Mit zwei Geschwindigkeiten in die Cloud

So machen Sie Rechenzentren fit für die Hybrid Cloud

15.07.2016 von Jürgen Mauerer
An der Cloud kommt künftig kein Unternehmen mehr vorbei. Doch wie werden die interne IT-Infrastruktur und IT-Prozesse fit für die Hybrid-Cloud? Müssen Firmen aufwändig Cloud-Ready werden, oder geht der Weg auch einfacher? Wir haben die Antworten.

Die IT-Abteilungen von Unternehmen stehen unter hohem Druck. Sie sollen Kosten senken, gleichzeitig aber agil und schnell neue digitale Angebote entwickeln. Doch manchmal verlieren Fachabteilungen die Geduld, wenn das IT-Team ihre Projektanfragen zu langsam umsetzt - und bestellen einen entsprechenden Service aus der Cloud. "Unsere Analysen zeigen, dass die Nutzung der Public Cloud in Unternehmen derzeit geradezu explodiert. Ein Teil dieser Cloud-Anwendungen existiert als Schatten-IT ohne Wissen und Kontrolle durch die IT-Abteilung", erklärt Tobias Regenfuß, Managing Director Infrastructure Services bei Accenture. Damit sind sie allerdings weder technisch noch strategisch in das IT-Service-Management des Unternehmens integriert.

Für diese Anwendungen gelten keine Service Level Agreements (SLAs), die IT-Abteilung leistet keinen Support, Helpdesk oder Daten-Backup, da sie ja nichts davon weiß. Sie unterlaufen auch die IT-Governance, sprich die zentrale und effektive Steuerung der IT im Unternehmen etwa über einheitliche Richtlinien und Standards. "Die IT-Abteilung muss daher ein Governance-Modell liefern, über das Cloud-Dienste sicher und kontrolliert beschafft und genutzt werden können. Damit verhindert sie Schatten-IT", so Tobias Regenfuß weiter.

Cloud Monitor 2016
Mehr Cloud-Befürworter
Der Anteil der Cloud-Befürworter steigt seit Jahren beständig an.
50-Prozent-Schwelle durchbrochen
54 Prozent der befragten Unternehmen nutzen Cloud-Dienste. Gegenüber 2011 hat sich der Anteil fast verdoppelt.
KMUs holen bei Cloud-Nutzung auf
Während der Anteil der Cloud-Nutzer bei den Großunternehmen seit Jahren bei etwa 70 Prozent stagniert, machen sich immer mehr kleine und mittelgroße Firmen auf den Cloud-Weg.
ITK-Branche bleibt Cloud-Vorreiter
Die Nutzung von Cloud-Diensten ist quer durch alle Branchen verbreitet. Laut Umfrage gibt es keine Branche, die sich der Cloud komplett verweigert.
Durchbruch für dei Public Cloud
Vor allem Public-Cloud-Dienste scheinen stärker gefragt zu sein. Die Nutzung der Private Cloud stagniert dagegen.
Office und Groupware sind die Cloud-Killer-Apps
Rund ein Drittel der befragten Unternehmen bezieht branchenspezifische Dienste aus der Public Cloud. Experten werten diese Zahl als zeichen dafür, wie tief die Cloud bereits in der Unternehmens-IT verankert ist.
Sicherheitsbedenken bleiben das größte Hemmnis
Die Furcht, dass Unberechtigte auf sensible Daten zugreifen oder dass Daten in der Cloud verloren gehen, bleibt das größte Hemmnis, Public-Cloud-Dienste zu nutzen.
Sicherheitsvorfälle in der Public Cloud
15 Prozent der Public-Cloud-Nutzer berichteten, dass es im vergangenen Jahr Sicherheitsprobleme mit den entsprechenden Diensten gegeben habe.
Positive Erfahrungen mit Public Cloud
Gut vier von zehn Public-Cloud-Nutzern bezeichneten ihre Erfahrungen in der Wolke als durchweg positiv. Damit hat sich ihr Anteil gegenüber 2014 mehr als verdoppelt.
Mehr Flexibilität und geringere Kosten
Public-Cloud-Nutzer heben vor allem die gestiegene Flexibilität sowie Verfügbarkeit, Skalierbarkeit und Performance der IT-Leistungen hervor. Auch auf der Kostenseite bringt die Public Cloud wohl Vorteile. Allerdings sieht auch ein Drittel steigende Implementierungszeiten und mehr Administrationsaufwand.
Sorge um Compliance
Immer noch befürchten viele Unternehmen, dass mit der Nutzung von Cloud-Lösungen auch Compliance-Probleme einher gehen könnten.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Immer mehr Unternehmen schauen ihren Cloud-Providern genau auf die Finger.
Standort bleibt das wichtigste Kriterium
Das Cloud-Rechenzentrum muss ausschließlich in Deutschland stehen, fordern drei von vier befragten Unternehmen. Damit bleibt der Standort das wichtigste Kriterium für die Auswahl des Cloud-Anbieters.

Neues Selbstverständnis: IT als Broker von IT-Services

Er empfiehlt IT-Leitern, stärker auf Cloud-Services zu setzen, um die Anfragen aus den Fachabteilungen unkompliziert und schnell umzusetzen. Accenture selbst habe mittlerweile bereits mehr als 50 Prozent seiner bestehenden Anwendungen auf Public Cloud umgestellt. "Für alle neuen Anwendungen und Dienste gilt in unserem Unternehmen eine "Public Cloud First"-Strategie", erklärt Regenfuß. "Diese Services sind sehr sicher, da die Cloud-Provider aktuellste Sicherheitstechnologie einsetzen und IT-Sicherheit zu ihrem Kerngeschäft gehört. In ihren eigenen Rechenzentren können Unternehmen einen derart hohen Security-Standard hingegen nicht zu vertretbaren Kosten herstellen."

Matthias Pfützner, Solution Architect Cloud bei Red Hat: "Zur Vorbereitung auf die Cloud sollten Unternehmen IT-Prozesse automatisieren und orchestrieren sowie einen Service Katalog erstellen. Dieser stellt in einem Leistungsverzeichnis alle IT-Services dar, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern oder Kunden anbietet. Zudem gilt es, die Architektur der Anwendungen so anzupassen, dass man sie über die Public Cloud bei Bedarf skalieren kann."
Foto: Red Hat

Als erste Voraussetzung für Cloud-Readiness fordert er einen kulturellen Wandel in den Köpfen der IT-Teams. "Die IT-Abteilung benötigt ein neues Selbstverständnis als Broker von IT-Services, die mehr und mehr aus der Cloud bezogen werden, wobei Disziplinen wie Sourcing, Security-Management und Financial Management neu aufgestellt werden müssen." Bei letzterem geht es darum, die Kosten für die Cloud-Services sauber zu erfassen und richtig zuzuordnen, da die Rechnungen der Cloud-Anbieter häufig sehr umfangreich und granular sind. Ansonsten droht die Gefahr, dass Unternehmen die möglichen Kostenvorteile der Cloud durch die Hintertür wieder verlieren.

Matthias Pfützner, Solution Architect Cloud bei Red Hat, bringt einen weiteren Aspekt zur menschlichen Seite der IT-Abteilung ins Spiel: "Im Rahmen der Cloud erfolgen viele Schritte wie etwa die Zuweisung von IP-Adressen für neue Geräte automatisiert. Vorher wurden die Adressen per Excel-Liste manuell verwaltet. Hier geht es um Befindlichkeiten, da ein IT-Mitarbeiter die Hoheit über die IP-Adressen verliert und möglicherweise Angst hat, durch die Cloud überflüssig zu werden. Diese Bedenken gilt es zu zerstreuen, damit alle mitziehen."

Es gibt keine Blaupause für Unternehmen

Der Trend gehe in Richtung Hybrid Cloud, da im Normalfall zumindest ein Teil der Applikationen in der internen Infrastruktur oder einer Private Cloud verbleibe, so Pfützner. Die Gründe: Manche Anwendungen eignen sich nicht für die Public Cloud, und teilweise sprechen Compliance- oder datenschutzrechtliche Gründe gegen eine Auslagerung. "Grundsätzlich stellt sich immer die Frage: Welche Anwendungen und Services wollen Unternehmen auslagern? Die Fälle sind immer individuell und vom Anwendungsszenario abhängig", betont Matthias Pfützner.

Manche Firmen sind eher vorsichtig und verlagern nur ihre Groupware und Collaboration-Tools in die Cloud. Andere Unternehmen betreiben speziell für die Cloud entwickelte Applikationen, die bei Bedarf zusätzliche Infrastruktur anfordern oder wieder freigeben können; und ein global tätiges Unternehmen benötigt Cloud-Ressourcen an verschiedenen weltweit verteilten Standorten. Die Palette der Cloud-Anwendungen reicht dabei von CRM-Systemen und Collaboration-Tools über Backup as a Service bis hin zum temporären Bezug von zusätzlicher Rechenleistung für besonders aufwändige Workloads.

Das Rechenzentrum zukunftssicher planen
Über die Unterverteilung im ...
... Rechenzentrum werden alle Server flexibel und anforderungsgerecht mit Strom versorgt. Die Versorgung über zwei unterschiedliche Wege (A/B-Versorgung) gewährleistet einen unterbrechungsfreien Betrieb.
Die IBM Power 795 ist das Herzstück ...
... im Rechenzentrum der TUI Deutschland. Zwei Systeme in unabhängigen Rechenzentren sorgen für eine ständige Verfügbarkeit des Buchungssystems. An Spitzentagen wickelt die TUI darüber ca. 30 Millionen Online-Anfragen ab.
Um den Anforderungen der TUI ...
... Kunden gerecht zu werden, müssen agile IT-Infrastrukturen bereitgestellt werden. Die Klimatisierung der unterschiedlichen Rackhöhen stellt dabei eine besondere Herausforderung dar.
Redundant ausgelegte Netzwerk-Komponenten ...
... gewährleisten den Informationsaustausch zwischen den mehr als 2.000 Servern und den Anwendern in über 1.000 Lokationen.
Die energieeffiziente Kühlung der ...
... Räumlichkeiten des Rechenzentrums ist ein Baustein der TUI Sustainability Initiative. Abhängig von der Wetterlage erfolgt die Klimatisierung der Räume deshalb über Rückkühler oder freie Kühlung.
Je zwei unabhängig ...
... betriebene USV-Anlagen mit jeweils mehr als 400 kW Leistung sorgen für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung in den TUI Rechenzentren.

Cloud-Readiness: Vorbereitung und Planung

Red-Hat-Mann Matthias Pfützner sieht es als unerlässlich an, dass Unternehmen ihre IT-Infrastruktur Cloud-Ready machen. "Die Planung beginnt mit einer Analyse der bestehenden Hardware, Software, Anwendungen, Geschäftsprozesse und IT-Workflows sowie deren Leistungsdaten." Wie lange dauert das Speichern von Daten? Wie hoch darf die Latenz sein? Wie läuft das Lifecycle-Management für die einzelnen Komponenten ab? Wie hoch ist der Grad an Virtualisierung und Automatisierung? Fragen wie diese sind zu beantworten.

Zur Vorbereitung auf die Cloud sollten Unternehmen laut Pfützner IT-Prozesse wie die Installation von Betriebssystemen und Software, Konfiguration oder Inbetriebnahme automatisieren und orchestrieren sowie einen Service Katalog erstellen. Dieser stellt in einem Leistungsverzeichnis alle IT-Services dar, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern oder Kunden anbietet. "Zudem gilt es, die Architektur der Anwendungen so anzupassen, dass man sie über die Public Cloud bei Bedarf skalieren kann", erklärt Matthias Pfützner.

Eine Variante sieht er in klassischen Multi-Tier-Anwendungen mit Frontend, Middleware und Backend sowie definierten Firewall-Regeln und APIs, bei denen sich das Frontend relativ einfach in die Cloud auslagern lässt. Bei einem Webshop beispielsweise laufen die Datenbank und das Warenwirtschaftssystem im eigenen Rechenzentrum, die Applikation, die den Webshop betreibt, liegt auf einem Webserver in der Cloud. "Steigt der Traffic bei Sonderangeboten oder zu Weihnachten punktuell extrem an, kann das Unternehmen seine Infrastruktur über Scale Out-Technologie an die jeweilige Arbeitslast anpassen und zusätzliche Rechenleistung aus der Cloud beziehen", sagt Pfützner.

Die zweite Variante seien Linux-Container, die Anwendungen mit allen benötigten Komponenten wie Bibliotheken oder Skripts in einem abgeschlossenen Paket kapseln. Dazu Pfützner: "Damit werden die Anwendungen auch portabler, da Unternehmen sie ohne Anpassung und Installation in Cloud-Umgebungen übertragen und dort ausführen können."

Der andere, pragmatische Weg

Eine andere Meinung vertritt Dr. Sebastian Ritz, Geschäftsführer der iNNOVO Cloud GmbH: "Eine umfassende Analyse zur Cloud-Readiness ist nichts anderes als die Bewahrung des Geschäftsmodells der alten IT-Welt. Diese Analyse ist oft viel zu aufwändig und teuer und endet in einer nicht umsetzbaren PowerPoint-Strategie, an der nur Berater verdient haben. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollten lieber mit einem ersten Projekt in die Cloud gehen, eine digitale Plattform aufbauen und diese dann schrittweise erweitern. Ein solches Vorgehen entspricht den agilen Entwicklungsmethoden."

Ein Anlass für den Weg in die Cloud besteht laut Ritz, wenn die bestehende Hardware im Rechenzentrum, etwa ein Mail-Server, nicht mehr den gestiegenen Leistungsanforderungen genügt oder zyklusmäßig ersetzt werden muss. Auch Migrationsprojekte oder der Einsatz moderner Kollaborationsanwendungen sind Motive, warum sich Firmen mit der Cloud beschäftigen.

Dr. Sebastian Ritz, Geschäftsführer der iNNOVO Cloud GmbH: "Eine umfassende Analyse zur Cloud-Readiness ist nichts anderes als die Bewahrung des Geschäftsmodells der alten IT-Welt. Diese Analyse ist oft viel zu aufwändig und teuer und endet in einer nicht umsetzbaren PowerPoint-Strategie, an der nur Berater verdient haben. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollten lieber mit einem ersten Projekt in die Cloud gehen, eine digitale Plattform aufbauen und diese dann schrittweise erweitern."
Foto: iNNOVO Cloud GmbH

Als Beispiel nennt Ritz die Verlagerung von 50 Arbeitsplätzen mit Thin Clients und Office 365 in eine Virtual Private Cloud. Die Cloud-Workplaces sind via VPN mit dem eigenen Rechenzentrum oder dem des Providers verbunden, greifen über Schnittstellen auf den Terminal Server und ein Shared Filesystem zu. "99,9 Prozent der Anwendungen sind Terminal-Server-fähig, auch das ERP- oder CRM-System", erläutert Sebastian Ritz.

Etwas Aufwand sei für die Koppelung des Active Directory, Single-Sign-On über Konnektoren und Plug-Ins, die Konfiguration der File-Sharing-Berechtigungen und den sicheren Aufbau der Verbindung zwischen der Cloud und dem eigenen Rechenzentrum notwendig. "Noch komplexere Vorbereitungen wie Automatisierung und Self Service können sein, müssen aber nicht im ersten Schritt sein. Für den Gang in die Cloud ist der Umbau der Software- oder System-Architektur nicht unbedingt notwendig."

Matthias Pfützner, Solution Architect Cloud bei Red Hat, entgegnet: "Für Anwender, die primär auf Software-as-a-Service setzen, ist tatsächlich nicht so viel Aufwand erforderlich. Anders sieht es bei größeren Unternehmen, die umfassendere Services aus der Cloud beziehen wollen, und auch bei Firmen, die ihre Dienste und Anwendungen selbst aus der Wolke anbieten. Sie müssen tatsächlich Cloud-Ready sein." Entscheidend sind demnach also die Perspektive - Anbieter oder Anwender -und die Größe des Unternehmens.

"As-a-Service": Konvergenz zwischen Cloud-Anwender und -Anbieter

Tobias Regenfuß, Managing Director Infrastructure Services bei Accenture, stellt sogar eine zunehmende Konvergenz und Verschmelzung der Anwender- und Anbieter-Perspektive fest. "Die Kunden erwarten Angebote "as-a-Service", für die keine Investitionen oder Grundgebühren anfallen. Solche Modelle lassen sich in der Public Cloud gut umsetzen. Viele Unternehmen werden zukünftig Komponenten für eigene Produkte oder Services aus der Public Cloud beziehen und zu neuen Anwendungen veredeln, etwa aus den Bereichen Analytics oder IoT. Diese bieten sie ihren eigenen Kunden wiederum "as-a-Service" - quasi als Cloud-Dienste - an."

Tobias Regenfuß, Managing Director Infrastructure Services bei Accenture: "Viele Unternehmen werden zukünftig Komponenten für eigene Produkte oder Services aus der Public Cloud beziehen und zu neuen Anwendungen veredeln, etwa aus den Bereichen Analytics oder IoT. Diese bieten sie ihren eigenen Kunden wiederum "as-a-Service" - quasi als Cloud-Dienste - an."
Foto: Accenture

Solche Firmen müssen ihre interne IT-Infrastruktur und -Architektur entsprechend vorbereiten. Dazu gehören ein benutzerfreundlicher Service Katalog (mit IaaS und PaaS-Komponenten), eine Cloud-Management-Plattform für die Orchestrierung der Bereitstellung und Überwachung der Dienste, eine Security-Architektur (mit Identity Management und Active Directory-Einbindung) und die erforderlichen Netzwerke für die Verbindung der klassischen, internen IT-Umgebung mit der Cloud.

Dazu Tobias Regenfuß: "Mobile Apps, Webanwendungen und andere digitale Dienste aus der Cloud müssen auf Daten im Backend zugreifen können. Dafür benötigen Unternehmen eine Service-Schicht in die alte Welt, eine Art "App-Store" für den Backend-Zugriff über APIs. Gelingt diese Verbindung, erreichen Unternehmen die erforderliche Flexibilität und Geschwindigkeit in der "neuen" Welt, sowie signifikante Kostensenkung bei hoher Stabilität in der "alten" Welt." (hal)

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