Service-orientierte Architekturen

SOA – eine Falle für IT-Kunden?

12.02.2008 von Hadi Stiel
Die großen Softwarehersteller nutzen das SOA-Paradigma, um Anwender langfristig an ihre Produkte zu binden.

Mit Service-orientierten Architekturen (SOA) sollen IT und das laufende Geschäft besser harmonieren. Das Vorhaben, beide Welten unter einen Hut zu bringen, wäre für Unternehmen eine langwierige, aber lukrative Perspektive, hätten die Großen der Softwarebranche unter dem SOA-Banner nicht vor allem ihr Geschäft im Auge. "Die Informationstechnik soll Akquisitionen, Innovationen und Veränderungen im Geschäftsmodell schnell unterstützen", beschreibt Christian Schumer, als Bereichsleiter beim IT-Dienstleister Materna zuständig für das Thema SOA, die Grundidee. "Services aus bestehenden Systemen und Anwendungen werden, beispielsweise über Web-Services, zu neuen Einheiten zusammengesetzt. Auf diese Weise können Unternehmen über ihre IT flexibel und schnell auf geschäftliche Anforderungen reagieren." Mit welchen Produkten das technisch realisiert werden könne, stehe auf einem anderen Blatt (siehe auch: Zehn Schritte zur SOA).

Mehr zum Thema Service-orientierte Architekturen im SOA-Expertenrat der COMPUTERWOCHE.

Theorie und Praxis

Standardisierte, also offene und allgemein verbindliche Schnittstellen für den Aufbau einer SOA sind Mangelware. Das gilt für fast alle Säulen dieser Architektur. Die Palette reicht vom Integrationsadapter für bestehende Systeme und Applikationen über die Middleware und den Enterprise Service Bus (ESB), die Messaging- und Workflow-Mechanismen, die Portaltechnik bis hin zum Business-Process-Management (BPM) oder Business-Service-Management sowie den Sicherheitsdiensten samt Identitäten-Management. So umfassend die Lösungsangebote für die SOA sind, so verwirrend erscheinen sie vielen Entscheidern.

Solange keine klaren Standards existieren, besteht auch keine Planungssicherheit, moniert Andreas Ziegenhain von Siemens IT Solutions and Services.

"Solange keine klaren Standards existieren, besteht auch keine Planungssicherheit. In dieser Situation werden sich Unternehmen mit Investitionen zurückhalten", beschreibt Andreas Ziegenhain, Deutschland-Chef von Siemens IT Solutions and Services, das Problem. Hinzu kommt der lange Weg von der installierten IT hin zu kollaborierenden Web-Services. Entlang dieser Strecke können die Anbieter im Namen der SOA quasi ihre komplette IT vermarkten. "Der SOA haftet der Ruf an, eine anbieterorientierte Marketing-Strategie zu sein", konstatiert Ziegenhain. Die Konzentrationsprozesse im SOA-Markt, aus denen sich vorerst drei bis vier Player herauskristallisierten, begünstigten Marketing-lastige Strategien. Die Branchenschwergewichte dominieren den Markt und geben die Richtung an. An ihnen wiederum orientieren sich die anderen Anbieter. Ziegenhain: "SOA ist für die Anwender nicht nur technisch, sondern auch marktpolitisch eine schwierige strategische Entscheidung."

Kundenbindung im Visier

"Besonders die Softwaregrößen wie Microsoft und IBM sehen die SOA für sich als weitgehend standardfreien Produktentfaltungsraum an", kommentiert Mathias Hein, freier IT-Berater in Neuburg an der Donau. Selbst dort, wo Anwender von allgemein verbindlichen Standards ausgehen sollten, etwa beim hohen Ziel Web-Services, nähmen die beiden großen Hersteller spezifische Anpassungen und Veränderungen vor. Für Hein steht außer Frage: "Das anvisierte Ziel der Software-Player ist bisher weniger der Nutzen der Anwender. Für sie steht eine breite Produktvermarktung und eine Ausweitung ihres eigenen Geschäfts im Vordergrund." Wegen fehlender Standards könnten sie über ihre Produkte die Kundenbindung verstärken. Und das nicht nur kurzfristig, warnt der IT-Berater: "Das langfristige SOA-Vorhaben ist für die großen Hersteller ein ideales Bindemittel, das auch für die Nachfolgeprodukte greift."

SOA-Vorhaben sind für Hersteller ein ideales Mittel zur Produktbindung, sagt IT-Berater Mathias Hein.

Die Gesamtarchitektur einer SOA wird von den Softwareanbietern noch längst nicht mit Leben gefüllt, nicht einmal proprietär. Ihre Provenienz ist entscheidend für die verbleibenden Lücken. Unter dem Codenamen "Oslo" will beispielsweise Microsoft über den BizTalk Server seine Messaging- und Workflow-Technik ausbauen. Das soll ab 2009 geschehen. Business-Service-Management war noch nie eine Domäne von Microsoft. Die Sicherheitsmechanismen einschließlich Identity-Management sind, wie alle anderen verfügbaren SOA-Techniken, nahezu ausschließlich auf das eigene Produktportfolio zugeschnitten. Dieser hersteller- und preisbindende Zuschnitt reicht hinunter bis zur Server-Plattform und den Betriebssystemen für Endgeräte.

IBM propagiert Offenheit

So viel Verschlossenheit provoziert IBM, mit seiner SOA-Strategie Position gegen die von Microsoft zu beziehen. So nimmt Softwarechef Steven Mills für sein Unternehmen in Anspruch, zu versuchen, alle Plattformen und Anwendungen miteinander zu verbinden. Microsoft richte dagegen seine Connectivity-Möglichkeiten nur auf die eigenen Anwendungen aus. Daneben führt Mills für IBM das Open-Document-Format ins Feld, wohingegen Microsoft das hauseigene Office Open XML verfechte. Norbert Schädler, Executive Software Architect bei IBM Deutschland, postuliert, dass IBM eine Standardisierung offensiv vorantreibe. Unter anderem BPML (Business Process Modeling Language) sei schon heute über Herstellergrenzen hinweg tragfähig. Die Bereitschaft, sich zu öffnen, steige auch bei den anderen Herstellern: "Denn unter ihnen wächst die Erkenntnis, dass der Weg zum SOA-Erfolg nur über eine heterogene IT führt."

IT-Berater Hein hält von solchen Einschätzungen wenig. Die SOA-Strategie von IBM qualifiziert er beim aktuellen Stand der Technik als ”fast so eigenproduktlastig und verschlossen wie die von Microsoft”. Er spricht von der Gefahr entstehender SOA-Monolithen: ”Sie sind zwar hinsichtlich eines geschäftsnahen IT-Einsatzes flexibler, dafür aber in ihrer Produkt- und Preisbindung noch gewaltiger als die Mainframes der Vergangenheit."

Herstellerneutrale Hersteller?

Im Vergleich dazu bieten SOA-Modelle wie das von Hewlett-Packard (HP) nach Heins Ansicht Vorteile: "Ohne eigene Middleware und eigenen ESB muss sich dieser Hersteller zwangsläufig mehr als Microsoft und IBM gegenüber Produkten anderer Hersteller öffnen.” Bea werde nach der Übernahme durch Oracle aus der ersten Garde absteigen. Sollte SAP seine SOA-Aktivitäten verstärken, werde dabei ebenfalls die Vermarktung der eigenen Produkte im Vordergrund stehen.

Gerhard Haberstroh, Solution Marketing Manager Software bei HP Deutschland, verweist auf diverse Middleware- und ESB-Alternativen, mit denen das hauseigene Produktportfolio harmoniere. Dazu zähle auch die BTO-Softwarefamilie (Business Technology Optimization) mit SOA-Governance, SOA-Qualitätssicherung und SOA-Management. Nach seiner Einschätzung führt für Unternehmen kein Weg an einer SOA vorbei, "schon um über Governance die Geschäftsprozesse über ihren kompletten Lebenszyklus inklusive der damit verbundenen Kosten in den Griff zu bekommen". Organisationen müssten auf den permanenten Wandel geschäftlicher Abläufe reagieren, der durch immer häufigere interne wie externe Veränderungen angestoßen werde: "Deshalb haben Hersteller wie SAP heute bereits ihre Softwarearchitektur auf einer SOA aufgebaut. Der Kunde bekommt sie automatisch mitgeliefert, beispielsweise mit der Migration auf SAP ERP 6.0."

Alternative Open Source?

Aus dem Open-Source-Lager kommen andere offene SOA-Alternativen. Dirk Kissinger, Leiter Emea Marketing bei Red Hat, moniert, dass eine herstellerbindende SOA-Strategie weder in die gewachsene IT-Welt der Unternehmen noch zu den hohen Interoperabilitätsanforderungen der Gesamtarchitektur und ihrer Weiterentwicklung passe. ”Die mangelnde Öffnung der Software-Player ist für die Kunden umso vertrackter, als die SOA-Evolution erst am Anfang ihrer Entwicklung steht.” Mittlerweile, so Kissinger, sei per Subskription der komplette Stack als Open-Source-Middleware verfügbar.

Von den Softwaregrößen wie Microsoft erwartet der Red-Hat-Manager wenig Entgegenkommen. ”Solange die Strafzahlungen für Wettbewerbsverstöße im EU-Raum geringer ausfallen als der erwartete Profit, wird der Hersteller seine Kundenbindungsstrategie nicht ändern.” Und je weiter Open-Source-Software in die Domänen klassischer Softwareanbieter vordringe, desto mehr würden die großen Hersteller sich verschließen, um ihr Geschäft vor Eindringlingen zu schützen, lautet seine Prognose. Unternehmen mit SOA-Ambitionen sollten die Softwareanbieter zu mehr Interoperabilität drängen.

Tipps zur Produktauswahl

Robert Heinrich, Head of Advisory Services bei Ernst & Young, empfiehlt, bei der Produktauswahl nicht nur die technische Seite zu bedenken: "Die marktpolitische Seite ist wichtiger. Was nutzt es den Unternehmen, dass sie heute mit den Produkten eines Herstellers angemessen starten können, wenn ihnen auf Dauer eine Produkt- und Preisbindung droht?" Heinrich warnt zudem vor einer begrenzten Auswahl, "wenn künftig die SOA ausgebaut oder bestehende Lücken geschlossen werden sollen, aber die Produkte dieses Herstellers und seiner Partner dafür nicht hinreichen". Eine Softwareentwicklung ohne herstellerspezifische Barrieren gehöre zu den Voraussetzungen für den Aufbau einer SOA.

Berater Robert Heinrich von Ernst & Young empfiehlt, bei der Produktauswahl auch Marktentwicklungen zu bedenken.

Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Materna-Bereichsleiter Schumer: "Wer sich für die Einführung einer SOA entscheidet, sollte sich nicht von den technologischen Vorzügen der jeweiligen Produkte blenden lassen." Die meisten Offerten verhülfen zwar dazu, sich aus der IT-Sicht zu einem Service-orientierten Unternehmen zu entwickeln. "Wichtiger ist es für Unternehmen aber, eigene Betriebsstandards zu prägen, beispielsweise für die Prozessbeschreibung, Datenmodellierung und die Kommunikation der Services." (wh)

SOA Roadmap

Thomas Kämmerer, SOA Practice Manager bei LogicaCMG, schlägt eine SOA-Roadmap mit klar definierten Etappen vor. Erst nachdem alle Punkte abgearbeitet sind, sollten IT-Verantwortliche den Hersteller mit seinen Beratern anrücken lassen. Andernfalls liefen die Unternehmen Gefahr, "dass der Hersteller die SOA-Lösung nicht nach dem gestellten Anforderungsprofil, sondern nach den meist begrenzten, produkttechnischen Möglichkeiten entwickelt".

Der Weg zur SOA: