Software AG in der Wachstumsfalle

05.11.2002 von Riem Sarsam
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Auch die Software AG (SAG ), die im vergangenen Jahr noch mit Rekordergebnissen aufwarten konnte, reiht sich in die Riege der schwächelnden Softwareanbieter ein. Herbe Einbrüche im Lizenzgeschäft, anhaltender Kostendruck und ein überraschender Führungswechsel lassen eine längere Durststrecke befürchten.

Die Zentrale der Software AG in Darmstadt - ein Ort, wo in nächster Zeit einige Probleme zu lösen sein dürften. Foto: SAG

„Womit wir nicht zufrieden sind, ist ohne Zweifel das Lizenzgeschäft“, räumt Erwin Königs ein. Aber „es hätte schlimmer kommen können“, meint der CEO der SAG, der vor gut einer Woche seinen Rücktritt vom Amt des Vorstandsvorsitzenden im April 2003 angekündigt hatte. Wie seine Wettbewerber leidet auch das Darmstädter Unternehmen unter der Investitionszurückhaltung der Kunden. Stark zurückgegangene Softwareverkäufe, ein unter Preisdruck stehendes Servicegeschäft, in dem sich die Projektgröße teilweise mehr als halbiert hat, sowie auf dem Niveau des Vorjahres stagnierende Wartungserlöse kennzeichnen das Ergebnis der ersten neun Monate dieses Jahres.

Erfolgsfaden gerissen

Alles in allem zeichnet sich nun eine ernüchternde Bilanz für das gesamte Geschäftsjahr ab, in dem das Unternehmen eigentlich mit seinen E-Business-Produkten, der XML-Datenbank „Tamino“ und der Middleware „Entire X“ an das sehr gute Vorjahr anknüpfen und dem Label „XML-Company“ gerecht werden wollte. Dank der Akquisition des US-amerikanischen Vertriebspartners Saga Systems hatten die Darmstädter eine Sonderkonjunktur im Geschäftsjahr 2001 erlebt und mit knapp 590 Millionen Euro Umsatz ein Rekordergebnis in der fast 30-jährigen Firmengeschichte gemeldet. Im laufenden Jahr ist der Erfolgsfaden gerissen: Die Einnahmen sinken seit dem ersten Quartal kontinuierlich. Für das dritte Geschäftsquartal wies das Unternehmen einen Umsatz von 114,8 Millionen Euro aus, das entspricht einem Rückgang um 19 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Im gleichen Zeitraum ging der

Konzernüberschuss um mehr als die Hälfte auf 5,6 Millionen Euro zurück (Vorjahr: 11,6 Millionen Euro).

Als Sorgenkind erweist sich das Produktgeschäft der Darmstädter. Mit 26,2 Millionen Euro im dritten Quartal 2002 lagen die Lizenzeinnahmen knapp 40 Prozent unter denen des Vorjahreszeitraums. Vor allem der Umsatz mit den Klassikern, den Großrechnerprodukten „Adabas“ und „Natural“, schrumpfte dramatisch. Der Erlös sank hier innerhalb eines Jahres um 45 Prozent von 28 Millionen Euro auf 15,3 Millionen Euro.

Kosten im Griff

Ebenfalls enttäuschend liest sich die Bilanz aus dem Geschäft mit E-Business-Lösungen. Die Einnahmen fielen von 11,2 Millionen im dritten Quartal 2001 auf 8,9 Millionen Euro. Statt mit groß angelegten Marketing-Aktionen sowie einer geballten Vertriebskraft das Geschäft der jungen Sparte anzukurbeln, blieb dem Unternehmen nur noch die Schadensbegrenzung - sprich Kostenkontrolle und Einsparungen. Die Software AG will ihre Ausgaben im gesamten Geschäftsjahr um 50 Millionen Euro drücken.

Neun-Monats-Zahlen im Vergleich: Dank der stabilen Wartungseinnahmen konnte Schlimmeres vermieden werden.

Dass das Sparziel vorzeitig, nämlich bereits zum Ende des dritten Quartals, erreicht wurde und trotz eines gesunkenen Umsatzes schwarze Zahlen unter dem Strich stehen, dass außerdem ein positiver Cashflow erzielt werden konnte, hebt die Software AG von manchen ihrer Mitstreiter ab. „Die Kostenentwicklung des Unternehmens ist positiv“, urteilt Achim Fehrenbacher, Analyst bei der Privatbank M. M. Warburg & CO. Den Darmstädtern sei es trotz aller Widrigkeiten gelungen, einen Konzernüberschuss zu erzielen. Im vierten Quartal, für das SAG-Chef Königs keine Anzeichen einer Besserung erkennen kann, sollen die Ausgaben um weitere 20 Millionen Euro reduziert werden. Ohne Entlassungen werde das allerdings nur möglich sein, wenn sich das Geschäft auf dem jetzigen Niveau stabilisiere.

Die Kosten hat die Software AG offenkundig im Griff, ob das auch für die Produktentwicklung gilt, scheint indes fraglich. Um mehr als 40 Prozent brach das Lizenzgeschäft in den ersten neun Monaten ein - diese Scharte konnte auch das traditionell starke Wartungs-Business nicht auswetzen, das um fünf Prozent zulegte. Die Software AG besitzt eine stabile Kundenbasis, die seit Jahren oder Jahrzehnten die Adabas und Natural in geschäftskritischen Prozessen einsetzt. „Die Gefahr, dass Kunden die Wartungsverträge kündigen, ist eher gering“, meint auch SAG-Kenner Fehrenbacher. Allerdings warnt er: „Nur mit bestehenden Lizenzen kann kein Wachstum im Wartungsgeschäft generiert werden.“

Das Jahr 2002 wird nicht das Jahr der „XML-Company“ werden, und auch die Perspektiven für die nächsten Jahre verschlechtern sich. Mit Fleiß und Kreativität hatte sich das Unternehmen einen zeitlichen und technologischen Vorsprung rund um XML-Technologien geschaffen, der nun - in einer Phase, in der Unternehmen kaum investieren - wegschmilzt.

„Mehr Zeit zum Reisen“ CW: Die Nachricht von Ihrem Rücktritt kam selbst für Insider überraschend. Bei der momentanen Empfindlichkeit der Kapitalmärkte hätte die Ankündigung ins Auge gehen können. War der Moment gut gewählt?

Königs: Irgendwann muss man es tun, und da eine solche Nachricht der Ad-hoc-Publizität unterliegt, wäre es immer überraschend gewesen. Wir hatten eine reguläre Aufsichtsratssitzung, auf der ich die Mitglieder des Gremiums über meinen Entschluss informiert habe, Ende April mein Amt niederzulegen. Wir wollten, dass die Öffentlichkeit es früh genug weiß, das macht auch die Suche nach einem Nachfolger einfacher. Es war ja nur eine Ankündigung. Und der Markt hat es Gott sei Dank so aufgenommen, wie es gemeint war.

CW: Was ist der wahre Grund für Ihren Rücktritt? Schließlich wäre ein Zusammenhang mit der aktuell schwierigen Situation des Unternehmens zumindest nachvollziehbar.

Königs: An diesen Spekulationen ist definitiv nichts dran. Ich will einfach weniger arbeiten, als dies meine heutige Aufgabe zulässt. Ich möchte mich ins Privatleben zurückziehen und mehr Zeit für Sport, Musik hören und Reisen haben. Ich habe ganz sicher nicht vor, eine andere Management-Anstellung zu suchen oder anzunehmen. Dann könnte ich ja auch hier bleiben, die Software AG ist eine wunderbare Firma.

CW: Sie gelten als der Motor für den Wandel der Software AG zur XML-Company?

Königs: Das mag zum Teil so stimmen, obwohl die Idee für XML natürlich nicht von mir stammt. Aber selbstverständlich wird der XML-Kurs auch ohne mich weitergeführt. CW: Gibt es ein Ziel, das Sie nicht erreicht haben? Königs: Ich wollte die Software AG größer machen, als sie heute ist. Das Ziel war, schon bald auf eine Milliarde Euro Umsatz zu kommen; so schnell hat sich der XML-Markt aber nicht entwickelt.

Ein Markt, in dem Musik ist

Zwar beherrschen die Darmstädter das Segment für XML-Datenbanken (laut IDC hält die SAG rund 47 Prozent der Marktanteile), doch die Hoffnung ist geschwunden, aus dieser Nische heraus im gesamten Datenbanksegment zulegen zu können. Die Gründe für den anhaltenden Abwärtstrend sieht Königs in der Verflechtung mehrerer unglücklicher Umstände. „Es gibt einfach noch nicht genügend Applikationen, die XML-Daten erzeugen, was wiederum daran liegt, dass es viel weniger E-Business-Projekte gibt als ursprünglich erwartet. Daher ist auch der Bedarf an XML-Datenbanken entsprechend niedriger.“ Hinzu kommt, dass mittlerweile auch Branchenriesen wie IBM, Oracle und Microsoft aufgewacht sind und ihre relationalen Datenbanken mit Zusatzfunktionen ausstatten, so dass sie XML-Dokumente speichern

können. Statt zwei Systeme parallel laufen zu lassen, versuchen die unter Kostendruck stehenden Kunden daher, mit dem, was sie bereits angeschafft haben, auszukommen. „Wer eine Oracle-Datenbank oder eine DB2 von IBM besitzt, macht natürlich damit weiter“, so Königs.

Statt den technologischen Vorsprung in bare Münze zu verwandeln, fällt die SAG also wieder zurück und bekommt zudem den Druck der Big Player zu spüren. Zwar fehlt es deren konvertierten Systemen nach Ansicht von Experten noch an Reife, dennoch können rund zwei Drittel der XML-Applikationen auch mit diesen Produkten bearbeitet werden. Für CEO Königs ist dies jedoch kein Grund zur Resignation. Die Geschäfte des nächsten Jahres, schätzt er, werden sich auf dem gleichen Niveau bewegen wie 2002, doch „wenn es stimmt, dass das Segment für XML-Datenbanken mit jährlich 130 Prozent wachsen soll, dann ist das ein Markt, in dem Musik drin ist“.