Digitalisierung im Bildungssektor

So profitieren Bildungseinrichtungen von der Cloud

11.07.2018 von Manuel Nitzsche
Der aktuelle Stundenplan oder das Unterrichtsmaterial auf Knopfdruck? Lesen Sie, wie sich Cloud Computing in Bildungseinrichtungen einsetzen lässt - und welche Hindernisse es dabei zu überwinden gilt.
Der Stand der Digitalisierung sieht in vielen deutschen Bildungseinrichtungen noch anders aus.
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Technik oder Didaktik? Diese Debatte über zeitgemäßes Lernen ist ein Dauerbrenner. Doch wieso sollte es sich um eine Entweder-Oder-Frage handeln? Tatsächlich bedingen sich technologische und didaktische Innovation gegenseitig. Die eigentliche Frage lautet doch: Welche Technologien benötigen Bildungseinrichtungen für den didaktischen Quantensprung? Welche neuen technischen Möglichkeiten gibt es?

Native oder Native Cloud?

Mit dem Siegeszug des Internets und permanenter Vernetzung der Endgeräte hat sich eine neue Form der IT durchgesetzt. Daten liegen nicht mehr nur auf Festplatten mit nativen Betriebssystemen, sondern meist auf Servern und immer häufiger in der Cloud. Aber aus der Cloud kommen nicht nur Daten, sondern auch Rechenleistung oder Software, alles in der Form von Services. Dabei ist Native Cloud derjenige Ansatz zur Entwicklung und Bereitstellung von Anwendungen, der die Cloud Architektur konsequent nutzt. Es geht also um viel mehr als nur die Bereitstellung von Daten via Cloud.

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Serverlose Microservices

Native-Cloud-Anwendungen (NCA) nutzen ein Cloud Computing Framework, um eine Vielzahl sogenannter Microservices zu verbinden und so alle für die Anwendungen benötigten Funktionen und Dienste bereitzustellen. Diese Microservices sind dabei lose gekoppelt und können auf unterschiedlichen Servern oder an verschiedenen Standorten betrieben werden. Dieses verteilte Modell muss bereits bei der Entwicklung mitgedacht werden - so kann ein Microservice heute über einen Linux-Server und morgen über einen Windows-Server bereitgestellt werden. Das macht die Entwicklung aufwändiger, sorgt aber für Agilität und Portabilität.

Meist arbeiten die einzelnen Microservices unabhängig voneinander und stellen nur eine spezifische Funktion bereit. Die Kommunikation mit anderen Services im Rahmen des Cloud Computing Frameworks erfolgt über offene Schnittstellen.

Native Cloud oder traditionelle Software?

Damit sind NCAs weder an eine bestimmte Hardware noch an spezifische Betriebssysteme gebunden. Je nach Anforderung können Services ausschließlich bei einem Cloud-Anbieter betrieben werden, Nutzer können sie aber auch durch gemischtes Sourcing mit lokalen oder hybriden Umgebungen kombinieren (wenn sie die Herausforderungen von on-Premise-Lösungen nicht scheuen).

NCAs lassen sich zudem ohne zusätzliche Hardware skalieren: Wird zum Semesterbeginn mehr Leistung benötigt, ist das ebenso zu bewerkstelligen wie die Leistungsreduktion an den Weihnachtstagen. Selbstprovisionierung sorgt für Leistung und Ausfallsicherheit.

Vor allem aber reduzieren Microservices den Aufwand für Änderungen und funktionale Erweiterungen der Anwendung - Cloud-Software ist versionslos und damit stets aktuell. Das ist bei traditioneller Software, die on-Premise installiert wird, anders. Denn die muss nicht nur kompatibel mit den Betriebssystemen auf Servern sowie Clients sein, sondern sich zudem modular um neue Services erweitern lassen. NCAs sind all dies praktisch von Natur aus oder qua "Geburt". Nach abgeschlossener Programmierung der neuen Microservices stehen NCAs über die Cloud sofort und in erweitertem Umfang für die Anwender bereit ("continuous delivery"). Die offenen Schnittstellen stellen sicher, dass die Microservices auch nach Änderungen und Erweiterungen reibungslos miteinander kommunizieren. Gleichwohl sind NCAs keine Lösung für jeden Verwendungszweck und auch nicht die einzig mögliche Lösung.

Vertraglich absichern

Bei manchen Angeboten, beispielsweise Office 365, vielen pädagogischen Services wie etwa sofatutor.com oder sozialen Medien ist die Cloud allerdings Standard und der einzige Bezugsweg. Manche Nutzer fürchten bei Cloud-Lösungen den Kontrollverlust bei der genutzten Software oder haben Vorbehalte bezüglich der vertraulichen Behandlung von Daten - gerade mit Blick auf die Umsetzung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Können Nutzer wirklich sicher sein, dass an keiner Microservice-Schnittstelle Daten abgezapft werden?

Hierzu gibt es Angebote unterschiedlicher Provider auf Basis sicherer und zertifizierter Cloud-Rechenzentren, um den hohen Anforderungen an den Datenschutz in Deutschland und Europa Rechnung zu tragen. Dies ist für Bildungseinrichtungen von besonderer Bedeutung. Denn es geht um den Schutz hochsensibler Daten wie Noten oder ausführliche ärztliche Atteste bei Prüfungsrücktritten. Hier müssen Verträge und Richtlinien die EU-DSGVO sauber reflektieren. Vertragliche Absicherung ist Pflicht und erfordert beim Übergang in die Cloud besondere Aufmerksamkeit.

Stolpersteine: Fragmentierung und unklare Digitalisierungsstrategie

Bildungseinrichtungen verfügen meist über eine gewachsene IT-Infrastruktur und Fachleute mit umfassenden IT-Kenntnissen. Beides sollten IT-Leiter nutzen, denn je nach individueller Situation empfiehlt sich das gemischte Sourcing benötigter Funktionen. So kann beispielsweise die Statusgruppenverwaltung oder Übermittlung von Prüfungsergebnissen im gewachsenen on-Premise-System erfolgen - die Anforderungen und Bedürfnisse der Nutzer sind hier hochschulweit identisch. Fachspezifische Anwendungen wie virtuelle Labore oder Handelssimulationen wird die IT-Abteilung hingegen kaum entwickeln und on-Premise zur Verfügung stellen können.

Beim gemischten Sourcing gilt es, zwei Stolpersteine zu vermeiden. Der erste ist, wie bei jeder Funktionserweiterung, eine mögliche Fragmentierung der IT. Je vielgestaltiger die IT wird, desto schwieriger kann das Zusammenspiel für den unbedarften Nutzer werden. Um Lehrende und Lernende nicht von der Nutzung digitaler Bildungsangebote abzuschrecken, muss die IT-Abteilung eine nahtlose Lernumgebung sicherstellen. Eine solche maßgeschneiderte Lösung kann einen erheblichen Arbeitsaufwand mit sich bringen.

Auch der zweite Stolperstein ist grundsätzlicher Art: eine klar ausformulierte IT- und Digitalisierungsstrategie, die Verantwortliche, Ressourcen und Zeitpläne koordiniert. Erst damit wird klar, welche Sourcing-Strategie gilt und wer verantwortlich ist. Ist es die Hochschulleitung? Die IT? Oder entscheidet jedes Institut für sich? Erst die Klärung dieser Fragen liefert die erforderliche Planungssicherheit zur Umsetzung und Akzeptanz digitalen Lernens. Das Hochschulforum Digitalisierung - als unabhängige nationale Plattform der Diskussion - bringt es in seinen Thesen zur Digitalisierung der Hochschulbildung auf den Punkt: "Hochschulen fehlt es nicht an digitalen Lehr- und Lerninnovationen, der Mangel besteht in ihrer strukturellen und vor allem strategischen Verbreitung" und fordert die "strategische Verbreitung digitaler Lehr- und Lernangebote innerhalb der Hochschule."

Ohne Telefon kein Ferngespräch, ohne Cloud keine digitale Bildung

Die Stolpersteine zeigen: Technik kann sowohl der ermöglichende Faktor als auch der limitierende Faktor sein. Ohne Telefon kein Ferngespräch, ohne Smartphone keine WhatsApp und - zukünftig - ohne Cloud keine digitale Bildung. Auch wenn es zugespitzt formuliert ist: Bildungseinrichtungen und besonders Hochschulen unterliegen einem enorm hohen Innovationstempo und entsprechendem Druck.

Was heute noch fern scheint, ist morgen längst Standard. Der klassische Präsenzunterricht wird zunehmend um digitale Elemente erweitert: Lernvideos setzen sich durch, entlasten von Routine-Aufgaben und schaffen damit Raum für mehr individuelle Betreuung. Soziale Interaktion und Kollaboration gewinnen einen neuen Stellenwert. NCAs ermöglichen es Studierenden beispielsweise, durch die Einbindung von Office 365 oder anderen Office Services von zuhause aus zeitgleich remote an ihrer gemeinsamen Präsentation zur neuesten Case Study zu arbeiten. Ebenso schlägt sich die Omnipräsenz sozialer Medien in der Bildung nieder: Lehrende kommunizieren mit Lernenden zunehmend über Facebook & Co.; Bildungseinrichtungen sind also gefragt, moderne Kommunikationstools anzubinden, damit sich keine Schatten-IT bildet.

Auch künstliche Intelligenz, Einsatz von Lernstatistik oder datenbasierte Leistungsbeurteilung, umfassende Plagiatskontrolle und viele Dinge mehr bereichern das didaktische Repertoire. Das gilt ganz unabhängig davon, ob man digitale Technologien nun intensiv einsetzt oder eher verhalten und welchem Bildungsbegriff man folgt.

Den Lehrenden, was die Lehrenden benötigen

Bildungseinrichtungen benötigen eine technische Infrastruktur, die den aktuellen Anforderungen gewachsen ist. Diese muss sich funktional schnell und mühelos erweitern lassen - etwa um Filesharing-Dienste oder Content-Lieferanten.

Sie sollte auch global und auf allen Endgeräten Lernen erlauben, denn die Lernenden von heute sind mobil. Ob Größenbeschränkungen bei Videos, Modul-Inkompatibilitäten oder unverständliche Bedienoberflächen - Technologie sollte ermöglichen, nicht limitieren. Vor allem aber sollte Technologie für Lehrende ein wertvolles Werkzeug für den didaktischen Quantensprung sein. Wir werden sicher noch viele Neuerungen sehen.