 US-Patente betrafen Neuentwicklungen für Software und Dienstleistungen. Seit mehr als zehn Jahren unterstützt IBM auch die Open-Source-Szene um das freie Betriebssystem Linux.

Inzwischen verabschieden sich auch andere in der Branche vom PC-Modell und suchen ihr Glück in der Cloud, in der Verlagerung von IT-Prozessen aller Art in vernetzten Rechenzentren. Entsprechende Lösungen sind einer von vier Wachstumsbereichen der gegenwärtigen IBM-Strategie - neben dem Geschäft in Wachstumsmärkten wie China, Indien und Brasilien, Angeboten zur Analyse von Geschäftsdaten sowie Innovationen für einen "intelligenteren Planeten".

Meilensteine der IBM-Geschichte

Seit 100 Jahren begleitet IBM die Entwicklung der Informationstechnik mit einer Vielzahl von Erfindungen. Hier eine Auswahl der wichtigsten Daten der Firmengeschichte.

1911 - IBM wird am 16. Juni unter dem Namen Computing Tabulating and Recording Company (C-T-R) in New York gegründet. Neben der Lochkarten-Technik bietet das Unternehmen kommerzielle Waagen und Uhren an.

1915 - Thomas J. Watson wird Präsident. Der für den Vertrieb eingeführte strenge Dresscode prägt die Unternehmenskultur.

1924 - C-T-R ändert seinen Namen in International Business Machines (IBM). Die Carroll Rotary Card Press produziert 1000 Lochkarten pro Minute.

1928 - Die IBM-Karte mit 80 Spalten wird Standard für das Speichern und Aufzeichnen von Daten.

1930 - Watson lässt ein System zur zeitlichen Steuerung von Verkehrsampeln patentieren.

1933 - IBM führt die 40-Stunden-Woche ein.

1934 - Für Banken wird eine Maschine zur Automatisierung der Scheckverrechnung entwickelt, die IBM 801.

1939 - IBM erhält das erste Patent für eine Methode zur Ausführung von Berechnungen mittels Elektronenröhren.

1944 - IBM stellt seinen ersten Großrechner vor, den Automatic Sequence Controlled Calculator (ASCC), auch als Mark I bekannt. Die mehr als 15 Meter lange und fast 2,50 Meter hohe Maschine wiegt fast fünf Tonnen.

1946 - Der erste kommerzielle elektronische Rechner trägt die Bezeichnung IBM 603.

1948 - Das Nachfolgemodell IBM 604 wird mehr als 5000 Mal verkauft.

1952 - Der Magnetbandspeicher IBM 726 speichert so viele Daten wie 35 000 Lochkarten.

1954 - Ein IBM-Computer demonstriert die Übersetzung vom Russischen ins Englische.

1955 - Der Transistorrechner IBM 608 markiert einen neuen Abschnitt zur Entwicklung leistungsfähigerer Computer.

1956 - IBM begründet mit dem RAMAC (Random Access Method of Accounting and Control) die magnetische Speichertechnik der Festplatte. Die Laufwerke sind bei einer Kapazität von 10 Megabit (damals wurde noch nicht in Megabyte gemessen) so groß wie zwei nebeneinander aufgestellte Kühlschränke.

1957 - Das von IBM-Programmierer John Backus entwickelte Fortran wird zum Standard bei Programmiersprachen.

1961 - Die Schreibmaschine IBM Selectric setzt einen Standard bei Büroschreibmaschinen.

1964 - Das Großrechnersystem/360 bestimmt auf Jahre hinaus die Entwicklung von Computern mit Halbleiterchips.

1966 - Die Erfindung von DRAM (Dynamic Random Access Memory) ermöglicht die Entwicklung von schnellerem und preisgünstigerem Computerspeicher.

1969 - Die Magnetstreifentechnik legt die Basis für das Kreditkartengeschäft.

1971 - IBM ist an der Erfindung der Diskette beteiligt.

1972 - IBM stellt den ersten Geldautomaten vor.

1973 - Im Einzelhandel beginnt die Nutzung von UPC-Barcodes, die in den 1960er Jahren in IBM-Forschungslabors entwickelt wurden.

1975 - Der IBM 5100 ist der erste tragbare Computer.

1976 - IBM führt den ersten Laserdrucker ein.

1981 - Der IBM Personal Computer markiert den Beginn der PC-Revolution.

1986 - Die IBM-Forscher Gerd Binnig und Heinrich Rohrer werden für die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.

1987 - Die IBM-Forscher Georg Bednorz und Alex Müller erhalten für ihre Arbeiten zur Erfindung des Hochtemperatur-Supraleiters den Nobelpreis für Physik.

1992 - IBM führt das Notebook-Modell ThinkPad ein.

1995 - IBM übernimmt die Software-Firma Lotus.

1996 - IBM führt das Datenbank-Managementsystem DB2 Universal Database ein.

1997 - Der IBM-Supercomputer Deep Blue schlägt den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow in sechs Partien.

1999 - IBM unterstützt Linux und weitere Open-Source-Software.

2002 - IBM übernimmt das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers Consulting.

2005 - IBM verkauft sein PC-Geschäft mit der Modellreihe ThinkPad an das chinesische Unternehmen Lenovo.

2011 - Der nach dem IBM-Gründer benannte Supercomputer Watson gewinnt in der amerikanischen Quiz-Show "Jeopardy" gegen zwei Kandidaten.

Auf einer Jubiläumsfeier sagte die neue Vorsitzende der IBM-Geschäftsführung in Deutschland, Martina Koederitz, am Mittwochabend in Berlin, mit den Innovationen ihres Unternehmens in den letzten hundert Jahren sei die Welt "smarter geworden, vielleicht auch ein Stück besser". Die Managerin fügte hinzu: "Ich bin überzeugt, dass dies auch in den nächsten hundert Jahren der Fall sein wird." IBM denkt da unter anderem an selbst lernende Systeme nach dem Modell des Quiz-Computers Watson, an die Analyse von großen Datenmengen für bessere Prognosen im Gesundheitswesen, für Verkehrssysteme der Zukunft oder auch in der Energieversorgung. (dpa/tc)