Eine halbe Milliarde Euro liegen für "intelligente" IKT-Projekte im Topf. Laut Beschluss der Bundesregierung vom letzten Jahr soll die Bundesverwaltung mit diesem Betrag bis 2011 sicherer, umweltfreundlicher und bürgernäher gestaltet werden. Immerhin 90 Millionen Euro sind dabei für den Punkt "umweltfreundlicher" veranschlagt, zu dessen Zielen der flächendeckende Einsatz moderner Videokonferenztechnik gehört. Videoconferencing statt Reisen lautet die Devise - und damit Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Die geringere Umweltbelastung gilt, neben eingesparten Reisekosten, als traditionelles Schlüsselargument für Videoconferencing, und zahlreiche Studien haben es immer wieder eindrucksvoll bestätigt. Wird die Bundesregierung damit zum Katalysator für eine Technik die sich in den letzten Jahren ohnehin ausgebreitet hat?
Die "Segnung" ihrer Technik durch die öffentliche Hand passt den Herstellern gut in den Aufwärtstrend. Zudem könnte vom Engagement der Bundesregierung eine Signalwirkung auch auf andere Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen rund um den Globus ausgehen und den Markt noch weiter ankurbeln. Großmächte wie USA, Russland und China betreiben seit längerem viele Videoconferencing-Projekte - mit der konsequenten Einbettung in eine umfassende und nachhaltige Strategie sieht sich die Bundesregierung indes weltweit als Vorreiter.
Auf dem Weg zur effizienten Verwaltung
Behörden geht es jedoch nicht nur um den "Green-IT"-Aspekt. Fast mehr noch als Industrieunternehmen, die allerdings in der Regel von vornherein effizienter organisiert sind, stehen sie unter hohem Rationalisierungsdruck. Auch ihnen werden die Finanzmittel gekürzt, und das zwingt sie zu effizienteren Verwaltungsstrukturen. Wie das funktioniert, versuchen nicht zuletzt die Anbieter von Videokonferenzsystemen vorzuleben. Sie rechnen vor, wie sie mit Hifle ihrer eigenen Collaboration-Umgebung 30 Prozent oder noch mehr allein an Reisekosten einsparen. Viele beschreiben plausibel nachvollziehbar die Erhöhung ihrer Produktivität - etwa durch Optimierung der Geschäftspraktiken, schnellere Markteinführung und bessere Einbindung von ortsfernen Mitarbeitern. Polycom spart pro Jahr rund vier Millionen Euro allein dadurch, dass 13 Prozent seiner Mitarbeiter von einem Home Office aus arbeiten.
Mögliche Anwender von videogestützten Kommunikationslösungen gibt es im öffentlichen Dienst viele. Das reicht von Landesbehörden, Bundesbehörden und EU-Stabsstellen über Institute, Justiz und Gerichte sowie Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz bis hin zu Verkehrsbetrieben und Stadtwerken.
Die Einsatzszenarien gestalten sich je nach Organisation beziehungsweise Behörde sehr unterschiedlich. Gerichte etwa nutzen Videokonferenzen für die Zeugenbefragung, wenn die betreffenden Personen im Rahmen des Opferschutzes oder eines Zeugenschutzprogramms an einem geheimen Ort untergebracht sind. Feuerwehren operieren häufig mit mobilen VC-Lösungen in Einsatzwagen und Hubschraubern: "Bei einem Großbrand beispielsweise liefern die mobilen VC-Lösungen nicht nur die ersten Bilder zur Beurteilung der Lage, über sie erfolgt gleichzeitig der Austausch mit passenden Experten sowie die Einsatz- und Ressourcenplanung", so Thomas Hirschbach-Taddey, bei Polycom Deutschland für den öffentlichen Sektor und Regierungsorganisationen zuständig. Eine weniger spektakuläre, aber zunehmend verbreitete Einsatzform ist das E-Learning. Es zählt zu den Anwendungen, für die es nicht immer Telepresence sein muss, sondern oft auch Desktop-PC- oder gar Web-Conferencing-Systeme ausreichen. VC-Systeme sind kein Privileg der Amtsleiter mehr. Auch Sachbearbeiter und Telearbeitsplätze werden zunehmend in die tägliche VC-gestützte Zusammenarbeit eingebunden..
Visuelle Kommunikation im Alltag angekommen
Sehen bedeutet (und vermittelt) mehr als Hören. Mimik, Gestik, der erste Eindruck - all das sind Beispiele für "wichtige Zusatzinformationen", die im Rahmen eines Telefongesprächs außen vor bleiben. 75 Prozent der Menschen - Männer noch mehr als Frauen - sind visuell geprägt. Dabei erlaubt die visuelle Kommunikation etwa im Rahmen einer Telepresence-, oder Videokonferenz-Sitzung das gleichzeitige Zuspielen etwa von Präsentationen, Projektplänen und Kalkulationen. HD-Technik ermöglicht dabei lebensechte, authentische Besprechungen.
Maßgeblich zur Akzeptanz beigetragen haben die Fortschritte in der Kommunikationsqualität und -stabilität sowie bei der Vereinfachung der Bedienung. Ersteres geht nicht zuletzt auf das Konto des Videokomprimierungsstandards H.264 "High Profile". Diese Technik reduziert durch eine effizientere Codierung die Bandbreitenanforderungen für Telepresence- und Videokonferenz-Anwendungen um bis zu 50 Prozent. Für Anwender bedeutet dies erhebliche Einsparungen bei der Netzbandbreite. So sollen jetzt für Full-Motion-Video in HD-Qualität bereits 512 Kbit/s genügen. Bei Videoverbindungen in SD-Qualität (normale DVD-Qualität) reichen nach Herstellerangaben schon 128 Kbit/s.
Ein entscheidender Schritt für die Stabilisierung von Videokommunikationsverbindungen war die Verabschiedung des Anhangs G der H.264-Protokolle Ende 2007. Was unspektakulär nach Anhängsel klingt, ist in Wirklichkeit revolutionär: Die Übermittlung von Videodaten geschieht nämlich bislang in Form eines singulären Streams, was bei voll zur Verfügung stehender Bandbreite zwar zu einem perfekten Bild führt, jedoch schon bei vergleichsweise geringen Schwankungen zu Totalaussetzern führen kann. Hersteller haben mit intelligenten Packet-Loss-Recovery-Techniken reagiert, um die Videokommunikation bei schwankenden Bandbreiten - und die sind bei Strecken über das öffentliche Internet keine Seltenheit - zu stabilisieren. Die Single-Stream-Methode bot hier jedoch nur sehr eingeschränkten Spielraum. Anhang G oder H.264 SVC (Scalable Video Codec), wie das neue Verfahren auch genannt wird, definiert nun erstmals eine mehrschichtige Übertragung. Abhängig von der in Echtzeit gemessenen Bandbreite wird eine entsprechende Zahl von Layern übertragen, wobei die Schärfe und Detailtreue von Layer zu Layer zunimmt. Selbst bei wirklich schlechten Verbindungen muss so die Kommunikation nicht mehr abreißen - im schlimmsten Fall nimmt für die Dauer des schlechten Verbindungszustands lediglich die Detailtiefe ab. Wächst die Bandbreite wieder, werden entsprechend mehr Layer übertragen, die das Bild nach und nach perfektionieren.
Skalierbare Codecs mit Interoperabilität
Größtes Problem mit aktuellen SVC-Lösungen ist die Interoperabilität von Videoprotokollen. Ein wesentliches Manko besteht darin, dass für die Signalübermittlung keine Standards definiert sind. Dadurch ist nicht nur die Interoperabilität mit anderen SVC-basierenden Systemen, sondern auch die Zusammenarbeit mit sämtlichen auf Standards beruhenden Telepresence-Systemen und Desktop-Videokommunikationsapplikationen sowie älteren Videokonferenzendpunkten ausgeschlossen. Ein aktueller Lösungsansatz besteht darin, SVC in Videoendpunkten und -infrastrukturkomponenten zu implementieren. Auf diese Weise sollen moderne Videosysteme, die auf verschiedenen Standards basieren, ohne Einschränkung zusammen mit SVC-Systemen, älteren Videosystemen, H.264-Systemen, Microsoft-RTV-Systemen und einer Vielzahl weiterer Systeme betrieben werden können.
In Sachen Bedienbarkeit haben sich die Hersteller in den letzten Jahren sehr ins Zeug gelegt. Nahezu alle Systeme verfügen heute über einfache Steuerungen mit wenigen Hardwaretasten oder/und sehr übersichtlichen Bildschirmmenüs. Apples iPhone scheint nun auch das Videoconferencing zu inspirieren. Erste Hersteller kommen bereits mit einem "Wischbrett", das es erlaubt, Videoverbindungen komplett über einen Touchscreen zu steuern. Das reicht von einfachen Wählfunktionen über den Austausch von Multimedia-Inhalten bis zu fortgeschrittenen Systemfunktionen. Hierzu werden auf dem Bildschirm universell verständliche Symbole angezeigt, die mit dem Finger angetippt und verschoben werden können. Mit der grafischen Benutzeroberfläche können Kontakte in unternehmensweiten Verzeichnissen, lokalen Adressbüchern oder Listen mit präsenzfähigen Kontakten gefunden und entsprechende Videoverbindungen gestartet werden. Im Idealfall lassen sich solche Bedien-Panels in vorhandene Unified-Communications-Umgebungen integrieren - auch hier sind deutsche Behörden frühzeitig eingestiegen.
Aus Bürgersicht kann man sich nur wünschen, dass der Ausbau effizienterer Organisations- und Kommunikationsstrukturen so schnell wie möglich voranschreitet - immerhin sind es Steuergelder, die bei jedem althergebrachten, umständlichen Kommunikationsvorgang verschwendet werden.