Spiegelverkehrt

31.01.1986

Die Werbeabteilung de IBM Deutschland kann stolz sein. In seiner Ausgabe Nr. 5 vom 27. Januar 1986 stellte "Der Spiegel" Big Blue über Bangemann, Becker und Blüm (Seite 1). Schlagzeile zur Titelgeschichte: "Computer-Gigant IBM - über alles in der Welt."

Auch über die Fakten. O-Text "Der Spiegel": "Nur scheinbar bescheiden klingt das Ziel das Anfang dieses Jahrzehnts der damalige oberste IBMer John R. Opel seinen Mitarbeitern setzte: den Umsatz mindestens so zu steigern wie der Durchschnitt der Datenverarbeitungs-Branche. Mindestens. Das sind jährlich etwa 15 Prozent mehr. ...Die IBMer haben ihr Soll fast immer erfüllt - und oft noch mehr. 1985 machte der Konzern einen Umsatz von über 50 Milliarden Dollar."

"Der Spiegel" vergleicht die IBM mit der Kirche - dann sollte er sie aber auch im Dorf lassen. Da heißt es nämlich weiter: "Hält dies Wachstumstempo an, dann ist IBM 1990 eine 100-Milliarden-Dollar-Company." Genau dieses "Hält" läßt sich als Prämisse so nicht aufrechterhalten. Das 15-Prozent-Wachstumsziel wurde schon 1984 unterschritten - und 1985 konnte die IBM Corp. ihren Umsatz nur noch um 9 Prozent steigern (CW Nr. 4 vom 24. Januar 1986, Seite 1).

Das nennt man ein "stabiles Tief" - und so ist es erlaubt, eine andere Rechnung aufzustellen: Hält dieses Wachstumstempo an, dann erreicht Big Blue die 100-Milliarden -Dollar-Grenze nimmermehr. Doch wir wollen die Kirche im Dorf lassen: Der Mainframe-Monogamist expandiert weiter - doch sind seinem Wachstum offensichtlich Grenzen gesetzt.

Ein Blick in die Großrechner-Szene läßt schon an der "Uber-alles-in-der-Welt-These'' zweifeln. So das Beispiel der 3090-200 - ein Rechnerkomplex, in dem alles groß ist (Zentralprozessoren, Magnetplattenspeicher etc.) und der doch nicht leistungsfähiger ist als etwa die Jumbos der Japaner. Soviel scheint klar: Die kleine Sierra wird die Performance-Probleme der IBM-Großkunden bei transaktionsorientierter Datenverarbeitung nicht lösen. Das ist natürlich auch eine Softwarefrage (TSO unter MVS zum Beispiel).

Als die IBM die ersten 3090-200-Aufträge erhielt, sprachen bereits die Performance-Fakten gegen sie. Das Ergebnis ist bekannt: Viele Kunden warten auf die 3090-400. Daß die Sierra-Auslieferungen Big Blue 1985 doch noch mit einem blauen Auge davonkommen ließen, wird die Armonker Strategen nicht froh machen - zu schmal, nach der Zahl der Kunden, die Basis, auf der das Großrechnergeschäft ruht.

Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellt die Tatsache dar, daß die Mieteinnahmen immer weniger zum Gesamtumsatz der IBM Corp. beitragen. Darüber ist alles gesagt: Big Blue entwickelt sich immer mehr zu einem ganz normalen Computer-Hersteller, der seinen Erfolg im Neugeschäft suchen muß.

So wird sich die IBM daran messen lassen müssen, in wie vielen anderen Märkten sie die Führungsrolle spielen kann. Dazu nur eine Bemerkung: Communications bisher Fehlanzeige. Und die SNA-Euphorie? Gegenfrage: Was wird aus OSI? Die Experten sind sich einig, daß Standards, und seien sie auch von Big Blue beeinflußt, letztlich Gift sind für einen Hersteller, der von der Macht über die Anwender lebt.

Da haben wir den eigentlichen Knackpunkt, der für den "Spiegel" freilich leider kein Thema war: Die Ziele der lBM sind nicht mehr automatisch auch die Ziele ihrer Kunden. Der Markt läßt sich nicht dressieren.