Übernahme von IDS Scheer

Software AG will SAP-Kunden

14.07.2009 von Frank Niemann
Die Software AG erhält mit IDS Scheer Zugang zu zahlreichen SAP-Anwendern. Der Anbieter will diesen Firmen BPM- und Integrationsprodukte sowie -dienstleistungen verkaufen.

Fast eine halbe Milliarde Euro will die Software AG aus Darmstadt hinblättern, um den auf Geschäftsprozessanalyse und -modellierung spezialisieren Anbieter IDS Scheer AG aus Saarbrücken zu kaufen. Über eine Übernahme der Firma wurde schon länger spekuliert. Beobachtern zufolge war es vor allem Firmengründer August-Wilhelm Scheer, der sich sträubte. Nun hat der Professor und Bitkom-Präsident dem Übernahmeangebot zugestimmt.

Karl-Heinz Streibich: 'Prozessinnovationen werden wichtiger als Produktinnovationen.'
Foto: Software AG

Geben auch die anderen Aktionäre ihr Placet und gibt es keine Einwände der Kartellbehörden, so könnte der Deal im dritten Quartal dieses Jahres vollzogen sein. Die Software AG schätzt den gemeinsamen Umsatz auf rund 1,1 Milliarden Euro. Die Kaufsumme begleichen die Darmstädter aus Barmitteln (107 Millionen Euro), aus vorrangigen Verbindlichkeiten von 45 Millionen Euro der Software AG Stiftung (dem Hauptaktionär) sowie aus Bankkrediten in Höhe von 335 Millionen Euro.

Nach Überzeugung von Software-AG-Chef Karl-Heinz Streibich ergänzen sich die Produktlinien der beiden deutschen Softwarehäuser. Während die Software AG mit den Produktlinien "Enterprise Transactions Systems" (unter anderem Adabas und Natural) und Webmethods Lösungen für das Ausführen von Geschäftsprozessen biete, kämen mit IDS Scheer der Produktbereich Aris (Prozessanalyse und -design) sowie Consulting-Know-how hinzu. "Wir bleiben weiterhin ein Produkthaus", versichert Streibich.

IDS Scheer verfügt über insgesamt 7500 Kunden. Viele davon sind SAP-Anwender, denen Streibich künftig Lösungen zum Gestalten und Ausführen von Geschäftsprozessen sowie Anwendungsintegration verkaufen will. Die Consulting-Sparte von IDS Scheer berät Anwender in Sachen Geschäftsprozessen und führt als SAP-Partner ERP-Software bei Unternehmen ein. Auf diese Geschäftseinheit entfiel im Jahr 2008 ein Umsatz von über 270 Millionen Euro, während die Aris-Prozesssoftware etwa 126 Millionen Euro erwirtschaftete. Die Software AG nahm mit dem Geschäftsbereich "SOA Infrastructure" (Webmethods) rund 315 Millionen Euro ein und mit ETS gut 404 Millionen Euro.

Integration für SAP-Kunden

Die Webmethods-Systeme sind geeignet, SAP-Umgebungen mit anderen Anwendungen zu koppeln. SAP-Anwender haben Streibich zufolge hohen Bedarf an Lösungen, die es erlauben, Geschäftsprozesse flexibel über Service-orientierte Architekturen zu gestalten (siehe "SAP und Aris kombinieren" und "ERP trifft SOA"). "Systeme für das Business Process Management sind die Anwendungen der Zukunft", ist sich der SAG-Vorstand sicher. Er verweist auf Prognosen von Gartner, die für das Segment BPM ein jährliches Wachstum von 22 Prozent bis 2011 vorhersagen. Das von SAP dominierte Geschäft mit Kernanwendungen für Unternehmen (ERP-Software) wächst bei weitem nicht so stark.

Kombination der Produkte und Dienstleistungen von Software AG und IDS Scheer.

Vor allem mit SAP-Kunden, die andere Produkte integrieren müssen, will die Software AG mit Hilfe von IDS Scheer besser ins Geschäft kommen. "Mit IDS Scheer erwerben wir SAP-Know-how", so Peter Kürpick, für Produktentwicklung verantwortliches Vorstandsmitglied bei der Software AG. IDS Scheer arbeitet seit Jahren eng mit SAP zusammen. Anwender sollen mit Aris gestaltete Geschäftsprozesse in SAP-Lösungen abbilden. Kürpick will die Aris-Produktfamilie mit der eigenen Webmethods-Plattform integrieren. Gespräche über diese Anbindung hätten beide Firmen schon geführt, lange bevor die Übernahmeverhandlungen begonnen haben. Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Business-Services-Repository "Centrasite". Es soll die in Aris entwickelten Modelle aufnehmen können, um diese dann in konkrete IT-Prozesse umzusetzen. Auf diese Weise soll es Firmen künftig möglich sein, alle Aufgaben von der Modellierung bis zur Ausführung von Geschäftsprozessen in einer Umgebung erledigen zu können. Profitieren will die Software AG dabei auch von vorhandenden Prozessdefinitionen von IDS Scheer für unterschiedliche Branchen. Die Aris/Centrasite-Kopplung soll in den nächsten Monaten realisiert sein. Auch die Methoden zur Überwachung (Monitoring) von Geschäftsprozessen beider Firmen sollen harmonisiert werden.

Konkurrenz zu SAP Netweaver

Allerdings dürfte das SAP-Geschäft nicht so einfach sein. SAP selbst vermarktet mit "Netweaver" eine Plattform, die auch Fremdsysteme an ERP-Prozesse anbinden soll. Den SAP-Anwendern müssen die Darmstädter erklären, warum sie neben Netweaver noch eine weitere Infrastruktur einführen sollen. "Die Software AG wird das Beratungsgeschäft aufteilen müssen, und zwar in eine SAP-Beratung auf Basis von Netweaver und eine Non-SAP-Beratung auf Grundlage von Adabas, Webmethods, Centrasite und Aris", meint Rüdiger Spies, Analyst und Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC Central Europe GmbH.

Dennoch bezeichnet Spies den Deal als große Chance für die Software AG. Auf Grundlage von Centrasite könnte mit Hilfe von Partnern ein Prozess-Repository entstehen, das verschiedene Branchen abdeckt. Dies setze aber voraus, dass der Konzern ein entsprechendes Partnermodell ("Ökosystem") aufbaut. Damit hätten jedoch weder die Software AG noch IDS Scheer Erfahrung.

Übernahmen in der IT
Oracle / Bea Systems: 8,5 Milliarden Dollar
In der Liste der größten IT-Übernahmen taucht Oracle gleich zweimal auf. Im Januar 2008 übernahm der Datenbank-Konzern den Middleware-Anbieter Bea Systems für 8,5 Millarden Dollar. <br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/heftarchiv/2008/04/1222214/" target="_blank">Oracle greift für Bea tief in die Tasche</a>
Oracle / Peoplesoft: 10,3 Milliarden Dollar
Nach einer langen Übernahmeschlacht übernahm Oracle im Jahr 2004 den HR-Spezialisten Peoplesoft für 10,3 Millarden Dollar. <br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/nachrichtenarchiv/551768/" target="_blank">Oracle macht Peoplesoft-Übernahme perfekt</a>
Symantec / Veritas: 12,5 Milliarden Dollar
Der Sicherheitsspezialist Symantec kündigte im Jahr 2004 die Übernahme des Speicherspezialisten Veritas an. Im Juni 2005 stimmten die Aktionäre dem Vorhaben zu. Das Volumen belief sich auf 12,5 Milliarden Dollar. <br /><br /><a href="hZttp://www.computerwoche.de/heftarchiv/2005/1/1050060/" target="_blank"> Symantec kauft sich in neue Märkte ein</a>
Hewlett-Packard / Compaq: 23,5 Milliarden Dollar
Hewlett Packard übernahm im Jahr 2001 für 23,5 Milliarden Dollar den Mitbewerber Compaq. <br /><br /><a href=" http://www.computerwoche.de/heftarchiv/2001/42/1071370/" target="_blank">Fiorina und Capellas verteidigen HP-Compaq-Fusion</a>
Worldcom / MCI: 37 Milliarden Dollar
1998 kaufte der US-Telekomgigant Worldcom die Telefongesellschaft MCI für 37 Milliarden Dollar. <br /><br />Die aus der Fusion hervorgegangene MCI Worldcom war die drittgrößte Telefongesellschaft der Welt, bis sie 2002 nach öffentlich gewordenen Bilanzfälschungen und dem dadurch erfolgten Aktiensturz Insolvenz anmelden musste. Firmengründer und CEO Bernard Ebbers wurde wegen Fehlbuchungen von 11 Milliarden Dollar zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Anfang 2006 ging MCI dann in Verizon Communications auf, die heute außerhalb der USA unter dem Namen Verizon Business firmiert.<br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/heftarchiv/1998/30/1092842/" target="_blank">Cable & Wireless dringt in die Phalanx der Internet-Größen ein</a>
Telekom / Voicestream: 39 Milliarden Euro
Mit der Übernahme des US-Carriers Voicestream schuf sich die Deutsche Telekom im Jahr 2001 ein Standbein in den USA. Der Wert der Übernahme belief sich laut Geschäftsbericht auf 39 Milliarden Euro in Aktien und Bargeld. <br /><br /><a href=" http://www.computerwoche.de/nachrichtenarchiv/1861105/" target="_blank"> Ron Sommer verteidigt VoiceStream-Kauf</a>
AT&T / Bell South: Summe unbekannt
2006 übernahm der britische TK-Anbieter AT&T den Konkurrenten Bell South. Die gezahlte Summe wurde nie bekannt, bei zusammen 63 Millionen Kunden bewegt sich das Übernahmevolumen nach Meinung von Experten jedoch im oberen zweistelligen Milliardenbereich. <br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/heftarchiv/2006/10/1208329/" target="_blank">AT&T greift nach Bell South</a>
AOL / Time Warner: 182 Milliarden Dollar
2000 kaufte AOL (America Online) den Medienkonzern Time Warner für satte 182 Milliarden Dollar. Wirklich gebracht hat es nichts. Im Gegenteil: AOL will Time Warner möglichst wieder <a href="http://www.computerwoche.de/knowledge_center/web/163781/" target="_blank">loswerden</a>.<br /><br /><a href="http://www.computerwoche.de/heftarchiv/2001/3/1062891/" target="_blank">AOL darf den Medienriesen Time Warner übernehmen/</a>
Vodafone / Mannesmann: 190 Milliarden Dollar
Die teuerste Übernahme der IT-Geschichte gab es in Deutschland: 2000 kaufte Vodafone den direkten Konkurrenten Mannesmann für 190 Milliarden Dollar. Im Telekommunikationsmarkt saß das Geld schon immer lockerer als anderswo. <br /><br/> <a href="http://www.computerwoche.de/heftarchiv/1999/46/1090220/" target="_blank">Vodafone rüstet zur feindlichen Übernahme des Mannesmann-Konzerns</a>

Partnerschaften mit Oracle und Tibco

IDS Scheer kooperiert mit anderen Softwarehäusern. Oracle beispielsweise hat Aris in die eigene Fusion Middleware eingebunden. Der Softwareriese dürfte daher gar nicht glücklich sein, dass sich IDS Scheer unter das Dach der Software AG begibt. Zuvor gab es im Markt durchaus Spekulationen, dass sich Oracle aufgrund der strategischen Bedeutung der IDS-Scheer-Produkte für das eigene Portfolio die Saarbrücker selbst einverleiben würde. Eine Zusammenarbeit gibt es auch mit dem Infrastrukturspezialisten Tibco, der mit der Software AG im Wettbewerb steht. Diese Partnerschaften sollen auch nach einer Übernahme durch die Software AG fortgeführt werden.

Neben der Software AG arbeiten auch IBM und Microsoft an Komplettlösungen, die das Modellieren, Überwachen und Ausführen von Geschäftsprozessen erlauben sollen.