Shared Service Center

So steuert der Bayer-Konzern seine HR-Prozesse

27.09.2007 von Frank Niemann
Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat in einem groß angelegten Projekt viele Abläufe im Personalbereich (Human Resources, kurz HR) in ein Shared Service Center (SSC) verlagert. Hierzu verwendet das Unternehmen EPR- und CRM-Software von SAP sowie Portal- und Messaging-Lösungen und Dienstleistungen von IBM. Allerdings mussten die IT-Systeme erheblich angepasst werden.

Mit Hilfe des Shared Service Centers will das weltweit agierende Unternehmen HR-Prozesse vereinheitlichen, vereinfachen sowie schneller und kostengünstiger bereitstellen. In der Endstufe sollen die rund 106.000 Mitarbeiter des Konzerns in die SSC-gestützten HR-Abläufe eingebunden sein. Derzeit existieren zwei Dienstleistungszentren – in Deutschland und den USA. Im Oktober 2006 startete das SSC in Leverkusen. Es wird betrieben von der Bayer-Tochter Bayer Business Services, die dem Konzern IT-basierte Dienstleistungen bereitstellt. Unlängst kam ein weiteres SSC für den Standort USA hinzu, und zwar nahm das US-amerikanische SSC in Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania seine Arbeit auf. Im Jahr 2008 oder 2009 soll voraussichtlich ein drittes Shared Service Center in Asien folgen.

Zu den vom HR-SSC angebotenen Diensten zählen unter anderem:

Zusätzlich zu den zentralen Diensten beraten in den einzelnen Konzerngesellschaften lokale "HR Business Partner" das Management bei strategischen Personalthemen. In verschiedenen Centers of Expertise entwickeln HR-Experten konzernweit anzuwendende Personalstrategien und –Instrumente.

Workflows vom Front-Office zum Backend

Um das HR-SSC zu realisieren, musste das Projektteam die bestehenden HR-Systeme anpassen. Beispielsweise wurde das bestehende SAP-System auf ERP 2005 umgestellt. Bayer beabsichtigte, möglichst viele Aufgaben mit Standardfunktionen der Software abzudecken, einige Erweiterungen waren dennoch vorzunehmen. "SAPs HR-Lösung ist nicht für den Betrieb eines Shared Service Centers entwickelt worden, daher waren zusätzliche Komponenten und Erweiterungen erforderlich", so Dr. Wolfgang Fuhr, Abteilungsleiter "Beside Services and Systems" bei Bayer Business Services. Zusätzliche Software war notwendig, um das Shared Service Center selbst sowie die Kommunikation mit den internen Kunden (den Geschäftsbereichen des Konzerns) zu steuern. Zwar verfügt das ERP-System über ein Workflow-System ("Business Workflow"), doch wäre es Fuhr zufolge zu aufwändig gewesen, die spezifischen Abläufe eines Shared Service Centers mit diesem SAP-Bordmittel umzusetzen. Bayer hat sich für die CRM-Software der SAP entschieden, um den internen Arbeitsfluss im SSC innerhalb des Front Office und vom Front-Office in das Backoffice abzubilden. Hat ein Bayer-Mitarbeiter beispielsweise eine Frage zu seiner Gehaltsabrechnung, nimmt das Front-Office diesen Auftrag entgegen und vergibt ein Ticket. Wenn die Anfrage aufgrund ihrer Komplexität nicht innerhalb des Front Office lösbar ist, nimmt sich ein Experte der Fragestellung an.

CRM im Shared Service Center

Das SSC nutzt "SAP CRM 5.0" nebst dem Modul "Employee Interaction Center" (EIC), das speziell für die Auftragsannahme in Shared Service Centern gebaut wurde. "Wir haben alle zur Verfügung stehenden Varianten bis hin zu einer kompletten Eigenentwicklung geprüft und letztendlich die SAP-Lösung gewählt", begründet Fuhr die Entscheidung. Doch auch das EIC umfasste nicht alle Features, die Bayer benötigte. Beispielsweise verfügte das System zum damaligen Zeitpunkt nicht über eine geeignete Verschlüsselung. Letztere ist jedoch erforderlich, will man personenbezogene Daten aus einem operativen HR-System als Nachricht versenden. Aus diesem Grund haben Softwareexperten von Bayer Business Services das von Bayer konzernweit genutzte Messaging-System "Lotus Notes" in die SAP-Landschaft eingebunden. Das SAP-System übermittelt nun die Informationen zunächst an eine Lotus-Notes-Datenbank, von dort aus erreichen sie verschlüsselt den Adressaten.

Selbstbedienungsportal

Doch nicht alle Anfragen landen bei einem Sachbearbeiter des Shared Service Centers. Über ein Self-Service-Portal für HR sollen Mitarbeiter selbständig Informationen abrufen und eingeben können. Das System wurde von Bayer Business Services in das bereits bestehende Firmenportal im Intranet von Bayer eingebettet, das auf der Plattform "Websphere" von IBM aufsetzt.

Der Chemie- und Pharmakonzern operiert schon weltweit. Das Shared Service Center für HR soll künftig auch alle Regionen abdecken.
Foto: Bayer

Des Weiteren verfügt das SSC über ein bei Bayer entwickeltes Knowledge-Management-System, welches den HR-Experten zur Verfügung steht. Über die Wissensdatenbank finden die Mitarbeiter des SSC HR-relevante Informationen, um Kundenanfragen zu beantworten. Ein "Heimgewächs" aus dem Konzern nutzt das Dienstleistungszentrum auch für die Kundenzufriedenheitsbefragung. Umfragen gestatten es den Bayer-Mitarbeitern, die Leistungen des HR-SSC regelmäßig zu bewerten.

Kiosksystem für Produktionsstätten

Das Self-Service-Portal ist nicht nur den Mitarbeitern vorbehalten, die an einem PC arbeiten. Auch Mitarbeitern ohne PC-Zugang, die beispielsweise in der Produktion beschäftigt sind, wird ein Portalzugang über Kiosksysteme bereit gestellt. Diese Terminals, die einem Geldautomaten ähneln, befinden sich in Empfangsbereichen, Pausenräumen und den Foyers von Betriebsrestaurants. Für den Einsatz müssen die Kioskterminals softwaretechnisch "gehärtet" sein. Gleichzeitig ist eine sichere Authentifizierung erforderlich, so dass niemand auf fremde Daten zugreifen kann. Ein integrierter Drucker gestattet es den Bayer–Mitarbeitern beispielsweise, ihre Gehaltsabrechnung auszudrucken.

Neben der Verbindung des Informationskiosks mit dem Portal, galt es vor allem, die Benutzeroberfläche besonders anwenderfreundlich zu gestalten. Schließlich sollen auch wenig IT-versierte Nutzer ohne Schwierigkeiten das Selbstbedienungsangebot nutzen können. Obendrein legte das internationale Unternehmen Bayer großen Wert auf die mehrsprachige Gestaltung der Kioskterminals.

Gehaltsabrechnung ist überall anders

Das Projekt "Transforming HR" ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Derzeit laufen intensive Vorbereitungen, einige HR-Prozesse weltweit anzubieten. Das Projektteam startet zunächst mit den Abläufen, die in allen Ländern sehr ähnlich sind. Dazu zählen beispielsweise die Mitarbeiterbewertung oder variable Einmalzahlungen, welche unternehmenserfolg- und leistungsabhängig sind. Wesentlich aufwändiger gestaltet sich dagegen die Lohn- und Gehaltsabrechnung (Payroll). Der Grund: In jedem Land gibt es andere Tarifverträge, Lohnarten sowie gesetzliche Modalitäten für die Auszahlung von Bezügen. Wie oft und in welcher Form die Mitarbeiter entlohnt werden, divergiert. Seinen deutschen Mitarbeitern überweist Bayer einmal im Monat das Gehalt. Amerikanische Angestellte dagegen holen sich zweimal im Monat einen Scheck ab. In Südafrika dagegen erhalten die Arbeiter täglich ihren Lohn. Zu den weiteren lokalen Besonderheiten zählt auch das Speichern von Personalinformationen, die in den Systemen zu berücksichtigen sind.Grundsätzlich laufen alle Payroll-Aufgaben auf der zentralen SAP-Instanz und werden in Zukunft weltweit mit einem standardisierten Prozess abgebildet. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht eine weltweite Betreuung über ein SSC für diesen Prozess.

Abrechnung von Diensten

Die Abrechnung der Leistungen des Shared Service Centers erfolgt ähnlich wie die Stromrechnung im privaten Haushalt. Aus den Erfahrungswerten der Vorjahre wird eine monatliche Kunden-Pauschale festgelegt. Am Ende des Jahres erfolgt die Detail-Abrechnung. Schließlich kann die Zahl der Mitarbeiter über das Jahr gesehen durchaus schwanken, beispielsweise wenn Unternehmensteile verkauft oder andere Unternehmen übernommen werden.

Lessons Learned

Obwohl Fuhr zu den IT-Experten zählt, gibt er zu bedenken, dass der Bau eines Shared Service Centers in erster Linie kein IT-Projekt ist, sondern ein Change-Projekt, in dem IT als Erfolgsfaktor sauber zu integrieren ist. Stärker noch fielen die organisatorischen Veränderungen ins Gewicht. "Es gilt zunächst, sehr gründlich die bestehenden Prozesse zu analysieren und die zukünftigen Prozesse genau auszuarbeiten.", Auch wenn es nicht den Anschein habe, sei die HR-Welt, auch wegen zahlreicher landesspezifischer Begebenheiten, äußerst kompliziert und umfangreich. "Sowohl der Berater als auch die beteiligten IT-Anbieter müssen solche Feinheiten kennen." Mitunter neigten IT-Berater und -Hersteller jedoch dazu, Prozesse einfacher darzustellen, als sie in der Praxis sind. Auch die Einführungsreihenfolge der Prozesse und der zu migrierenden Daten sollte sorgfältig mit erfahrener Unterstützung geplant werden. (fn)