Mac und Windows mit Free-Unix-Kern

Spekulationen über Linux 3

28.08.1998

"Linux ist in Deutschland die Nummer eins und weltweit die Nummer zwei unter den Unix-Derivaten", behauptet Linus Torwalds, der Erfinder des Freeware-Betriebssystems. Tatsächlich wird die Anwenderzahl auf fünf bis zehn Millionen geschätzt. Längst werden Hochpreisanwendungen wie die Oracle- oder Informix-Datenbank für diese kostenlose Plattform entwickelt. Auch Firmen wie Suse in Deutschland und weltweit Caldera reichern das Produkt um Dienstleistungen oder Netzfunktionen wie etwa die Netware-Integration an.

Linux bewährt sich aber auch auf ungewöhnlichen Gebieten. Es gibt eine Variante, die auf dem Palmpilot von 3Com läuft, und in Japan, so berichtet Torvalds, soll sogar das Flüssigkristall-Display eines Kühlschranks unter Linux arbeiten und über einen Netscape-Browser Internet-Meldungen absetzen können. Weder wirtschaftlich noch technisch scheinen dem Unix Grenzen gesetzt zu sein.

Erfolg durch die Hintertür

Dazu gehört, daß Linux offenbar beginnt, sich selbst in die bisherige Domäne proprietärer Betriebssysteme einzunisten. In diese Richtung zielt zum Beispiel der in den USA immer wieder vorgebrachte Vorschlag, Apple solle den Kernel seines "Rhapsody" zusammen mit dem Entwicklerpaket publizieren. Ganz unwahrscheinlich ist die Erfüllung solcher Wünsche nicht, da Apple aufgrund sinkender Marktanteile um die Gunst der Programmierer buhlen muß. Die Linux-Programmierer erhielten damit die Möglichkeit, ihr Betriebssystem unter der Mac-Oberfläche laufen zu lassen.

Ein ähnliches Szenario gibt es auch für die Windows-Welt. Schließlich wurde Microsoft gerade erst von einem Richter dazu verurteilt, dem Linux-Anbieter Caldera Teile des Quellcodes von Windows 95 zugänglich zu machen. Dabei geht es derzeit nur darum, Windows so zu manipulieren, daß es auf Calderas Betriebssystem "DR-DOS" ebenso läuft wie auf Microsofts MS-DOS. Doch DR-DOS wird häufig als Linux-Aufsatz verwendet. In der Konsequenz könnten Linux-Anwender Applikationen nutzen, die eigentlich für Win- dows geschrieben wurden. Allerdings hat diese Lösung ihre Grenze bei Anwendungen, die an DOS vorbei auf die Hardware zugreifen. Die Mac- und Windows-Szenarien hätten zudem den Vorteil, Linux mit einer für breite Anwendergruppen vertrauten Benutzeroberfläche zu versorgen und so für Akzeptanz bei der großen Zahl von Endanwendern zu sorgen.

Am weitesten geht die spekulative Prognose von "Infoworld"-Redakteur Nicholas Petreley. Er sieht Linux Windows NT als führendes Betriebssystem verdrängen. Nach seiner Ansicht haben sich die Redmonder mit dem Projekt Windows NT 5.0 schlicht verhoben. Petreley erinnert an eine Reihe nicht erfüllter Versprechen aus der Zeit, als das System noch unter der Codebezeichnung "Cairo" für 1994 angekündigt war. Von einem vollständig objektorientierten Betriebssystem war damals die Rede, von datenbankgestützten Dateisystemen, später zumindest noch von einem verteilten Dateisystem. Echte Directory-Services waren für 1997 versprochen und vieles mehr. Als Folge davon, daß dies alles ausgeblieben ist, erwartet Petreley: Microsoft verliert seinen Ruf als "visionärer Marktführer", die Unterstützung der Entwickler bleibt aus. Aus dieser Sicht erscheint Linux weit zuverlässiger und innovativer.